Als Vertikaler Schweregradient wird die Änderung $ {\frac {\mathrm {d} g}{\mathrm {d} h}} $ der Schwerebeschleunigung $ g $ mit der Höhe $ h $ bezeichnet. Letztere bezieht sich – je nach Rechenmodell – auf das Geoid bzw. auf die Referenzfläche einer Landesvermessung oder das mittlere Erdellipsoid.
Die Vertikalgradienten sind einerseits für geologisch-geophysikalische Untersuchungen von Bedeutung. Andererseits werden sie zur Reduktion gemessener Schwerewerte benötigt, denn die Vermessung des Erdschwerefeldes ist nur sinnvoll, wenn die Daten anschließend auf eine einheitliche Höhe umgerechnet werden. Die so erhaltenen Differenzen zu einem regionalen Mittelwert werden Schwereanomalien genannt.
Eine Besonderheit stellt der Bouguergradient (nach Pierre Bouguer) dar. Er beträgt etwa -0,19 mGal/m und ergibt sich aus dem Freiluftgradient, wenn die unter dem Messpunkt liegende Geländeplatte weggerechnet wird. Damit erhält man die Bougueranomalien, welche eine allenfalls abweichende Gesteinsdichte im Untergrund anzeigen. Man verwendet sie in der Geophysik und zur Suche nach Lagerstätten.
Vertikalgradienten treten auch in größerer Entfernung von der Erde auf und können dazu genutzt werden, einen Satelliten auf einer Umlaufbahn erdfest zu orientieren (Gravitationsstabilisation). Dies geschieht auch auf natürliche Weise mit jedem länglichen Körper in einer Umlaufbahn.
Der Horizontale Schweregradient hat eine geringere Bedeutung und ist auch wesentlich kleiner als der vertikale Schweregradient. Spezielle Projekte der Gravimetrie und der Erdmessung benutzen die horizontale Schwereänderung, um Details über die obere Erdkruste oder den Geoidverlauf zu untersuchen. Als Einheit wird meist das Eötvös verwendet, benannt nach dem Ungarn Roland Eötvös, der in den 1920ern die Drehwaage konstruierte. Sie wurde besonders in der Erdöl-Exploration verwendet, bevor ab etwa 1960 die modernen Gravimeter aufkamen.
Die jüngste Anwendung horizontaler Schweregradienten kommt aus der Satellitengeodäsie. Spezielle geodätische Satelliten wie GRACE und der ehemalige GOCE messen die Änderungen der Schwerkraft innerhalb der Sonden in drei bis sechs Richtungen mit Gradiometern; auch genaue Mikrowellen-Distanzmessungen zwischen zwei hintereinander fliegenden Satelliten können diese Gradienten erfassen. Damit ist eine regionale Geoidbestimmung möglich, die im Mittel über etwa 100 km × 100 km eine Genauigkeit von einem Zentimeter erreicht und zur Erfassung langfristiger Änderungen der Erde geplant ist.
Die Gradiometrie (Messung von Schweregradienten) wird künftig in flachen Ländern die traditionelle Geoidbestimmung mit Gravimetrie oder Astrogeodäsie ersetzen. Im Gebirge sind jedoch die Einflüsse des Geländes auf die Schwerkraft nur schwierig zu erfassen, weshalb dort weiterhin die terrestrische Gravimetrie einzusetzen ist.
Christoph Reigber, Peter Schwintzer: Das Schwerefeld der Erde. In: Physik in unserer Zeit. Nr. 34(5), 2003, ISSN 0031-9252, S. 206–212.