Ein Druckstoß (auch Wasserhammer oder Druckschlag, englisch pressure surge) bezeichnet die dynamische Druckänderung eines Fluids. Der Druckanstieg in einer Rohrleitung, der beim zu raschen Schließen einer Absperr- oder Stellarmatur auftritt, wird als Joukowskistoß bezeichnet.
Druckstöße sind in technischen Anlagen generell unvermeidlich (sie wären nur mit einer unendlich langen Schließzeit zu verhindern), weil diese mittels Armaturen geregelt werden. Das Ausmaß eines Druckstoßes lässt sich jedoch mindern.
Druckstöße zeigen in flüssigkeitsgefüllten Systemen höhere Druckanstiege als in gasgefüllten, weil Flüssigkeiten weniger kompressibel sind als Gase und die den Stoß erzeugende, entschleunigte Masse bei Flüssigkeit größer ist.
Der Druck wird von Druckwellen weitergegeben. Es handelt sich dabei immer um Longitudinalwellen.
Bereits seit der Antike sind die grundsätzlichen Ursachen für Druckstöße in flüssigkeitsgefüllten Rohrleitungen und die damit verbundene Gefahr der Anlagenbeschädigung/-zerstörung bekannt. Marcus Vitruvius Pollio beschrieb im 1. Jahrhundert vor Christus das Auftreten von Druckstößen in Blei- und Steinrohren der römischen Wasserversorgung.[1]
1883 veröffentlichte Johannes von Kries die Theorie des Druckstoßes in einer Veröffentlichung über den Blutfluss in Arterien.[2] Damit hat er entgegen der landläufigen Meinung vor Nikolai Joukowsky die Joukowsky-Formel aufgestellt. Dieser führte 1897 ausführliche Experimente an Trinkwasserleitungen durch und veröffentlichte seine Ergebnisse 1898.[3] Als generelle Bezeichnung des Druckstoßes setzte sich daraufhin der Begriff Joukowsky-Stoß durch.
Soll ein Fluid in einer Rohrleitung beschleunigt bzw. abgebremst werden (Bremsung als negative Beschleunigung), so ist dafür aufgrund der Trägheit des Fluids eine gewisse Kraft nötig.[4] Das zweite Newtonsche Gesetz besagt:
mit
Die nötige Kraft resultiert in einer Änderung des Druckes. Beschleunigt (bzw. abgebremst) wird ein Fluid in einer Rohrleitung z. B. durch das Schließen eines Ventils oder einer Absperrklappe (Klappenschlag) sowie durch das An- und Abfahren von Pumpen.[4]
Die meisten Pumpen sind mit Rückschlagklappen versehen. Werden zwei oder mehr solcher Pumpen parallel betrieben und findet ein Umschalten der Pumpen statt, so kann durch die auslaufende(n) Pumpe(n) eine Rückströmung entstehen, welche von der Rückschlagklappe verhindert werden soll. Wird eine herkömmliche (relativ langsam schließende) Rückschlagklappe verwendet, so schließt diese erst, wenn sich die Rückströmung bereits teilweise ausgebildet hat; in diesem Fall entsteht ein Druckstoß.
Durch zu hohe Druckstöße können Schäden an der betroffenen Anlage auftreten. Rohrleitungen können schlimmstenfalls platzen oder Halterungen der Rohrleitungen können beschädigt werden. Zudem sind Armaturen, Pumpen, Fundamente und weitere Bestandteile des Leitungssystems (z. B. Wärmeübertrager) gefährdet. Bei Trinkwasserleitungen kann ein Druckstoß dazu führen, dass von außen Schmutzwasser eingesaugt wird.
Da Schäden an Rohrleitungen nicht zwangsläufig sofort ersichtlich sind (z. B. bei der Beschädigung eines Flansches), ist es nötig, sich schon bei der Planung einer Rohrleitung mit dem Druckstoß zu beschäftigen.
Beim hydraulischen Widder ist der Effekt des Druckstoßes jedoch essenziell für seine Funktion.
Wird ein Fluid in einer Rohrleitung durch ein Ventil abgebremst, so wird stromaufwärts des Ventils Bewegungsenergie $ W $ frei:
mit
Dieser Energiebetrag wird in Volumenänderungsarbeit umgewandelt:[5]
mit
Das Fluid wird also komprimiert. Da beispielsweise Wasser aufgrund seines hohen Kompressionsmoduls nahezu inkompressibel ist, entstehen bei der Verrichtung der Volumenänderungsarbeit hohe Drücke.
Dieser Zusammenhang steht analog zum Bremsweg eines Autos: je kürzer der Bremsweg, desto höheren Kräften sind die Fahrzeuginsassen ausgesetzt.
Da wasserführende Leitungen beim Betreiben einer Anlage teilweise sehr schnell geschlossen werden müssen (z. B. bei einem Lastabwurf), sind die entstehenden Druckstöße dementsprechend hoch.
Trotz moderner Simulationsprogramme und langer Erfahrung mit Druckstößen sind auch heute immer wieder Schäden an Rohrleitungen zu beobachten.
Einer der spektakulärsten Unfälle der letzten Jahre ereignete sich 1998 in New York City, als eine Hauptwasserleitung mit 48 Zoll Durchmesser brach und die Fifth Avenue überflutete.[6]
Auch in Hamburg kam es am Samstag, dem 4. Juli 2009, zu mehreren Druckstoßschäden. Nach einem Spannungseinbruch in der Stromversorgung aufgrund einer Havarie eines Transformators im Kernkraftwerk Krümmel fielen im gesamten Hamburger Stadtgebiet abrupt Pumpen in 14 Wasserwerken aus. Dies verursachte unzulässig hohe Druckstöße. Als der Druck beim Anfahren der Pumpen wieder stieg, kam es zum Bruch der zuvor geschädigten Leitungen. Als Folge kam es zwischen 17.20 Uhr am Samstag und 18.45 Uhr am Sonntag zu insgesamt 16 Wasserrohrbrüchen.[7]
Ein Erklärmodell des Unfalls am Wasserkraftwerk Sajano-Schuschenskaja am 17. August 2009, bei dem 75 Tote zu beklagen waren und mehrere Turbinen-Generatoren-Gruppen zerstört wurden, war ein Kavitationsschlag nach dem Abreißen der Wassersäule im Saugrohr als Folge des zu schnellen Schließen der Leitschaufeln der Francis-Turbinen nach einem Lastabwurf.[8]
Beim Schließen einer Armatur bewegt sich stromabwärts das Fluid von der Armatur weg. Die Druckänderung wird deshalb negativ. Unterschreitet der Druck den Dampfdruck des Fluids, so bildet sich eine Dampfblase. Durch den dann vorherrschenden Unterdruck wird das Fluid in Gegenrichtung beschleunigt und trifft auf das geschlossene Ventil. Es entsteht ein Kavitationsschlag, der dieselben Auswirkungen wie ein Druckstoß hat. Dieses Abreißen der Wassersäule wird auch als Makrokavitation bezeichnet.
Der Druckstoß wurde von Joukowsky im Jahre 1898 erkannt und von Allievi im Jahre 1905 theoretisch hergeleitet:[9]
mit
Diese Beziehung gilt nur für Rohrleitungen, bei denen
Für Wasser $ \left(\rho =1000\,\mathrm {\frac {kg}{m^{3}}} ,\,c=1484\,\mathrm {\frac {m}{s}} \right) $ liefert eine typische Geschwindigkeitsänderung $ \Delta v=10\,\mathrm {m/s} $ einen Joukowsky-Stoß
Wenn die Schließzeit des Absperrorganes (oder die Nachlaufzeit der Pumpe) beachtet werden, ergeben sich weniger konservative Werte als die o. g. technisch maximal mögliche Druckerhöhung:[10]
mit
Die Reflexionszeit ist die Zeit, die nötig ist, um die Druckänderung von der Armatur bis zum Leitungsende und wieder zur Armatur weiterzugeben. Bei dieser Abschätzung des Druckstoßes fällt die Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit nicht mehr ins Gewicht. Zu einer genaueren Abschätzung können Ventilkennlinien mit einbezogen werden. Im Detail kann man dann die Rekursionsformel nach Allievi (ohne Rohrreibung) anwenden, um die Druckerhöhung aufgrund des Ventilschließvorganges zu berechnen.
Der oben berechnete Joukowsky-Druckstoß unter Verwendung der Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit des Strömungsmediums stellt die ideale, physikalisch maximal mögliche Druckerhöhung bei einer unendlich steifen Rohrleitung dar. Um realere Werte zu erreichen, wird die Elastizität der Rohrwand bei der Berechnung berücksichtigt, was die Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit und damit die Druckerhöhung reduziert.
Für c in m/s gilt:[4]
mit
Beim dünnwandigen Rohr vereinfacht sich die Gleichung der Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit zu:
Bei in Fels geschlagenen Stollen ist die Wanddicke unbestimmt extrem groß, somit gilt für diese Anwendung:
mit
In einer fließenden Rohrleitungs-Strömung kommt es aufgrund von Reibungsdruckverlusten (Wandreibung und Dissipation) zu einer Druckreduzierung. Bei einem Stillstand der Strömung infolge eines Ventilschließvorganges fällt dies schlagartig fort, was zu einem zusätzlichen Druckanstieg führt, der zum Joukowsky-Stoß zu addieren ist.
Die Joukowsky-Gleichung stellt u. a. deshalb nur eine ungenaue Näherung dar, der real entstehende Druckstoß kann noch höhere Drücke erreichen (z. B. in Pipelines). Deshalb müssen Druckstöße evtl. numerisch simuliert werden.
Für Rohrleitungssysteme werden Druckstoßberechnungen auf numerischem Wege durchgeführt. Dafür gibt es spezielle, leistungsfähige Computerprogramme.
Als Grundlage dieser Programme dienen Druckstoßgleichungen, welche aus den Gesetzen der Massenerhaltung und der Impulserhaltung resultieren. Im Vergleich zu analytischen Methoden sind diese nicht nur für kompressible, sondern auch für inkompressible Medien geeignet. Die Rohrleitung wird in zahlreiche Einzelsegmente unterteilt und der Druckstoß in kleinen Zeitabschnitten berechnet. Ausgegeben werden die Ergebnisse z. B. als Zeitfunktionen der Drücke, der Dichten, der Massenströme, der Stellgrößen der Ventile oder der Pumpendaten. Es können auch dynamische Lasten berechnet werden, welche einer Strukturanalyse des Rohrleitungssystems dienen.
Für numerische Lösungsverfahren werden jedoch schnelle Computersysteme benötigt. Außerdem muss zur Berechnung personeller Aufwand betrieben werden. Da so immense Kosten verursacht werden können, sollte ein Druckstoß nur dann numerisch berechnet werden, wenn es unbedingt notwendig ist.