Ferroelektrizität (oder auch Polarisationskatastrophe) beschreibt das Phänomen, dass Stoffe mit einem elektrischen Dipolmoment durch das Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes die Richtung der spontanen Polarisation ändern.
Die Ferroelektrizität wurde früher als Seignette-Elektrizität (selten auch als Seignettesalzelektrizität) bezeichnet, da sie am Seignettesalz (Kaliumnatriumtartrat) entdeckt wurde.[1][2][3]
Ferroelektrizität kommt nur in Kristallen vor, in denen die kristalline Symmetrie eine polare Achse zulässt. Dadurch kommt es durch die Verschiebung verschieden geladener Ionen im Kristallgitter zur spontanen Polarisation. Die elektrische Polarisation in Ferroelektrika kann durch das Anlegen einer äußeren Spannung umgepolt werden. Ferroelektrische Stoffe sind immer auch pyroelektrisch und somit auch piezoelektrisch.
Das Präfix „Ferro-“ bezieht sich bei den Ferroelektrika nicht auf eine Eigenschaft von Eisen, sondern auf die Analogie zum Ferromagnetismus. Wie bei den Ferromagnetika die Magnetisierung, so verschwindet bei Ferroelektrika die Polarisation bei hohen Temperaturen (der ferroelektrischen Curie-Temperatur) – das Material ist dann paraelektrisch. Oberhalb dieser Temperatur folgt die elektrische Suszeptibilität analog zur magnetischen Suszeptibilität $ \chi $ dem Curie-Weiss-Gesetz. Bei Abkühlung des Materials findet bei Unterschreiten der Curie-Temperatur ein Phasenübergang statt, der in der Regel mit einer Strukturveränderung (Verringerung der Kristallsymmetrie) zusammenfällt und das Material wird wieder ferroelektrisch. Dabei steigt die relative Permittivität zu tieferen Temperaturen erheblich an, bei 4 K liegt sie oftmals um den Faktor 10 bis 20 über dem Wert bei Raumtemperatur und kann Werte oberhalb von 106 erreichen.
Ferroelektrische Kristalle bilden Domänen, also Bereiche mit gleicher Polarisationsrichtung. Von Domäne zu Domäne ändert sich die Polarisationsrichtung im Bereich weniger Atomlagen, in denen die Polarisation verschwindet. Die ferroelektrischen Domänenwände sind nur wenige Nanometer breit. Im Gegensatz dazu ändert sich beim Ferromagnetismus die Orientierung der Magnetisierung schrittweise über einen Bereich von 10 nm und mehr. Wegen der schmaleren Domänenwände können unterschiedlich orientierte Domänen in ferroelektrischen Dünnschichten eine höhere Dichte aufweisen als in ferromagnetischen Dünnschichten. Deshalb erhofft man sich eine höhere maximale Informationsdichte bei der Entwicklung ferroelektrischer Speichermedien gegenüber ferromagnetischen. Die Polarisation $ P $ kann durch Anlegen eines externen elektrischen Feldes $ E $, wie in nebenstehender Skizze dargestellt, umgepolt werden und folgt dabei einer Hysteresekurve.
Es existieren aber auch ferrielektrische und antiferroelektrische Substanzen, ähnlich wie bei magnetischen Materialien. Die Überlagerung mehrerer Teilgitter von geordneten elektrischen Dipolen zeichnet eine antiferroelektrische Ordnung aus. Dabei weist diese Überlagerung eine entgegengesetzte, aber gleich starke elektrische Polarisation auf. Demnach ist die makroskopische Gesamtpolarisation $ P=0 $.
Jede antiferroelektrische Substanz besitzt eine Curie-Temperatur $ T_{c} $. Oberhalb dieser Temperatur sind beide Teilgitter völlig gleichwertig und unpolarisiert. Allerdings kann es vorkommen, dass sich die antiparallelen Dipolmomente der Teilgitter nicht völlig aufheben. In Folge dessen resultiert eine endliche Polarisation $ P $. In diesem Fall handelt es sich um Ferrielektrizität.
Ferroelektrika werden zur Herstellung höchst präziser mechanischer Aktoren (Verschiebeelemente) genutzt. Unter Verwendung des inversen piezoelektrischen Effektes sind Verschiebungen mit einer Auflösung von weniger als einem Atomdurchmesser möglich. Sie werden beispielsweise in Rasterkraftmikroskopen, Rastertunnelmikroskopen oder anderen Rastersondenmikroskopen verwendet.
Ferroelektrika besitzen in der Regel eine hohe bis sehr hohe relative Permittivität ($ \varepsilon _{r} $) im Bereich zwischen 100 und 100.000, weshalb sie als Material für Keramikkondensatoren mit hohen Volumenkapazitäten verwendet werden. Sie ersetzen zunehmend die Elektrolytkondensatoren und zeichnen sich gegenüber diesen durch geringe äquivalente Serienwiderstände und -induktivitäten (ESR und ESL) aus. Nachteilig sind jedoch die starke Temperaturabhängigkeit, die großen Toleranzen und die hohen dielektrischen Verlustfaktoren. Diese hohe Permittivität macht sie auch in der Halbleitertechnologie interessant, wo für kleinere Speicherschaltkreise (RAM) hohe Kapazitäten auf engstem Raum benötigt werden. Der Hauptvorteil bei der Verwendung von sogenanntem FeRAM (ferroelektrischer RAM) ist, dass diese ihren Ladungszustand im Vergleich zu derzeit (2008) hauptsächlich eingesetzten DRAMs nicht verlieren. Man spricht in diesem Fall von nichtflüchtigen Speichern (NVRAM). Ein weiterer Forschungsbereich ist die Verwendung von Ferroelektrika als so genannte High-k-Dielektrika. Vor allem Perowskite könnten in Zukunft das Siliciumdioxid als Gate-Dielektrikum der Feldeffekttransistoren in integrierten Schaltungen ablösen. Aufgrund der permanenten Polarisierbarkeit eignen sie sich weiterhin als Elektrete, z. B. in Sensoren und Mikrofonen.
Die bekanntesten Ferroelektrika sind Ionenkristalle mit Perowskit-Struktur wie:
Weiterhin sind auch folgende Stoffe ferroelektrisch, teilweise jedoch nur in Form von Dünnschichten:
Hexagonale Manganate RMnO3 mit R = Sc, Y, In, Dy, Ho, Er, Tm, Yb, Lu.
Es wurden auch organische Ferroelektrika gefunden:
Bekannte Antiferroelektrika sind Ammoniumdihydrogenphosphat (ADP) oder einige Substanzen mit Perowskit-Struktur wie: