Der englische Begriff Swing-by – auch Slingshot, Gravity-Assist (GA), Schwerkraftumlenkung, Gravitationsmanöver oder Vorbeischwungmanöver genannt – bezeichnet eine Methode der Raumfahrt, bei der ein relativ leichter Raumflugkörper (etwa eine Raumsonde) dicht an einem sehr viel größeren Körper (etwa einem Planeten) vorbeifliegt. Bei dieser Variante eines Vorbeiflugs wird die Flugrichtung der Sonde verändert, wobei auch deren Geschwindigkeit gesteigert oder gemindert werden kann. Die Bahn des Planeten wird wegen seiner deutlich größeren Masse nicht merklich verändert. Ein Swing-by-Manöver kann auch mit einer Triebwerkszündung kombiniert werden. Bei sehr nahen Vorbeiflügen kann unter Umständen eine deutlich höhere Effizienz des Treibstoffs erreicht werden (siehe Oberth Effect).
Der Swing-by-Effekt tritt auch auf, wenn ein leichterer Planet oder ein Asteroid einen schwereren Planeten in dessen Gravitationsfeld passiert. Wenn jedoch die Masse des leichteren Planeten gegenüber dem schwereren nicht vernachlässigbar klein ist, ändert auch der schwerere Planet seine Sonnenumlaufbahn merklich.[1][2]
Fliegt eine Sonde durch das Gravitationsfeld eines Planeten, wird sie durch dessen Anziehungskraft abgelenkt und erfährt eine Geschwindigkeitsänderung in dem Bezugssystem, das zur Beschreibung der Planetenbewegung verwendet wird. Je nachdem, ob die Sonde vor oder hinter dem Planeten seine Umlaufbahn überquert, verringert oder erhöht sich ihre Geschwindigkeit in diesem Bezugssystem.
Aus Sicht des Planeten wird die Sonde nicht beschleunigt oder gebremst, sondern nur abgelenkt. Der Planet bewegt sich aber auch um die Sonne. Deshalb wurde die Geschwindigkeit der Sonde aus Sicht der Sonne verändert.
Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Impuls. Da keine Bewegungsenergie entsteht, sondern der Planet einen kleinen Teil seiner Bewegungsenergie zur Sonde überträgt (oder umgekehrt), wird die Bahn des Planeten auch verändert, allerdings nur unmerklich, da der Planet eine sehr viel höhere Masse als die Sonde hat.
Das Gravitationsfeld des Planeten reicht außerdem unendlich weit und kann deshalb nie verlassen werden. Mit steigendem Abstand zum Planeten wird aber dessen Anziehungskraft so gering, dass irgendwann die Anziehungskraft der Sonne entscheidender ist und die Sonde sich in einem Orbit um die Sonne befindet.
Die Einflüsse weiterer Körper und relativistischer Effekte wurden der Einfachheit halber ebenfalls vernachlässigt.
Vereinfachend kann zur Veranschaulichung auch der elastische Stoß zweier Körper herangezogen werden.[3] Der Vergleich mit praxisnahen Stoßvorgängen zweier Körper ist allerdings nur möglich, wenn man bei diesen und beim Swing-by-Manöver Reibungsfreiheit voraussetzt und die Betrachtung auf die Beträge und Richtungen der Geschwindigkeiten unmittelbar vor und nach dem Vorgang beschränkt. Dabei müssen beim Swing-by die Vergleichspositionen auch noch im gleichen Abstand zum Planeten in dessen Bezugssystem sein.
Ohne diese Reduktion spielt z. B. beim Tischtennis zusätzlich die Reibung mit dem Schläger und mit der Luft (Magnus-Effekt) eine große Rolle. Auch beim Swing-by müssen zu diesem Vergleich Brems- oder Schubmanöver unterlassen werden. Der Winkel zwischen An- und Abflug wird beim Swing-by durch Geschwindigkeit und Annäherung bestimmt, dagegen beim Tischtennis durch den Anstellwinkel des Schlägers. Die durchgehenden Bahnformen beim Swing-by mit zwei Körpern folgen den Keplerschen Gesetzen, beim Tischtennis dagegen der Ballistik.
Grundsätzlich ergeben sich die folgenden Wirkungen:
Swing-by-Manöver können damit auf interplanetaren Flügen zur Einsparung von Treibstoff dienen und daher auch Kosten reduzieren. Die Reisezeit kann durch die gewonnene Geschwindigkeit verkürzt werden, infolge von Umwegen aber auch steigen. Am Zielplaneten kann mit Swing-by an einem Begleiter (Mond) die Reisegeschwindigkeit abgebaut werden, um die Sonde in eine Umlaufbahn zu bringen.
Da es sich in der Realität mindestens um ein Dreikörperproblem handelt (z. B. Sonde, Planet und Sonne), sind die Bahnänderungen nicht analytisch, sondern nur numerisch genauer zu berechnen. Da der Flugwinkel und die Geschwindigkeit nach der Passage voneinander abhängen, ist der Spielraum für die Entfernung und die Position des nächsten Zielobjektes begrenzt. Bei Vorgabe mehrere Ziele und/oder Einschränkung auf eine bestimmte Anflugbahn und Geschwindigkeit beim Ziel entsteht ein Gleichungssystem, das numerisch auf Lösungen überprüft wird. Die Lösungen (Trajektorien) ergeben zumeist nur schmale Startzeitfenster in der Größenordnung von Tagen oder Wochen, die für die gleichen Missionsziele Jahre oder viele Jahrzehnte auseinander liegen können. Die Startgeschwindigkeit von der Erde und damit die Kosten der Raketen, sowie die Dauer der Mission sind ebenfalls Vorgaben oder Ergebnisse der Berechnungen.
Die Bedeutung der Swing-by-Manöver für die Raumfahrt wurde 1961 von Michael Minovitch entdeckt und am Jet Propulsion Laboratory untersucht.[4] Das erste Swing-by-Manöver wurde 1970 während der Apollo-13-Mission durchgeführt. Die Besatzung konnte sich nach der Explosion eines Sauerstofftanks durch ein Swing-by-Manöver um den Mond wieder zurück zur Erde retten. Im Februar 1974 war Mariner 10 die erste Raumsonde, die ein Swing-by-Manöver an einem anderen Planeten durchführte, sie wurde durch den Vorbeiflug an der Venus genügend abgebremst, um den Planeten Merkur zu erreichen. Dadurch konnte einerseits die Raumsonde mit einer (gegenüber der Titan IIIC) preiswerteren Atlas-Centaur gestartet und andererseits die Venus mitbesucht werden.[5] Heute nutzen nahezu alle interplanetaren Raumsonden, die nicht den Mars oder die Venus zum Endziel haben, diese Technik.
Die Voyager-Sonden verwendeten zielgerichtet alle Wirkungen in mehreren Swing-by-Manövern zur Erkundung der äußeren Planeten. So sparten sie Treibstoff beim Start, bzw. verkürzten die Missionszeit durch den Beschleunigungseffekt beginnend beim Jupiter. Durch die Änderung der Flugrichtung steuerten sie einen äußeren Planeten nach dem anderen an (Grand Tour). Durch das Swing-by am Saturn erreichten die Sonden die dritte kosmische Geschwindigkeit. Ohne Swing-by hätte Voyager 2 mehr als doppelt so lange gebraucht, um Neptun zu erreichen. Die Änderung der Bahnebene brachte Voyager 1 näher an den Saturnmond Titan. Mit der Ablenkung aus der Ekliptik fand sich aber nun kein anderer Himmelskörper zur Umkehr per Swing-by-Manöver.
Bei Mondmissionen wurden Swing-by-Manöver verwendet, um den Mond in einer Schleife zu umfliegen.[6]
Häufig werden Swing-bys nicht verwendet, um die Reisezeit zu verkürzen, sondern um Raumsonden mit Trägerraketen zu starten, die für den direkten Flug zum Ziel zu schwach sind. Um dennoch zum Ziel zu kommen, muss dann die Raumsonde einen oder mehrere Swing-bys durchführen, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen. Dadurch wird die Flugzeit deutlich länger als bei einem direkten Flug. Meistens ist der Grund für dieses Vorgehen, dass eine größere Trägerrakete teurer wäre als die längere Missionszeit. Nur manchmal, wie z. B. bei Cassini-Huygens, ist die Sonde so schwer, dass selbst die größte Trägerrakete nicht für einen Direktflug reicht.
Besonders beim zweiten Grund entstehen große Umwege. So wurde zum Beispiel die Sonde Cassini-Huygens auf dem Weg zum Saturn zuerst zweimal von der Venus und dann einmal von der Erde auf die nötige Geschwindigkeit gebracht.
Selten werden Swing-bys dazu genutzt, die Inklination so stark zu ändern wie bei der Sonnensonde Ulysses, um die Ebene der Ekliptik zu verlassen.
Die nicht verwirklichte Solar Probe sollte durch einen Swing-by am Jupiter auf eine polare Sonnenumlaufbahn gebracht werden, deren Perihel sich nur drei Sonnenradien über der Sonnenoberfläche befinden sollte und deren Aphel sich auf Höhe der Jupiterumlaufbahn befunden hätte.[7] Sie hätte damit nicht nur die Inklination wie Ulysses stark geändert, sondern wäre auch extrem abgebremst worden.
Auch für die Rosetta-Mission waren Swing-by-Manöver vorgesehen. Durch die Nichteinhaltung des ursprünglich berechneten Startzeitfensters zum Kometen 46P/Wirtanen wegen Problemen mit der Rakete, musste eine neue Route gesucht werden, die dann über mehrere Swing-by-Manöver an Erde und Mars zu einer Annäherung an den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko führte.
Die rote Kurve im jeweils unteren Bildteil zeigt die Geschwindigkeit der Raumsonde über die Zeit.