Einzelnes Ion durch ein Bose-Einstein-Kondensat gelotst.
Physik-News vom 20.01.2021
Transportprozesse in Materie geben immer noch viele Rätsel auf. Ein Forschungsteam um Florian Meinert am 5. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart hat eine neue Methode entwickelt, die ihnen erstmals erlaubt, ein einzelnes geladenes Teilchen auf seinem Weg durch eine dichte Wolke aus Quantenteilchen zu beobachten. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht und sind Thema im „Viewpoint“ des populärwissenschaftlichen Begleitjournals Physics.
Das Team nutzt dafür ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat (BEC). In diesem exotischen Quantenzustand befinden sich die Atome in einer extrem dichten und ultrakalten Wolke. Mit ausgeklügelter Lasertechnik präparierten sie im BEC ein einzelnes Rydbergatom. In diesem Riesenatom befindet sich das äußerste Elektron tausendmal weiter weg vom Kern als im Grundzustand und ist nur noch schwach an den Kern gebunden. Mit einer speziellen Sequenz von elektrischen Feldpulsen entreißen die Forscher dem Atom dieses Elektron. Das vormals neutrale Atom verwandelt sich in ein positiv geladenes Ion, das bei diesem Kraftakt trotzdem ultrakalt bleibt. Im Anschluss wird das Ion mit Hilfe elektrischer Felder kontrolliert durch die dichte Atomwolke des BECs gezogen. Das Ion nimmt in dem elektrischen Feld an Fahrt auf und stößt auf seinem Weg mit anderen Atomen zusammen, wird abgebremst und durch das elektrische Feld wieder beschleunigt.
Publikation:
T. Dieterle, M. Berngruber, C. Hölzl, R. Löw, K. Jachymski, T. Pfau, and F. Meinert
Transport of a single cold ion immersed in a Bose-Einstein condensate
Physical Review Letters, 2021
DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.033401
Begleitartikel in PhysicsDen Forschenden gelang es, über dieses Wechselspiel aus Beschleunigung und Abbremsen das Ion in einer konstanten Bewegung gezielt durch das BEC zu bewegen. „Wir können mit dieser neuen Methode erstmals die Mobilität eines einzelnen Ions in einem Bose-Einstein-Kondensat messen“, freut sich Thomas Dieterle, Doktorand am Experiment.
An die Grenzen der Quantenmechanik
Im nächsten Schritt möchten die Forschenden die Kollisionen zwischen dem Ion und den Atomen bei noch niedrigeren Temperaturen beobachten, bei denen die Gesetze der klassischen Mechanik keine Rolle mehr spielen und die Quantenmechanik die Prozesse bestimmt. „Mit dem Transport eines einzelnen Ions haben wir ein Modellsystem geschaffen, das es uns erlaubt, künftig auch komplexere Transportprozesse in Vielteilchensystemen besser zu verstehen“, ist sich Florian Meinert sicher, „dies könnte zum Beispiel in bestimmten Festkörpern oder für die Supraleitung relevant sein.“ Die Messungen sind dabei auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erforschung exotischer Quasiteilchen, sogenannter Polaronen, die durch Wechselwirkung von Atomen und Ionen entstehen können.
Zusammenarbeit im "IQST"
Die Arbeit entstand im Zentrum für Integrierte Quantenwissenschaft und -technologie IQST. Im IQST haben sich die Universitäten Ulm und Stuttgart sowie das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung zusammen-geschlossen, um aus abstrakter Quantenphysik neue technologische Ansätze zu entwickeln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Praktikerinnen und Praktiker aus den Bereichen Physik, Chemie, Biologie, Mathematik und Ingenieurwissenschaften erforschen darin die Welt der Quanten in ihrer ganzen Breite und kooperieren teilweise direkt mit der Industrie.
Im Nachbarlabor am 5. Physikalischen Institut wird bereits an einem sogenannten Ionenmikroskop gearbeitet. Mit diesem lassen sich Kollisionen zwischen Atomen und einzelnen Ionen direkt beobachten. Während ein Elektronenmikroskop mit negativ geladenen Teilchen ein Bild erzeugt, geschieht das im Ionenmikroskop mit positiv geladenen Ionen. Die Ionen werden dabei mit elektrostatischen Linsen abgelenkt ähnlich wie Lichtstrahlen in einem klassischen optischen Mikroskop.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Stuttgart via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.