Epizykeltheorie

Epizykeltheorie

Die Epizykeltheorie besagt, dass die Planeten sich auf kleinen Kreisbahnen bewegen, den Epizykeln, die ihrerseits auf einer großen Kreisbahn (Deferent genannt) um die Erde wandern. Der Epizykel (griechisch epi „auf“, kyklos „Kreis“) ist also ein „Kreis auf dem Kreis“. Diese Theorie wurde rund 2000 Jahre lang vertreten – vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 17. Jahrhundert.

Das Konzept der Epizykel wurde vermutlich von Apollonios von Perge gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. aufgestellt. Im ptolemäischen Weltsystem wurde es als systematische Theorie in die Astronomie eingeführt, um die Bewegungen von Mond, Sonne und Planeten am Himmel zu erklären. Insbesondere versucht die Epizykeltheorie zu begründen, warum die Planeten am Himmel mit variierender Geschwindigkeit und manche zuweilen auf einer Schleifenbahn sogar rückwärts laufen. Wegen des religiös motivierten Glaubens an eine Beziehung zu den Göttern wurden solche Bewegungen, aber auch enge Begegnungen der Planeten untereinander oder mit bestimmten Sternen, als äußerst wichtig eingestuft.

Hintergrund der Epizykeltheorie ist die Lehre des Aristoteles, dass die einzig vollkommene Bewegung die Kreisbahn ist und dass alle Bewegungen außerhalb der Mondbahnsphäre auf Kreisbahnen verlaufen. Die Epizykeltheorie wurde erst von Keplers Theorie der ellipsenförmigen Planetenbahnen abgelöst.

Inhalt

Darstellung von Deferent und Epizykel nach Ptolemäus. Im Centrum Mundi befindet sich die punktförmige Erde. Um die Exzentrizität des Planeten versetzt befindet sich darüber das Centrum Deferentis. Im gleichen Abstand liegt darüber das Centrum Equantis. Von diesem Punkt aus bewegt sich der Epizykel mit konstanter Winkelgeschwindigkeit auf dem Deferent, was durch die blau gefärbten Flächen symbolisiert wird. Die Überlagerung von Epizykelbewegung und Deferentenbewegung ist als gestrichelte rote Linie zu sehen. Die grüne Linie zeigt den wahren Ort des Planeten auf der Ekliptik. Zusätzlich ist als Verlängerung der Linie der Zentren die sogenannte Aux des Planeten angezeigt, also der Winkel zum Frühlingspunkt der Ekliptik.

Allgemeines

Viele Rechenmodelle der Antike hat Ptolemäus im Almagest zusammengetragen. Damit schuf er ein benutzbares Handbuch, das für die nachfolgenden Wissenschaftsgenerationen im arabischen und lateinischen Mittelalter verbindlich war. Die Planetenbewegungen werden darin auf Basis der epizyklischen Bewegung erklärt.

Nach der Epizykeltheorie bewegen sich die Planeten – zusätzlich zum täglichen Umlauf um die Erde – entlang eines kleinen Kreises, des Epizykels (griechisch epíkyklos „Neben- oder Aufkreis“), der sich seinerseits entlang eines größeren Kreises bewegt, der Deferent genannt wird (auch deferierender Kreis; von lateinisch deferre „wegtragen“, „mitnehmen“). Die Kreise liegen etwa parallel zur Ebene der Erdumlaufbahn (Ebene der Ekliptik). Die Bewegung entlang jedes Kreises erfolgt mit konstanter Geschwindigkeit jeweils in östlicher Richtung. Die Planetenbahnen in diesem System sind ähnlich zu Epizykloiden.

Befindet sich im Mittelpunkt des Deferenten die Erde, dann würde sich von ihr aus gesehen der Planet zunächst mit der Bewegung auf dem Deferenten nach Osten bewegen, was der durchschnittlichen Bewegung des Planeten durch den Sternenhimmel entspricht. Die Hälfte der Zeit summiert sich zu dieser Bewegung auch die ostwärts gerichtete Bewegung auf dem Epizykel. Die andere Zeit aber liefe der Planet auf dem Epizykel entgegengesetzt zur Bewegung auf dem Deferenten, wodurch sich seine Bewegung am Himmel verlangsamen und schließlich für kurze Zeit rückläufig werden würde, sodass die Planetenbahn schließlich eine Schleife vollführte.

Dieser rechnerische Kunstgriff reichte aber nicht aus, die genauer beobachtete Bewegung der Planeten vollständig zu beschreiben. Daher wurde die Epizykeltheorie spätestens schon von Ptolemäus mit der Exzentertheorie von Hipparch verbunden, in der die Erde gegenüber dem Zentrum des Deferenten versetzt ist. Ferner führte Ptolemäus den Äquant ein, einen Punkt, der im gleichen Abstand vom Mittelpunkt des Deferenten gegenüber der Erde angenommen wurde. Nur vom Äquanten aus gesehen erscheint der Umlauf auf dem Deferenten als gleichförmig. Wie Nikolaus Kopernikus zeigte, lassen sich auch diese Zusatzannahmen durch weitere, geeignet gewählte Epizykeln darstellen (Epizykel auf Epizykeln). Trotzdem erreichte Kopernikus mit einer wesentlich geringeren Anzahl von Epizyklen für das Planetensystem insgesamt die gleiche Genauigkeit, denn er legte das heliozentrische Weltbild zugrunde. Darin musste er nicht, wie im geozentrischen Weltbild erforderlich, in jeder einzelnen Planetenbahn auch die Bewegung der Erde einschließlich ihrer Ungleichförmigkeiten berücksichtigen.

Vergleich mit Keplerbahnen

Alternative Beschreibung einer elliptischen Bahn durch eine epizyklische Bewegung

Mit dem rechnerischen Kunstgriff eines Epizykels kann man (bei entgegengesetztem Drehsinn, s. Abbildung) auch eine exakt elliptische Bahn beschreiben, wie sie im 17. Jahrhundert von Johannes Kepler als zutreffend erkannt wurde. Diese Bahnen ergeben daher auch die beobachteten Positionen richtig, wenn man den Beobachter bzw. die Sonne nicht in den Mittelpunkt setzt, sondern in einen Fokus der Ellipse. Dem entspricht das Epizykelmodell mit der erwähnten Exzentertheorie. Mit der seinerzeit vorgeschriebenen Annahme, alle Kreisbewegungen müssten gleichförmig ablaufen, ergeben sich für die Positionen dann aber falsche Zeitpunkte. Das kann durch eine variierende Bahngeschwindigkeit berichtigt werden, und Kepler formulierte dies durch den Satz, dass die Verbindungslinie vom Fokus zum Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht (Zweites Keplergesetz). Diese Bewegung erscheint vom anderen Fokus aus gesehen tatsächlich fast gleichförmig (der Fehler liegt im Bereich der Exzentrizität der Bahnellipse zum Quadrat, also selbst beim Mars noch unter einem Prozent). Dies war in der Epizykeltheorie die Rolle des Äquanten, dessen Position meist so angesetzt worden war, dass er im Ergebnis genau beim anderen Fokus lag. Angesichts solch naher Übereinstimmung erscheint Keplers Entdeckung besonders bemerkenswert.

Theorie des Ptolemäus für die Sonne, die Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn sowie für den Merkur und den Mond.

Für die Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn gab Ptolemäus eine einheitliche Theorie zur Beschreibung der Planetenbewegung im Almagest an. Im Mittelpunkt des Universums, dem Centrum Mundi befindet sich die punktförmige Erde, von der aus der Betrachter die Bewegungen des Planeten vor der Fixsternsphäre sieht. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die Ekliptik, die in zwölf Abschnitte gemäß der Tierkreiszeichen aufgeteilt ist. Jeder dieser Abschnitte ist wiederum in 30 Winkelgrade unterteilt. Der Mittelpunkt des Deferenten eines Planeten ist um die sogenannte Exzentrizität gegenüber dem Centrum Mundi verschoben. Die Bewegung des Epizykelzentrums auf dem Deferent erfolgt ungleichmäßig gegenüber dem irdischen Betrachter im Centrum Mundi, aber auch bezogen auf das Centrum Deferentis ist die Bewegung ungleichmäßig. Es gibt jedoch einen weiteren Ort, das Centrum Equantis, von dem aus die Bewegung des Epizykelzentrums mit konstanter Winkelgeschwindigkeit erfolgt. Alle drei Punkte liegen auf der Linie der Zentren, welche wiederum gegenüber dem Frühlingspunkt auf der Ekliptik einen bestimmten Winkel, die sogenannte Aux, annimmt. Der Planet umkreist mit konstanter Winkelgeschwindigkeit das Zentrum des Epizykels. Ein Projektionsstrahl, der vom Centrum Mundi durch den Planeten geht, projiziert den wahren Ort des Planeten auf das ekliptikale Koordinatensystem. Da in diesem Modell sowohl der Deferent als auch der Epizykel gegenüber der Ekliptik eine Schiefstellung aufweisen, kann die Bewegung des Planeten in ekliptikaler Länge und ekliptikaler Breite angegeben werden. Die Aux des Planeten ist nicht konstant, sondern wandert laut Ptolemäus mit einer Geschwindigkeit von 1° pro Jahrhundert im Uhrzeigersinn durch die Ekliptik. Diese Bewegung wird durch die Präzession der Erdachse verursacht. Moderne Messungen zeigen, dass die beschriebene Bewegung mit einer Geschwindigkeit von etwa 1° innerhalb etwa 70 Jahren erfolgt (ein kompletter Umlauf dauert etwa 25800 Jahre).[1]

Da die Sonne nur eine einzige Anomalie besitzt, also innerhalb eines Jahres lediglich eine zeitlich variable Bewegungsgeschwindigkeit aufweist, kann das ptolemäische Sonnenmodell sowohl mit Hilfe eines Exzenters als auch mit Hilfe eines Epizykels dargestellt werden. Die Gleichwertigkeit beider Theorien wird im Almagest bewiesen.[2]

Für Mond und Merkur sind kompliziertere Modelle erforderlich. Die Mondbahn wird vor allem durch die Sonne so stark gestört, dass er nach der Epizykeltheorie einen derart großen Epizykel haben müsste, dass sein Abstand zur Erde und damit seine (scheinbare) Größe erheblich variieren müsste. Der Merkur weist eine so stark elliptische Bahn auf, dass sie mit der Näherung durch Epizykel nicht mehr gut wiedergegeben werden kann.

Ihrem Prinzip nach kann man die Epizykeltheorie als eine Approximation der tatsächlichen Planetenbahnen durch Fourier-Reihen betrachten, zumindest im Fall gleichförmiger Bewegungen, wie man sie im Mondmodell sowie im Modell der Sonne vorfindet. Diese Parallele wurde spätestens durch Giovanni Schiaparelli entdeckt und durch Giovanni Gallavotti formal bewiesen.[3][4]

Überwindung

Das heliozentrische Weltbild erklärt die Schleifen der Planetenbahnen durch Überlagerung mit der Erdbewegung und scheint deshalb auf Epizykel verzichten zu können. Da das neue Modell aber immer noch von kreisförmigen Umlaufbahnen für die Planeten ausging, mussten Unstimmigkeiten wieder durch Verwendung der Epizykel erklärt werden. Kopernikus verwendete in seinem Weltsystem immer noch 34 Epizykel, konnte aber eine schlüssige Erklärung liefern für die Bindung der Merkur- und Venusbahn an die Sonne.

Erst durch Johannes Kepler wurde die Epizykeltheorie überflüssig: Das „natürliche“ Modell der Planeten auf ellipsenförmigen „Keplerbahnen“ um die Sonne benötigt keine Korrektur durch überlagerte Epizykel.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Poulle, Sändig, Scharsin, Hasselmeyer: Die Planetenlaufuhr. Ein Meisterwerk der Astronomie und Technik der Renaissance geschaffen von Eberhard Baldewein 1563–1568. Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-89870-548-6, S. 21 ff.
  2. Karl Manitius: Ptolemäus Handbuch der Astronomie. B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig 1963, Übersetzung von Manitius mit Korrekturen von Otto Neugebauer.
  3. Giovanni Gallavotti: Quasi periodic motions from Hipparchus to Kolmogorov. In: Rendiconti Lincei – Matematica e Applicazioni. Serie 9, Band 12, Nr. 2, 2001, S. 125–152 (PDF; 205 KB).
  4. Lucio Russo: The forgotten revolution. How science was born in 300 BC and why it had to be reborn. Springer, Berlin u. a. 2004, ISBN 3-540-20068-1, S. 91.

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