Zeitumkehr (Physik): Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Zeitumkehr''' ist eine physikalische [[Transformation (Mathematik)|Transformation]] der Art
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'''Zeitumkehr''' ist die Betrachtung physikalischer Vorgänge unter der Annahme, die Zeit laufe in umgekehrter Richtung. Manche Vorgänge würden davon nicht beeinflusst werden, sind also zeitumkehr''[[Symmetrie (Physik)|invariant]]'': sie könnten auch zeitlich rückwärts ablaufen. In der Darstellung durch Gleichungen ist die Zeitumkehr eine [[Transformation (Mathematik)|Transformation]], bei der die Zeit ''t'' durch ''−t'' ersetzt wird. Fast alle grundlegenden [[Physikalisches Gesetz|physikalischen Gesetze]] sind [[Symmetrie (Physik)|symmetrisch]] gegenüber einer Umkehrung der [[Zeit]]; man spricht auch von ''<math>T</math>-Symmetrie.''


: <math>T: t \mapsto -t.</math>
Zeitumkehrinvarianz ist nicht zu verwechseln mit [[Zeitinvarianz]], einem Begriff der [[Systemtheorie (Ingenieurwissenschaften)|Systemtheorie]].
 
Fast alle grundlegenden [[Physikalisches Gesetz|physikalischen Gesetze]] sind [[Symmetrie (Physik)|symmetrisch]] gegenüber einer Umkehrung der [[Zeit]], man spricht auch von ''Zeitumkehrinvarianz'' oder auch ''T-Symmetrie''. Ein physikalischer Vorgang ist zeitumkehrinvariant, wenn er prinzipiell auch zeitlich umgekehrt, also rückwärts, ablaufen kann. Konkret äußert sich das darin, dass zu jeder Lösung einer physikalischen Gleichung, die einen zeitlichen Vorgang beschreibt, sofort eine neue Lösung konstruiert werden kann, indem man in der bekannten Lösung nur das [[Vorzeichen (Zahl)|Vorzeichen]] der Zeitvariablen ändert.
 
So jedenfalls konnte ''Paul Dirac'' 1928 die Existenz des Positrons, des Antiteilchens des Elektrons, vorhersagen. Das Positron wurde darauf 1932 von Anderson als neues Teilchen in kosmischer Strahlung nachgewiesen.<ref>Gernot Eder: ''Atomphysik'', 2. überarbeitete Auflage 1989, Wissenschaftsverlag, ISBN 3-411-03217-0, S. 226</ref>


== Makroskopische Phänomene: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ==
== Makroskopische Phänomene: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ==
Unsere tägliche Erfahrung zeigt uns, dass es nicht umkehrbare Phänomene gibt: Wasser fließt stets bergab, Tassen zerspringen beim Hinunterfallen, und heißer Tee kühlt sich auf Zimmertemperatur ab. Bei vielen Phänomenen, etwa der relativen Bewegung von Körpern mit [[Reibung]] oder der [[Viskosität|viskosen]] [[Strömung]] von Flüssigkeiten, erfolgt [[Dissipation]] von Energie, also Umwandlung von [[kinetische Energie|kinetischer Energie]] in [[Wärme]]. Diese Umwandlung wird durch den [[Thermodynamik#Zweiter Hauptsatz|zweiten Hauptsatz der Thermodynamik]] auf eine Richtung festgelegt ([[Zeitpfeil #Thermodynamisch|Zeitpfeil]]).


Unsere tägliche Erfahrung zeigt uns, dass es nicht umkehrbare Phänomene gibt: Wasser fließt stets bergab, Tassen zerspringen beim Hinunterfallen und heißer Tee kühlt sich auf Zimmertemperatur ab. Viele Phänomene, wie etwa die relative Bewegung von Körpern mit [[Reibung]] oder die [[Viskosität|viskose]] [[Strömung]] von Flüssigkeiten, basieren auf der [[Dissipation]] von Energie (also der Umwandlung von kinetischer Energie in Wärme). Die Umwandlung von Energie wird durch den [[Thermodynamik#Zweiter Hauptsatz|zweiten Hauptsatz der Thermodynamik]] auf eine Richtung festgelegt.
In einem [[Gedankenexperiment]] setzte sich [[James Clerk Maxwell]] mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auseinander. Sein ''[[Maxwellscher Dämon]]'' ist ein mikroskopischer Torwächter zwischen zwei Hälften eines Raums, der die langsamen Moleküle nur in eine Richtung, die schnellen in die andere Richtung durchlässt. Auf diese Weise würde sich die eine Hälfte des Raums auf Kosten der anderen Hälfte erwärmen. Es scheint, dass die [[Entropie]] sinkt und sich der Zeitpfeil umkehrt. Eine genauere Untersuchung unter Einbeziehung des Dämons zeigt jedoch, dass die ''Gesamtentropie'' von Raum und Dämon ''zunimmt''.
 
In einem Gedankenexperiment setzte sich [[James Clerk Maxwell]] mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auseinander. Sein ''[[Maxwellscher Dämon]]'' ist ein mikroskopischer Torwächter zwischen zwei Hälften eines Raums, der die langsamen Moleküle nur in eine Richtung, die schnellen in die andere Richtung durchlässt. Auf diese Weise würde sich die eine Hälfte des Raums auf Kosten der anderen Hälfte erwärmen. Es scheint, dass die [[Entropie]] sinkt und sich der Zeitpfeil umkehrt. Eine genauere Untersuchung unter Einbeziehung des Dämons zeigt jedoch, dass die Gesamtentropie von Raum und Dämon zunimmt.


Der wissenschaftliche Konsens ist heute die Interpretation von [[Ludwig Boltzmann]] und [[Claude Shannon]], die den [[Logarithmus]] des [[Phasenraum]]volumens mit der [[Informationsentropie]] in Relation setzt. Hier hat der makroskopische Ausgangszustand ein recht geringes Phasenraumvolumen, da die Position der Atome begrenzt ist. Wenn sich das System unter Einfluss von Dissipation weiterentwickelt, vergrößert sich das Phasenraumvolumen und die Entropie steigt.
Der wissenschaftliche Konsens ist heute die Interpretation von [[Ludwig Boltzmann]] und [[Claude Shannon]], die den [[Logarithmus]] des [[Phasenraum]]<nowiki/>volumens mit der [[Informationsentropie]] in Beziehung setzt. Der [[makroskopisch]]e Ausgangszustand in Maxwells Gedankenexperiment hat ein geringes Phasenraumvolumen, da die Position der Atome begrenzt ist. Wenn sich das System unter Einfluss von Dissipation weiterentwickelt, vergrößert sich das Phasenraumvolumen, und die Entropie steigt.


Ein anderer Standpunkt ist, dass wir einen stetigen Anstieg der Entropie beobachten, „nur“ weil der Anfangszustand des Universums eine niedrige Entropie hatte; andere mögliche Zustände des Universums würden demnach zu einem Sinken der Entropie führen. Nach dieser Ansicht ist die makroskopische Irreversibilität ein Problem der [[Kosmologie]]: Warum begann das Universum bei niedriger Entropie? Die Frage nach dem Anfangszustand des Universums ist eine offene Frage in der aktuellen Physik.
Ein anderer Standpunkt ist, dass wir „nur“ deswegen einen stetigen Anstieg der Entropie beobachten, weil der Anfangszustand des [[Universum]]s eine niedrige Entropie hatte; andere mögliche Anfangszustände des Universums könnten demnach zu sinkender Entropie führen. Nach dieser Ansicht ist die makroskopische Irreversibilität ein Problem der [[Kosmologie]]: Warum begann das Universum bei niedriger Entropie? Die Frage nach dem Anfangszustand des Universums ist eine offene Frage in der aktuellen Physik.


== Mikroskopische Phänomene: Zeitumkehrinvarianz ==
== Mikroskopische Phänomene: Zeitumkehrinvarianz ==
=== Klassische Mechanik und Elektrodynamik ===
=== Klassische Mechanik und Elektrodynamik ===


Da die meisten makroskopischen Systeme unsymmetrisch gegenüber Zeitumkehr sind, ist es interessant zu fragen, welche Phänomene symmetrisch gegenüber Zeitumkehr sind. In der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]] kehrt sich zum Beispiel die Geschwindigkeit <math>\vec v</math> bei Zeitumkehr um, während die Beschleunigung <math>\vec a</math> unverändert bleibt. Daher werden Reibungseffekte durch ungerade ''v''-[[Term]]e modelliert. Wenn jedoch alle Reibungseffekte ausgeschlossen werden können, ist die klassische Mechanik symmetrisch gegenüber Zeitumkehr.
In der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]] z.&nbsp;B. kehrt sich die Geschwindigkeit <math>\vec v</math> bei Zeitumkehr um, während die Beschleunigung <math>\vec a</math> unverändert bleibt. Allgemein ist ein Vorgang offenbar zeitumkehrinvariant, wenn die Zeit ''t'' nur in gerader [[Potenz (Mathematik)|Potenz]] wie ''t''<sup>2</sup>, ''t''<sup>4</sup> usw. vorkommt, so dass ''t'' durch ''−t'' ersetzt werden kann. Bei der Beschreibung von Reibung tritt ''t'' jedoch in erster Potenz auf.


Die Bewegung von geladenen Teilchen im [[Magnetismus|Magnetfeld]] <math>\vec B</math> wird bestimmt durch die [[Lorentz-Kraft]] <math>\vec v \times \vec B</math> und scheint auf den ersten Blick damit nicht invariant unter Zeitumkehr zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch <math>\vec B</math> bei Zeitumkehr seine Richtung ändert, da ein Magnetfeld durch einen [[Elektrischer Strom|elektrischen Strom]] <math>\vec J</math> erzeugt wird, der seine Richtung bei Zeitumkehr ebenfalls umkehrt. Damit ist die Bewegung von geladenen Teilchen im [[Elektromagnetisches Feld|elektromagnetischen Feld]] symmetrisch gegenüber Zeitumkehr. Auch die [[Gravitation]]sgesetze sind invariant gegenüber Zeitumkehr.
Die Bewegung geladener Teilchen im [[Magnetismus|Magnetfeld]] <math>\vec B</math> wird bestimmt durch die [[Lorentz-Kraft]] <math>\vec v \times \vec B</math> und scheint auf den ersten Blick nicht invariant unter Zeitumkehr zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch <math>\vec B</math> bei Zeitumkehr seine Richtung ändert, da ein Magnetfeld durch einen [[Elektrischer Strom|elektrischen Strom]] <math>\vec J</math> erzeugt wird, der seine Richtung bei Zeitumkehr ebenfalls umkehrt. Damit ist die Bewegung geladener Teilchen im [[Elektromagnetisches Feld|elektromagnetischen Feld]] symmetrisch gegenüber Zeitumkehr, ebenso wie die [[Gravitationsgesetz]]e.


=== Quantenphysik ===
=== Quantenphysik ===
Die [[quantenmechanisch]]e [[Kinematik]] kann durch die [[Metrik (Mathematik)|Metrik]] des [[Spezielle Relativitätstheorie|speziell-relativistisch]]en [[Minkowskiraum]]s gekennzeichnet sein; diese Metrik ist zeitumkehrinvariant. Dagegen verletzen die Bahnen der Teilchen in diesem Raum unter Umständen, z.&nbsp;B. beim [[&beta;-Zerfall]], unter dem Einfluss der Wechselwirkungspotentiale die Zeitumkehrinvarianz. Wie in der klassischen Kinematik, die durch die [[Newtonsche Axiome|newtonschen Gesetze der Bewegung]] beschrieben wird, sagt auch hier die Kinematik nichts über die Zeitumkehrinvarianz der [[Dynamik (Physik)|Dynamik]] aus. Die Dynamik kann die Zeitinvarianz verletzen, obwohl man den kinematischen Größen dieses Verhalten nicht ansieht.
Eine grundlegende Verletzung der Zeitumkehrinvarianz wurde für die [[schwache Wechselwirkung]] (&beta;-Zerfall u.&nbsp;a.) 1956 indirekt entdeckt. Es wurde eine leichte [[CP-Verletzung|Verletzung]] der CP-Invarianz (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von [[Elektrische Ladung|Ladung]] und [[Parität (Physik)|Parität]] geändert werden) beobachtet. Daraus folgt auch die Verletzung der Zeitumkehrinvarianz, sofern man das [[CPT-Theorem]] (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von Ladung, Parität und Zeit geändert werden) als gültig voraussetzt.
Nachdem die Verletzung der CP-Symmetrie in den [[B-Meson]]-[[B-Fabrik|Fabriken]] [[BaBar-Experiment|BaBar]] und [[Belle-Experiment|Belle]] 2002 bestätigt worden war, gelang 2012 aus der Nachanalyse alter BaBar-Daten auch der direkte Nachweis der T-Verletzung.<ref>[http://prl.aps.org/abstract/PRL/v109/i21/e211801 J. P. Lees u.&nbsp;a. ''Observation of Time-Reversal Violation in the B0 Meson System'', Phys. Rev. Lett., Band 109, 2012, S. 211801]</ref><ref>[http://www.pro-physik.de/details/news/3732621/Zeitasymmetrie_erstmals_direkt_nachgewiesen.html Dirk Eidemüller ''Zeitasymmetrie erstmals direkt nachgewiesen'', Pro Physik, November 2012]</ref>


In der Physik wird zwischen den Gesetzen der Bewegung, der sogenannten [[Kinematik]], und der Wirkung von Kräften bzw. [[Wechselwirkung]]spotentialen, der sogenannten [[Dynamik (Physik)|Dynamik]] unterschieden; beispielsweise kann die Kinematik durch die Metrik des speziell-relativistischen [[Minkowskiraum]]s gekennzeichnet sein. Diese Metrik ist zeitumkehrinvariant. Die Bahnen der Teilchen in diesem Raum verletzen dagegen unter Umständen, z.&nbsp;B. beim [[&beta;-Zerfall]], unter dem Einfluss der Wechselwirkungspotentiale die Zeitumkehrinvarianz. Wie bereits in der klassischen Kinematik, die durch die [[Newtonsche Axiome|newtonschen Gesetze der Bewegung]] beschrieben wird, ist auch die [[Quantenmechanik|quantenmechanische]] Kinematik so aufgebaut, dass sie keine Aussagen über die Zeitumkehrinvarianz der Dynamik macht. Anders ausgedrückt: die Dynamik kann die Zeitinvarianz verletzen, obwohl man  den für die Kinematik kennzeichnenden Größen dies Verhalten nicht ansieht.
==== Mathematische Darstellung ====
Beschreibt man den Zustand des Systems mit einem Zweier[[spinor]], also durch zwei [[Wellenfunktion]]en
:<math>\psi_1(\vec r,t) =  \psi_\uparrow  (\vec r, t)</math> und
:<math>\psi_2(\vec r,t) = +\psi_\downarrow (\vec r, t)</math>,


Auf eine grundlegende Verletzung der Zeitumkehrinvarianz für die [[schwache Wechselwirkung]] (&beta;-Zerfall u.&nbsp;a.) wurde erstmals 1956 indirekt geschlossen. Damals wurde eine leichte [[CP-Verletzung|Verletzung]] der sogenannten CP-Invarianz (=Symmetrie der physikalische Gesetze bei gleichzeitiger Änderung der Vorzeichen von Ladung und Parität) beobachtet, woraus auch die Verletzung der Zeitumkehrinvarianz folgt, sofern man die Gültigkeit des [[CPT-Theorem]]s (=Symmetrie der physikalische Gesetze bei gleichzeitiger Änderung der Vorzeichen von [[Elektrische Ladung|Ladung]], [[Parität (Physik)|Parität]] und [[Zeit]]) voraussetzt.
dann hat der „zeitlich invertierte“ Zweierspinor die Komponenten
:<math>(\mathcal T\psi )_1(\vec r, t) = \psi_\downarrow^* (\vec r, t)</math> und
:<math>(\mathcal T\psi )_2(\vec r, t) =-\psi_\uparrow^*  (\vec r, t)</math>.


Nachdem die Verletzung der CP-Symmetrie in den [[B-Meson]]-Fabriken [[BaBar-Experiment|BaBar]] und [[Belle-Experiment|Belle]] 2002 bestätigt wurde, gelang 2012 aus der Nachanalyse von alten BaBar-Daten auch der direkte Nachweis der T-Verletzung.<ref>[http://prl.aps.org/abstract/PRL/v109/i21/e211801 J. P. Lees u.&nbsp;a. ''Observation of Time-Reversal Violation in the B0 Meson System'', Phys. Rev. Lett., Band 109, 2012, S. 211801]</ref><ref>[http://www.pro-physik.de/details/news/3732621/Zeitasymmetrie_erstmals_direkt_nachgewiesen.html Dirk Eidemüller ''Zeitasymmetrie erstmals direkt nachgewiesen'', Pro Physik, November 2012]</ref>
Es werden also
# die [[konjugiert komplex]]en Wellenfunktionen gebildet <math>(\psi\to\psi^*)</math>,
# up- und down-Spinkomponenten vertauscht <math>(\uparrow\Longleftrightarrow\downarrow\,)</math> und
# die „Phasenfaktoren“&nbsp;+1 bzw.&nbsp;−1 angebracht, was der üblichen „Winkelhalbierung“ beim Übergang von [[Vektor]]en zu Spinoren entspricht, nämlich
::<math>\exp \left (i \tfrac {0^\circ}  2 \right ) = +1</math> und
::<math>\exp \left (i \tfrac {360^\circ} 2 \right ) = -1</math>.


==Mathematische Darstellung==
== Literatur ==
Die mathematische Darstellung in der Quantenphysik ist subtil: Meist geht man von dem Fall aus, dass man wie in der nichtrelativistischen Physik mit einem Zweierspinor arbeitet, also den Zustand des Systems  durch zwei Wellenfunktionen <math>\psi_1(\vec r,t)=\psi_\uparrow (\vec r, t)</math> und <math>\psi_2(\vec r,t)=+\psi_\downarrow (\vec r, t)</math> beschreibt. Der „zeitlich invertierte“ Zweierspinor ist dann die Größe mit den beiden Komponenten <math>(\mathcal T\psi )_1(\vec r, t)=\psi_\downarrow^* (\vec r, t)</math> sowie <math>(\mathcal T\psi )_2(\vec r,t)=-\psi_\uparrow^* (\vec r, t)</math>. Das heißt: es werden erstens die konjugiert-komplexen Wellenfunktionen gebildet <math>(\psi\to\psi^*)</math>, zweitens up- und down-Spinkomponenten vertauscht <math>(\uparrow\Longleftrightarrow\downarrow\,)</math> und drittens die „Phasenfaktoren“ +1 bzw. -1 angebracht, was der üblichen „Winkelhalbierung“ beim Übergang von [[Vektor]]en zu [[Spinor]]en, nämlich  <math>\exp \left (i \tfrac {0^\circ} {2} \right ) = +1</math> und <math>\exp \left (i \tfrac {360^\circ} {2} \right ) = -1</math>, entspricht.
*[[Jörn Bleck-Neuhaus]]: ''Elementare Teilchen.'' 2. Auflage, Springer-Verlag 2012, ISBN 978-3-642-32578-6, S. 559–247
*[[Paul Davies (Physiker)|Paul Davies]]: ''Die Unsterblichkeit der Zeit.'' Scherz-Verlag 1997, S. 229–257


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Teilchenphysik]]
[[Kategorie:Teilchenphysik]]
[[Kategorie:Statistische Physik]]
[[Kategorie:Statistische Physik]]
[[Kategorie:Symmetrie (Physik)]]
[[Kategorie:Symmetrie (Physik)]]

Aktuelle Version vom 15. Juni 2021, 08:52 Uhr

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Zeitumkehr ist die Betrachtung physikalischer Vorgänge unter der Annahme, die Zeit laufe in umgekehrter Richtung. Manche Vorgänge würden davon nicht beeinflusst werden, sind also zeitumkehrinvariant: sie könnten auch zeitlich rückwärts ablaufen. In der Darstellung durch Gleichungen ist die Zeitumkehr eine Transformation, bei der die Zeit t durch −t ersetzt wird. Fast alle grundlegenden physikalischen Gesetze sind symmetrisch gegenüber einer Umkehrung der Zeit; man spricht auch von $ T $-Symmetrie.

Zeitumkehrinvarianz ist nicht zu verwechseln mit Zeitinvarianz, einem Begriff der Systemtheorie.

Makroskopische Phänomene: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

Unsere tägliche Erfahrung zeigt uns, dass es nicht umkehrbare Phänomene gibt: Wasser fließt stets bergab, Tassen zerspringen beim Hinunterfallen, und heißer Tee kühlt sich auf Zimmertemperatur ab. Bei vielen Phänomenen, etwa der relativen Bewegung von Körpern mit Reibung oder der viskosen Strömung von Flüssigkeiten, erfolgt Dissipation von Energie, also Umwandlung von kinetischer Energie in Wärme. Diese Umwandlung wird durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf eine Richtung festgelegt (Zeitpfeil).

In einem Gedankenexperiment setzte sich James Clerk Maxwell mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auseinander. Sein Maxwellscher Dämon ist ein mikroskopischer Torwächter zwischen zwei Hälften eines Raums, der die langsamen Moleküle nur in eine Richtung, die schnellen in die andere Richtung durchlässt. Auf diese Weise würde sich die eine Hälfte des Raums auf Kosten der anderen Hälfte erwärmen. Es scheint, dass die Entropie sinkt und sich der Zeitpfeil umkehrt. Eine genauere Untersuchung unter Einbeziehung des Dämons zeigt jedoch, dass die Gesamtentropie von Raum und Dämon zunimmt.

Der wissenschaftliche Konsens ist heute die Interpretation von Ludwig Boltzmann und Claude Shannon, die den Logarithmus des Phasenraumvolumens mit der Informationsentropie in Beziehung setzt. Der makroskopische Ausgangszustand in Maxwells Gedankenexperiment hat ein geringes Phasenraumvolumen, da die Position der Atome begrenzt ist. Wenn sich das System unter Einfluss von Dissipation weiterentwickelt, vergrößert sich das Phasenraumvolumen, und die Entropie steigt.

Ein anderer Standpunkt ist, dass wir „nur“ deswegen einen stetigen Anstieg der Entropie beobachten, weil der Anfangszustand des Universums eine niedrige Entropie hatte; andere mögliche Anfangszustände des Universums könnten demnach zu sinkender Entropie führen. Nach dieser Ansicht ist die makroskopische Irreversibilität ein Problem der Kosmologie: Warum begann das Universum bei niedriger Entropie? Die Frage nach dem Anfangszustand des Universums ist eine offene Frage in der aktuellen Physik.

Mikroskopische Phänomene: Zeitumkehrinvarianz

Klassische Mechanik und Elektrodynamik

In der klassischen Mechanik z. B. kehrt sich die Geschwindigkeit $ {\vec {v}} $ bei Zeitumkehr um, während die Beschleunigung $ {\vec {a}} $ unverändert bleibt. Allgemein ist ein Vorgang offenbar zeitumkehrinvariant, wenn die Zeit t nur in gerader Potenz wie t2, t4 usw. vorkommt, so dass t durch −t ersetzt werden kann. Bei der Beschreibung von Reibung tritt t jedoch in erster Potenz auf.

Die Bewegung geladener Teilchen im Magnetfeld $ {\vec {B}} $ wird bestimmt durch die Lorentz-Kraft $ {\vec {v}}\times {\vec {B}} $ und scheint auf den ersten Blick nicht invariant unter Zeitumkehr zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch $ {\vec {B}} $ bei Zeitumkehr seine Richtung ändert, da ein Magnetfeld durch einen elektrischen Strom $ {\vec {J}} $ erzeugt wird, der seine Richtung bei Zeitumkehr ebenfalls umkehrt. Damit ist die Bewegung geladener Teilchen im elektromagnetischen Feld symmetrisch gegenüber Zeitumkehr, ebenso wie die Gravitationsgesetze.

Quantenphysik

Die quantenmechanische Kinematik kann durch die Metrik des speziell-relativistischen Minkowskiraums gekennzeichnet sein; diese Metrik ist zeitumkehrinvariant. Dagegen verletzen die Bahnen der Teilchen in diesem Raum unter Umständen, z. B. beim β-Zerfall, unter dem Einfluss der Wechselwirkungspotentiale die Zeitumkehrinvarianz. Wie in der klassischen Kinematik, die durch die newtonschen Gesetze der Bewegung beschrieben wird, sagt auch hier die Kinematik nichts über die Zeitumkehrinvarianz der Dynamik aus. Die Dynamik kann die Zeitinvarianz verletzen, obwohl man den kinematischen Größen dieses Verhalten nicht ansieht.

Eine grundlegende Verletzung der Zeitumkehrinvarianz wurde für die schwache Wechselwirkung (β-Zerfall u. a.) 1956 indirekt entdeckt. Es wurde eine leichte Verletzung der CP-Invarianz (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von Ladung und Parität geändert werden) beobachtet. Daraus folgt auch die Verletzung der Zeitumkehrinvarianz, sofern man das CPT-Theorem (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von Ladung, Parität und Zeit geändert werden) als gültig voraussetzt.

Nachdem die Verletzung der CP-Symmetrie in den B-Meson-Fabriken BaBar und Belle 2002 bestätigt worden war, gelang 2012 aus der Nachanalyse alter BaBar-Daten auch der direkte Nachweis der T-Verletzung.[1][2]

Mathematische Darstellung

Beschreibt man den Zustand des Systems mit einem Zweierspinor, also durch zwei Wellenfunktionen

$ \psi _{1}({\vec {r}},t)=\psi _{\uparrow }({\vec {r}},t) $ und
$ \psi _{2}({\vec {r}},t)=+\psi _{\downarrow }({\vec {r}},t) $,

dann hat der „zeitlich invertierte“ Zweierspinor die Komponenten

$ ({\mathcal {T}}\psi )_{1}({\vec {r}},t)=\psi _{\downarrow }^{*}({\vec {r}},t) $ und
$ ({\mathcal {T}}\psi )_{2}({\vec {r}},t)=-\psi _{\uparrow }^{*}({\vec {r}},t) $.

Es werden also

  1. die konjugiert komplexen Wellenfunktionen gebildet $ (\psi \to \psi ^{*}) $,
  2. up- und down-Spinkomponenten vertauscht $ (\uparrow \Longleftrightarrow \downarrow \,) $ und
  3. die „Phasenfaktoren“ +1 bzw. −1 angebracht, was der üblichen „Winkelhalbierung“ beim Übergang von Vektoren zu Spinoren entspricht, nämlich
$ \exp \left(i{\tfrac {0^{\circ }}{2}}\right)=+1 $ und
$ \exp \left(i{\tfrac {360^{\circ }}{2}}\right)=-1 $.

Literatur

  • Jörn Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. 2. Auflage, Springer-Verlag 2012, ISBN 978-3-642-32578-6, S. 559–247
  • Paul Davies: Die Unsterblichkeit der Zeit. Scherz-Verlag 1997, S. 229–257

Einzelnachweise