Das elektrische Dipolmoment des Neutrons (englisch Neutron electric dipole moment nEDM) ist ein Maß für die Verteilung positiver und negativer Ladungen innerhalb des Neutrons. Ein von null verschiedenes Dipolmoment kann nur existieren, wenn die Zentren der positiven und negativen Ladungsverteilungen innerhalb des Teilchens nicht zusammenfallen. Anhand des gemessenen Wertes lassen sich das Standardmodell bzw. seine Erweiterungen überprüfen. Bisher konnte das nEDM nicht nachgewiesen werden. Die obere Grenze liegt derzeit bei dn < 1,3·10−26 e·cm.[1]
Ein permanentes elektrisches Dipolmoment eines Elementarteilchens verletzt die Invarianz der Parität (P) und der Zeitumkehr (T). Dies kann man sich folgendermaßen klarmachen: Da bei Elementarteilchen die einzige ausgezeichnete Richtung die des Spins ist, muss auch das elektrische Dipolmoment in Richtung des Spins zeigen. Es gilt also $ {\vec {d}}_{n}=|d_{n}|\cdot {\frac {\vec {s}}{|{\vec {s}}|}} $. Die Energie, die ein elektrischer Dipol aufgrund dieses Dipolmoments erzeugt, ist dann $ \Delta E=|d_{n}|\cdot {\frac {\vec {s}}{|{\vec {s}}|}}\cdot {\vec {E}} $. Führt man nun eine P-Transformation durch, ändert sich das Vorzeichen dieser Energie (wodurch P verletzt wird), da der Spin als Axialvektor unverändert bleibt, das elektrische Feld aber sein Vorzeichen ändert. Bei einer T-Transformation hingegen bleibt das elektrische Feld unverändert, aber der Spin ändert sein Vorzeichen, wodurch sich erneut das Vorzeichen der Energie ändert, womit auch T verletzt ist.[2] Nach dem CPT-Theorem bedeutet das auch eine CP-Verletzung.
Wie zuvor gezeigt braucht man Prozesse, die die CP-Symmetrie verletzen, um ein endliches nEDM zu erzeugen. CP-Verletzungen wurden bei Prozessen der schwachen Wechselwirkung beobachtet und sind über die CP-verletzende-Phase der CKM-Matrix im Standardmodell eingebaut. Die Stärke der CP-Verletzung ist jedoch sehr klein und der Beitrag zum nEDM demnach nur von der Größenordnung 10−32 e·cm.[3]
Aus der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie im Universum kann eine deutliche Verletzung der CP-Invarianz gefolgert werden. Der Nachweis eines nEDM, das einen höheren Wert hat als vom Standardmodell vorhergesagt, würde diesen Verdacht bestätigen und zum Verständnis der CP-verletzenden Prozesse beitragen.
Da das Neutron aus Quarks besteht, ist es anfällig für CP-Verletzungen der starken Wechselwirkung. Die Quantenchromodynamik – die theoretische Beschreibung der starken Wechselwirkung – beinhaltet bereits von Natur aus einen Term, der die CP-Symmetrie bricht. Die Größe dieses Terms ist durch den Winkel θ charakterisiert. Das aktuelle Limit für das nEDM beschränkt diesen Winkel auf weniger als 10−10 rad. Dass dieser Winkel nicht, wie eigentlich erwartet, die Größenordnung 1 hat, ist als Starkes CP-Problem bekannt.
Supersymmetrische Erweiterungen des Standardmodells, wie z. B. das MSSM (Minimales supersymmetrisches Standardmodell), führen gewöhnlich auf eine hohe CP-Verletzung. Typische Vorhersagen für das Elektrische Dipolmoment des Neutrons liegen hier zwischen 10−25 e·cm und 10−28 e·cm[4][5]. Wie bei der starken Wechselwirkung ist auch bei supersymmetrischen Theorien die CP-verletzende Phase durch das obere Limit des nEDMs eingeschränkt, bisher allerdings nicht im selben Maße.
Um das elektrische Dipolmoment des Neutrons zu bestimmen, misst man die Larmorpräzession des Neutronenspins in der Gegenwart paralleler und antiparalleler magnetischer und elektrischer Felder. Die Präzessionsfrequenz für beide Fälle ist gegeben durch
Der Ausdruck setzt sich zusammen aus dem Beitrag der Präzession, aufgrund des magnetischen Moments, im Magnetfeld und dem Beitrag der Präzession, aufgrund des elektrischen Dipolmoments, im elektrischen Feld. Aus der Differenz beider Frequenzen lässt sich nun das nEDM bestimmen:
Die größte Herausforderung des Experiments (und die größte Quelle systematischer Fehler) ist es, sicherzustellen, dass sich das magnetische Feld während der beiden Messungen nicht ändert.
Die ersten Experimente, die nach dem nEDM gesucht haben, benutzten Strahlen thermischer (und später kalter) Neutronen, um die Messungen durchzuführen. Den Anfang machte das Experiment von Smith, Purcell und Ramsay im Jahre 1951 (veröffentlicht im Jahre 1957), das eine obere Grenze von dn = 5·10−20 e·cm als Ergebnis hatte.[6]
Neutronenstrahlen wurden noch bis 1977 für nEDM-Experimente verwendet, dann wurden aber die systematischen Fehler, die von den hohen Geschwindigkeiten der Neutronen herrühren, zu groß. Das endgültige Limit, das mit einem Neutronenstrahl erreicht wurde beträgt dn = 3·10−24 e·cm.[7]
Danach wurde mit Experimenten mit ultrakalten Neutronen weitergemacht. Das erste Experiment dieser Art wurde 1980 am Leningrad Nuclear Physics Institute durchgeführt und ergab ein oberes Limit von dn = 1,6·10−24 e·cm[8] Dieses Experiment und jenes, das 1984 am Institut Laue-Langevin begonnen wurde, verbesserten das Limit nochmal um zwei Größenordnungen und erzielten 2006 die oben genannte, bisher beste obere Grenze für das nEDM.
In den 50 Jahren, in denen solche Experimente schon durchgeführt werden, wurde der Wert für das obere Limit bereits um sechs Größenordnungen verbessert, wodurch theoretische Modelle starke Einschränkungen erhalten.[9]
Gegenwärtig gibt es weltweit mehrere Experimente, die versuchen, im Laufe der nächsten 10 Jahre das obere Limit für das nEDM auf 10−28 e·cm zu verbessern (bzw. es zum ersten Mal tatsächlich zu messen). Damit wird der gesamte Bereich abgedeckt werden, in dem das Elektrische Dipolmoment der Neutronen nach supersymmetrischen Theorien liegen könnte.