Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun (* 23. März 1912 in Wirsitz, Provinz Posen, Deutsches Reich; † 16. Juni 1977 in Alexandria, Virginia, Vereinigte Staaten) war als deutscher und später US-amerikanischer Raketeningenieur ein Wegbereiter der Raketenwaffen und der Raumfahrt.
Er genoss aufgrund seiner Pionierleistungen als führender Konstrukteur der ersten leistungsstarken, funktionstüchtigen Flüssigkeitsrakete A4 („V2“) bei den Nationalsozialisten hohes Ansehen und in der westlichen Welt wegen seiner leitenden Tätigkeit beim Bau von Trägerraketen für die NASA-Missionen.
Wernher von Brauns Vater war der ostpreußische Gutsbesitzer und spätere Reichsernährungsminister Magnus Freiherr von Braun. Wernher von Brauns Mutter war Emmy von Braun, Tochter Wernher von Quistorps (1856–1908), eines Gutsbesitzers und Mitglieds des Preußischen Herrenhauses. Wernhers älterer Bruder Sigismund (1911–1998) war ab 1936 im Dritten Reich und auch in der späteren Bundesrepublik im Auswärtigen Amt tätig; der jüngere Bruder Magnus (1919–2003) wurde Ingenieur für organische Chemie.
Schon als Kind interessierte sich von Braun für Musik und Naturwissenschaften. Seine Begeisterung für die Astronomie wurde von seiner Mutter geweckt, die ihm zur Konfirmation ein astronomisches Fernrohr schenkte. Mit 13 Jahren experimentierte er im Berliner Tiergarten mit Feuerwerksraketen. Als er das Buch Die Rakete zu den Planetenräumen von Hermann Oberth in die Hände bekam, erlangten die Utopien, die er aus den Abenteuerromanen von Jules Verne und Kurd Laßwitz aufgenommen hatte, etwas Reales. Um das fachwissenschaftliche Buch verstehen zu können, strengte er sich an, seine bis dahin mäßigen Leistungen in Mathematik zu verbessern. Inspiriert wurde er ebenfalls durch das Buch Das Problem der Befahrung des Weltraums des slowenischen Astronomen und Astrophysikers Herman Potočnik.
Er besuchte bis 1925 das Französische Gymnasium Berlin und wohnte anschließend im Internat der Hermann-Lietz-Schule auf Schloss Ettersburg bei Weimar. Ab 1928 besuchte er die gerade gegründete Hermann Lietz-Schule Spiekeroog.[1] Aufgrund guter Leistungen konnte er dort vorzeitig mit 18 Jahren im April 1930 die Abiturprüfung ablegen.
Ab 1929 arbeitete er gemeinsam mit Hermann Oberth in Berlin-Plötzensee und – nach dessen Rückkehr nach Siebenbürgen im August 1930 – mit Mitgliedern des Vereins für Raumschiffahrt auf dem Raketenflugplatz Berlin in Reinickendorf an Raketen mit Flüssigkeitstriebwerken.[2] Nach seiner Schulzeit verbrachte er ein sechsmonatiges Praktikum bei der Lokomotivfabrik Borsig in Berlin, welches für das Ingenieurstudium gefordert war. Dort habe er gelernt, „dass es absolut nichts gibt, was präzise und vollendete und gründliche Arbeit übersteigt“, wie er sich Jahrzehnte später erinnerte.[3]
Von Braun studierte ab 1930 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg und an der ETH Zürich. 1932 erwarb er ein Diplom als Ingenieur für Mechanik an der TH Berlin und trat, gefördert durch Walter Dornberger, als Zivilangestellter in das Raketenprogramm des Heereswaffenamtes ein. Seine Experimente führte er auf dem Gelände der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf etwa 30 Kilometer südlich von Berlin durch. 1934 wurde er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin zum Dr. phil. mit einer Arbeit über „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete“ promoviert. Im gleichen Jahr erreichte das von von Braun konzipierte Aggregat 2, gestartet von der Nordseeinsel Borkum aus, eine Höhe von 2200 Metern. In den Jahren 1935–1937 entwickelte von Braun in enger Zusammenarbeit mit dem Team Ernst Heinkels und dem Testpiloten Erich Warsitz ein Raketentriebwerk, das zuerst in Kummersdorf und später in Neuhardenberg an einem Flugzeug, der Heinkel He 112, erprobt wurde.
Ende 1935 wurde mehr und mehr klar, dass das Gelände in Kummersdorf ungeeignet war, das stark expandierende Raketenprogramm weiterhin zu beherbergen. Zum Test der neuen, deutlich größeren Raketen brauchte man eine mehrere hundert Quadratkilometer große Testzone, wofür nur die Ostsee infrage kam. Luftwaffe und Heer einigten sich darauf, eine gemeinsame Versuchsanstalt auf der Insel Usedom zu errichten.
Von 1937 an war Wernher von Braun der technische Direktor der neuen Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HVA). Hier leitete er unter anderem die Entwicklung des Aggregats 4, kurz A4 genannt, einer Großrakete mit Flüssigtreibstoff. Ab 1943 wurde die Rakete anderen Ortes im Reich in Serienfertigung gebaut[5] und nach ihren ersten Einsätzen auf London V2 (Vergeltungswaffe 2) genannt. Das Aggregat 4 war eine der ersten einsatzfähigen Boden-Boden-Raketen mit Flüssigkeitstriebwerk überhaupt. Neu war an dieser Rakete auch, schubstarke Flüssigkeitstriebwerke mit einem Kreiselsystem zu koppeln. So gelang es erstmals, die Flugbahn zu stabilisieren und Abweichungen automatisch auszuregeln.
Im Jahr 1942 überschritt ein Prototyp erstmals eine Gipfelhöhe von mehr als 80 km, 1945 wurden um 200 km erreicht. Die Rakete Aggregat 4 war damit nach Definition der FAI das erste von Menschen geschaffene Objekt im Weltraum, indem es eine Höhe von über 100 km erreichte.
In Peenemünde existierte seit Juni 1943 ein KZ-Außenlager.[6] Zusätzlich gab es ein zweites KZ, ein Kriegsgefangenenlager in Karlshagen und die Lager Trassenheide,[7] in denen insgesamt 1400 Häftlinge untergebracht waren. Dazu kamen über 3000 „Ostarbeiter“ aus Polen und der Sowjetunion.[8] Von Braun selbst wird im Protokoll zu einer Besprechung vom 25. August 1943 zitiert: „Die Belegschaft für […] Mittelteile- und Heckfabrikation könnte aus dem Häftlingslager F1 gestellt werden.“[9]
Damit nahm von Braun Bezug auf die Fertigungshalle F1 der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, in der die A4-Rakete produziert wurde und in deren Keller 500 Menschen eingepfercht waren, was eine Verwicklung seiner Position als technischer Direktor in den Häftlingseinsatz zeigt.[4]
In einer Aktennotiz vom 16. April 1943 erwähnte der Verantwortliche für den Bau der A4-Fabrik, Arthur Rudolph, später Direktor des Entwicklungsprogramms der Saturn V, die äußerst schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter, darunter viele Ostarbeiter und Franzosen.[10] HVA-Leiter Walter Dornberger ließ zum Umfang an beschäftigten HVA-Zwangsarbeitern, im von ihm unterzeichneten Besprechungsprotokoll vom 4. August 1943, festhalten: „Das Verhältnis der deutschen Arbeiter zu den KZ-Häftlingen soll 1:15, höchstens 1:10 betragen“.[11]
Die Briten versuchten die HVA mit der „Operation Hydra“ in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 zu zerstören. Zu den Hauptzielen gehörte auch die Tötung der Wissenschaftler in ihren Unterkünften. Von Braun konnte sich in einen Bunker retten.
Von Braun beantragte am 12. November 1937 seine Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai 1937 aufgenommen (Mitgliedsnummer 5.738.692).[12] Am 1. Mai 1940 wurde er außerdem Mitglied der SS (SS-Nr. 185.068), in der er bis zum Sturmbannführer (28. Juni 1943) aufstieg.[13] Lange war dies öffentlich nicht bekannt, Gerüchten wurde wenig Glauben geschenkt. Erst nach seinem Tod wurde seine SS-Mitgliedschaft der Allgemeinheit bekannt.[14]
Mit der Entwicklung des Aggregats 4 hatte er eine Waffe geschaffen, die mit bisher unerreichter Reichweite und Geschwindigkeit eine Tonne Sprengstoff ans Ziel brachte. Die Zielgenauigkeit war stets so gering, dass sie sich primär nur als Terrorwaffe gegen die Zivilbevölkerung eignete. Dies führte später zu schweren Vorwürfen gegen von Braun, da diese Tatsache ihm bereits während der Entwicklung hätte bewusst sein müssen. Dennoch führte er nicht nur die Arbeit fort, sondern warb weiterhin massiv für das Potenzial von Raketen.
Bei einem dieser Werbebesuche von Brauns im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen verlieh ihm Hitler persönlich den Professorentitel. Dazu von Braun: „Nach meinem Gespräch mit Hitler sah ich zufällig, dass Speer mit ihm – gleichsam hinter vorgehaltener Hand – etwas besprach. Wenige Augenblicke danach schritt Hitler auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte: Professor, ich möchte Ihnen zu Ihrem Erfolg gratulieren.“[15]
Im Februar 1944 wurde von Braun bei Heinrich Himmler vorgeladen. Himmler wollte sich Einfluss über die V2 sichern, was von Braun jedoch abwies. Im März 1944 wurde von Braun auf Betreiben Himmlers von der Gestapo verhaftet. Ihm wurde Verrat und Wehrkraftzersetzung sowie Vorbereitung zur Flucht nach England vorgeworfen, was mit der Todesstrafe geahndet werden konnte. Nur seine besondere Bedeutung im Raketenprogramm ließ ihn nach Intervention von Speer und Dornberger bei Hitler wieder freikommen.[16]
Am 29. Oktober 1944 wurden von Braun und Walter Dornberger nach dem Einsatz der V2 an der Westfront mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern ausgezeichnet.
In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 wurde die HVA Peenemünde im Zuge der „Operation Hydra“ bombardiert. Um die Produktion der V2 vor weiteren Bombenangriffen zu schützen und möglichst geheim zu halten, sollte sie unter die Erde verlegt werden. Daraufhin entstand ein neues KZ-Außenlager des KZ Buchenwald mit dem Tarnnamen „Arbeitslager Dora“ am Südrand des Harzes. Die Häftlinge der KZ wurden von der SS, unter menschenunwürdigen Bedingungen, in der Stollenanlage im Kohnstein hauptsächlich im Stollenvortrieb und den untertage gelegenen Werksanlagen der Mittelwerk GmbH eingesetzt. In Mittelbau-Dora fand nun unter anderem auch die Serienfertigung der A4 statt. Auch dieser Lebensabschnitt von Brauns wird von vielen Historikern sehr kritisch bewertet, da er eine Verantwortlichkeit für diese Produktion schwerlich abweisen konnte. Andere werfen ihm zumindest Opportunismus vor.
So forderte er in einem Schreiben vom 12. November 1943 die Zahl von 1350 Arbeitskräften an, was seinerzeit stets KZ-Häftlinge bedeutete. Einige Insassen des Konzentrationslagers bezeugten später zudem, ihn bei der Besichtigung der Arbeitsstätten gesehen zu haben. Es wird von 5 bis 20 Aufenthalten im Mittelwerk ausgegangen.[17] Von Braun gab diese Zahlen in einem Gerichtsprozess am 14. Oktober 1947 in Texas an.[18] Von Braun selbst erklärte, dass er vom Elend der Zwangsarbeiter nichts gewusst habe und für deren Einsatz nicht verantwortlich gewesen sei. Allerdings berichtete er 1969 in einem Interview, selbst im Mittelwerk gewesen zu sein: „Als die Sprengarbeiten für den Ausbau bereits begonnen hatten, die Produktion aber noch nicht angelaufen war […] damals waren einige Häftlinge in diesen Stollen untergebracht. Ich bin mit der besichtigenden Besuchergruppe durch diese temporären Unterkünfte gegangen.“[19] Er gab auch zu, dass die, so wörtlich, „Hungergestalten“ in einem „erbarmungswürdigen Zustand“ gewesen seien, Eindrücke, die „schwer auf der Seele jedes anständigen Mannes lasten“ würden. Nach eigenen Angaben schämte er sich damals, dass solche Dinge in Deutschland möglich waren, selbst angesichts der Kriegssituation.[20] Er hatte sie also gesehen, die Zwangsarbeiter, die sogar da unten, wie er es beschreibt „temporär untergebracht“ waren.
Es liegt ein Brief von Brauns vom 15. August 1944 an Albin Sawatzki vor, der für die Planung und Steuerung der V2-Fabrikation verantwortlich war. Dieser belegt, dass von Braun im KZ Buchenwald war und dort selbst Häftlinge aussuchte. Viele Berichte und Dokumente sprechen für seine Involviertheit in die Vorgänge in Mittelbau-Dora. Im Erlebnisbericht von Adam Cabala ist zu lesen: „[…] auch die deutschen Wissenschaftler mit Prof. Wernher von Braun an der Spitze sahen alles täglich mit an. Wenn sie die Gänge entlang gingen, sahen sie die Schufterei der Häftlinge, ihre mühselige Arbeit und ihre Qual. Prof. Wernher von Braun hat während seiner häufigen Anwesenheit in Dora nicht ein einziges Mal gegen diese Grausamkeit und Bestialität protestiert. Selbst der Anblick von Toten haben ihn nicht gerührt: Auf einer kleinen Fläche neben der Ambulanzbude lagen tagtäglich haufenweise die Häftlinge, die das Arbeitsjoch und der Terror der rachsüchtigen Aufseher zu Tode gequält hatten. […] Aber Prof. Wernher von Braun ging daran vorbei, so nahe, dass er die Leichen fast berührte“.[21]
Von Braun wohnte 1944 zeitweise in Bleicherode (20 Kilometer vom Lager Dora-Mittelbau entfernt), das KZ-Außenlager Bleicherode startete am 26. Oktober 1944.[22] Das KZ-Außenlager Kleinbodungen öffnete am 3. Oktober 1944 nur vier Kilometer entfernt im Nachbarort für durchschnittlich etwa 620 KZ-Häftlinge. Rings um das nur acht Kilometer entfernte Nordhausen spann sich ein ganzes Netz von am Ende 40 Außenlagern des KZ Mittelbau.[23] Im Spätsommer 1944 wurde sein Bruder Magnus von Braun direkt nach Dora-Mittelbau versetzt, wo er Gyroskope, Servomotoren und Turbopumpen für die A4 entwickelte.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau von Dora-Mittelbau und der anschließenden Fertigung der A4-Rakete und anderer Waffen kamen nach offizieller Zählung in den SS-Akten ca. 12.000 Zwangsarbeiter ums Leben. Neueren Schätzungen zufolge könnte die Zahl der tatsächlichen Todesopfer sogar bis zu 20.000 betragen haben.[24] Der Einsatz der Waffe forderte insgesamt ca. 8000 Opfer, hauptsächlich in der Zivilbevölkerung. Die V2 war somit die einzige Waffe, deren Produktion mehr Opfer forderte als ihr Einsatz.
Auch beim einzigen alliierten Prozess 1947, in dem ausschließlich Verbrechen im KZ Mittelbau-Dora verhandelt wurden, war von Braun weder angeklagt noch als Zeuge geladen. Allerdings sagte sein Bruder als Zeuge dort im Nordhausen-Prozess gegen die Lagerleitung des Konzentrationslagers Dora-Mittelbau aus. Er stand wie Wernher von Braun mittlerweile schon in US-amerikanischen Diensten.[25]
Insgesamt kamen rund 3000 V2-Raketen zum Einsatz, rund ein Drittel davon gegen London, ebenso viele gegen Antwerpen, das mit seinem Hafen von hoher Bedeutung für den alliierten Nachschub war. Ein Angriff richtete sich auch gegen das von den alliierten Streitkräften befreite Paris.
Die Sprengkraft aller abgefeuerten V2-Raketen zusammen indes war kaum stärker als ein einziger mittlerer Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg. Die Wirkung war psychologischer Art, weil es gegen diese „Wunderwaffe“ weder Abwehrmöglichkeiten noch Vorwarnung gab – die tatsächliche militärisch-strategische Bedeutung war aber gering.
Am 11. April 1945 besetzten US-Truppen die Produktionsstätten in Bleicherode, das Mittelwerk. Einhundert A4-Raketen wurden in die USA abtransportiert und bildeten dort die Grundlage des US-amerikanischen Raketenprogramms.
Wenige Tage vorher wurden die Raketenpioniere um Wernher von Braun und General Walter Dornberger auf Befehl Hans Kammlers nach Süddeutschland verlegt, um den anrückenden Besatzern zu entgehen. Sie bezogen daraufhin eine Kaserne in Oberammergau. Später teilte sich die Gruppe auf, Wernher und sein Bruder Magnus kamen nach Weilheim in Oberbayern. Bei der Fahrt hatte sich von Brauns Gipsverband gelockert, woraufhin sie eine Privatklinik in Sonthofen aufsuchen mussten.
Kurz vor Erreichen der französischen Armee in Sonthofen ließ ihn Dornberger nach Oberjoch bringen, wo die Peenemünder Führungsgruppe im Sporthotel Ingeburg (⊙ ) Unterschlupf gefunden hatte. Dort verbrachten sie bei bestem Wetter und guter Verpflegung die letzten Kriegstage.
Nach der Besetzung Oberbayerns durch US-amerikanische Truppen kontaktierte der Englisch sprechende Bruder Magnus von Braun die US-Amerikaner, mit deren strategischem Interesse am deutschen Raketen-Know-how sie fest rechnen konnten. Noch zu Kriegszeiten wurden in der Aktion Operation Overcast gezielt deutsche Wissenschaftler gesucht, um sich ihres Wissens bemächtigen zu können. Am 2. Mai 1945 stellte sich von Braun zusammen mit einigen Wissenschaftlern aus seinem Team den US-Streitkräften in Reutte in Tirol.[26]
Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP, der SS und seiner engen Beteiligung an der Kriegsführung des nationalsozialistischen Deutschlands sowie aufgrund der Konstruktion und des Baus der „Vergeltungswaffe“ V2 unter Einsatz von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern ist von Brauns Person heute umstritten.
In der folgenden Zeit wurde Garmisch-Partenkirchen das Zentrum vieler von den Amerikanern internierter deutscher Raketenexperten. Dort wurden sie von den verschiedenen Geheimdiensten über das Raketenprogramm und ihre dortige Tätigkeit verhört. Eine weitergehende Aufarbeitung ihrer Vergangenheit seitens der Amerikaner fand nicht in nennenswertem Maße statt. Während des Sommers half von Braun bei der Organisation des Abtransports von Akten und Raketenteilen, die nicht den Sowjets zufallen sollten. Bereits im September 1945 flog er zusammen mit einer kleinen Vorausgruppe als Teil der geheimen Operation Paperclip in die Vereinigten Staaten.
Ihre neue Heimat wurde Fort Bliss, Texas, wo sie unter Aufsicht der US Army standen. Ende 1945/Anfang 1946 erreichten über hundert weitere Peenemünder Fort Bliss, darunter sein jüngerer Bruder Magnus. Eine ihrer ersten Aufgaben war es, die amerikanischen Experten in Funktionsweise und Bau der V2 zu unterrichten. In der Folgezeit starteten sie von White Sands aus regelmäßig V2 zu Testzwecken. Erst im Dezember 1946 wurde ihre Anwesenheit in Amerika öffentlich. Bisher war von Braun in den USA lediglich einem kleinen Kreis bekannt, was sich in den folgenden Jahren drastisch ändern sollte.
Überraschend hatte sich von Braun Ende 1946 mit seiner Cousine Maria von Quistorp (* 1928) schriftlich verlobt. Im Februar 1947 reiste er per Schiff in das besetzte Nachkriegsdeutschland zurück. Während des gesamten Aufenthalts stand er dabei unter militärischer Bewachung, da ein Entführungsversuch seitens der Sowjetunion befürchtet wurde. Am 1. März heiratete er in einer lutherischen Kirche in Landshut. Seine Eltern folgten ihrem Sohn mit Gemahlin auf dem Rückweg nach Amerika, wo sie die nächsten Jahre verbrachten. Am 9. Dezember 1948 wurde die Tochter Iris Careen geboren.
Bei ihrer ersten Ankunft in Amerika war von Braun noch von der raschen Aufnahme eines ambitionierten Raketenprogramms ausgegangen. Die Raketenforschung unterstand jedoch nach wie vor dem Militär und war damit ebenfalls betroffen von der vorherrschenden Demobilisierung. Erst der Koreakrieg konnte die finanzielle Lage verbessern. 1950 zog von Braun mit seinem Team nach Huntsville, um dort die Entwicklung der Redstone aufzunehmen. Die Redstone basierte auf dem Aggregat 4, war jedoch größer und leistungsstärker. Im August 1953 fand ihr erster Testflug statt. Zu der Zeit war von Braun für etwa 1000 Mitarbeiter verantwortlich.[27]
Früh entstanden Pläne, mit der Redstone einen Satelliten in den Erdorbit zu starten. Dazu würden mehrere Loki-Feststoffraketen, gebündelt zu drei Stufen, auf der Redstone starten. Von Braun warb für das Projekt, scheiterte jedoch vor einer Kommission gegen das Konzept der Marine.[28] Ebenso wie Redstone ging die Loki auf eine deutsche Entwicklung, die Taifun-Flugabwehrrakete, zurück.
Seine zweite Tochter, Margrit Cecile, wurde am 8. Mai 1952 geboren. Im Jahr 1952 kehrten außerdem seine Eltern wieder zurück nach Deutschland, wo sie später in Oberaudorf lebten; seine Mutter verstarb 1959, sein Vater starb 1972. Am 14. April 1955 wurden Wernher von Braun und seine Frau US-amerikanische Staatsbürger.
Im November 1955 wurde die Entwicklung einer Nachfolgerakete für die Redstone, der Jupiter, beschlossen. Die neu geschaffene Army Ballistic Missile Agency sollte für die Entwicklung zuständig sein. Ihr Leiter wurde Bruce Medaris, von Brauns Vorgesetzter. Zwar waren die Pläne für eine orbitale Redstone offiziell gestoppt, dennoch wollten sie für den Fall eines Scheiterns der Marine gerüstet sein. Dazu wurde das Reentry Test Vehicle entwickelt, eine Redstone mit Oberstufe identisch zum vorgeschlagenen Satellitenkonzept, lediglich die letzte Stufe sollte durch einen Gefechtskopf ersetzt werden. Später wurde die Rakete Jupiter-C genannt.
Parallel zu seiner Arbeit bei der Army warb von Braun öffentlich für das Raumfahrtprogramm. Im Oktober 1951 nahm er an der First Symposium on Space Flight teil, einer Konferenz, die im Hayden Planetarium in New York stattfand. Zwischen März 1952 und April 1954 veröffentlichte er zusammen mit anderen Autoren eine Serie von Artikeln in der Zeitschrift Collier’s Weekly. Damit wurde der breiten US-amerikanischen Öffentlichkeit die bemannte Weltraumfahrt als technisch durchführbar vorgestellt.
Am 4. Oktober 1957 startete die Sowjetunion den ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik in eine Umlaufbahn. Inmitten des Kalten Krieges wurde der amerikanischen Öffentlichkeit die sowjetische Überlegenheit auf dem Gebiet der Raketentechnik vor Augen geführt. In der Folge des Sputnikschocks wurden die Raumfahrtausgaben abermals aufgestockt. Nachdem die Vanguard-Rakete der Marine beim Start versagt hatte, brachte am 1. Februar 1958 eine Jupiter-C Explorer 1 ins All. Am 17. Februar erschien von Braun mit der Bezeichnung Missileman auf dem Titelbild des Time Magazine.[29]
Der sowjetische Erfolg hatte in Amerika die unproduktive Konkurrenz der Teilstreitkräfte aufgezeigt. Im Juli 1958 wurde aus diesem Grund die zivile Luft- und Raumfahrtbehörde NASA gegründet. Die Verantwortlichen der NASA wollten von Beginn an von Brauns in der Raketenentwicklung erfahrene Abteilung übernehmen. Das Budget hätte jedoch nur für etwa 2000 der 5000 Angestellten gereicht, erst als sich ein Jahr später die finanzielle Situation verbessert hatte, war die Übernahme der ganzen Abteilung gesichert.[30]
Von Braun und sein Team wurden offiziell im Oktober 1959 der NASA überstellt. Bereits vorher war die Entscheidung zum Bau der Saturn-Rakete (der späteren Saturn I) gefallen. Außerdem wurde das Mercury-Programm vorangetrieben, das erstmals den Flug eines Astronauten in den Weltraum ermöglichen sollte.
Am 2. Juni 1960 kam von Brauns drittes Kind, Sohn Peter Constantin, zur Welt. Im selben Jahr wurde von Braun Direktor des Marshall Space Flight Centers in Alabama, eine Position, die er bis 1970 innehatte. Das Mercury-Raumschiff war immer noch in der Testphase, als im April 1961 Juri Gagarin mit Wostok 1 einmal die Erde umrundete. Erst drei Wochen später folgte Alan Shepard auf einer Redstone, wobei lediglich ein suborbitaler Flug erfolgte. Amerika war abermals von der Sowjetunion geschlagen worden. Am 25. Mai verkündete Präsident Kennedy den Flug zum Mond innerhalb des Jahrzehnts als Ziel.
Über die nächsten Jahre nahm die Entwicklung rasant an Fahrt auf. Das Mercury-Programm wurde von Gemini abgelöst. Bis zu 400.000 Menschen arbeiteten schließlich am Apollo-Programm. 1967, zwei Jahre vor Kennedys Ultimatum, startete die unter von Brauns Leitung entwickelte Saturn V mit Apollo 4 zu ihrem Erstflug. Der erste bemannte Start im Folgejahr war gleichzeitig der erste Flug von Menschen in den Mondorbit.
Von Brauns größter Erfolg und die Erfüllung langjähriger Träume wurde die bemannte Mondlandung im Jahr 1969. Sein sowjetischer Rivale Sergei Koroljow, der Vater der sowjetischen Raumfahrt, konnte dieses Ereignis nicht mehr erleben – er war bereits 1966 gestorben. Koroljow wurde von Braun erst nach seinem Staatsbegräbnis bekannt, da das sowjetische Raumfahrtprogramm der Geheimhaltung unterlag.
Von 1970 bis 1972 war Wernher von Braun Direktor eines neu geschaffenen Planungsbüros der NASA, welches sich mit der Zukunft der US-Raumfahrt befassen sollte. Von Braun setzte sich für eine bemannte Mars-Mission ein, was jedoch aufgrund von Finanzierungsproblemen – nicht zuletzt durch den andauernden Vietnamkrieg – zunichtegemacht wurde. Daneben drang er auf technische Vereinfachungen des neuen Space-Shuttle-Systems, das zur damaligen Zeit noch deutlich größer und komplexer in Planung war.
Enttäuscht von den starken Budgetkürzungen durch den US-Kongress, verließ er 1972 die NASA und wurde einer der Vizepräsidenten von Fairchild, einem Luft- und Raumfahrtkonzern. Dort trat er unter anderem für neuartige Kommunikationssatelliten ein, welche eine Verbindung in abgelegene Gebiete ermöglichen sollten.
In den ersten Wochen nach Bekanntwerden seines Wechsels zu Fairchild stieg der Aktienkurs der Firma um 30 %. Seine Tätigkeit führte ihn häufig ins Ausland. Er traf dabei die indische Premierministerin Indira Gandhi, den Schah von Persien und den spanischen Thronfolger Juan Carlos. Im Juli 1975 wurde er Mitglied des Aufsichtsrats von Daimler-Benz.
Bei einer routinemäßigen medizinischen Untersuchung Mitte 1973 wurden auf einem Röntgenbild Auffälligkeiten neben seiner linken Niere entdeckt. Am Johns Hopkins Hospital in Maryland wurde ihm wenig später eine tumorbefallene Niere und umliegendes Tumorgewebe entnommen. Bereits nach wenigen Tagen hatte er sich von der Operation erholt, einige Wochen später konnte er wieder seiner Arbeit nachgehen.
Zwei Jahre nach der ersten Krebsoperation wurde bei einer Nachuntersuchung ein Dickdarmtumor entdeckt und entfernt. Sein sich von dort an beständig verschlechternder Gesundheitszustand ermöglichte es ihm ab November 1976 nicht mehr, das Krankenhaus zu verlassen.
Am 31. Dezember 1976 trat Wernher von Braun in den Ruhestand; am 16. Juni 1977 starb er an seiner Krankheit in Alexandria, Virginia, und wurde auf dem dortigen Ivy Hill Cemetery (Sektion T, Grabstelle 29) beigesetzt. Auf dem Grabstein stehen der Name, das Geburts- und das Todesjahr sowie der Hinweis auf den Psalm 19,1 EU: „Die Himmel erzählen von der Herrlichkeit Gottes; und das Firmament verkündet seiner Hände Werk.“[31] Von Braun war evangelischer Christ.
1974 hielt er insgesamt 25 Ehrendoktortitel, darunter von den folgenden Hochschulen:[34]
Wernher von Braun erlangte in den USA rasch eine große Popularität, auch wegen der Veröffentlichungen seiner Bücher und öffentlichen Auftritten. Bekannt machten ihn vor allem drei Fernsehproduktionen Walt Disneys: Man in Space (1955), Man and the Moon (1955) und Mars and Beyond (1957). In diesen von Ward Kimball realisierten Kurzfilmen trat von Braun an der Seite Disneys auf und erläuterte seine Theorien. Braun war ein geschickter Marketing-Stratege für Raketentechnik und bewerkstelligte es, eine Zusammenarbeit mit der Walt Disney Company zu erreichen. Im Kurzfilm Man in Space erklärt von Braun unter anderem die allgemeine Raketen-Funktionsweise und Einflüsse, welche Raumfahrer in der Lage sein müssten auszuhalten. Mit 42 Millionen Zuschauern gilt der Film als zweiterfolgreichste TV-Sendung aller Zeiten im US-Fernsehen.[35]
Sein Buch Das Marsprojekt beeinflusste den von George Pal produzierten Science-Fiction-Film Die Eroberung des Weltalls (Conquest of Space, 1955). Und bereits 1960 wurde seine Lebensgeschichte unter dem Titel Wernher von Braun: Ich greife nach den Sternen als US-deutsche Koproduktion mit Curd Jürgens in der Titelrolle verfilmt.
Als von Braun zu einer Koryphäe der US-amerikanischen Raumfahrt aufstieg, wurde in der Öffentlichkeit und im Fernsehen gelegentlich nach seiner Vergangenheit im Dritten Reich gefragt. Von Braun distanzierte sich dabei stets vom Nationalsozialismus und wies auch eine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg von sich.
Zu Brauns bis heute anhaltender Bezeichnung als Visionär schreibt der Politikwissenschaftler Rainer Eisfeld: „Braun profitierte von seiner Anpassung an den Zeitgeist, der die Implikation eigenen Handelns wegschob, indem er auswich auf eine Vision.“ In seinem 1996 erschienenen Buch Mondsüchtig beschreibt Eisfeld die Geschichte der Ingenieure, für die – unter der Leitung von Brauns – die Technik zum Selbstzweck wurde und die ihre tiefe Verstrickung in die Barbarei des Nationalsozialismus bis zuletzt verleugneten.[36]
Braun wurde mehrfach musikalisch thematisiert:
Nach den erfolgreichen Apollo-Mondlandungen verfolgte Wernher von Braun weiter mit viel Elan weitreichende Pläne, bis hin zum bemannten Marsflug. Bei der NASA und auch in der US-amerikanischen Öffentlichkeit stieß er damit aber nicht nur auf Begeisterung. Ein Redakteur von Reader’s Digest kommentierte: „Wernher von Braun möchte am liebsten weiter Geld ausgeben wie ein volltrunkener Matrose“ (zit. in Eisfeld).
Anlässlich des 100. Geburtstags im Jahr 2012 wurde auf Initiative des Polnisch-Deutschen Kulturforums Insel Usedom die so genannte Peenemünder Erklärung veröffentlicht, in der vor einer Idealisierung von Brauns gewarnt wird und eine „wissenschaftlich seriöse Aufarbeitung“ der Rolle von Brauns im Nationalsozialismus gefordert wird. Zu den Erstunterzeichnern gehören Historiker wie Werner Buchholz, Bernd Faulenbach, Anton Schindling und Thomas Stamm-Kuhlmann, aber auch Politiker wie Thomas Freund (Staatssekretär in der Landesregierung) und Karin Timmel (Landrätin).[40]
1994 wurde der Mondkrater von Braun durch die Internationale Astronomische Union nach ihm benannt.
Das seit 1979 diesen Namen tragende Wernher-von-Braun-Gymnasium in Friedberg bei Augsburg benannte sich nach jahrelangen[41] Diskussionen, Fernsehberichterstattung, Appellen – unter anderem von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) – und Forderungen des Kreistages Aichach-Friedberg um. Dies teilte die Schule am 20. Dezember 2013 in einer Stellungnahme mit.[42] Damit verbunden waren auch eine Distanzierung vom Namensgeber sowie die Aussage, dass in Wernher von Braun kein Vorbild für Schüler zu sehen sei. Seit dem 1. Februar 2014 heißt die Schule offiziell „Staatliches Gymnasium Friedberg“.[43][44]
Die Wernher-von-Braun-Schule in Neuhof bei Fulda, eine seit 1975 nach ihm benannte Gesamtschule, entschloss sich nach längeren Diskussionen ebenfalls zu einer Umbenennung.[45] Sie trägt seit Februar 2015 den Namen „Johannes-Kepler-Schule“.[46]
Gegenwärtig sind noch einige Straßen in deutschen Städten nach Wernher von Braun benannt, wobei es auch hier mancherorts Bestrebungen für eine Umbenennung gibt. So wurde die Wernher-von-Braun-Straße in Memmingen im Juni 2014 in Rudolf-Diesel-Straße umbenannt.[47] Die Wernher-von-Braun-Straße in Neuhof soll analog der gleichnamigen Schule ebenfalls umbenannt werden.[48]
– chronologisch aufsteigend –
Personendaten | |
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NAME | Braun, Wernher von |
ALTERNATIVNAMEN | Braun, Wernher Magnus Maximilian Freiherr von |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-amerikanischer Raketentechniker und Raumfahrtpionier |
GEBURTSDATUM | 23. März 1912 |
GEBURTSORT | Wirsitz, Provinz Posen, Preußen, Deutsches Reich |
STERBEDATUM | 16. Juni 1977 |
STERBEORT | Alexandria, Vereinigte Staaten |