Gradmessung

Gradmessung

Gedenktafel auf dem Großen Feldberg (Taunus)

Als Gradmessung wird eine astronomisch-geodätische Methode bezeichnet, die vom 16. bis ins 20. Jahrhundert zur Vermessung der Erdfigur verwendet wurde. Der Name kommt von der genauen Bestimmung jener Distanz (111–112 km), die zwischen zwei um 1° verschiedenen Breitengraden liegt.

Methodik und erste Messungen

Die Methode beruht auf der Messung der Erdkrümmung zwischen weit entfernten Punkten, indem deren Distanz (Bogenlänge B) mit dem Winkel β zwischen ihren astronomisch bestimmten Lotrichtungen verglichen wird. Der Quotient B/β ergibt den mittleren Krümmungsradius der Erde zwischen diesen Punkten. Am besten wählt man diese zwei Standorte der Lotrichtungsmessung in Nord-Süd-Richtung, sodass β der Differenz ihrer geografischen Breite entspricht.

Das Prinzip der Gradmessung geht auf den alexandrinischen Mathematiker und Bibliotheksdirektor Eratosthenes zurück; er schätzte den Erdumfang um 240 v. Chr. aus dem um 7,2° unterschiedlichen Sonnenstand zwischen Alexandria und Syene (heutiges Assuan). Sein Ergebnis von 250.000 Stadien traf – je nach genauer Länge des verwendeten Stadions – den wahren Wert auf etwa 10 Prozent.

Die Methode wurde im frühen Mittelalter von den Arabern unter Al-Ma'mun auf 1–2 % Genauigkeit verfeinert. In Frankreich erhielt Jean François Fernel (1497–1558) 1525 aus einem Meridianbogen nördlich von Paris einen mittleren Erdradius (ca. 6370 km) bereits auf einige Kilometer genau, wobei er die Entfernung aus den Radumdrehungen seiner Kutsche ermittelte. Der Holländer Snellius ermittelte 1615 die Distanzen erstmals mit der Triangulation großer Dreiecke. Jean Picard bestimmte 1670 als Erster den Meridianbogen Paris – Amiens durch Triangulation mit Quadranten, die Messfernrohre mit Fadenkreuzokularen zum Anvisieren des Gestirns hatten. Damit wurde eine bis dahin nicht mögliche Präzision erreicht.

Die anschließenden Verlängerungen dieses Meridianbogens bis nach Dünkirchen und Perpignan Anfang des 18. Jahrhunderts ließen auf eine örtlich variierende Erdkrümmung schließen, also Abweichungen von der Kugelform. Die Streitfrage der damaligen Zeit, ob die Erdkrümmung zum Pol ab- oder zunimmt und die Erde polwärts abgeplattet oder eiförmig ist, wurde erst durch die französischen Erdmessungen in Lappland und Peru geklärt.

Im 20. Jahrhundert ging man von Profil- auf Flächennetze über und bestimmte die regionale Erdkrümmung durch verschiedene Geoidstudien und -länderübergreifende Projekte. Seit der Praxistauglichkeit von Navstar-GPS beziehen sich viele Vermessungen aber nicht mehr auf die wahre Erdgestalt (Geoid), sondern auf ein mittleres Erdellipsoid – was freilich Probleme bei der Höhenmessung zur Folge hat.

Französische Erdmessung Lappland–Peru

Wegen widersprüchlicher Resultate rüstete die Pariser Académie des sciences zwei große Expeditionen nach Peru (La Condamine) und Lappland (Maupertuis) aus.

Die Ergebnisse dieser Messungen (1735–1740) sollten neben dem Erdellipsoid auch ein neues internationales Längenmaß definieren – mit genau 10.000.000 Meter vom Äquator zum Pol.

Diverse Probleme mit Rost und Eichung der verwendeten Maßstäbe (siehe Toise) führten allerdings zu 1 km verkürzten Ellipsoidradien (heutige Daten geben den Meridianquadrant mit 10.002.249 Meter an).

Die Erdabplattung¹ ergab sich mit f = 0,0046 (statt 0,00335), womit die Verkürzung des Erdradius zu den Polen (6378 ⇒ 6357 km) bzw. der wachsende Krümmungsradius (6335 ⇒ 6400 km) erstmals nachgewiesen war:

Land Beobachter geogr.Breite G
(Bogen/Grad)
Krümmungsradius
Ecuador Bouguer et al. −01° 31’ 56.734 Toisen 6.335,5 km
Frankreich¹ Jean Picard +49° 13’ 57.060 Toisen 6.371,9 km
Lappland Maupertuis +66° 20’ 57.438 Toisen 6.414 km.

¹) Cassinis Nachmessung 1740 ergab Abplattung   f = 0,00329

Weitere wichtige Meridianbögen im 18.–20. Jahrhundert

Leitung Jahr
Bošković, Lemaine 1751–1753 Rimini – Rom, erstmals Ausgleichsrechnung
Joseph Liesganig 1761–1765 Brünn – Wien – Varasdin
Delambre, Méchain 1792–1798 Dünkirchen – Paris – Barcelona
Gauß für Hannover 1821–1823 Göttingen – Altona
engl.Triangulation 1784–1858 Shetland – Isle of Wight
Indien, Lambton, Everest 1802–1841 23° Himalaya – Kap Komorin
Struve, Tenner 1821–1852 25° Hammerfest – Donaumündung
Europäische Gradmessung 1867 internationale Koordination (s.unten)
östliche USA ~1900 20° Meridiane + Schrägketten
Peru-Meridian 1899–1906 Kolumbien – Ecuador – Peru
Pariser Meridian 1906 27° Shetland – Algier
Berliner Mer., F.Hopfner 1922 Großenhain-Kremsmünster-Pola (Alpen-Querung!)
westliches Nordamerika 1922 50° Eismeer – Mexiko, später südlich verlängert
Südafrika, R.Schumann ~1925 25° Tanganjika – Kapland, Äquatorachse ±100 m!
Afrika 30°, D.Gill ~1940 65° Kairo – Tanganjika – Kapstadt
Japan ~1940 20° Kurilen – Südjapan

Längengradmessungen und spätere Vernetzung

Die Gradmessung entlang von Meridianen ist einfacher durchführbar, weil die astronomischen Arbeiten nur Breitenmessungen erfordern. Für genaue kontinentale Projekte sind allerdings auch Ost-West-Profile und Messungen für geographische Länge notwendig – die im großen Stil erst durch funktechnische Zeitsignale und Präzisions-Chronometer möglich wurden:

Kontinent Jahr Meridian
Europa 52° Breite 1895 69° Irland – Deutschland – Polen – Ural
Nordamerika 39° Breite 1898 49° Atlantik – Pazifik
USA / Mexiko 19°
Europa 48° Br., A.Galle 1923 19° Brest – Paris – Wien – Astrachan
Indien 24°, R.Schumann ~1925 ~25° Panschab – Bengalen
Australien Süd ~1930 40° incl. Triangulationsnetze
Transsibirien 51–52° ~1950 ~80° mit Europa (52°) 15.000 km Profil
Europanetz 40–60° 1951 ~90° Geoid-Bestimmung auf ±1 m,H.Wolf

Internationale Grad- und Erdmessung

Zur internationalen Koordinierung der genannten Großprojekte wurde 1862 auf deutsch-österreichische Initiative die Mitteleuropäische Gradmessungs-Kommission gegründet. Ihr langjähriger Leiter war der preußische General Johann Jacob Baeyer. Sie wurde 1867 zur Europäischen Gradmessung erweitert und stellt den Vorläufer der internationalen geodätischen Union IAG dar (1919), sowie der heutigen geowissenschaftlichen Union IUGG.

Seit etwa 1910 bzw. 1940 werden die Profile in Richtung Nord-Süd bzw. Ost-West nicht mehr getrennt beobachtet bzw. ausgewertet, sondern zunehmend zu großen Vermessungsnetzen verbunden. Der Rechenaufwand solcher großräumiger Area Networks und ihre Ausgleichsrechnung steigt zwar enorm (mit 2. bis 3. Potenz der Punktanzahl), lohnt sich aber durch höhere Genauigkeiten und Homogenität. Die ersten dieser Großprojekte betrafen die USA und Westeuropa; auf das „Dritte Reich“ geht die erstmalige Vernetzung von Ost- und Westeuropas Landesvermessungen zurück.

Seit den 1970ern und der Entwicklung der EDV werden diese Flächennetze auch mit 3D-Messungen der Satellitengeodäsie kombiniert. Dadurch geht der klassische Begriff der „Gradmessung“ in jenem der „Erdmessung“ auf.

Referenz- und Erdellipsoide

In der Landesvermessung haben die einzelnen Staaten bis etwa 1850 ihr jeweils eigenes „geodätisches Datum“ (Bezugssystem) definiert. Mit der internationalen Verlängerung und Vernetzung der erwähnten Gradmessungs-Profile entwickelte sich die Möglichkeit und der Wunsch, den einzelnen Gebieten großräumiger gültige Daten zugrunde zu legen. So entstand eine Reihe sogenannter Referenzellipsoide, die sich mit zunehmender Ausdehnung dem „mittleren Erdellipsoid“ annäherten.

Von den weltweit etwa 200 staatlichen Vermessungsnetzen basieren heute über 90 % auf den Daten von einem Dutzend weiträumiger Ellipsoide, was ihre Güte erhöht und die internationale Kooperation erleichtert. Die älteren dieser Ellipsoide beruhen auf den großen Meridianbögen des 2. Abschnitts, die neueren entstanden aus interkontinentalen und Satelliten-Netzen. Die wichtigsten dieser Ellipsoide sind:

Erdellipsoid große Achse a in Meter kleine Achse b in Meter 1/Abplattung f
G.B. Airy 1830 6.377.563,4 m 6.356.256,91 299,3249646
Everest (Indien) 1830 6.377.276,345 300,8017
Bessel 1841 6.377.397,155 6.356.078,965 299,1528128
Clarke 1866 6.378.206,400 (z. T. Asien) 294,9786982
Clarke 1880 /IGN 6.378.249,15 293,465 (466)
Australian Nat. 6.378.160,000 298,25
Internat. 1924 Hayford 6.378.388,000 (publ. 1909) 297,0
Krassowski 1940 6.378.245,000 298,3
Internat. 1967 Luzern 6.378.165,000 (erstmals +Satelliten) 298,25
SAD69 (South America) 6.378.160,000 (zT. AstroGeoid/ Mercury) 298,25
WGS72 (World Geodetic System 1972) 6.378.135,000 298,26
GRS 80 Geo-Referenzsystem 6.378.137,000 (ca. = WGS 84) 298,257222¹
WGS84 (World Geodetic System 1984) 6.378.137,000 6.356.752,315 298,257223563

Für viele Staaten Mitteleuropas ist das Bessel-Ellipsoid wichtig, ferner die Ellipsoide von John Fillmore Hayford und Krassowski und für GPS-Vermessungen das WGS 84.

Die Pionierarbeit von Jean-Baptiste Joseph Delambre beruht nur auf lokalen Messungen. Hingegen entsteht der große Unterschied zwischen Everest (Asien) und Hayford (Amerika) durch die geologisch bedingte Geoid-Krümmung der verschiedenen Kontinente.

Literatur

  • Johann Jacob Baeyer: Ueber die Grösse und Figur der Erde. Eine Denkschrift zur Begründung der mittel-europäischen Gradmessung. Reimer, Berlin 1861, Digitalisat (PDF; 4 MB)
  • W. Torge: Geschichte der Geodäsie in Deutschland. de Gruyer, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019056-4

Siehe auch

Weblinks

 Wikisource: Projecte zur Erweiterung der europäischen Gradmessung von Johann Jacob Baeyer (1870) – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Die neue Erdmessung am Aequator. (Zeitungsartikel, 1906) – Quellen und Volltexte