Verzerrungstensoren sind dimensionslose Tensoren zweiter Stufe, die das Verhältnis von Momentankonfiguration zur Ausgangskonfiguration bei der Deformation von kontinuierlichen Körpern und damit Veränderung der gegenseitigen Lagebeziehungen der Materieelemente beschreiben. Diese Änderung (Deformation) der inneren Anordnung korrespondiert mit einer Änderung der äußeren Gestalt des Festkörpers und wird damit beispielsweise als Dehnung, Stauchung, Scherung usw. sichtbar. Die Verzerrungstensoren sind eine wesentliche Größe in der Beschreibung der Kinematik der Deformation. In der Kontinuumsmechanik werden eine Reihe von verschiedenen Verzerrungstensoren definiert, deren Benennung nicht einheitlich ist.
Die Verzerrungstensoren werden vor allem für die Formulierung von Materialmodellen, z. B. der Hyperelastizität, verwendet, die eine Relation zwischen den Spannungen im Material und seinen Deformationen herstellen. Solche Materialmodelle werden dazu benutzt, Verformungen von Körpern zu berechnen.
In der Literatur ist eine Vielzahl von Verzerrungstensoren bekannt, die aus dem Deformationsgradienten gebildet werden. Für deren Definition werden die Verschiebungen
als Differenzvektor zwischen der momentanen Lage
ist dann die Ableitung des Verschiebungsvektors
worin 1 der Einheitstensor ist. Zunächst lassen sich damit der rechte Cauchy-Green-Tensor
bzgl. der Ausgangskonfiguration und der linke Cauchy-Green-Tensor
bzgl. der Momentankonfiguration bilden. Diese beiden Strecktensoren sind symmetrisch und im Fall einer Nicht-Deformation gleich dem Einheitstensor.
Für ingenieurtechnische Anwendungen werden gewöhnlich allerdings Größen gewünscht, die bei Nicht-Deformation eine Null darstellen. Dies führt auf Definitionen des Green-Lagrange-Verzerrungstensors
oder des Euler-Almansi-Verzerrungstensors
Daneben existiert aber noch eine Vielzahl weiterer ähnlicher Definitionen, die jeweils ihre Berechtigung und Vorteile in verschiedenen Theorien besitzen, siehe unten. Dort erklärt sich auch der oben auftretende Faktor ½.
Zur Beschreibung kleiner Verzerrungen wird in der technischen Mechanik üblicherweise der linearisierte Verzerrungstensor
Bei kleinen Verzerrungen kann der letzte Term vernachlässigt werden und so entsteht der linearisierte Verzerrungstensor
mit den Komponenten
Ein Tensor E ist ein geeignetes Verzerrungsmaß, wenn er drei Forderungen genügt[2]:
Die Polarzerlegung des Deformationsgradienten F = R · U = v · R spaltet die Verformung lokal in eine reine Drehung, vermittelt durch den orthogonalen Rotationstensor R (mit R · RT und der Determinante det(R) = 1), und eine reine Streckung, vermittelt durch die symmetrischen positiv definiten rechten bzw. linken Strecktensoren U bzw. v. Letztere dienen der Definition einer Vielzahl von Verzerrungstensoren.
In seiner natürlichen Darstellung in konvektiven Koordinaten ist der rechte Strecktensor U kovariant und der linke Strecktensor v kontravariant. Diese Eigenschaft überträgt sich auf die mit ihnen gebildeten Verzerrungstensoren. Durch Invertierung werden kovariante Tensoren kontravariant und umgekehrt.
Die Verzerrungstensoren
und
die sich für verschiedene Werte des Parameters
m | Verzerrungstensor | Namen[4][5][6] | |
---|---|---|---|
1 | Green-Lagrange-Verzerrungstensor, Green- oder St.-Venant-Dehnungen | ||
½ | Biot-Verzerrungstensor, Materieller Biot-, Cauchy- oder Swainger-Verzerrungstensor | ||
0 | Hencky-Dehnungen, materielle logarithmische Dehnungen | ||
−1 | negativer Piola-Verzerrungstensor, Lagrange-Karni-Reiner-Verzerrungstensor |
Die hier benutzten Namen stehen jeweils kursiv hervorgehoben an erster Stelle. In der räumlichen Beschreibung ergeben sich die Entsprechungen:
m | Verzerrungstensor | Namen[4] [5] [6] | |
---|---|---|---|
1 | negativer Finger-Tensor, Euler-Karni-Reiner-Verzerrungstensor | ||
0 | Räumliche Hencky-Dehnungen, räumliche logarithmische Dehnungen | ||
-½ | Swainger-Verzerrungstensor, räumlicher Biot-Verzerrungstensor | ||
−1 | Euler-Almansi-Verzerrungstensor, Almansis- oder Hamels-Verzerrungstensor |
In den Tabellen bedeutet "
Weil die Verzerrungstensoren der Seth-Hill-Familie bei kleinen Verzerrungen in den linearisierten Verzerrungstensor übergehen, trifft das hier gesagte bei kleinen Verzerrungen auch auf den linearisierten Verzerrungstensor zu.
Der Green-Lagrange-Verzerrungstensor ist aus dem Vergleich zweier materieller Linienelemente
In einer Richtung
die Dehnung:
Wenn in der Ausgangskonfiguration
Mit
Der Euler-Almansi-Verzerrungstensor
kann analog zum Green-Lagrange-Verzerrungstensor aus dem Vergleich zweier materieller Linienelemente
Für die Dehnung
Der Hencky-Verzerrungstensor wird über die Hauptachsentransformation des rechten Strecktensors
wobei λi die sämtlich positiven Eigenwerte und
Seine Spur ist wegen
ein Maß für die Kompression am Ort. Bei kleinen Verzerrungen ist
weswegen dann die Spur des Verschiebungsgradienten oder des linearisierten Verzerrungstensors diese Rolle übernimmt.
Der Piola-Verzerrungstensor
und einen Flächenparameter
Im Zuge einer Deformation wird daraus
Mit einer anderen skalaren Funktion
in Beziehung stehen. Der Vergleich der Skalarprodukte der Normalenvektoren in der deformierten und undeformierten Lage in einem materiellen Punkt
der also ein Maß für die Deformationen der materiellen Flächen ist. Der Piola-Verzerrungstensor operiert in der Ausgangskonfiguration.
Sein Gegenstück in der Momentankonfiguration ist der Finger-Tensor[5]
für den
abgeleitet werden kann.
Alle realen Materialien sind mehr oder weniger ratenabhängig, das heißt ihr Widerstand gegen eine Deformation hängt davon ab, mit welcher Geschwindigkeit diese Deformation herbeigeführt wird. Für die Beschreibung eines solchen Zusammenhangs werden Verzerrungsgeschwindigkeiten benutzt. Das Materialverhalten ist beobachterinvariant, die meisten Zeitableitungen der Verzerrungen jedoch nicht. Es wurden aber eine Reihe von Verzerrungsgeschwindigkeiten definiert, die beobachterinvariant sind.
Der rechte Strecktensor
körperbezogen objektiv.
In der räumlichen Beschreibung kann nachgewiesen werden, dass der linke Strecktensor
definiert, dessen symmetrischer Anteil
räumlicher Verzerrungsgeschwindigkeitstensor und dessen unsymmetrischer Anteil
Spin- oder Wirbeltensor heißt. Dann lautet die (objektive) kovariante Oldroyd-Ableitung eines Tensors
Für den Euler-Almansi-Tensor e gilt insbesondere
Die kontravariante Oldroyd-Ableitung eines Tensors
Die Raten der kovarianten Tensoren werden üblicherweise mit der kovarianten Oldroyd-Ableitung gebildet und die der kontravarianten Tensoren mit der kontravarianten Oldroyd-Ableitung. Die Zaremba-Jaumann-Rate eines Tensors