Die Elektrokrampftherapie (abgekürzt EKT, auch Elektrokonvulsionstherapie) ist eine Behandlung für besonders schwere, therapieresistente Depressionen und katatone Zustände bei Schizophrenie. Mit wenige Sekunden andauernden Stromimpulsen wird in Kurznarkose beispielsweise mit Methohexital, Propofol oder Etomidat[1] und unter Muskelrelaxation ein epileptischer Anfall ausgelöst, der für den Patienten nicht spürbar und nach außen nicht sichtbar ist. Der Krampfanfall sollte etwa 30 Sekunden andauern, um therapeutisch wirksam zu sein. Während der Narkose wird der Patient anästhesiologisch überwacht und mit Sauerstoff beatmet. Üblich sind 8–12 Behandlungen in einem Abstand von zwei bis drei Tagen.[2]
Im Laufe der Jahrzehnte wurden kontinuierlich technische Verbesserungen, strenge Sicherheitsbestimmungen, qualitätssichernde Maßnahmen und juristische Rahmenbedingungen eingeführt. Medizinische Fachgesellschaften verschiedener Länder haben ihre positive Haltung zur Elektrokrampftherapie in Stellungnahmen dokumentiert.[3][4][5][6][7]
Die Elektrokrampftherapie wird vor allem bei schwerer therapieresistenter und bei schwerer wahnhafter Depression eingesetzt, außerdem bei akut lebensbedrohlicher Katatonie oder therapieresistenter Schizophrenie.[2] Schwere therapieresistente manische Episoden stellen eine weitere Indikation dar.[8] Ein Einsatz ist laut Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer erst nach sorgfältiger Überprüfung mehrerer Kriterien angezeigt. Entscheidend für eine entsprechende Beurteilung sind „die Diagnose, die Schwere der Symptome, die Behandlungsvorgeschichte sowie die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung anderer Behandlungsoptionen.“[2] Nach Feststellung einer Indikation ist der Wunsch des Patienten zu berücksichtigen.[2]
Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten ohne rechtswirksame Patientenverfügung kann die Behandlung erfolgen, wenn durch das Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt wird und dieser in die Behandlung einwilligt. Eine gesonderte Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes vor Anwendung einer EKT wird nach der derzeitigen Rechtsprechung nicht als erforderlich angesehen, obwohl das Betreuungsrecht sowohl dem Arzt als auch dem Betreuer im Falle von Uneinigkeit die Beschwerde beim Betreuungsgericht ermöglicht.[2]
Eine prinzipielle Verweigerung der Behandlung ist durch eine Patientenverfügung gemäß BGB §1901a[9] vorsorglich möglich. Dazu ist es erforderlich, dass die Verfügung im Zustand der Urteilsfähigkeit erfolgt ist. Sie ist dann auch für den evtl. eintretenden Zustand der Einwilligungsunfähigkeit wirksam.[10][11]
Die Wirksamkeit der EKT ist unter Experten, anders als in der Öffentlichkeit zum Teil verbreitete Vorurteile vermuten lassen, unumstritten und durch eine Anzahl von Studien belegt.[12][13][14][15] Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die EKT bei mehr als der Hälfte der Patienten, die auf Medikamente nicht oder nur unzureichend ansprechen, einen antidepressiven Effekt erzielt. Bei Patienten, die zusätzlich unter Wahnvorstellungen leiden, liegt die Wirksamkeit sogar bei über 90 Prozent.[16]
Eine Metaanalyse von 2003 fasste zusammen, dass die EKT bei Depression eine signifikant bessere Wirksamkeit zeigt als medikamentöse Therapie (Auswertung von 18 Einzelstudien mit insgesamt 1144 Teilnehmern).[17]
Die Bundesärztekammer schreibt in ihrer „Stellungnahme zur Elektrokrampftherapie (EKT) als psychiatrische Behandlungsmaßnahme“ aus dem Jahr 2003: „Ein Verzicht auf die EKT würde eine ethisch nicht vertretbare Einschränkung des Rechtes von häufig suizidal gefährdeten, schwerstkranken Patienten auf bestmögliche Behandlung bedeuten, zumal die EKT von den Patienten retrospektiv gut bis sehr gut beurteilt wird.“[2]
Das Verzeichnis der U.S. National Library of Medicine (PubMed) weist 250 Studien aus, die sich mit dem Wirkmechanismus der Elektrokrampftherapie (EKT) befasst haben. Als eines der zentralen Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigte sich, dass der generalisierte Anfall das therapeutische Grundprinzip des Verfahrens darstellt.[18] Alle bisherigen Versuche, diesen Kernbestandteil der Methode zu modifizieren, waren mit einer erheblichen Einbuße an therapeutischer Wirkung verbunden. Weiterhin hat sich erwiesen, dass EKT-Behandlungen mehrfach und mit einer ausreichenden Intensität erfolgen müssen.[19] Die zur Auslösung angewandten elektrischen Impulse sind dagegen am therapeutischen Effekt nicht wesentlich beteiligt.[20] Ihre Anwendung hat sich aber für die Patienten als sicherer und verträglicher herausgestellt als ursprünglich verwendete pharmakologische Krampftherapie-Verfahren.[21]
Beobachtungen über die heilende Wirkung von spontanen epileptischen Anfällen auf psychische Erkrankungen sind seit vielen Jahrhunderten bekannt.[22] In den letzten sieben Jahrzehnten konnte detailliert nachgewiesen werden, dass Krampfanfälle unter kontrollierten Bedingungen die Ausschüttung von Neurotransmittern und Neurohormonen stimulieren. Die beobachteten Effekte waren ähnlich wie bei antidepressiven Substanzen.[23] So werden neuroendokrinologische Störungen normalisiert,[24] und die gestörte Signalübertragung insbesondere der monoaminergen Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin wiederhergestellt.[25]
In den letzten 15 Jahren hat sich die Forschung auf die sogenannte neurotrophe Hypothese konzentriert, der zufolge bei schweren psychischen Erkrankungen die neuronalen Netzwerke des Gehirns in ihrer Struktur und Funktion beeinträchtigt sind. Zur erfolgreichen Behandlung dieser Störungen müssen regenerative Prozesse des Nervengewebes angestoßen werden.[26] Dass die EKT dazu in der Lage ist, konnte in Tierversuchen und in klinischen Studien nachgewiesen werden: EKT fördert die Ausschüttung neurotropher Substanzen[27][28][29] und die Regeneration von bestehendem Hirngewebe.[30] Zudem stimuliert die EKT die Neubildung von Nervenzellen[31] und die neuronale Plastizität.[32]
Häufigste unerwünschte Wirkung der Elektrokrampftherapie sind Gedächtnisstörungen, die die Zeitspanne vor und nach der EKT-Anwendung betreffen (retrograde und anterograde Gedächtnisstörung). Diese Gedächtnisstörungen treten nach beidseitiger (bilateraler) Anwendung der EKT häufiger auf als nach einseitiger (unilateraler) Anwendung. Auch bei mehrfacher Anwendung der EKT in einem kurzen Zeitraum (hochfrequente EKT) kommt es häufiger zu Gedächtnisstörungen. Da durch eine hochfrequente EKT kein schnellerer Wirkungseintritt erreicht werden kann, wird diese aufgrund der gleichzeitig erhöhten Nebenwirkungsrate nicht empfohlen. Weitere Faktoren, die das Ausmaß der Gedächtnisstörungen beeinflussen, sind Platzierungsorte der Elektroden, Alter und sozioökonomischer Status des Patienten sowie zusätzlich bestehende neurologische Erkrankungen. In der Regel bilden sich die Gedächtnisstörungen nach einigen Stunden bis Tagen spontan wieder zurück. Retrograde Amnesien können in seltenen Fällen länger bestehen.[33][34]
Hirnschädigungen sind bisher nicht beschrieben worden.[35][36][37]
Sehr seltene Komplikationen entsprechen den Komplikationen einer Narkose mit einem Mortalitätsrisiko von 1:50.000 bis 1:100.000[8] pro Einzelanwendung.[2] Diese Rate entspricht der Todesfallrate einer Zahnextraktion in Narkose.[38]
Während der EKT kann es zu vorübergehender Erhöhung von Herzfrequenz und Blutdruck kommen.[39] Die Elektrokrampftherapie darf daher nicht durchgeführt werden, wenn bei dem Patienten ein vor weniger als drei Monaten überstandener Herz- oder Hirninfarkt,[40] eine Gefäßaussackung an der Hauptschlagader (Aortenaneurysma), sowie ein erhöhter Hirndruck oder ein akuter Glaukomanfall vorliegt. Auch schwerste Einschränkungen der Herz- oder Lungenfunktion stellen eine solche absolute Kontraindikation dar.[40]
Bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung, eines ausgeprägten Bluthochdrucks, eines Schlaganfalls in der Vorgeschichte oder Erkrankungen der Lungen müssen die Risiken des Verfahrens gegen die Risiken einer unterlassenen Therapie aufgewogen werden (relative Kontraindikationen). Gleiches gilt für zerebrale Aneurysmen oder Gefäßneubildungen im Gehirn (zerebrale Angiome).[40]
Eine Schwangerschaft, höheres Alter oder das Vorhandensein eines Herzschrittmachers sind keine Gegenanzeigen zur Durchführung der Elektrokrampftherapie.[40]
Die Elektrokrampftherapie ist eine Weiterentwicklung der Behandlung psychischer Erkrankungen mittels medikamentöser Auslösung von Krampfanfällen. Sowohl die pharmakologische als auch die elektrische Krampftherapie wurden in den 1930er Jahren entwickelt und stellten zusammen mit der einige Jahre zuvor entwickelten Insulinkomabehandlung die ersten wirksamen Therapiemaßnahmen in der Behandlung schizophrener und depressiver Patienten dar. Gelegentlich wurden Insulinschocktherapie und (elektrische) Krampftherapie im Rahmen eines „Kombinationsschockes“ miteinander verbunden.[41]
Die Elektrokrampftherapie verdrängte schnell die pharmakologische Krampftherapie, da diese mit erheblichen unerwünschten Wirkungen der hierzu verwendeten Medikamente (zunächst Kampfer, später Pentetrazol) verbunden war.[42]
Der ungarische Arzt Ladislas J. Meduna (1896–1964) hatte aufgrund klinischer Beobachtungen an Patienten und neuropathologischer Befunde in den 1920er Jahren einen Antagonismus zwischen der Schizophrenie und Epilepsie angenommen. Ausgehend von dieser Theorie führte Meduna ab November 1933 Tierversuche mit Kampfer durch. Von Kampfer, einem Stoff aus der Naturheilkunde, war schon seit längerem bekannt, dass seine Verabreichung zu epileptischen Anfällen führen konnte. Am 23. Januar 1934 führte Meduna erstmals eine Kampferinjektion bei einem schizophrenen Patienten durch, dessen Zustand sich nach dem medikamentös ausgelösten epileptischen Anfall schlagartig besserte. Da die Verabreichung von Kampfer mit teilweise qualvollen Angstzuständen, Übelkeit und Muskelschmerzen an den Injektionsstellen einherging und ein epileptischer Anfall nicht immer sicher ausgelöst werden konnte, begann Meduna, statt Kampfer das synthetisch hergestellte Cardiazol zu verwenden, welches besser steuerbar war. Bis 1936 führte Meduna bei 110 Patienten eine pharmakologische Krampftherapie mit Cardiazol aus. Bei der Hälfte der Patienten kam es zu einer Remission. Vorwiegend Patienten, bei denen die psychische Störung erst kurz zuvor aufgetreten war, profitierten von der Therapie. Auch bei der Verwendung von Cardiazol konnte es jedoch wie bei der Anwendung von Kampfer zu erheblichen unerwünschten Wirkungen kommen. Viele psychiatrische Kliniken in Europa und Amerika übernahmen in den folgenden Jahren die pharmakologische Krampftherapie, bis diese von der Elektrokrampftherapie abgelöst wurde.[42]
Der italienische Psychiater Ugo Cerletti, der seit Beginn der 1930er Jahre tierexperimentell die Folgen elektrisch ausgelöster epileptischer Anfälle auf das Gehirn untersuchte, widmete sich unter dem Eindruck der Erfolge Medunas der Frage, ob auch beim Menschen epileptische Anfälle gefahrlos elektrisch eingeleitet werden konnten. Cerletti und seine Assistenzärzte Lucio Bini, Ferdinando Accornero und Lamberto Longhi führten zunächst systematische tierexperimentelle Untersuchungen an Hunden und Schweinen durch. Diese sollten klären, an welchen Stellen die Elektroden am besten anzubringen wären und wie groß die zu verabreichenden Stromstärken und Spannungen sein sollten, um epileptische Anfälle auszulösen ohne die Patienten zu gefährden. Im April 1938 wendeten sie die neue Methode erstmals bei einem schizophrenen Patienten an. Nach elf Therapiesitzungen konnte der Patient in gebessertem Zustand entlassen werden. Nach weiterer Anwendung der Elektrokrampftherapie wurde deutlich, dass mit ihrer Hilfe keine Heilung schizophrener Symptome möglich war. Da dennoch der Zustand vieler Patienten gebessert werden konnte, verbreitete sich die Elektrokrampftherapie in den folgenden Jahren rasch in den psychiatrischen Kliniken. Maßgeblichen Anteil an der Verbreitung der EKT hatte Lothar Kalinowsky, der bei Cerlettis ersten EKT-Anwendungen anwesend gewesen war und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zunächst nach Paris, anschließend nach England und schließlich in die USA emigrierte.[42]
In Deutschland führte Friedrich Meggendorfer in seiner Erlanger Klinik am 1. Dezember 1939 die erste Elektrokrampftherapie durch. Bis Ende Mai 1940 wurden dort 52 Patienten mit insgesamt 790 Einzelanwendungen behandelt. Unter den Kranken befanden sich nicht nur Schizophrene, sondern auch Manisch-Depressive und „Melancholische“. Bald folgte auch Anton von Braunmühl in Eglfing-Haar Meggendorfers Beispiel. Ab 1942 erfolgte in der Psychiatrie eine generelle Umstellung von der Insulinschocktherapie, die auf Grund kriegsbedingten Insulinmangels am 24. Januar 1942 verboten wurde, auf die Elektrokrampftherapie. Meggendorfer selbst glaubte das Verfahren 1942 noch weit davon entfernt, die ideale Therapie für Schizophrenie zu sein, aber gerade in Verbindung mit der Insulinkur sei es das erfolgversprechendste und für den Kranken trotz der als Komplikationen auftretenden Frakturen subjektiv wie objektiv das schonendste.[43]
Bei der heute in Deutschland ausschließlich angewendeten sogenannten „modifizierten EKT“ erfolgt die Behandlung unter Narkose und Muskelrelaxation und mit einer Stromstärke von etwa 0,9 A[44] bei bis zu 480 V. Zu einem motorischen Krampfgeschehen kommt es dabei abgesehen von Muskelzuckungen eines zur Krampfbeobachtung von Relaxantien freigehaltenen Unterarms nicht mehr, so dass bestimmte körperliche Folgen der Behandlung, wie sie früher mitunter vorkamen (bis hin zu Wirbelbrüchen) heute nicht mehr auftreten. Der Krampfanfall wird mithilfe einer EEG-Ableitung beobachtet und dokumentiert.[44] Durch Veränderung der Reizparameter (unipolare Rechteckimpulse statt sinusförmigen Wechselstroms) werden darüber hinaus die kognitiven Nebenwirkungen der EKT deutlich seltener beklagt, jedoch nicht ganz vermieden.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 ergab, dass an 183 von 423 psychiatrischen Kliniken[45] in Deutschland EKT-Behandlungen durchgeführt werden.[46] Jährlich werden in Deutschland ungefähr 30.000 EKT-Behandlungen an 2800[47] bis 4000 Menschen[48] durchgeführt, was etwa 0,4 ‰ aller an Depressionen Erkrankten und 1 % der deshalb stationär Behandelten entspricht und im Vergleich zu anderen Industrienationen eine geringe Behandlungshäufigkeit darstellt.[47]
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