Die Zeitdilatation (von lat.: dilatare, ‚dehnen‘, ‚aufschieben‘) ist ein Effekt, der durch die Relativitätstheorie beschrieben wird. Die Zeitdilatation bewirkt, dass alle inneren Prozesse eines physikalischen Systems relativ zum Beobachter langsamer ablaufen, wenn sich dieses System relativ zum Beobachter bewegt. Das bedeutet, dass auch Uhren, die sich relativ zum Beobachter bewegen, langsamer gehen als Uhren, die relativ zum Beobachter ruhen. Dieser Effekt ist umso stärker, je größer die Relativgeschwindigkeit ist. Der Maßstab ist die Lichtgeschwindigkeit. Mit der Zeitdilatation verbunden ist der Effekt, dass die Gleichzeitigkeit von räumlich getrennten Ereignissen eine Frage der Relativgeschwindigkeit des Beobachters ist, die sogenannte Relativität der Gleichzeitigkeit. Die Vorstellung einer absoluten Zeit musste angesichts der Zeitdilatation aufgegeben werden. Für relativ zueinander gleichförmig bewegte Systeme erklärt die spezielle Relativitätstheorie (Albert Einstein, 1905) die Zeitdilatation und die verwandte Längenkontraktion anhand von Minkowski-Diagrammen als geometrische Effekte der vierdimensionalen Raumzeit. Eine ältere, überholte Deutung dieser Effekte war die Lorentzsche Äthertheorie, siehe auch Geschichte der speziellen Relativitätstheorie.
Die gravitative Zeitdilatation ist ein Effekt der allgemeinen Relativitätstheorie. Man bezeichnet damit den Effekt, dass eine Uhr, wie auch jeder andere Prozess, in einem stärkeren Gravitationsfeld langsamer läuft als in einem schwächeren. So vergeht die Zeit im fernen, näherungsweise gravitationsfreien Weltraum (ohne Berücksichtigung der Gravitationsfelder anderer Himmelskörper) um etwa den Faktor 1 + 7·10−10 = 1,0000000007 schneller als auf der Erdoberfläche. Genauer gesagt misst jeder gegenüber dem Gravitationsfeld ruhende Beobachter eine längere bzw. kürzere Ablaufzeit von Vorgängen, die in identischer Weise im bzw. außerhalb des Gravitationsfelds ausgelöst wurden (wie z. B. eine Oszillation des elektrischen Feldstärkevektors eines Lichtstrahls, die als Zeitbasis verwendet werden kann). Anders als bei der Zeitdilatation durch Bewegung ist die gravitative Zeitdilatation nicht gegensätzlich, sondern übereinstimmend: So wie der im Gravitationsfeld weiter oben befindliche Beobachter die Zeit des weiter unten befindlichen Beobachters langsamer ablaufen sieht, sieht der untere Beobachter die Zeit des oberen Beobachters entsprechend schneller ablaufen.
Eine der wichtigsten Grundannahmen der Relativitätstheorie ist die Invarianz der Lichtgeschwindigkeit. Das bedeutet, dass alle Beobachter denselben Wert für die Geschwindigkeit des Lichts messen, egal wie schnell sie sich selbst oder wie schnell sich die Lichtquelle bewegt. Man stelle sich einen sehr schnell fahrenden Zug vor. Für die Zuginsassen bewegen sich die Lichtstrahlen von der Deckenbeleuchtung bis zum Fußboden senkrecht nach unten. Nennen wir den Startpunkt A und den Zielpunkt B. Wenn wir davon ausgehen, dass die Wegstrecke von A nach B 3 m beträgt, dann benötigt das Licht dafür die unvorstellbar kurze Zeit von 0,01 µs.
Vom ruhenden Bahndamm aus betrachtet stellt sich die Situation etwas anders dar: Während das Licht von A nach B läuft, fährt der Zug ein Stückchen weiter, sagen wir 1 m, so dass der Weg von A nach B nicht mehr genau senkrecht ist, sondern leicht nach vorne geneigt. Dadurch ist er auch etwas länger, nämlich 3,16 m. Da wie gesagt für alle Beobachter derselbe Wert für die Lichtgeschwindigkeit gilt, berechnet der Beobachter am Bahndamm eine etwas längere Zeit für diesen Vorgang (0,0105 µs). Weil im Zug offenbar eine halbe Nanosekunde weniger vergangen ist als auf dem Bahndamm, schließt der ruhende Beobachter, dass die Zeit im fahrenden Zug langsamer läuft.
Die allgemeine Tatsache, dass bewegte Uhren aus Sicht eines ruhenden Beobachters langsamer gehen, bezeichnet man als Zeitdilatation.
Zum Verständnis der Zeitdilatation ist es erforderlich, sich die grundlegenden Messvorschriften und Methoden zur Zeitmessung mit ruhenden und bewegten Uhren zu vergegenwärtigen.[1][2]
Wenn zwei Ereignisse nacheinander am selben Ort in einem Inertialsystem auftreten, dann kann durch direktes Ablesen der Zeigerstellungen einer an diesem Ort ruhenden Uhr C die Eigenzeit
somit gehen Uhren A und B schneller um
wobei
der Lorentzfaktor mit der Lichtgeschwindigkeit
Nun besagt das Relativitätsprinzip, dass in S′ die Uhr C als ruhend betrachtet werden kann und folglich die Uhren A und B langsamer gehen müssen als C. Auf den ersten Blick widerspricht dies jedoch dem Umstand, dass in beiden Inertialsystemen Uhr C beim Zusammentreffen mit B nachgeht, was auch aus der Invarianz der Eigenzeiten der Uhren C und B folgt.
Dies wird allerdings erklärbar, wenn die Relativität der Gleichzeitigkeit berücksichtigt wird. Denn obige Messung beruhte auf der Voraussetzung, dass die Uhren A und B (und somit zum Startzeitpunkt auch C) synchron sind, was jedoch aufgrund der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen nur in S der Fall ist. In S′ schlägt die Synchronisierung von A und B fehl – weil die Uhren sich hier in negativer
somit geht Uhr C schneller um
Die Zeitdilatation fällt also – wie vom Relativitätsprinzip gefordert – in allen Inertialsystemen symmetrisch aus: Jeder misst, dass die Uhr des jeweils anderen langsamer läuft als seine eigene. Diese Forderung ist erfüllt, obwohl in beiden Inertialsystemen C gegenüber B beim Zusammentreffen nachgeht und die Eigenzeiten von C als auch B invariant sind.
Bei nicht sehr großen Geschwindigkeiten wirkt sich die Zeitdilatation praktisch gar nicht aus. Zur Veranschaulichung stellen wir uns einen fiktiven und vereinfachten Raumflug vom Sonnensystem zum nächsten Stern Proxima Centauri vor. Hierbei lassen wir Effekte, die sich durch das Beschleunigen oder Abbremsen des Raumfahrzeugs ergeben, aus Gründen der Einfachheit unberücksichtigt. Die Distanz beträgt 4,24 Lichtjahre. Je nach Reisegeschwindigkeit ergeben sich folgende Werte:
Geschwindigkeit in Prozent der Lichtgeschwindigkeit | Reisedauer im Ruhesystem in Jahren | Reisedauer im Bordsystem in Jahren | Verhältnis Bordsystem : Ruhesystem (gerundet) |
---|---|---|---|
0,004 | 106000 | 105999,999992 | 1 : 1,0000000008 |
1 | 424 | 423,9 | 1 : 1,00005 |
10 | 42,4 | 42,2 | 1 : 1,005 |
50 | 8,48 | 7,34 | 1 : 1,15 |
90 | 4,71 | 2,05 | 1 : 2,29 |
99 | 4,28 | 0,60 | 1 : 7,09 |
99,99 | 4,24 | 0,06 | 1 : 70,7 |
Mit „Ruhesystem“ ist hier das Bezugssystem gemeint, in dem die Erde und Proxima Centauri ruhen. Mit „Bordsystem“ ist das Eigensystem des Raumfahrzeugs gemeint. Die in der ersten Zeile verwendete Geschwindigkeit (0,004 % der Lichtgeschwindigkeit) ist ungefähr diejenige, die von dem bisher schnellsten bemannten Raumfahrzeug (Apollo-Kapsel) erreicht wurde.
Dabei ist ersichtlich, dass die Zeitdilatation von
reziprok ist zur kontrahierten Länge
Das bedeutet, dass die von mitbewegten Uhren angezeigte Eigenzeit immer kleiner ist als die von ruhenden Uhren angezeigte Zeitspanne, wohingegen die von mitbewegten Maßstäben gemessene Eigenlänge immer größer ist als die von ruhenden Maßstäben gemessene Länge desselben Objekts.[1]
Der umgekehrte Fall tritt ein, wenn Uhr und Maßstab nicht im selben Inertialsystem ruhen. Bewegt sich nämlich die Uhr innerhalb der Zeitspanne
Für eine einfache Erklärung dieses Faktors kann das Konzept der Lichtuhr herangezogen werden. Eine Lichtuhr besteht aus zwei Spiegeln im Abstand
Wenn eine Lichtuhr A gegeben ist, wird aus Sicht eines mit ihr mitbewegten (also relativ zu ihr ruhenden) Beobachters ein Blitz für den einfachen Weg zwischen den Spiegeln die Zeit
Wird nun eine zweite Lichtuhr B senkrecht zur Verbindungslinie der Spiegel mit der Geschwindigkeit
Durch Einsetzen der Ausdrücke für
oder mit dem Lorentzfaktor
und somit
Hingegen kann ein mit Uhr B mitbewegter Beobachter gemäß Relativitätsprinzip ebenfalls von sich behaupten, sich in Ruhe zu befinden. Das heißt, seine bei ihm befindliche Uhr B wird eine einfache Laufzeit von
und somit gilt
Das relativistische Linienelement
Als Eigenzeitelement gilt der Quotient dieses relativistischen Linienelements oder Abstands
Durch Einsetzen und Herausheben von
Einerseits ergibt sich mit dem relativistischen Linienelement
anderseits ist eine Geschwindigkeit
Mit dem Quadrat der Geschwindigkeit
folgt schließlich für das Element der Eigenzeit
Das Differential
Für ein mit dem betrachteten Teilchen mitbewegtes System ergibt sich die Identität beider Differentiale, weil in diesem System
Die Eigenzeit wird erhalten, wenn über das Eigenzeitelement integriert wird:
Messtechnisch entspricht die Eigenzeit
Ruht hingegen eine Uhr B in S und finden auf ihrer Weltlinie zwei Ereignisse U und V statt, dann ist die Zeitspanne
Die Eigenzeit einer bei zwei Ereignissen vor Ort befindlichen unbeschleunigten Uhr ist also minimal im Vergleich zur synchronisierten Koordinatenzeit zwischen denselben Ereignissen in allen anderen Inertialsystemen.[3] Denn sofern keine der Uhren beschleunigt wird, gibt es immer nur eine Uhr und somit nur eine gerade Weltlinie, welche die Eigenzeit zwischen zwei bestimmten Ereignissen anzeigt. Es ist zwar möglich, dass ein einzelnes Ereignis U gleichzeitig auf zwei geraden Weltlinien ist (und zwar dort, wo sich die Weltlinien von C und B schneiden), jedoch ist es geometrisch unmöglich, dass das zweite Ereignis W auf der Weltlinie von C auch auf der Weltlinie von B ist, sowie es auch unmöglich ist, dass das zweite Ereignis V auf der Weltlinie von B auch auf der Weltlinie von C ist.
Wenn jedoch eine der Uhren beschleunigt wird, können sich die Weltlinien abermals schneiden. Hier ergibt es sich, dass die gerade Weltlinie der unbeschleunigten Uhr eine größere Eigenzeit anzeigt als die zusammengesetzt-gekrümmte Weltlinie der beschleunigten Uhr, was die Erklärung des Zwillingsparadoxons darstellt. Während also, wie oben gezeigt, die Eigenzeit zwischen zwei Ereignissen auf der Weltlinie einer unbeschleunigten Uhr minimal ist im Vergleich zu den synchronisierten Koordinatenzeiten in allen anderen Inertialsystemen, ist sie maximal im Vergleich zu den Eigenzeiten von beschleunigten Uhren, die bei beiden Ereignissen ebenfalls vor Ort waren.[3]
Einige Eigenzeiten werden nebenstehend in einem symmetrischen Minkowski-Diagramm und weiteren Bildern dargestellt. Uhr C (ruhend in S′) trifft bei d auf Uhr A und bei f auf Uhr B (beide ruhend in S). Die invariante Eigenzeit von C zwischen diesen Ereignissen ist df. Die Weltlinie von Uhr A ist die ct-Achse, die Weltlinie von Uhr B gezogen durch d ist parallel zur ct-Achse, und die Weltlinie von Uhr C ist die ct′-Achse. Alle zu d gleichzeitigen Ereignisse sind in S auf der x-Achse, und in S′ auf der x′-Achse. Die jeweiligen Zeitspannen können direkt durch Abzählen der Markierungen bestimmt werden.
In S ist die Eigenzeit df von C dilatiert im Vergleich zur längeren Zeit ef=dg von Uhren B und A. Umgekehrt wird auch in S′ die invariante Eigenzeit von B dilatiert gemessen. Denn Zeit ef ist kürzer in Bezug zur Zeit if, weil das Startereignis e von Uhr B schon zur Zeit i gemessen wurde, bevor Uhr C überhaupt zu ticken begonnen hatte. Zum Zeitpunkt d hat B die Zeit ej hinter sich, und auch hier ergibt sich die Zeitdilatation, wenn df in S′ mit der restlichen Zeit jf in S verglichen wird.
Aus diesen geometrischen Verhältnissen wird abermals klar, dass die invariante Eigenzeit zwischen zwei bestimmten Ereignissen (in diesem Fall d und f) auf der Weltlinie einer unbeschleunigten Uhr kürzer ist als die mit synchronisierten Uhren gemessene Zeit zwischen denselben Ereignissen in allen anderen Inertialsystemen.[7][3] Wie gezeigt, steht dies nicht im Widerspruch zur wechselseitigen Zeitdilatation, denn aufgrund der Relativität der Gleichzeitigkeit werden die Startzeitpunkte der Uhren in anderen Inertialsystemen unterschiedlich gemessen.
Die momentane Zeitdilatation, ggf. auch Zeitraffereffekt, der geradlinigen Beschleunigung resultiert aus der Desynchronisierung der Uhren:
Bei jeder Veränderung der Relativgeschwindigkeit, die hier dargestellt wird und nicht unbedingt von spürbaren Trägheitswirkungen begleitet sein muss, verändert sich auch die relative Desynchronisierung der Uhren des beobachteten Systems.
Aus der subjektiven Sicht des Beobachters sind die Uhren im beobachteten System nämlich entsprechend ihrem lokalen Ortsabstand
Dabei ist τΔ die Gangabweichung, die zwischen zwei lokalen Uhren im Eigenabstand
Durch welche Ursache sich die Relativgeschwindigkeit des Beobachters verändert, ist hierbei unerheblich. Der Effekt ist geometrisch bedingt und rein relativistisch. Wie aus dem Bellschen Raumschiffparadoxon abgeleitet werden kann, ist die Wirkung (bezogen auf die komplette Distanz x) allerdings für die beiden Beteiligten asymmetrisch. Dies liefert wiederum die Erklärung für die Asymmetrie des Zwillingsparadoxons. Diese Geschwindigkeitsänderung kann man nun bei kontinuierlicher Betrachtung in eine Beschleunigung umrechnen, wobei es sich aber nicht um eine lokale Beschleunigung a = F/m handelt, sondern um die effektive Änderung der Relativgeschwindigkeit aeff = dv/dt handeln muss:
mit Distanz x, Lorentzfaktor γ, infinitesimalem Zeitintervall dt, effektiver Beschleunigung aeff, Relativgeschwindigkeit v und Lichtgeschwindigkeit c. Der Effekt ist entfernungsabhängig und richtungsabhängig. Theoretisch kann der Wert von Δv·x/Δt bzw. aeff·x kurzfristig beliebig hoch sein und je nach Vorzeichen a·x > 0 zu einem Zeitraffer (maximal, bis bei v = −c Gleichzeitigkeit erreicht wird) und a·x < 0 zu einer Zeitlupe (maximal Zeitstillstand bei v = c) wie bei der gewohnten Dilatation führen. Die Berechnung von aeff soll hier nicht detailliert erklärt werden. Da hierbei die relativistische Geschwindigkeitsaddition anzuwenden ist, und wegen (v·dv/c²) → 0, errechnet sich:
Entgegen weit verbreiteter Meinung verursacht die Beschleunigung a = v/t keine weiteren relativistischen Wirkungen auf die Zeit, die mit der Gravitation vergleichbar wären. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Faktoren der Zeitdilatation und der Lorentzkontraktion bei der Gravitation gar nicht von der Beschleunigung, sondern ausschließlich vom Energiepotential abhängen.
Wird ein Testkörper der Masse
einzuführen, um die folgenden Rechenergebnisse übersichtlich aufschreiben zu können. Wird der Testkörper ab
wobei sich die konstante Beschleunigung gemäß
eingesetzt werden. Das Ergebnis dieser Integration lautet
Den zurückgelegten Weg
Wird bei verschwindender Startgeschwindigkeit (
Ein anderes Beispiel ist die Bewegung eines Raumschiffes, das von der Erde startet, einen entfernten Planeten ansteuert und wieder zurückkommt. Ein Raumschiff startet von der Erde und fliegt mit der anfänglichen Beschleunigung von
Wesentlich größere Unterschiede erhält man bei einer Reise zur Andromedagalaxie, die etwa 2 Millionen Lichtjahre entfernt ist (bei gleichen Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen). Für die Erde vergehen etwa 4 Millionen Jahre, während für den Reisenden nur ungefähr 56 Jahre vergangen sind.
Das Raumschiff überschreitet die Lichtgeschwindigkeit nie. Je länger es beschleunigt, desto näher kommt es zwar an die Lichtgeschwindigkeit heran, es wird diese jedoch niemals erreichen. Aus Sicht der Erde nimmt die Beschleunigung also trotz gleichbleibender Triebwerksleistung ab. Im Raumschiff läuft die Zeit entsprechend der Zeitdilatation langsamer. Da im Raumschiff sowohl Beobachter als auch Messinstrumente der Zeitdilatation unterliegen, läuft aus ihrer Sicht die Eigenzeit ganz normal, jedoch verkürzt sich aufgrund der Lorentzkontraktion der Weg zwischen Erde und Reiseziel. (Aus Erdsicht bleibe er in diesem Beispiel vereinfachend konstant). Wenn man nun im Raumschiff ist und seine Geschwindigkeit relativ zur Erde unter Berücksichtigung der Lorentzkontraktion bestimmt, dann kommt man auf dasselbe Resultat, wie wenn man von der Erde aus die Geschwindigkeit des Raumschiffes bestimmt. In der Praxis ist derzeit allerdings kein Antrieb realisierbar, der über so lange Zeit eine so hohe Beschleunigung erreicht.[10]
Die gravitative Zeitdilatation beschreibt den relativen Zeitablauf von Systemen, die in verschiedenen Entfernungen eines Gravitationszentrums (beispielsweise eines Sterns oder Planeten) relativ zu diesem ruhen. Zu beachten ist, dass die gravitative Zeitdilatation nicht etwa durch eine mechanische Einwirkung auf die Uhren entsteht, sondern eine Eigenschaft der Raumzeit selbst darstellt. Jeder relativ zum Gravitationszentrum ruhende Beobachter misst für identische, jedoch in unterschiedlichen Entfernungen vom Gravitationszentrum ablaufende Vorgänge unterschiedliche Ablaufzeiten, bezogen auf seine eigene Zeitbasis. Ein Effekt, der auf der gravitativen Zeitdilatation beruht, ist die gravitative Rotverschiebung.
Die allgemeingültige und von der Metrik abhängige Formel für die Zeitdilatation zwischen zwei relativ zur Masse stationären Beobachtern (FIDO), von denen sich der eine außerhalb und der andere innerhalb des Gravitationsfelds befindet, lautet
In der Schwarzschildmetrik ist
Um die gesamte Zeitdilatation eines stationären Beobachters in weiter Entfernung von der Masse relativ zu einem im Gravitationsfeld bewegten Beobachter zu erhalten, wird mit dem Lorentzfaktor multipliziert; im Bezugssystem des stationären Beobachters ergibt sich somit, dass die Uhr des bewegten um den Faktor
verlangsamt läuft, während die Uhr des stationären Beobachters im System des bewegten um den Faktor
schneller oder langsamer tickt, abhängig davon, ob die gravitative oder die kinematische Komponente überwiegt (die gravitative Komponente bewirkt, dass die Uhr im Gravitationsfeld absolut langsamer tickt, während die kinematische Komponente zu einer wechselseitigen, also relativen Verlangsamung der jeweils anderen Uhr führt). Im freien Fall aus dem Unendlichen v = ve heben sich dabei beide Effekte aus Sicht des FFO exakt auf:
Diese Problemstellung wird auch als ehrenfestsches Paradoxon bezeichnet.
Nach dem Äquivalenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie kann man lokal nicht zwischen einem ruhenden System in einem Gravitationsfeld und einem beschleunigten System unterscheiden. Deshalb kann man den Effekt der Gravitationszeitdilatation anhand der Zeitdilatation durch Bewegung erläutern.
Betrachtet man eine mit konstanter Winkelgeschwindigkeit
Dementsprechend wird im Abstand
auftreten. Für hinreichend kleine Abstände (
Ein auf der Scheibe befindliches, mitrotierendes Objekt erfährt nun die Zentrifugalkraft
gehört. Dies ist aber gerade der Term, der bei der Zeitdilatation im Zähler auftritt. Somit ergibt sich für „kleine“ Abstände:
(Hinweis: Das hier angegebene Potential entspricht nicht dem üblichen Zentrifugalpotential, da hier eine Anpassung an die lokale Drehgeschwindigkeit der Scheibe vorgenommen wird, während beim üblichen Zentrifugalpotential stattdessen Drehimpulserhaltung gilt.)
In einem schwachen Gravitationsfeld wie dem der Erde kann die Gravitation und somit die Zeitdilatation näherungsweise durch das Newtonsche Gravitationspotential beschrieben werden:
Hierbei ist
Auf der Erde kann (solange die Höhe klein ist gegenüber dem Erdradius von ca. 6400 Kilometern) das Gravitationspotential durch
Wenn man die durch die Höhe verursachte Verringerung der gravitativen Zeitdilatation relativ zur Erdoberfläche und die durch die für diese Höhe erforderliche Kreisbahngeschwindigkeit bedingte Zeitdilatation miteinander vergleicht, zeigt sich, dass sich bei einem Bahnradius vom 1,5-Fachen des Erdradius, also in einer Flughöhe von einem halben Erdradius, die beiden Effekte genau aufheben und daher die Zeit auf einer solchen Kreisbahn genau so schnell vergeht wie auf der Erdoberfläche (wenn man vereinfachend annimmt, dass die Erde selbst nicht rotiert, ist es exakt der 1,5-fache Radius, berücksichtigt man auch die Erdrotation, ist es geringfügig weniger).
Die gravitative Zeitdilatation führt ebenfalls dazu, dass der Kern eines Himmelskörpers jünger ist als seine Oberfläche. Für die Erde wurde dieser Zeitunterschied zwischen Erdmittelpunkt und Erdoberfläche unter Berücksichtigung der Dichteverteilung der Erde 2016 in klassischer Näherung mit 2,49 Jahren angegeben.[11]
Der erste direkte Nachweis der Zeitdilatation durch Messung des relativistischen Dopplereffekts gelang mit dem Ives-Stilwell-Experiment (1939); weitere Nachweise erfolgten mit den Mößbauer-Rotor-Experimenten (1960er) und modernen Ives-Stilwell-Varianten auf Basis von Sättigungsspektroskopie, wobei letztere die mögliche Abweichung der Zeitdilatation bis auf
Beim Auftreffen der kosmischen Strahlung auf die Moleküle der oberen Luftschichten entstehen in 9 bis 12 Kilometern Höhe Myonen. Sie sind ein Hauptbestandteil der sekundären kosmischen Strahlung, bewegen sich in Richtung Erdoberfläche mit nahezu Lichtgeschwindigkeit weiter und können dort nur wegen der relativistischen Zeitdilatation detektiert werden, denn ohne diesen relativistischen Effekt würde ihre mittlere Reichweite nur etwa 600 m betragen. Zusätzlich wurden Tests der Zerfallszeiten in Teilchenbeschleunigern mit Pionen, Myonen oder Kaonen durchgeführt, die ebenfalls die Zeitdilatation bestätigten.
Die gravitative Zeitdilatation wurde 1960 im Pound-Rebka-Experiment von Robert Pound und Glen Rebka nachgewiesen. Außerdem startete die NASA 1976 eine Scout-D-Rakete mit einer Atomuhr, deren Frequenz mit einer Uhr derselben Bauart auf der Erde verglichen wurde. Dies war das bisher präziseste Experiment, das erfolgreich die gravitative Rotverschiebung messen konnte.[12]
Eine Uhr in einem hoch fliegenden Flugzeug unterliegt zwei Formen von Zeitdilatation im Vergleich zu einer am Boden stehenden Uhr. Zum einen nimmt der Einfluss der Gravitation der Erde mit der Höhe ab. Dadurch wird die Uhr im Flugzeug weniger verlangsamt als die Uhr am Boden. Zum anderen bewegt sich das Flugzeug relativ zur Uhr am Boden. Das bewirkt eine Verlangsamung der Uhr im Flugzeug. Die beiden Effekte wirken also in entgegengesetzter Richtung. Welcher der beiden Effekte überwiegt, hängt von der Höhendifferenz und der Geschwindigkeit des Flugzeugs ab.
Der erste Uhrenvergleich zwischen in einem Flugzeug transportierten Uhren und baugleichen am Boden verbleibenden geschah im Rahmen des Hafele-Keating-Experiments im Jahr 1971. Für dieses Experiment flogen der Physiker Joseph Hafele und der Astronom Richard Keating mit vier Atomuhren jeweils einmal ostwärts und westwärts in einem Verkehrsflugzeug um die Welt. Vor und nach den Flügen wurde der Stand der Uhren mit dem von baugleichen Atomuhren verglichen, die im United States Naval Observatory betrieben wurden. Die sich dabei ergebenden Verschiebungen bestätigten die Vorhersagen der Relativitätstheorien.[13][14] Seitdem wurden wiederholt Messungen in ähnlicher Form mit noch höherer Genauigkeit durchgeführt.
Von praktischer Bedeutung wird die Zeitdilatation bei satellitengestützten Navigationssystemen wie etwa dem GPS. Diese beruhen darauf, dass jeder Satellit des Systems ein sehr präzises, durch eine Atomuhr ermitteltes Zeitsignal über Funk aussendet. Die GPS-Geräte der Nutzer empfangen diese Signale von mehreren Satelliten und ermitteln aus den Laufzeiten der Signale ihre Entfernung zu den verschiedenen Satelliten und daraus ihre exakte Position. Da die Satelliten der Zeitdilatation sowohl durch Gravitation als auch durch ihre Bewegung ausgesetzt sind, müssen die Navigationssysteme zur Verbesserung der Genauigkeit eine Korrektur dieser Effekte vornehmen[15].