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[[Datei:Phasendiagramme.svg|mini|Phasendiagramm eines „gewöhnlichen“ Stoffes und des Wassers]] | [[Datei:Phasendiagramme.svg|mini|Phasendiagramm eines „gewöhnlichen“ Stoffes und des Wassers]] | ||
Der '''Siedepunkt''' (Abkürzung: '''Sdp.'''), '''Verdampfungspunkt''' oder auch '''Kochpunkt''' (Abkürzung: '''Kp.''') eines [[Reinstoff]]es ist ein Wertepaar in dessen [[Phasendiagramm]] und besteht aus zwei [[Physikalische Größe|Größen]]: | Der '''Siedepunkt''' (Abkürzung: '''Sdp.'''), '''Verdampfungspunkt''' oder auch '''Kochpunkt''' (Abkürzung: '''Kp.''') eines [[Reinstoff]]es ist ein Wertepaar in dessen [[Phasendiagramm]] und besteht aus zwei [[Physikalische Größe|Größen]]: der [[Sättigungstemperatur]] (speziell auch '''Siedetemperatur''') und dem [[Sättigungsdampfdruck]] (speziell auch '''Siededruck''') an der [[Phasengrenzlinie]] zwischen [[Gas]] und [[Flüssigkeit]]. Er setzt sich also aus den beiden [[Zustandsgröße]]n [[Druck (Physik)|Druck]] und [[Temperatur]] beim Übergang eines Stoffes vom flüssigen in den gasförmigen [[Aggregatzustand]] zusammen. | ||
Bei einer offenen Flüssigkeit ist der Siedepunkt daher der Punkt auf der Temperaturskala, bei der der Dampfdruck gleich dem atmosphärischen Druck ist. | Bei einer offenen Flüssigkeit ist der Siedepunkt daher der Punkt auf der Temperaturskala, bei der der Dampfdruck gleich dem atmosphärischen Druck ist. | ||
Der Siedepunkt stellt die Bedingungen dar, die beim [[Phasenübergang]] eines [[Chemischer Stoff|Stoffes]] von der flüssigen in die gasförmige [[Phase (Materie)|Phase]] vorliegen, was man als [[Sieden | Der Siedepunkt stellt die Bedingungen dar, die beim [[Phasenübergang]] eines [[Chemischer Stoff|Stoffes]] von der flüssigen in die gasförmige [[Phase (Materie)|Phase]] vorliegen, was man als [[Sieden]] bezeichnet.<ref name="ChemgaPedia">ChemgaPedia: [http://www.chemgapedia.de/vsengine/popup/vsc/de/glossar/s/si/siedepunkt.glos.html Glossar: Siedepunkt].</ref> Zudem ist er für den umgekehrten Vorgang der [[Kondensation]], allerdings nur bei Reinstoffen, identisch mit dem | ||
[[Kondensationspunkt (Physik)|Kondensationspunkt]]. Beim Verdampfen eines Stoffgemisches kommt es zu einem veränderten Siedeverhalten, und man beobachtet einen [[#Homogene Mehrstoffsysteme|Siedebereich]] anstatt eines einzelnen Siedepunktes. Bei einem Phasenübergang von der flüssigen in die gasförmige Phase unterhalb des Siedepunktes spricht man von einer [[Verdunstung]]. | [[Kondensationspunkt (Physik)|Kondensationspunkt]]. Beim Verdampfen eines Stoffgemisches kommt es zu einem veränderten Siedeverhalten, und man beobachtet einen [[#Homogene Mehrstoffsysteme|Siedebereich]] anstatt eines einzelnen Siedepunktes. Bei einem Phasenübergang von der flüssigen in die gasförmige Phase unterhalb des Siedepunktes spricht man von einer [[Verdunstung]]. | ||
In Tabellenwerken werden die Siedetemperaturen bei [[Normalbedingungen|Normaldruck]] angegeben, also bei 1013,25 [[Pascal (Einheit)|hPa]]. Dieser Siedepunkt wird als ''Normalsiedepunkt''<ref name="IUPAC">''[[Pure and Applied Chemistry|Pure Appl. Chem.]]'', Vol. 54, No. 6, S. | In Tabellenwerken werden die Siedetemperaturen bei [[Normalbedingungen|Normaldruck]] angegeben, also bei 1013,25 [[Pascal (Einheit)|hPa]]. Dieser Siedepunkt wird als ''Normalsiedepunkt''<ref name="IUPAC">''[[Pure and Applied Chemistry|Pure Appl. Chem.]]'', Vol. 54, No. 6, S. 1239–1250, 1982. [http://www.iupac.org/publications/pac/1982/pdf/5406x1239.pdf Volltext] (PDF-Datei; 227 kB).</ref>, die angegebene Siedetemperatur als ''Normalsiedetemperatur'' (''T<sub>Sied</sub>'') bezeichnet. Ein Verfahren zu dessen Abschätzung ist die [[Pailhes-Methode]], während die [[Guldberg-Regel]] einen Zusammenhang mit der [[Kritischer Punkt (Thermodynamik)|kritischen Temperatur]] herstellt. | ||
Der Begriff ''Siedepunkt'' wird dabei häufig als Kurzform für die ''Normalsiedetemperatur'' verwendet und stellt daher im allgemeinen Sprachgebrauch meist deren [[Synonymie|Synonym]] dar, was jedoch den Siedepunkt auf nur ein einziges Wertepaar reduzieren würde und daher formal inkorrekt ist. | Der Begriff ''Siedepunkt'' wird dabei häufig als Kurzform für die ''Normalsiedetemperatur'' verwendet und stellt daher im allgemeinen Sprachgebrauch meist deren [[Synonymie|Synonym]] dar, was jedoch den Siedepunkt auf nur ein einziges Wertepaar reduzieren würde und daher formal inkorrekt ist. | ||
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== Siedevorgang == | == Siedevorgang == | ||
[[Datei:Siedepunkt.svg|mini|Temperaturänderung mit der Zeit beim Erwärmen eines flüssigen Reinstoffes]] | [[Datei:Siedepunkt.svg|mini|Temperaturänderung mit der Zeit beim Erwärmen eines flüssigen Reinstoffes]] | ||
{{Hauptartikel|Verdampfen| | [[Datei:11. Температурата и вриењето на течност.ogv|mini|Mittels [[Vakuumpumpe]] wird Wasser bei Raumtemperatur zum Sieden gebracht]] | ||
{{Hauptartikel|Verdampfen|Verdampfungsenthalpie|Siedeverzug}} | |||
Unterhalb und oberhalb des Siedepunktes führt eine Erwärmung der Flüssigkeit bzw. des Gases nur zu einer Erhöhung der [[Temperatur]]. Die zugeführte Energie wird in [[Bewegungsenergie]] der Teilchen umgewandelt. Während des Phasenübergangs der Flüssigkeit zum Gas jedoch bleibt die Temperatur konstant, sofern auch der Druck konstant bleibt. Sämtliche zugeführte [[thermische Energie]] wird in die [[Zustandsänderung]] investiert. | Unterhalb und oberhalb des Siedepunktes führt eine Erwärmung der Flüssigkeit bzw. des Gases nur zu einer Erhöhung der [[Temperatur]]. Die zugeführte Energie wird in [[Bewegungsenergie]] der Teilchen umgewandelt. Während des Phasenübergangs der Flüssigkeit zum Gas jedoch bleibt die Temperatur konstant, sofern auch der Druck konstant bleibt. Sämtliche zugeführte [[thermische Energie]] wird in die [[Zustandsänderung]] investiert. | ||
Ist der Siedepunkt erreicht, so werden bei weiterer Zufuhr von Energie die chemisch-physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen gelöst | Ist der Siedepunkt erreicht, so werden bei weiterer Zufuhr von Energie die chemisch-physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen gelöst – die Teilchen treten in die Gasphase über. Die Temperatur der Flüssigkeit stagniert, da die zugeführte thermische Energie vollständig für die Lösung der [[Zwischenmolekulare Kräfte|zwischenmolekularen Bindungen]] eingesetzt wird. Die Energie, die für ein Mol des Stoffes benötigt wird, bezeichnet man auch als molare [[Verdampfungsenthalpie]], und die nicht stoffmengenbezogene Energie als Verdampfungsenthalpie. Erst wenn alle Teilchen in der Gasphase sind, steigt die Temperatur des Systems wieder an. | ||
Wasser, [[Wasserstoffperoxid]] oder [[Alkalische Lösung|Laugen]] (zum Beispiel [[Natronlauge]]) ohne Staubpartikel oder Gasbläschen lassen sich in reinen Gefäßen auch über die Siedetemperatur hinaus erwärmen, ohne dass es zum Sieden kommt. Kleinste Störungen, wie zum Beispiel Erschütterungen, die eine Durchmischung nach sich ziehen, können zu einer explosionsartigen Trennung der flüssigen von der Dampfphase führen, was man als ''Siedeverzug'' bezeichnet. Zu dessen Vermeidung fügt man bei chemischen Arbeiten Flüssigkeiten, die zu einem Siedeverzug neigen, sogenannte ''[[Siedesteinchen]]'' aus [[Ton (Bodenart)|Ton]] oder [[Bimsstein]] hinzu, die durch die Chemikalie nicht angegriffen werden, aber durch ihre poröse Struktur die Bildung kleiner Blasen erleichtern, | Wasser, [[Wasserstoffperoxid]] oder [[Alkalische Lösung|Laugen]] (zum Beispiel [[Natronlauge]]) ohne Staubpartikel oder Gasbläschen lassen sich in reinen Gefäßen auch über die Siedetemperatur hinaus erwärmen, ohne dass es zum Sieden kommt. Kleinste Störungen, wie zum Beispiel Erschütterungen, die eine Durchmischung nach sich ziehen, können zu einer explosionsartigen Trennung der flüssigen von der Dampfphase führen, was man als ''Siedeverzug'' bezeichnet. Zu dessen Vermeidung fügt man bei chemischen Arbeiten Flüssigkeiten, die zu einem Siedeverzug neigen, sogenannte ''[[Siedesteinchen]]'' aus [[Ton (Bodenart)|Ton]] oder [[Bimsstein]] hinzu, die durch die Chemikalie nicht angegriffen werden, aber durch ihre poröse Struktur die Bildung kleiner Blasen erleichtern, sodass es nicht zum Siedeverzug kommt. | ||
''Siehe auch'' : [[Verdunstung]], [[Vergasen]], [[Evaporation]], [[Transpiration]], [[Pictet-Trouton-Regel]] | ''Siehe auch'': [[Verdunstung]], [[Vergasen]], [[Evaporation]], [[Transpiration]], [[Pictet-Trouton-Regel]] | ||
== Siedepunktskurve == | == Siedepunktskurve == | ||
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Alle Temperatur-Druck-Wertepaare an der [[Phasengrenzlinie]] Gas-Flüssigkeit in einem [[Phasendiagramm]] ergeben zusammengenommen die ''Siedepunktskurve'', wobei auf ihr ein [[thermodynamisches Gleichgewicht]] herrscht. Man bezeichnet die Siedepunktskurve hierbei häufig auch als ''Siedekurve'', ''Siedelinie'', ''Siededruckkurve'' oder ''Siedepunktkurve''. Diese Kurve wird dabei von zwei Punkten begrenzt: | Alle Temperatur-Druck-Wertepaare an der [[Phasengrenzlinie]] Gas-Flüssigkeit in einem [[Phasendiagramm]] ergeben zusammengenommen die ''Siedepunktskurve'', wobei auf ihr ein [[thermodynamisches Gleichgewicht]] herrscht. Man bezeichnet die Siedepunktskurve hierbei häufig auch als ''Siedekurve'', ''Siedelinie'', ''Siededruckkurve'' oder ''Siedepunktkurve''. Diese Kurve wird dabei von zwei Punkten begrenzt: | ||
*''[[Tripelpunkt]]'' ''P''<sub>t</sub>: Ist das Druck-Temperatur-Wertepaar ''niedriger'' als die Tripel-Temperatur beziehungsweise der Tripel-Druck, so ist nur noch ein Übergang zwischen festem und gasförmigem Zustand, also eine [[Sublimation (Physik)|Sublimation]] bzw. [[Resublimation]] möglich. | * ''[[Tripelpunkt]]'' ''P''<sub>t</sub>: Ist das Druck-Temperatur-Wertepaar ''niedriger'' als die Tripel-Temperatur beziehungsweise der Tripel-Druck, so ist nur noch ein Übergang zwischen festem und gasförmigem Zustand, also eine [[Sublimation (Physik)|Sublimation]] bzw. [[Resublimation]] möglich. | ||
*''[[Kritischer Punkt (Thermodynamik)|Kritischer Punkt]]'' ''P''<sub>c</sub>: Ist das Druck-Temperatur-Wertepaar ''höher'' als die kritische Temperatur beziehungsweise der kritische Druck, so besteht zwischen der Dichte des flüssigen und der des gasförmigen Zustands kein Unterschied mehr, weshalb man sie auch nicht mehr durch eine Phasengrenzlinie trennt und den Stoff daher in diesem Zustand als ''überkritisches [[Fluid]]'' bezeichnet. | * ''[[Kritischer Punkt (Thermodynamik)|Kritischer Punkt]]'' ''P''<sub>c</sub>: Ist das Druck-Temperatur-Wertepaar ''höher'' als die kritische Temperatur beziehungsweise der kritische Druck, so besteht zwischen der Dichte des flüssigen und der des gasförmigen Zustands kein Unterschied mehr, weshalb man sie auch nicht mehr durch eine Phasengrenzlinie trennt und den Stoff daher in diesem Zustand als ''überkritisches [[Fluid]]'' bezeichnet. | ||
Das Gleichgewicht der Siedepunktskurve ist ein [[Fließgleichgewicht|dynamisches Gleichgewicht]]. Aus einer Flüssigkeit treten beständig Teilchen in die Gasphase über – sie verdampfen. Andererseits treten diese Teilchen auch wieder in die flüssige Phase ein – sie kondensieren. Das Zahlenverhältnis der aus der flüssigen Phase austretenden Teilchen und der wieder in sie eintretenden Teilchen ist hierbei sowohl von der [[Temperatur]] als auch vom [[Druck (Physik)|Druck]] abhängig: Je höher die Temperatur ist, desto mehr Teilchen verdampfen aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit (siehe [[Maxwell-Boltzmann-Verteilung]]). Je mehr Teilchen verdampfen, desto höher wird aber auch der [[Dampfdruck]], und desto mehr Teilchen kondensieren auch wieder. Ein Gleichgewicht stellt sich dann ein, wenn genauso viel Teilchen in die Gasphase übertreten, wie wieder in die flüssige Phase zurücktreten. Da in diesem Zustand die Gasphase [[Sättigung (Physik)|gesättigt]] ist, spricht man dann auch vom [[Sättigungsdampfdruck]]. Die thermodynamische Gesetzmäßigkeit, aus der sich die Siedepunktskurve quantitativ ableitet, bezeichnet man als [[Clausius-Clapeyron-Gleichung]]. Für Wasser lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Sättigungsdampfdruck und Sättigungstemperatur auch über die Näherungsgleichungen vom Typ der [[Magnus-Formel]] bestimmen. | Das Gleichgewicht der Siedepunktskurve ist ein [[Fließgleichgewicht|dynamisches Gleichgewicht]]. Aus einer Flüssigkeit treten beständig Teilchen in die Gasphase über – sie verdampfen. Andererseits treten diese Teilchen auch wieder in die flüssige Phase ein – sie kondensieren. Das Zahlenverhältnis der aus der flüssigen Phase austretenden Teilchen und der wieder in sie eintretenden Teilchen ist hierbei sowohl von der [[Temperatur]] als auch vom [[Druck (Physik)|Druck]] abhängig: Je höher die Temperatur ist, desto mehr Teilchen verdampfen aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit (siehe [[Maxwell-Boltzmann-Verteilung]]). Je mehr Teilchen verdampfen, desto höher wird aber auch der [[Dampfdruck]], und desto mehr Teilchen kondensieren auch wieder. Ein Gleichgewicht stellt sich dann ein, wenn genauso viel Teilchen in die Gasphase übertreten, wie wieder in die flüssige Phase zurücktreten. Da in diesem Zustand die Gasphase [[Sättigung (Physik)|gesättigt]] ist, spricht man dann auch vom [[Sättigungsdampfdruck]]. Die thermodynamische Gesetzmäßigkeit, aus der sich die Siedepunktskurve quantitativ ableitet, bezeichnet man als [[Clausius-Clapeyron-Gleichung]]. Für Wasser lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Sättigungsdampfdruck und Sättigungstemperatur auch über die Näherungsgleichungen vom Typ der [[Magnus-Formel]] bestimmen. | ||
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[[Datei:Sdp-H-Verb.svg|mini|hochkant=1.8|Siedepunkte einiger Wasserstoffverbindungen]] | [[Datei:Sdp-H-Verb.svg|mini|hochkant=1.8|Siedepunkte einiger Wasserstoffverbindungen]] | ||
# Der Siedepunkt ist | # Der Siedepunkt ist von der Stärke der [[Chemische Bindung|Bindungskräfte]] zwischen den kleinsten Teilchen der flüssigen Phase abhängig: Je stärker die Bindungskräfte sind, desto höher ist der Siedepunkt, da diese zunächst überwunden werden müssten. Dies wird deutlich, wenn man beispielsweise HF und HCl vergleicht: Im flüssigen [[Fluorwasserstoff]] (Siedepunkt 20 °C) bilden die Moleküle [[Wasserstoffbrückenbindung]]en aus, während im flüssigen [[Chlorwasserstoff]] (Siedepunkt −85 °C) die schwächeren [[Dipol-Dipol-Wechselwirkung]]en vorherrschen. Gleiches gilt für den vergleichsweise sehr hohen Siedepunkt des Wassers, was deutlich wird, wenn man diesen mit [[Kohlenstoffdioxid]] vergleicht und den Einfluss der Molmassen mitberücksichtigt. | ||
#Eine Abhängigkeit des Siedepunktes von der [[Molare Masse|molaren Masse]] bzw. [[Molekülmasse]] des Stoffes spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle. Häufig korrelieren größere die molare Massen mit höheren Siedepunkten, etwa aufgrund des damit verbundenen Volumen. Die molare Masse hat jedoch, anders als häufig behauptet, keinen direkten Einfluss auf die kinetische Energie,<ref>{{Literatur |Autor=Erwin Riedel |Titel=Allgemeine und Anorganische Chemie |Auflage=10 |Verlag=De gruyter Studium |Ort=Berlin / New York |Datum=2010 |ISBN=978-3-11-022781-9 |Seiten=144}}</ref> welche benötigt wird, um die zwischenmolekularen Anziehungskräfte zu überwinden.<ref>{{Literatur |Autor=Hans Peter Latscha, Helmut Alfons Klein, Martin Mutz |Titel=Allgemeine Chemie |Verlag=Springer Berlin Heidelberg |Ort=Berlin, Heidelberg |Datum=2011 |Reihe=Springer-Lehrbuch |ISBN=978-3-642-17522-0 |DOI=10.1007/978-3-642-17523-7 |Seiten=168 |Online=http://link.springer.com/10.1007/978-3-642-17523-7 |Abruf=2021-04-30}}</ref> Ein direkter Einfluss der molaren Masse auf die zwischenmolekularen Anziehungskräfte lässt sich schwer widerlegen, da andere Einflussfaktoren schwer ausgeschlossen werden können. Empirische Ergebnisse legen einen geringfügigen Einfluss nahe.<ref>{{Literatur |Autor=Michael Laing |Titel=Boiling Points of the Family of Small Molecules, CHwFxClyBrz: How Are They Related to Molecular Mass? |Sammelwerk=Journal of Chemical Education |Band=78 |Nummer=11 |Datum=2001 |ISSN=0021-9584 |DOI=10.1021/ed078p1544 |Seiten=1544 |Online=https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/ed078p1544 |Abruf=2021-04-30}}</ref> | |||
: | : Als vereinfachter Anhaltspunkt, um den Siedepunkt einzuschätzen, wird es dennoch verwendet. So wird die Beobachtung, dass Stoffe einen höheren Siedepunkt haben als ähnliche Stoffe mit höherer molaren Masse, als [[Siedepunktanomalie]] bezeichnet. | ||
: Noch schwächer als Dipol-Dipol-Wechselwirkungen sind [[ | : Noch schwächer als Dipol-Dipol-Wechselwirkungen sind [[London-Kraft|Londonsche Dispersionswechselwirkungen]]. Aus diesem Grund haben beim Vergleich alle Wasserstoffverbindungen der [[Chemisches Element|Elemente]] der [[Gruppe-14-Element|IV. Hauptgruppe]] die niedrigsten Siedepunkte. | ||
: Die Stärke der zwischenmolekularen Bindungskräfte hängt auch von der Geometrie der Moleküle ab. Siehe dazu die Siedepunkte der Homologen Reihe der [[Kohlenwasserstoffe]] oder der [[Alkohole]]. | : Die Stärke der zwischenmolekularen Bindungskräfte hängt auch von der Geometrie der Moleküle ab. Siehe dazu die Siedepunkte der Homologen Reihe der [[Kohlenwasserstoffe]] oder der [[Alkohole]]. | ||
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=== Chemische Elemente === | === Chemische Elemente === | ||
* Die niedrigste Normalsiedetemperatur aller Elemente mit | * Die niedrigste Normalsiedetemperatur aller Elemente mit −269 °C hat [[Helium]], obwohl es eine größere molare Masse als [[Wasserstoff]] mit einer Normalsiedetemperatur von −253 °C hat. Dies liegt darin begründet, dass das Wasserstoffmolekül etwas leichter zu polarisieren ist als Helium und daher auch etwas stärkere Van-der-Waals-Wechselwirkungen ausbildet. | ||
* Die höchste Normalsiedetemperatur wird in der Literatur uneinheitlich angegeben. [[Wolfram]] und [[Rhenium]] liegen beide über 5000 °C. | * Die höchste Normalsiedetemperatur wird in der Literatur uneinheitlich angegeben. [[Wolfram]] und [[Rhenium]] liegen beide über 5000 °C. | ||
* Ein Gruppenvergleich von [[Edelgase]]n, [[Nichtmetalle]]n, [[Halbmetalle]]n und [[Metalle]]n zeigt, dass Metalle einen deutlich höheren Siedepunkt als Nichtmetalle haben, da die [[Metallbindung]] (neben der Ionen- und Atombindung) die stärkste Bindung darstellt. Ausnahmen: | * Ein Gruppenvergleich von [[Edelgase]]n, [[Nichtmetalle]]n, [[Halbmetalle]]n und [[Metalle]]n zeigt, dass Metalle einen deutlich höheren Siedepunkt als Nichtmetalle haben, da die [[Metallbindung]] (neben der Ionen- und Atombindung) die stärkste Bindung darstellt. Ausnahmen: | ||
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=== Verbindungen === | === Verbindungen === | ||
Eine der niedrigsten Normalsiedetemperaturen hat [[Kohlenstoffmonoxid]] mit | Eine der niedrigsten Normalsiedetemperaturen hat [[Kohlenstoffmonoxid]] mit −191,6 °C, die höchsten weisen [[Metallcarbid]]e wie Titan(IV)-carbid ([[Titancarbid|TiC]], 4820 °C) und Wolfram(IV)-carbid ([[Wolframcarbid|WC]], 6000 °C) auf. | ||
Eine Besonderheit liegt bei [[Schwefeltrioxid]] (SO<sub>3</sub>) vor: Der Schmelzpunkt einer seiner [[Polymorphie (Materialwissenschaft)|Modifikationen]] liegt mit 62,3 °C | Eine Besonderheit liegt bei [[Schwefeltrioxid]] (SO<sub>3</sub>) vor: Der Schmelzpunkt einer seiner [[Polymorphie (Materialwissenschaft)|Modifikationen]] liegt mit 62,3 °C über der Normalsiedetemperatur von 44,8 °C des flüssigen Schwefeltrioxids. | ||
Liegt der kritische Druck unter dem Normaldruck, so kann keine Normalsiedetemperatur angegeben werden. Um die Flüssigkeit dennoch zum Sieden zu bringen, muss dies unter niedrigerem Druck geschehen. In diesem Fall muss bei der Angabe der Siedetemperatur auch der Siededruck angegeben werden, was ein weiterer Grund dafür ist, die Begriffe Normalsiedetemperatur und Siedepunkt strikt zu trennen. | Liegt der kritische Druck unter dem Normaldruck, so kann keine Normalsiedetemperatur angegeben werden. Um die Flüssigkeit dennoch zum Sieden zu bringen, muss dies unter niedrigerem Druck geschehen. In diesem Fall muss bei der Angabe der Siedetemperatur auch der Siededruck angegeben werden, was ein weiterer Grund dafür ist, die Begriffe Normalsiedetemperatur und Siedepunkt strikt zu trennen. | ||
Liegt der Druck des Tripelpunktes über dem Normaldruck, so wird statt der Normalsiedetemperatur die [[Normalsublimationstemperatur]] oder eine Siedetemperatur bei höherem Siededruck angegeben. Beispiel: [[Schwefelhexafluorid]] SF<sub>6</sub> sublimiert unter Normaldruck bei | Liegt der Druck des Tripelpunktes über dem Normaldruck, so wird statt der Normalsiedetemperatur die [[Normalsublimationstemperatur]] oder eine Siedetemperatur bei höherem Siededruck angegeben. Beispiel: [[Schwefelhexafluorid]] SF<sub>6</sub> sublimiert unter Normaldruck bei −63 °C. | ||
Viele, vor allem organische und alle makromolekularen Verbindungen zersetzen sich beim Erhitzen vor Erreichen des Siedepunktes, da ihre Verdampfungsenthalpie größer ist als die einzelnen Bindungsenergien im Molekül. | Viele, vor allem organische und alle makromolekularen Verbindungen zersetzen sich beim Erhitzen vor Erreichen des Siedepunktes, da ihre Verdampfungsenthalpie größer ist als die einzelnen Bindungsenergien im Molekül. Hier kann man keine Siedetemperatur, sondern nur die [[Zersetzungstemperatur]] angeben. Manche können allerdings unter vermindertem Druck und bei damit niedrigerer Temperatur zum Sieden gebracht werden. | ||
== Homogene Mehrstoffsysteme == | == Homogene Mehrstoffsysteme == | ||
Die Siedepunkte [[Homogenität|homogener]] [[Gemisch]]e wie [[Legierung]]en, Gasgemische oder wässrige [[Lösung (Chemie)|Lösungen]] weisen gegenüber den Reinstoffen veränderte Siedepunkte und ein verändertes Siedeverhalten auf. | Die Siedepunkte [[Homogenität (Physik)|homogener]] [[Gemisch]]e wie [[Legierung]]en, Gasgemische oder wässrige [[Lösung (Chemie)|Lösungen]] weisen gegenüber den Reinstoffen veränderte Siedepunkte und ein verändertes Siedeverhalten auf. | ||
=== Siedepunkterhöhung === | === Siedepunkterhöhung === | ||
Wird in einem [[Lösungsmittel]] ein Stoff | Wird in einem [[Lösungsmittel]] ein Stoff gelöst, dann erhöht sich der Siedepunkt des Gemisches im Vergleich zum reinen Lösungsmittel; man spricht in Bezug auf den Sättigungsdampfdruck vom [[Lösungseffekt]]. Nach dem [[Raoultsches Gesetz|Raoultschen Gesetz]] von [[François Marie Raoult]] (1830–1901) ist diese Erhöhung ΔT<sub>Sdp</sub> proportional zur Stoffmenge des gelösten Stoffes: | ||
{| class="wikitable" align="right" | {| class="wikitable" align="right" | ||
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Hierbei stehen die einzelnen [[Formelzeichen]] für folgende [[Physikalische Größe|Größen]]: | Hierbei stehen die einzelnen [[Formelzeichen]] für folgende [[Physikalische Größe|Größen]]: | ||
*''ΔT''<sub>Sdp</sub> - Siedepunktserhöhung | * ''ΔT''<sub>Sdp</sub> - Siedepunktserhöhung | ||
*''K<sub>e</sub>'' - ebullioskopische Konstante | * ''K<sub>e</sub>'' - ebullioskopische Konstante | ||
*''b'' - [[Molalität]] des gelösten Stoffes | * ''b'' - [[Molalität]] des gelösten Stoffes | ||
*''K'' - molare Siedepunktserhöhung | * ''K'' - molare Siedepunktserhöhung | ||
*''n'' - [[Stoffmenge]] | * ''n'' - [[Stoffmenge]] | ||
Der [[Proportionalität]]sfaktor ist, wie dargelegt, die ''ebullioskopische Konstante'' (auch ''Siedepunktskonstante'' ''K<sub>S</sub>''), also die Änderung des Siedepunktes von einem Kilogramm der Lösung gegenüber dem reinen Lösungsmittel, wobei die Stoffmenge des gelösten Stoffes ein [[Mol]] beträgt oder die ''molare Siedepunktserhöhung'', die weniger gebräuchlich ist und keine Aussage zur Masse trifft. | Der [[Proportionalität]]sfaktor ist, wie dargelegt, die ''ebullioskopische Konstante'' (auch ''Siedepunktskonstante'' ''K<sub>S</sub>''), also die Änderung des Siedepunktes von einem Kilogramm der Lösung gegenüber dem reinen Lösungsmittel, wobei die Stoffmenge des gelösten Stoffes ein [[Mol]] beträgt oder die ''molare Siedepunktserhöhung'', die weniger gebräuchlich ist und keine Aussage zur Masse trifft. | ||
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==== Azeotrope Gemische ==== | ==== Azeotrope Gemische ==== | ||
[[Datei:Sdp-azeo.svg|mini|Siedediagramm azeotroper Gemische<br />Sdp. 1: Siedepunkt der Reinstoffkomponente 1, Sdp. 2: Siedepunkt der Reinstoffkomponente 2, x: [[Stoffmengenanteil]] von Komponente 2 im azeotropen Gemisch]] | [[Datei:Sdp-azeo.svg|mini|Siedediagramm azeotroper Gemische<br />Sdp. 1: Siedepunkt der Reinstoffkomponente 1, Sdp. 2: Siedepunkt der Reinstoffkomponente 2, x: [[Stoffmengenanteil]] von Komponente 2 im azeotropen Gemisch]] | ||
Bei [[ | Bei [[azeotrop]]en Stoffgemischen hat die Siedetemperatur des Stoffgemisches bei einem bestimmten Stoffmengenverhältnis einen [[Extremwert]]. Dieser Wert liegt außerhalb des Temperaturintervalles, das durch die Siedetemperaturen der beiden Reinstoffe aufgespannt wird. Bei diesem besonderen Mischungsverhältnis liegt ein Siedepunkt und kein Siedebereich vor. | ||
Beispiele: | Beispiele: | ||
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Für destillative Stofftrennungen eignet sich eine Vigreuxkolonne. | Für destillative Stofftrennungen eignet sich eine Vigreuxkolonne. | ||
Bei Stoffmischungen kann es auch vorkommen, | Bei Stoffmischungen kann es auch vorkommen, dass mehrere Stoffe bei dem gleichen Siedepunkt überdestillieren, das Stoffgemisch bildet dann ein [[Azeotrop]]. | ||
''Bestimmung des Siedepunktes mit einfachen Mitteln'' | ''Bestimmung des Siedepunktes mit einfachen Mitteln'' | ||
Für einfache Ermittlungen der Siedetemperatur benötigt man ein Reagenzglas (oder einen Kolben) mit einem seitlichen Ansatzrohr mit durchbohrtem Gummistopfen und Thermometer, ein Stück Gummischlauch, ein Glasrohr, ein Paraffinbad, eine Heizquelle und ein Becherglas mit Kühlwanne. | Für einfache Ermittlungen der Siedetemperatur benötigt man ein Reagenzglas (oder einen Kolben) mit einem seitlichen Ansatzrohr mit durchbohrtem Gummistopfen und Thermometer, ein Stück Gummischlauch, ein Glasrohr, ein Paraffinbad, eine Heizquelle und ein Becherglas mit Kühlwanne. | ||
Entsprechend der Abbildung | Entsprechend der Abbildung ''Apparatur zur Bestimmung des Siedepunktes'' wird die eine entsprechende Destillationsvorrichtung aufgebaut. | ||
Das Reagenzglas mit Ansatzrohr sollte zu einem Drittel mit dem zu untersuchenden Stoff gefüllt werden. Zur Verhinderung von Siedeverzügen fügt man noch einige Siedesteinchen hinzu. | Das Reagenzglas mit Ansatzrohr sollte zu einem Drittel mit dem zu untersuchenden Stoff gefüllt werden. Zur Verhinderung von Siedeverzügen fügt man noch einige Siedesteinchen hinzu. | ||
Die untere Spitze des | Die untere Spitze des Thermometers sollte wenige Zentimeter über der Flüssigkeitsoberfläche angebracht sein. | ||
Für eine genauere Temperaturermittlung kann statt eines Quecksilberthermometers auch ein digitaler Temperaturfühler (Genauigkeit: 0,1 °C) durch den Gummistopfen eingebracht werden. | Für eine genauere Temperaturermittlung kann statt eines Quecksilberthermometers auch ein digitaler Temperaturfühler (Genauigkeit: 0,1 °C) durch den Gummistopfen eingebracht werden. | ||
Der Siedepunkt (Abkürzung: Sdp.), Verdampfungspunkt oder auch Kochpunkt (Abkürzung: Kp.) eines Reinstoffes ist ein Wertepaar in dessen Phasendiagramm und besteht aus zwei Größen: der Sättigungstemperatur (speziell auch Siedetemperatur) und dem Sättigungsdampfdruck (speziell auch Siededruck) an der Phasengrenzlinie zwischen Gas und Flüssigkeit. Er setzt sich also aus den beiden Zustandsgrößen Druck und Temperatur beim Übergang eines Stoffes vom flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand zusammen. Bei einer offenen Flüssigkeit ist der Siedepunkt daher der Punkt auf der Temperaturskala, bei der der Dampfdruck gleich dem atmosphärischen Druck ist.
Der Siedepunkt stellt die Bedingungen dar, die beim Phasenübergang eines Stoffes von der flüssigen in die gasförmige Phase vorliegen, was man als Sieden bezeichnet.[1] Zudem ist er für den umgekehrten Vorgang der Kondensation, allerdings nur bei Reinstoffen, identisch mit dem Kondensationspunkt. Beim Verdampfen eines Stoffgemisches kommt es zu einem veränderten Siedeverhalten, und man beobachtet einen Siedebereich anstatt eines einzelnen Siedepunktes. Bei einem Phasenübergang von der flüssigen in die gasförmige Phase unterhalb des Siedepunktes spricht man von einer Verdunstung.
In Tabellenwerken werden die Siedetemperaturen bei Normaldruck angegeben, also bei 1013,25 hPa. Dieser Siedepunkt wird als Normalsiedepunkt[2], die angegebene Siedetemperatur als Normalsiedetemperatur (TSied) bezeichnet. Ein Verfahren zu dessen Abschätzung ist die Pailhes-Methode, während die Guldberg-Regel einen Zusammenhang mit der kritischen Temperatur herstellt. Der Begriff Siedepunkt wird dabei häufig als Kurzform für die Normalsiedetemperatur verwendet und stellt daher im allgemeinen Sprachgebrauch meist deren Synonym dar, was jedoch den Siedepunkt auf nur ein einziges Wertepaar reduzieren würde und daher formal inkorrekt ist.
Bei einem Schnellkochtopf macht man sich beispielsweise zunutze, dass die Siedetemperatur und der Siededruck voneinander abhängen. Durch eine Druckerhöhung von meist einem Bar (1000 hPa) erreicht man auf diese Weise eine Steigerung der Siedetemperatur des Wassers von 100 °C auf ungefähr 120 °C. Beide Temperaturen stellen Siedetemperaturen dar, jedoch ist nur der Wert von 100 °C auch die Siedetemperatur unter Normaldruck und somit die Normalsiedetemperatur. Eine Vermischung beider Begriffe ist daher unspezifisch, keineswegs selbstverständlich und sollte vermieden werden.
Unterhalb und oberhalb des Siedepunktes führt eine Erwärmung der Flüssigkeit bzw. des Gases nur zu einer Erhöhung der Temperatur. Die zugeführte Energie wird in Bewegungsenergie der Teilchen umgewandelt. Während des Phasenübergangs der Flüssigkeit zum Gas jedoch bleibt die Temperatur konstant, sofern auch der Druck konstant bleibt. Sämtliche zugeführte thermische Energie wird in die Zustandsänderung investiert.
Ist der Siedepunkt erreicht, so werden bei weiterer Zufuhr von Energie die chemisch-physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen gelöst – die Teilchen treten in die Gasphase über. Die Temperatur der Flüssigkeit stagniert, da die zugeführte thermische Energie vollständig für die Lösung der zwischenmolekularen Bindungen eingesetzt wird. Die Energie, die für ein Mol des Stoffes benötigt wird, bezeichnet man auch als molare Verdampfungsenthalpie, und die nicht stoffmengenbezogene Energie als Verdampfungsenthalpie. Erst wenn alle Teilchen in der Gasphase sind, steigt die Temperatur des Systems wieder an.
Wasser, Wasserstoffperoxid oder Laugen (zum Beispiel Natronlauge) ohne Staubpartikel oder Gasbläschen lassen sich in reinen Gefäßen auch über die Siedetemperatur hinaus erwärmen, ohne dass es zum Sieden kommt. Kleinste Störungen, wie zum Beispiel Erschütterungen, die eine Durchmischung nach sich ziehen, können zu einer explosionsartigen Trennung der flüssigen von der Dampfphase führen, was man als Siedeverzug bezeichnet. Zu dessen Vermeidung fügt man bei chemischen Arbeiten Flüssigkeiten, die zu einem Siedeverzug neigen, sogenannte Siedesteinchen aus Ton oder Bimsstein hinzu, die durch die Chemikalie nicht angegriffen werden, aber durch ihre poröse Struktur die Bildung kleiner Blasen erleichtern, sodass es nicht zum Siedeverzug kommt.
Siehe auch: Verdunstung, Vergasen, Evaporation, Transpiration, Pictet-Trouton-Regel
Alle Temperatur-Druck-Wertepaare an der Phasengrenzlinie Gas-Flüssigkeit in einem Phasendiagramm ergeben zusammengenommen die Siedepunktskurve, wobei auf ihr ein thermodynamisches Gleichgewicht herrscht. Man bezeichnet die Siedepunktskurve hierbei häufig auch als Siedekurve, Siedelinie, Siededruckkurve oder Siedepunktkurve. Diese Kurve wird dabei von zwei Punkten begrenzt:
Das Gleichgewicht der Siedepunktskurve ist ein dynamisches Gleichgewicht. Aus einer Flüssigkeit treten beständig Teilchen in die Gasphase über – sie verdampfen. Andererseits treten diese Teilchen auch wieder in die flüssige Phase ein – sie kondensieren. Das Zahlenverhältnis der aus der flüssigen Phase austretenden Teilchen und der wieder in sie eintretenden Teilchen ist hierbei sowohl von der Temperatur als auch vom Druck abhängig: Je höher die Temperatur ist, desto mehr Teilchen verdampfen aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit (siehe Maxwell-Boltzmann-Verteilung). Je mehr Teilchen verdampfen, desto höher wird aber auch der Dampfdruck, und desto mehr Teilchen kondensieren auch wieder. Ein Gleichgewicht stellt sich dann ein, wenn genauso viel Teilchen in die Gasphase übertreten, wie wieder in die flüssige Phase zurücktreten. Da in diesem Zustand die Gasphase gesättigt ist, spricht man dann auch vom Sättigungsdampfdruck. Die thermodynamische Gesetzmäßigkeit, aus der sich die Siedepunktskurve quantitativ ableitet, bezeichnet man als Clausius-Clapeyron-Gleichung. Für Wasser lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Sättigungsdampfdruck und Sättigungstemperatur auch über die Näherungsgleichungen vom Typ der Magnus-Formel bestimmen.
Beispielhafter Ausgangspunkt: Wasser befindet sich im Gleichgewicht mit seiner Gasphase beim Siedepunkt 80 °C und einem Druck von 474 hPa:
Die Reaktionen des Systems auf die Änderungen einzelner Zustandsgrößen laufen auf eine Verschiebung der Gleichgewichtslage hinaus: Es läuft derjenige Phasenübergang verstärkt ab, der die Störung wieder rückgängig macht (siehe Prinzip vom kleinsten Zwang).
Siedepunkte | ||||
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Minimum | Maximum | Durchschnitt | Grafische Veranschaulichung | |
Edelgase | −269 | −62 | −170,5 | |
Nichtmetalle | −253 | 4827 | 414,1 | |
Halbmetalle | 335 | 3900 | 1741,5 | |
Metalle | 357 | >5000 | 2755,9 |
Eine der niedrigsten Normalsiedetemperaturen hat Kohlenstoffmonoxid mit −191,6 °C, die höchsten weisen Metallcarbide wie Titan(IV)-carbid (TiC, 4820 °C) und Wolfram(IV)-carbid (WC, 6000 °C) auf.
Eine Besonderheit liegt bei Schwefeltrioxid (SO3) vor: Der Schmelzpunkt einer seiner Modifikationen liegt mit 62,3 °C über der Normalsiedetemperatur von 44,8 °C des flüssigen Schwefeltrioxids.
Liegt der kritische Druck unter dem Normaldruck, so kann keine Normalsiedetemperatur angegeben werden. Um die Flüssigkeit dennoch zum Sieden zu bringen, muss dies unter niedrigerem Druck geschehen. In diesem Fall muss bei der Angabe der Siedetemperatur auch der Siededruck angegeben werden, was ein weiterer Grund dafür ist, die Begriffe Normalsiedetemperatur und Siedepunkt strikt zu trennen.
Liegt der Druck des Tripelpunktes über dem Normaldruck, so wird statt der Normalsiedetemperatur die Normalsublimationstemperatur oder eine Siedetemperatur bei höherem Siededruck angegeben. Beispiel: Schwefelhexafluorid SF6 sublimiert unter Normaldruck bei −63 °C.
Viele, vor allem organische und alle makromolekularen Verbindungen zersetzen sich beim Erhitzen vor Erreichen des Siedepunktes, da ihre Verdampfungsenthalpie größer ist als die einzelnen Bindungsenergien im Molekül. Hier kann man keine Siedetemperatur, sondern nur die Zersetzungstemperatur angeben. Manche können allerdings unter vermindertem Druck und bei damit niedrigerer Temperatur zum Sieden gebracht werden.
Die Siedepunkte homogener Gemische wie Legierungen, Gasgemische oder wässrige Lösungen weisen gegenüber den Reinstoffen veränderte Siedepunkte und ein verändertes Siedeverhalten auf.
Wird in einem Lösungsmittel ein Stoff gelöst, dann erhöht sich der Siedepunkt des Gemisches im Vergleich zum reinen Lösungsmittel; man spricht in Bezug auf den Sättigungsdampfdruck vom Lösungseffekt. Nach dem Raoultschen Gesetz von François Marie Raoult (1830–1901) ist diese Erhöhung ΔTSdp proportional zur Stoffmenge des gelösten Stoffes:
Lösungsmittel | ebullioskopische Konstante in K · kg/mol[6] |
---|---|
Wasser | 0,513 |
Methanol | 0,86 |
Ethanol | 1,23 |
Phenol | 3,54 |
Essigsäure | 3,22 |
Benzol | 2,64 |
Schwefelkohlenstoff | 2,42 |
Kohlenstofftetrachlorid | 5,26 |
Cyclohexan | 2,92 |
Hierbei stehen die einzelnen Formelzeichen für folgende Größen:
Der Proportionalitätsfaktor ist, wie dargelegt, die ebullioskopische Konstante (auch Siedepunktskonstante KS), also die Änderung des Siedepunktes von einem Kilogramm der Lösung gegenüber dem reinen Lösungsmittel, wobei die Stoffmenge des gelösten Stoffes ein Mol beträgt oder die molare Siedepunktserhöhung, die weniger gebräuchlich ist und keine Aussage zur Masse trifft.
So steigt beispielsweise der Siedepunkt eines Kilogramms Wasser um 0,51 K auf 100,51 °C, wenn man genau ein Mol irgendeines anderen Stoffes darin auflöst, vorausgesetzt, der Stoff löst sich in Wasser und ist nicht flüchtig. Löst man zwei Mol in einem Kilogramm Wasser auf, so siedet das Wasser erst bei 100 °C + 2 × 0,51 °C = 101,02 °C.
Es ist dabei zu beachten, dass Salze in wässriger Lösung dissoziieren. Natriumchlorid zerfällt zum Beispiel in die Ionen Na+ und Cl−. Die Siedepunkterhöhung ist daher (in verdünnten Lösungen) doppelt so hoch wie zunächst erwartet.
Ein praktisches Beispiel: Nudelwasser hat einen typischen Kochsalzgehalt von 10 g/kg. Bei einer Molmasse von 58,4 g/mol entspricht dies, zusammen mit oben erwähnter Verdopplung, 0,34 mol/kg Ionen. Durch den Salzgehalt ergibt sich also eine Siedepunkterhöhung von nur etwa 0,17 K.
Das Raoultsche Gesetz gilt nur für „ideale“ Lösungen, das sind Lösungen, bei denen ein Stoff nur physikalisch gelöst wird. Bei „nichtidealen“ Lösungen treten während des Mischens energetische Erscheinungen (Erwärmung oder Abkühlung) auf, die in der Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen oder durch Protolysen hervorgerufen werden. Dadurch ergeben sich Abweichungen vom Raoultschen Gesetz. Nur in sehr starker Verdünnung gilt die Formel auch bei „nichtidealen“ Lösungen in Annäherung, weshalb man im Falle der idealen Lösung auch von einer unendlich verdünnten Lösung spricht. Die Siedepunktserhöhung ist zudem eine kolligative Eigenschaft und hängt daher zwar von der Teilchenzahl des gelösten Stoffes, nicht jedoch von dessen Art ab. Über eine Umstellung der obigen Formel kann die Siedepunktserhöhung auch zur Molmassebestimmung dienen, was man als Ebullioskopie bezeichnet.
Ebenso von der Konzentration der gelösten Stoffe abhängig ist der Schmelzpunkt, weshalb man auch von einer Schmelzpunkterniedrigung spricht. Ursache für diese Effekte ist ebenfalls eine Erniedrigung des chemischen Potentials. Kombiniert man Siedepunkterhöhung und Schmelzpunkterniedrigung, so zeigt sich insgesamt eine Ausdehnung des thermodynamischen Zustandsbereiches der Flüssigkeit zu Lasten der anderen Aggregatzustände.
Wird eine zeotrope Mischung zweier Flüssigkeiten erhitzt, so beginnt sie bei einer Temperatur oberhalb der Siedetemperatur des Leichtsieders, also desjenigen Bestandteils mit der niedrigeren Siedetemperatur, zu sieden. Beim Sieden gehen gleichzeitig beide Bestandteile in die Gasphase über. Dabei hat der Leichtsieder im austretenden Dampf eine höhere Konzentration, als seiner Konzentration im flüssigen Gemisch entspricht. Deshalb reichert sich in der Flüssigkeit der Schwersieder an und die Siedetemperatur steigt kontinuierlich bis zum Siedepunkt des Schwersieders. Man spricht in diesem Fall von einem Siedebereich (auch Siedeintervall, Siedegrenze) des Gemisches und nicht mehr von einem Siedepunkt.[7]
Die Abhängigkeit der Siedetemperatur von dem Verhältnis der flüssigen Bestandteile und das jeweils zugehörige Verhältnis im verdampfenden Gas werden im Siedediagramm (rechts) dargestellt. Der freie Bereich in der Mitte, in dem weder Gas noch Flüssigkeit existieren können, wird wegen seiner Form Siedelinse genannt. Am rechten Rand ist der Siedebereich einer Lösung mit 50 % Stoffmengenanteil markiert.
Dieses Verhalten wird technisch genutzt, um Konzentrationen von Einzelkomponenten in Gemischen durch Destillation oder Rektifikation zu erhöhen.
Bei azeotropen Stoffgemischen hat die Siedetemperatur des Stoffgemisches bei einem bestimmten Stoffmengenverhältnis einen Extremwert. Dieser Wert liegt außerhalb des Temperaturintervalles, das durch die Siedetemperaturen der beiden Reinstoffe aufgespannt wird. Bei diesem besonderen Mischungsverhältnis liegt ein Siedepunkt und kein Siedebereich vor.
Beispiele:
Das Siedeverhalten des Wassers führt unter den physikalischen Bedingungen auf der Erde dazu, dass Wasser in großen Mengen als Flüssigkeit existiert. Dies ist eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Entwicklung von Lebewesen.
Bei einem niedrigeren Luftdruck oder höheren Temperaturen des Wassers wäre dies anders und würde dazu führen, dass Gewässer binnen kürzester Zeit verdampfen und somit auch eine wichtige Bedingung für das Leben überhaupt, nämlich flüssiges Wasser, wesentlich seltener anzutreffen wäre. Bei einem höheren Luftdruck bzw. einer niedrigeren Temperatur würde jedoch immer weniger Wasser verdunsten können, und somit würde die Voraussetzung für Niederschläge, nämlich gasförmiges Wasser in der Atmosphäre, immer seltener, was beispielsweise eine Einschränkung der Süßwasservorkommen nach sich ziehen würde.
Der Siedepunkt ist eine Stoffeigenschaft. Die Kenntnis des Siedepunktes ermöglicht Rückschlüsse auf den vorliegenden Stoff. In Nachschlagewerken (z. B. CRC Handbook of Chemistry and Physics oder Taschenbuch für Chemiker und Physiker) befinden sich Tabellen über Siedepunkte von Stoffen und Stoffgemischen. Aus den Tabellenwerten kann man die vermuteten Verbindungen häufig abschätzen.
Der Siedepunkt kann auch als ein Kriterium der Stoffreinheit eines bekannten Stoffes genutzt werden. Für destillative Stofftrennungen eignet sich eine Vigreuxkolonne.
Bei Stoffmischungen kann es auch vorkommen, dass mehrere Stoffe bei dem gleichen Siedepunkt überdestillieren, das Stoffgemisch bildet dann ein Azeotrop.
Bestimmung des Siedepunktes mit einfachen Mitteln
Für einfache Ermittlungen der Siedetemperatur benötigt man ein Reagenzglas (oder einen Kolben) mit einem seitlichen Ansatzrohr mit durchbohrtem Gummistopfen und Thermometer, ein Stück Gummischlauch, ein Glasrohr, ein Paraffinbad, eine Heizquelle und ein Becherglas mit Kühlwanne. Entsprechend der Abbildung Apparatur zur Bestimmung des Siedepunktes wird die eine entsprechende Destillationsvorrichtung aufgebaut.
Das Reagenzglas mit Ansatzrohr sollte zu einem Drittel mit dem zu untersuchenden Stoff gefüllt werden. Zur Verhinderung von Siedeverzügen fügt man noch einige Siedesteinchen hinzu. Die untere Spitze des Thermometers sollte wenige Zentimeter über der Flüssigkeitsoberfläche angebracht sein. Für eine genauere Temperaturermittlung kann statt eines Quecksilberthermometers auch ein digitaler Temperaturfühler (Genauigkeit: 0,1 °C) durch den Gummistopfen eingebracht werden.
Für eine sehr exakte Bestimmung des Siedepunktes müssen zwei mögliche Fehlerquellen beachtet werden: