Das Bose-Einstein-Kondensat (nach Satyendranath Bose und Albert Einstein; Abkürzung BEK, englisch BEC) ist ein extremer Aggregatzustand eines Systems ununterscheidbarer Teilchen, in dem sich der überwiegende Anteil der Teilchen im selben quantenmechanischen Zustand befindet. Das ist nur möglich, wenn die Teilchen Bosonen sind und somit der Bose-Einstein-Statistik unterliegen.
Bose-Einstein-Kondensate sind makroskopische Quantenobjekte, in denen die einzelnen Bosonen vollständig delokalisiert sind. Dies wird auch als makroskopischer Quantenzustand bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit jedes Bosons, es an einem bestimmten Punkt anzutreffen, ist also überall innerhalb des Kondensates gleich. Der Zustand kann daher durch eine einzige Wellenfunktion beschrieben werden.
Daraus resultierende Eigenschaften sind Suprafluidität, Supraleitung, Suprasolidität oder Kohärenz über makroskopische Entfernungen. Letztere erlaubt Interferenzexperimente mit Bose-Einstein-Kondensaten sowie die Herstellung eines Atomlasers, den man durch kontrollierte Auskopplung eines Teils der Materiewelle aus der das Kondensat haltenden Falle erhalten kann.
Theoretisch wurde 1924 – auf der Grundlage einer Arbeit von Satyendranath Bose über die Quantenstatistik von Photonen – von Albert Einstein vorhergesagt, dass ein homogenes ideales Bose-Gas bei tiefen Temperaturen kondensiert.[1][2]
Daraufhin wurden die Supraflüssigkeits-Eigenschaften von flüssigem Helium bei Temperaturen unter 2,17 K auf die Bose-Einstein-Kondensation zurückgeführt. Allerdings ist die direkte Beobachtung des Effekts in diesem System ausgesprochen schwierig, weil hier die Wechselwirkung zwischen den Atomen nicht vernachlässigt werden kann. Daher befinden sich im Gegensatz zur Bose-Einstein-Theorie, die inzwischen experimentell nachgewiesen wurde,[3] nicht maximal 100 %, sondern nur 8 % der Atome im Grundzustand.
Auch Versuche, eine Bose-Einstein-Kondensation in einem Gas aus polarisierten Wasserstoffatomen zu erreichen, führten zunächst nicht zum Erfolg.
Die ersten Bose-Einstein-Kondensate wurden im Juni und September 1995 experimentell von Eric A. Cornell und Carl E. Wieman am JILA bzw. von Wolfgang Ketterle, Kendall Davis und Marc-Oliver Mewes am MIT hergestellt.[4] Im Jahr 2001 erhielten Cornell, Wiemann und Ketterle dafür den Nobelpreis für Physik.
Der Phasenübergang von einem klassischen atomaren Gas zu einem Bose-Einstein-Kondensat findet statt, wenn eine kritische Phasenraumdichte erreicht wird, das heißt, wenn die Dichte der Teilchen mit fast gleichem Impuls groß genug ist.
Anschaulich kann man das so verstehen: die Atome sind Quantenteilchen, deren Bewegung durch ein Wellenpaket dargestellt wird. Die Ausdehnung dieses Wellenpakets ist die thermische De-Broglie-Wellenlänge. Diese wird umso größer, je weiter die Temperatur sinkt. Erreicht die De-Broglie-Wellenlänge den mittleren Abstand zwischen zwei Atomen, so kommen die Quanteneigenschaften zum Tragen. In einem dreidimensionalen Ensemble setzt nun die Bose-Einstein-Kondensation ein. Daher ist es notwendig, die Dichte des Gases zu erhöhen und die Temperatur zu senken, um den Phasenübergang zu erreichen.
Im Rahmen der statistischen Physik lässt sich mit Hilfe der Bose-Einstein-Statistik die kritische Temperatur $ T_{\mathrm {C} } $ eines idealen Bosegases berechnen, unterhalb derer die Bose-Einstein-Kondensation einsetzt:
Dabei ist:
„Ideales Bosegas“ bedeutet, dass für die Berechnung ein unendlich ausgedehntes, homogenes, wechselwirkungsfreies Gas betrachtet wird. Der Einschluss der Atome im Fallenpotential und die Wechselwirkungen zwischen ihnen führen zu einer geringen Abweichung der tatsächlich beobachteten kritischen Temperatur von dem berechneten Wert, die Formel gibt jedoch die richtige Größenordnung wieder. Für typische, experimentell realisierbare Parameter findet man Temperaturen von deutlich weniger als 100 nK, sogenannte ultratiefe Temperaturen.
Die übliche Methode zum Erzeugen von Bose-Einstein-Kondensaten aus Atomen besteht aus zwei Phasen:
Auf diese Weise gelang es bis 2004, bei ultratiefen Temperaturen von 100 nK und darunter Bose-Einstein-Kondensation für viele verschiedene Isotope zu erreichen (7Li, 23Na, 41K, 52Cr, 85Rb, 87Rb, 133Cs und 174Yb). Auch beim Wasserstoff war man schließlich erfolgreich, wenn auch mit etwas anderen Methoden.
Dass die oben genannten Gase bosonisches und nicht – wie Festkörperphysiker oder Chemiker von Alkaliatomen erwarten würden – fermionisches Verhalten zeigen (für welches das Pauli-Prinzip gelten würde), beruht auf einem subtilen Zusammenspiel von Elektronen- und Kernspin bei ultratiefen Temperaturen: bei entsprechend niedrigen Anregungsenergien sind der halbzahlige Gesamtspin der Elektronenhülle der Atome und der ebenfalls halbzahlige Kernspin durch die schwache Hyperfeinwechselwirkung zu einem ganzzahligen Gesamtspin des Systems gekoppelt. Dagegen ist das Verhalten bei Raumtemperatur (die „Chemie“ der Systeme) allein durch den Spin der Elektronenhülle bestimmt, weil hier die thermischen Energien viel größer sind als die Hyperfeinfeld-Energien.
Im Jahr 2006 haben Demokritov und Mitarbeiter Bose-Einstein-Kondensation von Magnonen (quantisierten Spinwellen) bei Raumtemperatur erreicht, allerdings durch Anwendung von Pump-Prozessen.[5][6]
2009 ist es erstmals der PTB gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat aus Calcium-Atomen zu erzeugen. Solche Erdalkalimetalle haben – im Gegensatz zu den bisher verwendeten Alkalimetallen – einen eine Million Mal schmaleren optischen Übergang und sind dadurch für neuartige Präzisionsmessungen, z. B. von Gravitationsfeldern, verwendbar.[7]
Im November 2010 berichtete eine Forschergruppe der Universität Bonn von der Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats aus Photonen.[8] Die Photonen wurden in einem optischen Resonator zwischen zwei gekrümmten Spiegeln gefangen. Da eine Abkühlung von Photonen nicht möglich ist, wurden zur Einstellung eines thermischen Gleichgewichtes Farbstoffmoleküle in den Resonator gegeben. Die nach optischem Pumpen erfolgende Kondensation konnte in Form eines kohärenten gelben Lichtstrahls festgestellt werden. Nach Ansicht der Forschergruppe um Martin Weitz könne das photonische Bose-Einstein-Kondensat zur Herstellung kurzwelliger Laser im UV- oder Röntgenbereich genutzt werden.[9]
Das erste Bose-Einstein-Kondensat im All wurde 2017 erzeugt. Dazu wurde die Rakete MAIUS mit einem VSB-30-Triebwerk auf dem European Space and Sounding Rocket Range gestartet zu einem schwerelosen Parabelflug auf mehr als 240 km Höhe gebracht.[10] Dort wurden in einem zuvor erzeugten Ultrahochvakuum-Kammer Rubidium-Atome per Diodenlaser in einer Magneto-optischen Falle einer Evaporativen Kühlung bis auf nahezu Absoluten Nullpunkt unterzogen.[11] Das Bose-Einstein-Kondensat wurde dann per Atom-Chip erzeugt. Es wurde unter Schwerelosigkeit aus der Mitte der Falle entlassen, bevor per Magnetfeld kurz ein Harmonisches Potential angelegt und die Zustände per Mach-Zehnder-Interferometer gemessen wurden. Die Mission war ein Kooperationsprojekt, an dem unter Federführung der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover folgende Einrichtungen beteiligt waren: Humboldt-Universität zu Berlin, Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik, ZARM, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Universität Hamburg, Universität Ulm, Technische Universität Darmstadt, Simulations- und Softwaretechnik Braunschweig und die Mobile Raketenbasis.
Der Nachweis, dass tatsächlich ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugt wurde, erfolgt bei atomaren Gasen meistens mit Hilfe von Absorptions-Abbildungen nach einer Flugzeit.
Dazu wird die Falle, in der das Gas gefangen war, schlagartig abgeschaltet. Daraufhin expandiert die Gaswolke und wird nach einer Flugzeit mit resonantem Laserlicht bestrahlt. Die Photonen des Strahls werden von den Atomen der Gaswolke gestreut, der Strahl also effektiv geschwächt. Der entstandene (Halb-)Schatten kann mit einer empfindlichen CCD-Kamera aufgenommen werden, aus seinem Bild lässt sich die Dichteverteilung der Gaswolke rekonstruieren.
Diese ist für Bose-Einstein-Kondensate anisotrop, während ein klassisches Gas im thermischen Gleichgewicht immer isotrop expandiert. In vielen Fällen ist die Dichteverteilung parabelförmig, was sich als Konsequenz der Wechselwirkung zwischen den Atomen verstehen lässt und das Bose-Einstein-Kondensat von einem idealen Bosegas unterscheidet.