Auf dem Weg zum Beschleuniger auf dem Mikrochip

Auf dem Weg zum Beschleuniger auf dem Mikrochip



Physik-News vom 23.11.2018

Elektrotechniker am Fachgebiet Beschleunigerphysik der TU Darmstadt entwickeln ein Konzept eines lasergetriebenen Elektronenbeschleunigers, der so klein ist, dass er auf einem Siliziumchip hergestellt werden kann und kostengünstig und vielseitig einsetzbar ist. Das bei „Physical Review Letters“ veröffentlichte Design wird nun von einer internationalen Kollaboration in die Praxis umgesetzt.

Teilchenbeschleuniger sind üblicherweise groß und kostenintensiv. Das soll sich nun ändern. Das von der amerikanischen Gordon-and-Betty-Moore-Stiftung geförderte „Accelerator on a Chip International Program“ (AChIP) hat sich zum Ziel gesetzt, einen Elektronenbeschleuniger auf einem Siliziumchip zu realisieren. Die grundlegende Idee hier ist, Beschleunigerstrukturen aus Metall durch Glas oder Silizium zu ersetzen und als Energiequelle statt eines Mikrowellengenerators einen Laser zu nutzen. Durch die höhere elektrische Feldbelastbarkeit von Glas lässt sich die Beschleunigungsrate erhöhen und dadurch die gleiche Energie auf kürzerer Strecke auf die Teilchen übertragen, was den Beschleuniger um ungefähr einen Faktor 10 kürzer macht als herkömmliche Beschleuniger gleicher Endenergie.


Beschleunigerchip auf der Fingerspitze und eine Elektronenmikroskopie des Chips

Publikation:


Uwe Niedermayer, Thilo Egenolf, Oliver Boine-Frankenheim, and Peter Hommelhoff
Alternating-Phase Focusing for Dielectric-Laser Acceleration
Phys. Rev. Lett. 121, 214801 – Published 20 November 2018

DOI: 10.1103/PhysRevLett.121.214801



Eine Herausforderung ist hierbei, dass der Vakuumkanal für die Elektronen auf einem Chip nur sehr klein sein kann, was eine extrem starke Fokussierung des Elektronenstrahls erfordert. Die in konventionellen Beschleunigern eingesetzten magnetischen Fokussierkanäle sind hierfür bei weitem zu schwach. Das bedeutet, dass für einen Beschleuniger auf einem Chip ein völlig neues Fokussierkonzept entwickelt werden muss.

Als Teil des TU-Profilbereichs „Teilchenstrahlen und Materie“ hat die AChIP-Gruppe am Fachgebiet Beschleunigerphysik (Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt) um den Nachwuchswissenschaftler Dr. Uwe Niedermayer kürzlich eine entscheidende Lösung vorgestellt. Zur Fokussierung der Elektronen im nur 420 Nanometer breiten Kanal sollen die Laserfelder selbst eingesetzt werden. Das Konzept basiert darauf, die relative Phase der Elektronen zum Laser sprunghaft zu ändern, was dazu führt, dass man alternierende Fokussierung und Defokussierung in den zwei Richtungen der Ebene der Chip-Oberfläche bekommt. Dadurch erhält man Stabilität in beiden Richtungen.

Das Konzept ist vergleichbar mit einer Kugel auf einem Sattel. Die Kugel wird herunterfallen, unabhängig in welcher Richtung der Sattel steht. Dreht man den Sattel allerdings kontinuierlich, so bleibt die Kugel stabil auf dem Sattel. Das Gleiche tun die Elektronen im Kanal auf dem Chip.

Senkrecht zur Chip-Oberfläche ist nur eine schwächere Fokussierung notwendig, und es kann ein einziger Quadrupol-Magnet verwendet werden, der den gesamten Chip umschließt. Dieses Konzept ist ähnlich dem eines konventionellen Linearbeschleunigers. Für den Beschleuniger auf dem Chip wurde allerdings die Elektronendynamik verändert, um ein zweidimensionales Design zu erzielen, welches sich mit lithographischen Techniken aus der Halbleiterindustrie realisieren lässt. Niedermayer ist zurzeit als Gastwissenschaftler an der amerikanischen Stanford Universität, die das AChIP-Programm zusammen mit der Universität Erlangen leitet.

Er arbeitet dort mit den AChiP-Kollegen an der Realisierung des Beschleunigers auf dem Chip in einer Experimentierkammer von der Größe eines Schuhkartons. Als Laserquelle kommt ein kommerziell verfügbares System zum Einsatz, welches durch eine komplizierte nichtlineare Optik angepasst wird. Ziel des bis 2020 laufenden AChIP-Programms ist, aus dem Chip Elektronen mit einer Energie von einem Megaelektronenvolt zu erhalten. Das entspricht der elektrischen Spannung von etwa einer Million Batterien. Weiterhin sollen auch ultrakurze (< 10-15 Sekunden) Elektronenpulse realisiert werden, wie sie für einen skalierbaren Beschleuniger auf dem Chip nach dem Konzept aus Darmstadt notwendig sind.

Die Anwendungsmöglichkeiten eines solchen Beschleunigers liegen in der Industrie sowie in der Medizin. Ein wichtiges langfristiges Ziel ist, eine kompakte kohärente Röntgenstrahlungsquelle zur Charakterisierungen von Materialien zu realisieren. Eine medizinische Anwendung wäre zum Beispiel ein Beschleuniger-Endoskop, mit dem man Tumore aus dem Inneren des Körpers mit Elektronen bestrahlen könnte. Ein besonderer Vorteil dieser neuen Beschleunigertechnologie ist, dass die Chips kostengünstig in großen Stückzahlen hergestellt werden können, was den Beschleuniger für Jedermann oder das Beschleunigerlabor für jede Universität möglich macht. Weiterhin ergeben sich Möglichkeiten, kostengünstige kohärente Röntgenstrahlungsquellen in der Halbleiterindustrie in Prozessen der Fotolithograpie einzusetzen, was eine Verkleinerung der Transistoren in Computerprozessoren und eine höhere Integrationsdichte ermöglicht.

Über die TU Darmstadt

Die TU Darmstadt zählt zu den führenden Technischen Universitäten in Deutschland. Sie verbindet vielfältige Wissenschaftskulturen zu einem charakteristischen Profil. Ingenieur- und Naturwissenschaften bilden den Schwerpunkt und kooperieren eng mit prägnanten Geistes- und Sozialwissenschaften. Weltweit stehen wir für herausragende Forschung in unseren hoch relevanten und fokussierten Profilbereichen: Cybersecurity, Internet und Digitalisierung, Kernphysik, Energiesysteme, Strömungsdynamik und Wärme- und Stofftransport, Neue Materialien für Produktinnovationen. Wir entwickeln unser Portfolio in Forschung und Lehre, Innovation und Transfer dynamisch, um der Gesellschaft kontinuierlich wichtige Zukunftschancen zu eröffnen. Daran arbeiten unsere 312 Professorinnen und Professoren, 4.450 wissenschaftlichen und administrativ-technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie knapp 26.000 Studierenden. Mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bildet die TU Darmstadt die strategische Allianz der Rhein-Main-Universitäten.


Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte