Die Sichtbarkeit von Sternen am Nachthimmel nimmt schneller ab, als bislang angenommen

Die Sichtbarkeit von Sternen am Nachthimmel nimmt schneller ab, als bislang angenommen



Physik-News vom 20.01.2023

Das zeigt eine Studie im Fachmagazin Science anhand eines weltweiten Citizen Science Projekts zur Lichtverschmutzung, das in den letzten elf Jahren Daten erhoben hat.

Menschen sehen weltweit immer weniger Sterne am Nachthimmel. Ursache hierfür ist vermutlich die Lichtverschmutzung in den Abend- und Nachtstunden, die pro Jahr um 7-10 Prozent zunimmt. Diese Änderungsrate ist größer, als es Satellitenmessungen der künstlichen Lichtemissionen auf der Erde vermuten ließen.


Auswirkung der Lichtverschmutzung 2 - Vom ganz dunklen Himmel (links) zum innerstädtischen Himmel (rechts).

Publikation:


Christopher C. M. Kyba, Yigit Öner Altıntas, Constance E. Walker, Mark Newhouse
Citizen scientists report global rapid reductions in the visibility of stars from 2011 to 2022
Science (2023)

DOI: 10.1126/science.abq7781



Zu diesem Befund kommt jetzt eine Studie im Fachmagazin Science, durchgeführt von einer Forschungsgruppe um Christopher Kyba vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und der Ruhr-Universität Bochum mit Kolleginnen und Kollegen vom GFZ und vom NOIRLab der US National Science Foundation. Im Rahmen des Citizen Science Projekts „Globe at Night“ haben sie hierfür aus dem Zeitraum 2011 bis 2022 mehr als 50.000 Beobachtungen mit bloßem Auge von Bürgerwissenschaftler:innen auf der ganzen Welt ausgewertet. Die Studie zeigt auch, dass die Citizen-Science-Daten eine wichtige Ergänzung zu bisherigen Messverfahren darstellen.



Bedarf an geeigneten Messverfahren

Die Änderung der Lichtverschmutzung ist global gesehen und im Laufe der Zeit bislang nicht gut bekannt. Zwar kann das künstliche Himmelsleuchten im Prinzip von Satelliten gemessen werden. Doch die einzigen Instrumente im All, die die gesamte Erde überwachen können, haben keine ausreichende Messgenauigkeit und Empfindlichkeit.


Diese Astronautenfotos von Teilen Calgarys (Kanada) zeigen Beispiele dafür, wie sich die Beleuchtung zwischen 2010 und 2021 verändert hat: Es wurde neue Beleuchtung installiert und viele Straßenlaternen wurden von orangefarbenem Natriumdampf-Hochdruck auf weiße LED-Leuchten umgerüstet. (Beachten Sie: Die Fotos wurden nicht mit denselben Einstellungen aufgenommen und weisen eine unterschiedliche räumliche Auflösung auf. Daher erscheint das 2010er Foto etwas heller.

Ein vielversprechender Ansatz ist es daher, die Beobachtungskraft der Menschen und damit das menschliche Auge als Sensor zu nutzen, und dabei – im Rahmen von Citizen Science Experimenten – auf „die Macht der Vielen“ zu setzen. Bereits seit 2006 läuft das Projekt „Globe at Night“, initiiert vom NOIRLab der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF). Hieran können sich Menschen auf der ganzen Welt beteiligen.


Vom ganz dunklen Himmel (links) zum innerstädtischen Himmel (rechts)

Mit Citizen-Science…

Die Teilnehmenden betrachten ihren Nachthimmel und geben dann in einem Online-Formular an, welche von acht Sternkarten am besten zu dem passt, was sie sehen. Jede Karte zeigt den Himmel unter verschiedenen Graden an Lichtverschmutzung.

„Die Beiträge der einzelnen Menschen wirken zusammen wie ein globales Sensornetz, das uns einen ganz neuen Forschungsansatz ermöglicht“, sagt Christopher Kyba vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam und der Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit seinem GFZ-Kollegen Yigit Öner Altıntas sowie Constance E. Walker und Mark Newhouse vom NOIRLab hat er Daten von 51.351 Beobachtungen auf der ganzen Welt ausgewertet, die zwischen 2011 und 2022 in wolken- und mondfreien Nächten gemacht wurden. Sie repräsentieren 19.262 Standorte weltweit, davon 3.699 Orte in Europa und 9.488 Orte in Nordamerika.

Um aus diesen Daten eine Veränderungsrate der Himmelshelligkeit zu errechnen und dabei zu berücksichtigen, dass sich die Beobachtenden auch über die Jahre jeweils an anderen Standorten befanden, haben sie zusätzlich ein globales Modell für die Himmelshelligkeit benutzt, das auf Satellitendaten des Jahres 2014 basiert.

…zu überraschenden Erkenntnissen

„Die Geschwindigkeit, mit der Sterne für Menschen in städtischen Umgebungen unsichtbar werden, ist dramatisch“, resümiert Christopher Kyba, Erstautor der Studie. Die Forschenden schätzten die Änderungen der Himmelshelligkeit anhand der Anzahl der sichtbaren Sterne ab. So ergaben sich für Europa 6,5 Prozent mehr Helligkeit pro Jahr, für Nordamerika ein Plus von 10,4 Prozent.

Um diese Zahlen zu veranschaulichen, erläutert Kyba die Konsequenzen, die sich für die Beobachtbarkeit von Sternen an einem Ort mit einer Helligkeitszunahme von 9,6 Prozent pro Jahr ergeben würden. Das entspricht dem aktuell ermittelten weltweiten Durchschnitt. „Wenn die Entwicklung so fortschreitet, wird ein Kind, das an einem Ort geboren wird, an dem 250 Sterne sichtbar sind, dort an seinem 18. Geburtstag nur noch 100 Sterne sehen können.“

Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung hatten die Forschenden – nach Analyse der Satellitendaten – so nicht erwartet. Im Gegenteil hatten diese für die Standorte der Beobachtenden sogar darauf hingedeutet, dass die künstliche Helligkeit leicht abgenommen hat (um 0,3 Prozent pro Jahr in Europa, um 0,8 Prozent in Nordamerika).

Ursachen für den Unterschied zwischen Messungen von der Erde und aus dem All

Christopher Kyba glaubt, dass der Unterschied zwischen der menschlichen Beobachtung und den Satellitenmessungen wahrscheinlich auf Veränderungen in der Beleuchtungspraxis zurückzuführen ist: „Satelliten reagieren am empfindlichsten auf Licht, das nach oben gen Himmel gerichtet ist. Aber es ist horizontal abgestrahltes Licht, das den größten Teil des Himmelsleuchtens ausmacht“, erklärt Kyba. „Wenn also Werbung und Fassadenbeleuchtungen häufiger, größer oder heller werden, könnten sie einen großen Einfluss haben, ohne dass sich das auf den Satellitenbildern entsprechend widerspiegelt.“

Als weiteren Faktor nennen die Autoren die weit verbreitete Umstellung von orangefarbenen Natriumdampflampen auf weiße LEDs, die u.a. auch blaues Licht aussenden. „Unsere Augen sind nachts empfindlicher für blaues Licht, und blaues Licht wird in der Atmosphäre eher gestreut, trägt also stärker zum Himmelsleuchten bei“, sagt Kyba. „Aber der einzige Satellit, der die ganze Erde bei Nacht abbilden kann, ist im Wellenlängenbereich des blauen Lichts nicht empfindlich.“

Grenzen der Studie und weitere Potenziale

Auch der Citizen Science Ansatz hat allerdings seine Limitierungen. So bestimmt die Anzahl der Teilnehmenden aus den verschiedenen Regionen der Welt die Aussagekraft über räumliche und zeitliche Trends. Bislang beteiligen sich vor allem Menschen aus Nordamerika und Europa an dem Experiment, und die Hälfte der asiatischen Beiträge stammt aus einem einzigen Land: Japan. „Die meisten Daten stammen aus den Regionen der Erde, in denen das Himmelsleuchten derzeit am stärksten ausgeprägt ist. Das ist nützlich, aber es bedeutet, dass wir nicht viel über die Veränderungen des Himmelslichts in Regionen mit wenigen Beobachtungen sagen können“, betont Kyba. Gerade in Entwicklungsländern werden rasche Veränderungen der künstlichen Himmelsbeleuchtung vermutet, aber dort gibt es bislang nur wenige Beobachtungen.

Zwei Schlussfolgerungen: Beleuchtungspolitik und Citizen Science

Aus ihren Ergebnissen ziehen die Forschenden zwei wesentliche Schlüsse: Zum einen zeige sich, dass die aktuelle Beleuchtungspraxis und -politik etwa durch den zunehmenden Einsatz von LEDs trotz wachsenden Bewusstseins hinsichtlich der Lichtverschmutzung zumindest auf kontinentaler Ebene noch keine Verbesserung bewirkt hat.

„Und zum anderen konnten wir demonstrieren, dass die Citizen Science Daten eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen Messverfahren darstellen“, wie Kyba betont. Constance Walker fügt hinzu: „Hätten wir eine breitere Beteiligung, könnten wir Trends für andere Kontinente und möglicherweise sogar für einzelne Staaten und Städte ermitteln. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, also schauen Sie heute Abend ruhig mal rein und sagen Sie uns, was Sie sehen!“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums Potsdam - Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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