Dunkles Paar – Massive, sich berührende Sterne werden als Schwarze Löcher kollidieren
Physik-News vom 27.04.2023
Zwei massive, sich berührende Sterne in einer Nachbargalaxie sind auf dem besten Weg, zu Schwarzen Löchern zu werden, die bei ihrem Zusammenstoß starke Gravitationswellen im Raumzeitkontinuum auslösen könnten. Das zeigt eine Studie von Wissenschaftlern des University College London und der Universität Potsdam.
In der Studie betrachteten die beiden Nachwuchswissenschaftler ein bekanntes Doppelsternsystem, also zwei Sterne, die um einen gemeinsamen Schwerpunkt rotieren, und analysierten Daten von verschiedenen Teleskopen am Boden und im All. Sie fanden heraus, dass die Sterne aus der Nachbargalaxie „Kleine Magellansche Wolke“ miteinander im Kontakt stehen und Material austauschen, wobei der eine Stern den anderen „nährt“. Sie umkreisen sich alle drei Tage und sind die massivsten bisher bekannten Doppelsterne.
Publikation:
M. J. Rickard and D. Pauli
A low-metallicity massive contact binary undergoing slow Case A mass transfer: A detailed spectroscopic and orbital analysis of SSN 7 in NGC 346 in the SMC
Astronomy & Astrophysics
DOI: 10.1051/0004-6361/202346055
Vergleicht man die Ergebnisse mit theoretischen Modellen der Entwicklung von Doppelsternsystemen, so wird der Stern, der derzeit Material verliert, zuerst zu einem Schwarzen Loch kollabieren und nach einiger Zeit beginnen, Material von seinem Sternbegleiter abzusaugen. Der Begleiter wird daraufhin ebenfalls zu einem Schwarzen Loch. Diese Schwarzen Löcher werden sich innerhalb weniger Millionen Jahre bilden und einander für viele Milliarden Jahre umkreisen, um schließlich mit einer solchen Kraft zu kollidieren, dass sie Gravitationswellen – Verschiebungen im Raumzeitkontinuum – erzeugen.
Doktorand Matthew Rickard, leitender Autor der Studie vom University College London, sagt: „Dank der Gravitationswellendetektoren Virgo und LIGO wurden in den letzten Jahren Dutzende verschmelzender Schwarzer Löcher entdeckt. Bisher haben wir jedoch noch keine Sterne beobachtet, die zu Schwarzen Löchern dieser Größe kollabieren und in einer Zeitspanne verschmelzen, die kürzer ist als das Alter des Universums. Unser am besten passendes Entwicklungsmodell legt nahe, dass diese Sterne in 18 Milliarden Jahren zu Schwarzen Löchern verschmelzen werden. Die Entdeckung von Sternen auf diesem Entwicklungspfad so nah an unserer Galaxis bietet uns eine hervorragende Gelegenheit, noch mehr über die Entstehung dieser Systeme zu erfahren.“
Co-Autor Daniel Pauli, Doktorand an der Universität Potsdam, ergänzt: „Dieses Kontakt-Doppelsternsystem ist das massivste, was bisher beobachtet wurde. Der kleinere und heißere Stern besitzt 32 Sonnenmassen und verliert aktuell Material an seinen 55 Sonnenmassen schweren Begleiter.“
In ihrer Studie haben die Wissenschaftler verschiedene Wellenlängenbereiche des Doppelsternsystems spektroskopisch vermessen, von ultraviolettem über sichtbares bis hin zu infrarotem Licht. Dazu verwendeten sie unter anderem Daten des NASA Hubble-Weltraumteleskop (HST) und des Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) vom ESO Very Large Telescope in Chile. Mit diesen Daten haben sie die Radialgeschwindigkeit der Sterne, die angibt wie schnell sie sich zu uns hin oder von uns wegbewegen, sowie ihre Massen, Helligkeiten, Temperaturen und Umlaufbahnen bestimmt. Schließlich passten sie diese Parameter mit einem Entwicklungsmodell an.
Ihre spektroskopische Analyse zeigt, dass die äußere Hülle des kleineren Sterns durch den größeren Stern aufgesaugt wurde. Sie beobachteten auch, dass die Radien beider Sterne die Roche-Grenze, also die Region um einen Stern, in der Material durch die Gravitation an den Stern gebunden ist, überschreiten. Die Beobachtung belegt, dass Material vom kleineren Stern auf den Begleiter übergeht.
Zur künftigen Entwicklung der Sterne erklärt Rickard: „Der kleinere Stern wird in nur 700.000 Jahren zu einem Schwarzen Loch kollabieren, entweder in einer spektakulären Supernova-Explosion oder auch ohne Explosion aufgrund seiner Masse. Für etwa drei Millionen Jahre werden beide unbequeme Nachbarn sein, bevor das erste Schwarze Loch anfängt, Masse von seinem Begleiter anzuziehen und sich an ihm ‚zu rächen‘.“
Pauli, der die Modellierungen durchgeführt hat, fügt hinzu: „Nach nur 200.000 Jahren, einem astronomischen Augenblick, wird der Begleitstern ebenfalls zu einem Schwarzen Loch kollabieren. Die beiden massereichen Sterne werden einander weiterhin für einige Milliarden Jahre umkreisen. Langsam werden sie durch die Abgabe von Gravitationswellen Energie verlieren, bis sie sich immer schneller im Sekundentakt umkreisen und schließlich in 18 Milliarden Jahren miteinander verschmelzen, während sie über Gravitationswellen enorme Energiemengen freisetzen.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Potsdam via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.