Frustrierte Materialien unter Hochdruck
Physik-News vom 24.04.2019
Nicht nur Menschen leiden ab und an unter Frust. Auch einige Kristalle zeigen Frustrationen. Und zwar immer dann, wenn ihre Elementarmagnete, die Magnetspins, sich nicht korrekt ausrichten können. Cäsiumkupferchlorid ist ein Paradebeispiel für frustrierte Materialien. In diesem Kristall sitzen die magnetischen Kupferatome auf einem Dreiecksgitter und wollen sich antiparallel ausrichten. Dies funktioniert jedoch im Dreieck nicht. Um die Grundlagen dieser geometrischen Frustration besser zu verstehen, modifizierten Physiker vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) mit Unterstützung von internationalen Kollegen die magnetische Kopplung mithilfe einer eleganten Messmethode.
„Unser Ziel ist es, die komplexen Quantenprozesse in geometrisch frustrierten Kristallen genau zu erklären“, erläutert Dr. Sergei Zvyagin vom Hochfeld-Magnetlabor Dresden des HZDR. Theorien über das magnetische Verhalten von Kristallen wie CCC gibt es zwar schon reichlich. Doch mangelt es bisher an ausgeklügelten Experimenten, um diese Theorien auch am Objekt selbst zu überprüfen. Hierzu ist es hilfreich, die Stärke der Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Atomen gezielt zu verändern.
Publikation:
S. A. Zvyagin et al.
Pressure-tuning the quantum spin Hamiltonian of the triangular lattice antiferromagnet Cs2CuCl4
Nature Communications 10 (2019)
DOI: 10.1038/s41467-019-09071-7
Dazu wählen Physiker in vielen Laboren oft einen mühsamen Weg: Sie stellen Kristalle mit geometrischer Frustration in einer jeweils etwas anderen chemischen Zusammensetzung her. Dadurch verändert sich die magnetische Wechselwirkung zwischen den Elementarmagneten, teilweise jedoch auch – ungewollt – die Kristallstruktur. Zvyagin verließ diesen aufwendigen, rein chemischen Pfad zur tieferen Erkenntnis. Stattdessen nutzte er hohe Drücke. Unter diesen Bedingungen kann die Stärke der Kopplung der Magnetspins quasi-kontinuierlich geändert werden.
„Mit der neuen Methode können wir die Kopplungsparameter innerhalb des Kristalls kontrollieren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die magnetischen Eigenschaften messen“, sagt Sergei Zvyagin. Die CCC-Kristalle für seine Experimente erhielt er von der Gruppe um Dr. Hidekazu Tanaka vom Tokyo Institute of Technology. Mit wenigen Millimeter Kantenlänge erinnern sie mit ihrer orange schimmernden Transparenz eher an helle Granat-Edelsteine als an künstliche, im Labor gezüchtete Kristalle. Ebenfalls in Japan an der Tohoku University in Sendai setzten Zvyagin und Kollegen die Kristalle in eine Hochdruckpresse mit Stempeln aus hochfestem Zirkonoxid. Damit erhöhten die Forscher die Belastung nach und nach auf rund zwei Gigapascal. Ein vergleichbarer Druck wirkt, wenn das Gewicht eines Autos auf einer Fläche von der Größe einer Buntstiftmine lastet.
„Unter diesem Druck veränderten sich die Abstände zwischen den Atomen zwar nur wenig“, sagt Zvyagin. „Doch die magnetischen Eigenschaften des Kristalls zeigten dafür einen drastischen Wandel.“ Diese Änderungen konnten die Forscher mit der Elektronenspin-Resonanz (ESR) direkt messen. Dabei wurde die Durchlässigkeit für Licht (oder genauer: Mikrowellen) in einem sehr starken äußeren Magnetfeld von bis zu 25 Tesla – das ist etwa eine halbe Million mal stärker als das Erdmagnetfeld – bestimmt. Zudem musste der Kristall auf -271 Grad Celsius fast bis auf den absoluten Nullpunkt tiefgekühlt werden, um störende Effekte durch Wärme zu vermeiden.
Diese Messungen in einem starken äußeren Magnetfeld offenbarten die ungewöhnlichen magnetischen Eigenschaften des Materials. Abhängig vom Druck konnte die Stärke der Kopplung zwischen benachbarten Magnetspins variiert werden. Weitere Messungen mit einer zusätzlichen Methode der Materialforschung – der Tunneldiode-Oszillator-Technik (TDO) – ergänzten diese Resultate. Durchgeführt wurden sie – ebenfalls unter hohen Drücken und starken Magnetfeldern – an der Florida State University in Tallahassee.
Zudem fanden Zvyagin und Kollegen, dass die CCC-Kristalle unter hohem Druck eine Kaskade von Phasenübergängen mit steigendem Magnetfeld zeigen. „Dank dieser Messungen sind wir nun ein Stück weiter, um die Vielzahl dieser Phasen besser zu verstehen“, sagt Professor Joachim Wosnitza, Leiter des Hochfeld-Magnetlabors Dresden.
„Die genaue Identifizierung dieser Phasen ist ein nächstes Ziel“, sagt Zvyagin. Dabei will er die exakten Strukturen seiner CCC-Kristalle in Zukunft über die Streuung von Neutronen bestimmen. Für diese Pläne schätzt er die herausragend guten Forschungsbedingungen, die ihm das HZDR mit der international engen Vernetzung bietet. „Für mich ist es ein idealer Ort für mein Interesse an Grundlagenforschung“, sagt der Physiker. „Und wenn man die Quantenprozesse in diesen Kristallen mit frustrierter Geometrie versteht, könnten daraus auch Anwendungen entstehen.“
Auch Joachim Wosnitza sieht ein großes Potenzial in den exotischen, magnetischen Eigenschaften solcher Kristalle. „Denkbar sind langlebige Quantensysteme, in denen die Magnetspins kontrolliert genutzt werden könnten“, sagt Wosnitza. „Ob es dann zu einem Quantencomputer führt oder zu einem speziellen Sensor, lässt sich heute aber noch nicht absehen.“ Der Weg dahin könnte allerdings noch sehr weit sein. Doch mit ihren erfolgreichen Messungen haben die HZDR-Forscher jedenfalls keinen Grund zur Frustration - ganz im Unterschied zu ihren Kristallproben.
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