Geozentrisches Weltbild

Geozentrisches Weltbild

Geozentrisches Weltbild im Mittelalter aus der Schedelschen Weltchronik um 1493

Im geozentrischen Weltbild ({{Modul:Vorlage:lang}} Modul:ISO15924:97: attempt to index field 'wikibase' (a nil value) {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value) „erdzentriert“) steht die Erde im Zentrum des Universums und wird von den Himmelskörpern Mond, Sonne, Planeten und Fixsternen umkreist. Das geozentrische Weltbild entstand im klassischen Altertum in Griechenland, insbesondere bei Aristoteles (384–322 v. Chr.), und war dann in Europa für etwa 1800 Jahre die vorherrschende Auffassung. Es wurde auch im alten China und in der islamischen Welt gelehrt. Ob es bereits vor den Griechen im alten Mesopotamien vertreten wurde, ist nicht sicher. In der Renaissance wurde das geozentrische durch das heliozentrische Weltbild abgelöst, das in seiner ersten Form mit der Sonne als Mittelpunkt des Kosmos bei Aristarchos von Samos (310–230 v. Chr.) ebenfalls in der Antike erschien.

Die Bewegungen von Mond, Sonne und Planeten um die Erde erscheinen unterschiedlich und meist etwas langsamer als die Drehung des Fixsternhimmels. Nach dem einfachsten geozentrischen System erfolgen sie daher in verschiedenen, von innen nach außen konzentrisch angeordneten rotierenden Sphären, deren Achsen durch das Erdzentrum gehen.[1] Diese Sphären wurden teilweise als durchsichtige Hohlkugeln aufgefasst. An der äußersten und schnellsten Sphäre sind die Fixsterne befestigt. Weitere Einzelheiten in den beobachteten Unregelmäßigkeiten machten es nötig, den beweglichen Sternen statt der einfachen Kreisbahn zusammengesetzte Kreisbahnen zu geben (Epizykeltheorie) und, nach einer Hipparch zugeschriebenen Idee, die Erde aus dem genauen Mittelpunkt der Planetenbewegungen zu verschieben. Durch Claudius Ptolemäus (ca. 100–160 n. Chr.) nahm das geozentrische Weltbild die Form eines mathematisch detailliert ausgearbeiteten Systems zu Berechnung der Positionen der Gestirne am Himmel an. Dabei wurde seit Aristoteles überwiegend eine Kugelform der Erde angenommen. Das geozentrische Weltbild ist nicht mit dem Konzept der flachen Erde zu verwechseln.

Griechische Antike

Die Erde im Zentrum

Geozentrisches Weltbild in der Variante der Homozentrik (oben) im Gegensatz zum heliozentrischen Weltbild (unten)

Das geozentrische Weltbild basiert auf der Annahme, dass die Erde und damit mittelbar auch der Mensch im Zentrum des Universums sei, und dass alle Bewegungen des Mondes, der Sonne und der Planeten geometrisch auf Kurvenbewegungen abliefen um die als ruhend oder um ihre Achse rotierend gedachte Erde. Beim homozentrischen System des Eudoxos von Knidos (ca. 390–338 v. Chr.) findet diese Kurvenbewegung auf Kreisbahnen statt, deren Achsen durch das Erdzentrum gehen und somit perfekt erscheinen.[2]

Apollonios von Perge (262–190 v. Chr.) und Hipparchos (ca. 190–120 v. Chr.) passten in ihren Modellen die planetarischen Bewegungen mit Hilfe von Exzentern und Epizykeln den Beobachtungsdaten besser an. Herakleides Pontikos (ca. 390–322 v. Chr.) wird ein System zugeschrieben, bei dem sich die Planeten Merkur und Venus um die Sonne drehen, die sich ihrerseits wie der Mond und die Fixsternsphäre um die in ihrer Zentralstellung bewahrte Erde dreht.[3] Dies stellt einen Kompromiss zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltsystem dar. In der neueren Forschung ist es allerdings heftig umstritten, ob Herakleides dieses Weltsystem lehrte.[4]

Eine wichtige Begründung des geozentrischen Weltbildes lag in der Beobachtung, dass die Erde als ruhend empfunden wird und von den Himmelskörpern umkreist wird. Weiterhin ließ sich die Schwerkraft leicht damit erklären, dass alles Schwere seinem natürlichen Ort zustrebe, der nur der Mittelpunkt der Welt sein könne. Auch Aristoteles war ein einflussreicher Verfechter des geozentrischen Weltbilds. Die Aristotelische Physik verträgt sich aber streng genommen nicht mit den Hilfsannahmen von Exzentern, Epizyklen und Ausgleichspunkten. Am besten harmoniert sie mit der homozentrischen Variante. Von der Sonne und den Planeten nahm man teilweise an, sie bestünden aus einem überirdischen „fünften Element“, der Quintessenz, dessen natürliche Bewegung die Kreisbahn sei.

Ptolemäisches Weltbild

Schleifenbahn eines Planeten nach der Epizykeltheorie. Die Erde steht zwar weiterhin im Zentrum, die Planeten beschreiben um sie aber keine vollkommene Kreisbahn mehr.

Claudius Ptolemäus (ca. 100–160 n. Chr.) verwendete die sogenannte Epizykeltheorie, insoweit wird dann auch vom Ptolemäischen Weltbild gesprochen, welches mit dem Werk Mathematices syntaxeos biblia XIII das geozentrische Weltbild für fast 1500 Jahre festschrieb. Er arbeitete mit Ausgleichspunkten um fiktive, exzentrisch gelegene Punkte unter Einschluss von Exzentern und Epizykeln zu erhalten.

Eine Herausforderung für das geozentrische Weltbild waren die gelegentlich auftretenden, scheinbar rückwärtigen Bewegungen der äußeren Planeten, beispielsweise des Jupiters, gegen den Sternenhintergrund. Sie führt insgesamt aus der Erdperspektive zu einer scheinbaren Schleifenbewegung des Planeten. Dieses auch als „retrograde Bewegung“ bezeichnete Phänomen tritt gerade dann auf, wenn der Planet der Erde am nächsten ist. Um die astronomischen Beobachtungen mit dem geozentrischen Weltbild in Einklang zu bringen, wurde es notwendig, einen Teil der Himmelskörper auf ihren Bahnen weitere Kreise um diese Bahn ziehen zu lassen. Dies sind die sogenannten Epizykel, kleine Kreise, auf denen sich die Planeten bewegen. Danach bewegen sich die äußeren Planeten in einer Kreisbahn um einen gedachten Punkt, der wiederum die Erde umkreist. Ein Planet bewegt sich zunächst auf einem gleichförmig durchlaufenen Tragekreis (Deferent). Auf diesem rotiert gleichförmig ein zweiter Kreis, der sogenannte Aufkreis (Epizykel). Der Planet selbst läuft gleichförmig auf dem Aufkreis um. Das Zentrum des Aufkreises rotiert gleichförmig um den Mittelpunkt des Tragekreises. Damit stellt sich der von der Erde aus beobachtete Planetenumlauf als Überlagerung dieser Bewegungen dar. Teilweise wurden dann auch noch weitere Bahnen um diese Kreise modelliert. Berechnungen innerhalb dieses Modells waren sehr kompliziert. Durch den Einsatz von etwa 80 solcher Bahnen konnte Ptolemäus die damals möglichen Beobachtungen der Planetenbewegungen in Einklang mit der Geozentrik bringen.

Bei der Sonne tritt keine Retrogression auf. Die Ptolemäische Astronomie verknüpfte die Planetenbewegung mit dem Sonnenumlauf unter der Prämisse der Geozentrik und ermöglichte mit ihrem komplexen Modell weitgehend zutreffende Vorhersagen. Im heliozentrischen Weltbild lässt sich die retrograde Bewegung ohne Epizyklen erklären.

Außerdem war die Erde im Ptolemäischen System nicht im Mittelpunkt des Deferenten, sondern wie bei Hipparch verschoben (Exzenter). Die Planeten und die Sonne rotierten auf dem Deferenten auch nicht gleichförmig um den Mittelpunkt. Die gleichförmige Bewegung erfolgte stattdessen um einen weiteren Punkt, den Äquanten, der auf der Geraden durch Mittelpunkt des Deferenten und Erde lag.

Ptolemäisches System mit Epizykel um Deferent (gestrichelter Kreis), Lage von Äquant (schwarzer Punkt), Mittelpunkt des Deferenten (Kreuz) und Erde

Religiöse Rezeption

Geozentrisches Weltbild mit Planetenbahnen und Tierkreiszeichen im Kloster St. Georgen um 1506

Das geozentrische Weltbild war nahe an der alltäglichen Erfahrung des Beobachters und widersprach nicht der Bibel. Die christlichen Kirchen übernahmen und verteidigten es entschieden. Der Kirchenvater Basilius der Große (330–379) behandelte in neun Homilien exegetisch den Schöpfungsbericht und zeichnete ein Naturbild, das unmittelbar an die Antike anknüpfte.[5] Seine Fastenpredigten beeinflussten seinen Freund Ambrosius von Mailand (340–397). Über diesen wurde es auch dessen Schüler Augustinus von Hippo bekannt. Die griechischen Originaltexte des Ptolemäus lagen dem Westen im Mittelalter nicht vor, seine und des Aristoteles' Theorien waren durch lateinische Kompendienliteratur bekannt. Auch die Scholastiker des 13. Jahrhunderts sahen in der Erde das absolute Zentrum, mit dem die Stellung des Menschen definiert sei. Dagegen befinde sich in der höchsten Sphäre des Himmels das Reich Gottes und der Heiligen: das Empyreum.

Nachfolgemodelle des geozentrischen Weltbildes

Das geozentrische Weltbild wurde im Mittelalter und auch in der beginnenden Renaissance nicht hinterfragt. Nachhaltige Zweifel daran kamen erst mit Nikolaus Kopernikus auf, Giordano Bruno und Galileo Galilei wurden schließlich wegen Befürwortung des heliozentrischen Systems des Kopernikus von der Inquisition wegen Häresie angeklagt.

Heliozentrisches Weltbild

Durch die Arbeiten von Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler, der zu den Gesetzen der elliptischen Planetenbewegung gekommen war, erwies sich das geozentrische Weltbild als überholt. Es wurde durch das einfachere und mathematisch leichter benutzbare heliozentrische Weltbild ersetzt, das sich etwas später mit Isaac Newtons Gravitationstheorie auch physikalisch erklären ließ. Die Naturgesetze, die auf der Erde wirksam waren, wurden von nun an auch für den Kosmos als gültig angesehen.

Aufhebung der zentrischen Weltbilder

Standpunkt des gemeinsamen Schwerpunkts zweier ungleich schwerer Himmelskörper
Das galaktische Zentrum links oben im infraroten Spektrum, verdeckt von Staubwolken

Bereits Galileo Galilei hatte gesehen, dass der Nebel der Milchstraße – in der auch unser Sonnensystem liegt – aus Sternen besteht. Diese Gebilde entpuppten sich dann zum größten Teil als Galaxien, ähnlich unserer Milchstraße. Nach der Entdeckung des Aufbaus und der Rotation der Milchstraße konnte auch die Sonne nicht mehr als Mittelpunkt des Universums gelten. Das Massenzentrum unserer Milchstraße wird als galaktisches Zentrum bezeichnet. Daraus folgt, dass die Sonne um dieses Zentrum kreist.

Die im 18. Jahrhundert entdeckten Nebel stellten sich zum großen Teil als eigene Galaxien heraus. Dass die Milchstraße nur eines von vielen rotierenden Systemen ist, geht erst auf Edwin Hubble in den 1920ern zurück.

Der modernen wissenschaftlichen Kosmologie und der Einsteinschen Relativitätstheorie (1905, 1916) zufolge ist kein Punkt im Raum fundamental ausgezeichnet, wodurch sich die Frage nach einem absoluten Zentrum erübrigt.

Heutige Verwendung des geozentrischen Standpunktes

In praktischen Anwendungen können heute je nach Bedarf verschiedene Perspektiven eingenommen werden. Die Mittelpunktsfrage ist rein rechentechnischer Natur, man verlegt ihn dorthin, wo er die brauchbarste Darstellung ergibt.

In der beobachtenden Astronomie, wo es ein zweckmäßiger Zwischenschritt der Rechenverfahren ist, spricht man vom geozentrischen Koordinatensystem (auf den Erdmittelpunkt bezogen) in Abgrenzung zu topozentrischen Anblicksproblemen (denen auf den Oberflächen rotierender Körper), also dem tatsächlichen Standpunkt des Beobachters. In der subjektiven Wahrnehmung des Beobachters auf der Erde bewegen sich Sonne, Mond und Planeten um seinen relativen Beobachtungsstandpunkt (Koordinatenursprung). Typische topozentrische Daten sind die Zeitpunkte des Auf- und Untergangs von Sonne und Mond. Auch die Nachführungen von Teleskopen oder Steuerungen eines Planetariums rechnen streng topozentrisch.

Moderne analytische Planetentheorien wie die VSOP oder die Mondtheorie ELP sind in geozentrischer, heliozentrischer oder baryzentrischer Fassung ohne und mit relativistischen Effekten ausformuliert, sodass je nach Anwendung in Astronomie und Raumfahrt möglichst wenig Rechenaufwand notwendig ist. Die zwischenzeitlichen Erklärungsversuche kleinerer Schwankungen wie die Epizyklen der Planeten in Bezug zur Erde sind dort dann in Form periodischer Terme enthalten. Besonders die Probleme der erdnahen Raumfahrt (wie Satelliten) werden naturgemäß rein geozentrisch gerechnet und die anderen Himmelskörper, einschließlich der Sonne, als je nach Fall unterschiedlich genau zu berücksichtigende sich bewegende Bahnstörung aufgefasst. Anwendungen wie die Vermessung des Schwerefeldes der Erde aus Satellitendaten oder GPS-Navigation wären ohne Modell einer feststehenden Erde nicht lösbar. Bei genauer Rechnung ist aber die exakte Lokalisierung des Geozentrums (Erdmittelpunkts) je nach Anwendung zu berücksichtigen (Erdkörpermodelle).

Ungeachtet der wissenschaftlichen Debatten stimmen bei Umfragen in westlichen Gesellschaften regelmäßig 20–30 % der Befragten der Aussage zu, dass „sich die Sonne um die Erde drehe“.[6] Auch in Schulbüchern werden die Sachverhalte oft verkürzt, missverständlich und teilweise falsch dargestellt.[7]

Siehe auch

Literatur

  • Oskar Becker: Das mathematische Denken der Antike. Studienhefte zur Altertumswissenschaft H. 3. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1957.
  • Jürgen Mittelstraß: Art. Geozentrisch, geozentrisches Weltsystem. in: Joachim Ritter u. a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Schwabe, Basel 1971 bis 2007.
  • Árpád Szabó: Das geozentrische Weltbild – Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1992.
  • Jürgen Teichmann: Wandel des Weltbildes. (= Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und Technik. hrsg. vom Deutschen Museum München), 2. Aufl., Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jürgen Mittelstraß: Art. Geozentrisch, geozentrisches Weltsystem. in: HWPh Bd. 3, S. 329 ff.
  2. Oskar Becker: Das mathematische Denken der Antike. 1957, S. 80 ff.
  3. Herakleides: Fragmente 104–117. herausgegeben von Fritz Wehrli, Basel 1953.
  4. Hans Krämer: Herakleides Pontikos. in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Band 3, 2. Auflage, Basel 2004, S. 77 f.
  5. Basilius: Hexaemeron. PG 29, 3.208.
  6. „Wissenschaft und Technik im Bewusstsein der Europäer – Ergebnis einer Meinungsumfrage“ (PDF; 482 kB) in: FTE Magazin für die europäische Forschung. Sonderausgabe 2001, Hrsg. Europäische Kommission, S. 18.
  7. Joachim Krause: Die Auseinandersetzung um das kopernikanische Weltbild