Die nach Friedrich Hund benannten Hundschen Regeln machen eine Aussage darüber, in welcher Drehimpulskonfiguration die Elektronen in den Orbitalen eines Atoms im Grundzustand vorliegen. Diese Regeln gelten dabei im Rahmen der LS-Kopplung, die insbesondere für leichte Elemente erfüllt ist. Aber auch für schwerere Atome können die Regeln gute Ergebnisse erzielen.
Will man den Aufbau der Elektronenhülle eines Atoms mit
Eine derartige Rechnung beschreibt die Höhe der Energieniveaus hinreichend gut, liefert jedoch nur eine Abhängigkeit von der Hauptquantenzahl
In der Praxis stellt man z. B. durch Messen der magnetischen Suszeptibilität fest, dass die Zuordnung energetisch nicht gleichgültig ist. Die Entartung des Grundzustandes ist also ein Artefakt aus der oben erwähnten Vernachlässigung der Elektron-Elektron-Wechselwirkung. Um nun eine theoretische Vorhersage über die Elektronenverteilung auf magnetische und Spinquantenzahl treffen zu können, genügt ein Satz aus simplen Regeln, den Hundschen Regeln.
Die magnetischen Momente von Bahndrehimpuls L und Spin S der Elektronen eines Atoms wechselwirken nicht separat, sondern durch Addition zu einem Gesamtdrehimpuls als Ganzes mit einem externen Magnetfeld. Wenn dabei die Coulomb-Wechselwirkung der Elektronen untereinander groß gegenüber ihrer eigenen Spin-Bahn-Wechselwirkung ist, kann man den Gesamtdrehimpuls im Rahmen der
Statt der bisherigen, für jedes Elektron separaten, Beschreibung seines Zustandes durch die Quantenzahlen
Die hier vorgenommene Einteilung in vier Regeln ist konsistent mit den verbreiteten Lehrbüchern der Atomphysik. Allerdings findet man besonders in älteren Büchern auch weniger, meist zwei, Hundsche Regeln, die dann der 2. und 3. hier aufgeführten Regel entsprechen. Eine Begründung für die 2. und 3. Regel liefert die Austauschwechselwirkung.
„Volle Schalen und Unterschalen haben den Gesamtdrehimpuls Null.“
Diese Regel ergibt sich direkt aus dem Pauli-Prinzip. Für eine gefüllte Schale müssen alle möglichen Quantenzahlen belegt sein, daher gibt es gleich viele positive wie negative Orientierungen der Bahndrehimpulse und Spins der Elektronen. Der resultierende Gesamtdrehimpuls
„Der Gesamtspin
nimmt den maximal möglichen Wert an, die Spins der einzelnen Elektronen stehen also möglichst parallel.“
Erläuterung
Um dieser Regel gerecht zu werden, müssen den Elektronen zunächst unterschiedliche Werte für die magnetische Quantenzahl
Hintergrund
Ursprünglich war die Erklärung für diese Regel die folgende Annahme: Nach dem Pauli-Prinzip muss die Wellenfunktion der Elektronen total antisymmetrisch sein. Parallel stehende Spins bedeuten einen symmetrischen Spinanteil der Wellenfunktion. Die Antisymmetrie muss dann vom Bahnanteil herrühren. Ein antisymmetrischer Bahnanteil beschreibt aber einen Zustand, bei dem die Elektronen möglichst weit voneinander entfernt sind. Diese Eigenschaft sorgt für eine möglichst kleine Coulomb-Wechselwirkungsenergie. Die Coulomb-Abstoßung der Elektronen bei nicht vollbesetzten Schalen steht auch hinter der Konstante JHund, die dem sogenannten „Hund’s-rule exchange“ zugeordnet ist. Diese Konstante repräsentiert eine inneratomare effektive „Austauschwechselwirkung“, die bei nicht vollbesetzten Schalen für die Parallelstellung benachbarter Spins derselben Schale verantwortlich ist und die Form
Dabei sind
Der Name „Austauschwechselwirkung“ kommt von der Vertauschung der Rolle von
Da die Coulomb-Wechselwirkung nach Voraussetzung größer als die Spin-Bahn-Kopplung ist, ist der Zustand mit möglichst vielen parallelen Spins auch der mit der niedrigsten Energie.
Tatsächlich aber haben quantenmechanische Rechnungen gezeigt, dass Elektronen in singulär besetzten Orbitalen weniger gegenüber der Ladung des Kerns abgeschirmt sind, wodurch die Orbitale kontrahieren. Dies führt dann zu einer energetisch günstigeren Konfiguration des Gesamtatoms.
„Erlaubt das Pauli-Prinzip mehrere Konstellationen mit maximalem Gesamtspin
, dann werden die Unterzustände mit der Magnetquantenzahl so besetzt, dass der Gesamt-Bahndrehimpuls maximal wird.“
Erläuterung
Nach der Regel wird das erste Elektron einer neuen Schale den maximalen Wert von
Hintergrund
Im Einteilchenfall wächst der mittlere Abstand eines Elektrons vom Kern mit der Quantenzahl
„Ist eine Unterschale höchstens zur Hälfte gefüllt, dann ist der Zustand mit minimaler Gesamtdrehimpulsquantenzahl
am stärksten gebunden. Bei mehr als halbvollen Unterschalen ist es umgekehrt.“
Erläuterung
Nach der zweiten und dritten Regel werden die Quantenzahlen für Gesamtspin und Gesamtbahndrehimpuls festgelegt. Für den Gesamtdrehimpuls verbleiben daher noch alle ganzzahligen Werte zwischen
Sollte die Schale genau halbgefüllt sein, so ist nach der dritten Regel
Diese Regel braucht nicht betrachtet zu werden, wenn man nur an der Verteilung von
Hintergrund
Aus der LS-Kopplung ergibt sich, dass für maximal halbvolle Schalen antiparallele Einstellung von Spin und Bahndrehimpuls energetisch günstiger ist. Ist die Schale mehr als halbvoll, lassen sich die zum Füllen der Schale nötigen Elektronen als „Löcher“ auffassen, deren Bahndrehung ein im Vergleich zu Elektronen gerade umgepoltes Magnetfeld erzeugt. Dadurch wird nun parallele Einstellung von
In der Chemie wird oft nur eine einzige Hundsche Regel verwendet, die 1927 von Friedrich Hund selbst rein empirisch gefunden wurde und inhaltlich der zweiten der oben aufgeführten Regeln entspricht. Sie besagt: Wenn für die Elektronen eines Atoms mehrere Orbitale/Nebenquanten mit gleichem Energieniveau zur Verfügung stehen, werden diese zuerst mit je einem Elektron mit parallelem Spin besetzt (formeller Begriff: „Maximale Multiplizität“). Erst wenn alle Orbitale des gleichen Energieniveaus mit jeweils einem Elektron gefüllt sind, werden sie durch das zweite Elektron vervollständigt.
Die Unterscheidung zwischen der „Hundschen Regel“ in der Chemie von den „Hundschen Regeln“ in der Physik bezieht sich nur auf die Nomenklatur – selbstverständlich gelten in Chemie und Physik dieselben Regeln und Gesetzmäßigkeiten.
Da die Hundsche Regel die Lage der zu einer bestimmten Konfiguration der Elektronen gehörenden Terme beschreibt, hat sie Einfluss auf das chemische Verhalten von Atomen.
Eine durch einen starken Liganden verursachte Elektronenkonfiguration, die nicht der Hundschen Regel entspricht, wird als magnetisch anomal bezeichnet (low spin configuration).
In der folgenden Tabelle bezeichnen
Legende | |||
Nebenquantenzahl | |||
Magnetische Quantenzahl | |||
↑,↓ |
Spinquantenzahl | ||
Gesamtspin-Quantenzahl | |||
Gesamtbahndrehimpuls-Quantenzahl | |||
Gesamtdrehimpuls-Quantenzahl |
2 | 1 | 0 | −1 | −2 | ||||
s-Schale ( | ||||||||
s1 | ↑ | ½ | 0 | ½ | ||||
s2 | ↑↓ | 0 | 0 | 0 | ||||
p-Schale ( | ||||||||
p1 | ↑ | ½ | 1 | ½ | ||||
p2 | ↑ | ↑ | 1 | 1 | 0 | |||
p3 | ↑ | ↑ | ↑ | 1½ | 0 | 1½ | ||
p4 | ↑↓ | ↑ | ↑ | 1 | 1 | 2 | ||
p5 | ↑↓ | ↑↓ | ↑ | ½ | 1 | 1½ | ||
p6 | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | 0 | 0 | 0 | ||
d-Schale ( | ||||||||
d1 | ↑ | ½ | 2 | 1½ | ||||
d2 | ↑ | ↑ | 1 | 3 | 2 | |||
d3 | ↑ | ↑ | ↑ | 1½ | 3 | 1½ | ||
d4 | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ | 2 | 2 | 0 | |
d5 | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ | 2½ | 0 | 2½ |
d6 | ↑↓ | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ | 2 | 2 | 4 |
d7 | ↑↓ | ↑↓ | ↑ | ↑ | ↑ | 1½ | 3 | 4½ |
d8 | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | ↑ | ↑ | 1 | 3 | 4 |
d9 | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | ↑ | ½ | 2 | 2½ |
d10 | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | ↑↓ | 0 | 0 | 0 |
Beispiel: Gesucht ist der Grundzustand eines Atoms mit 8 Elektronen auf der 3
Spin ↑ und Spin ↓ sind gleichberechtigt, in der Literatur wird jedoch meistens mit Spin ↑ begonnen.
Da nach der zweiten Hundschen Regel die Spins möglichst parallel angeordnet sein sollen, werden zunächst alle 5 Plätze mit Spin ↑ besetzt. Die restlichen 3 Elektronen müssen dann Spin ↓ haben. Für die Gesamtspin-Quantenzahl gilt
Laut der dritten Hundschen Regel muss
Den Gesamtdrehimpuls der Elektronenhülle liefert schließlich die vierte Hundsche Regel. Da die Schale mehr als halbvoll ist, gilt
Der elektronische Gesamtzustand ist damit durch das Termsymbol 3F4 charakterisiert.
Nach einem Kolloquiumsvortrag zur Geschichte der Quantenmechanik wurde Friedrich Hund 1985 an der Universität Regensburg öffentlich gefragt, wie er denn auf die Hundschen Regeln gekommen sei. Die Antwort, kurz und bündig: «Nun, einfach durch „Anstieren“ der Spektren.» (Vornehmer gesagt, zunächst einfach durch den Versuch, die Befunde der Experimentalphysiker zu interpretieren; die mathematisch-physikalische Begründung für die Regeln folgte erst später.) In der Tat entstanden die Hundschen Regeln nur wenig früher (1925 bis 1927)[2] als z. B. die im Text erwähnte Arbeit zum Heisenbergmodell (1928).[3]