Elektronen eingegipst
Physik-News vom 19.03.2021
Eine scheinbar einfache Wechselwirkung zwischen Elektronen kann in einem extremen Vielteilchenproblem zu verblüffenden Korrelationen führen. Physiker aus Regensburg und Marburg maßschneidern die Wechselwirkung von Elektronen in atomar dünnen Festkörpern durch die Nähe zu einem schwingenden Kristall.
In einem Kubikzentimeter eines Festkörpers befindet sich typischerweise die unvorstellbar große Zahl von 1023 Elektronen – eine 1 mit 23 Nullen. Selbst eine scheinbar einfache Wechselwirkung zwischen Elektronen kann in einem derart extremen Vielteilchenproblem zu verblüffenden Korrelationen führen. Diese können bestimmte Festkörper in Supraleiter verwandeln, die elektrischen Strom völlig verlustfrei leiten. Normalerweise sind solch merkwürdige Phänomene „gottgegebene“ Materialeigenschaften.
Publikation:
P. Merkl, C.-K. Yong, M. Liebich, I. Hofmeister, G. Berghäuser, E. Malic and R. Huber
Proximity control of interlayer exciton-phonon hybridization in van der Waals heterostructures
Nature Communications (2021)
DOI: 10.1038/s41467-021-21780-6
Die Entdeckung von atomar dünnen Schichtmaterialien, wie Graphen – einer einzelnen Lage Graphit – oder Übergangsmetall-Dichalkogeniden hat jedoch Möglichkeiten eröffnet, Elektronenkorrelationen und Phasenübergänge aktiv maßzuschneidern. Durch präzises Stapeln zweier Graphenlagen unter bestimmten Winkeln kann beispielsweise ein künstlicher Supraleiter hergestellt werden. Theoretische Arbeiten sagen voraus, dass auch die Kopplung der Elektronen an Atomschwingungen in den Schichtkristallen die Wechselwirkung der Elektronen entscheidend beeinflussen dürfte.
Regensburger Physiker um Rupert Huber haben in einer Zusammenarbeit mit der Gruppe von Ermin Malic an der Philipps Universität in Marburg nun einen neuen Ansatz entwickelt, um die Wechselwirkung zwischen Elektronen in atomar dünnen Kristallen durch Kopplung an polare Gitterschwingungen eines benachbarten Materials zu kontrollieren. Dazu wurden Monolagen eines Übergangsmetall-Dichalkogenids einfach mit einer Schicht aus Calciumsulfat-Dihydrat bedeckt, das auch als Gips bekannt ist. Um die Kopplungsstärke zwischen Elektronen und Gitterschwingungen zu bestimmen, regten die Physiker zunächst Elektronen in einer halbleitenden Wolframdiselenid-Monolage mit Hilfe eines ultrakurzen Laserblitzes an.
Dabei bleibt eine Fehlstelle – ein sogenanntes Loch – am ursprünglichen Platz des Elektrons zurück. Aufgrund ihrer gegensätzlichen Ladung sind Elektron und Loch durch die Coulomb-Anziehungskraft aneinandergebunden, wie ein Elektron im Wasserstoffatom an den Kern gebunden ist, und bilden ein sogenanntes Exziton. Um die Wechselwirkung zwischen den Ladungsträgern zu bestimmen, beobachten die Physiker die atomähnliche Energiestruktur der Exzitonen mit ultrakurzen infraroten Lichtimpulsen.
Das überraschende Ergebnis: Wird die Wolframdiselenid-Monolagen mit einer dünnen Gipsschicht bedeckt, veränderte sich die interne Struktur der Exzitonen deutlich. „Allein die räumliche Nähe der Gipsschicht reicht aus, um eine starke Kopplung der internen Struktur der Exzitonen an polare Gitterschwingungen der Gipsstruktur zu erzeugen", sagt Philipp Merkl, der Erstautor der Studie. Obwohl dieser Kopplungsmechanismus zwischen Elektronen und Atomschwingungen in verschiedenen atomar dünnen Schichten stattfindet, ist die Wechselwirkung so stark, dass sie zu einem neuen Quasiteilchen verschmelzen. Nachdem die Forscher den „Dreh raushatten“, begannen sie mit diesem Effekt zu spielen: Indem sie eine weitere atomar dünne Schicht zwischen
Wolframdiselenid und Gips einfügten, gelang es ihnen, den räumlichen Abstand zwischen Elektronen und Phononen atomar genau einzustellen. „Mit dieser Strategie konnten wir die Kopplungsstärke mit noch höherer Präzision kontrollieren", ergänzt der Koautor Dr. Chaw-Keong Yong. Und er ist überzeugt: „So dürften neue maßgeschneiderte elektronische Eigenschaften in zweidimensionalen Materialien realisierbar werden, die Anwendung in verlustfreier Elektronik und Quanteninformationstechnologien der Zukunft finden könnten."
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Regensburg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.