Galaktischer Test soll Existenz Dunkler Materie klären
Physik-News vom 25.06.2018
Forscher der Universität Bonn und der University of California in Irvine haben eine hochwertige Simulation benutzt, um einen Test herzustellen, mit dem sich eine brennende Frage der Astrophysik klären ließe: Gibt es tatsächlich Dunkle Materie? Oder müssen die von Newton aufgestellten Gravitationsgesetze modifiziert werden? Mittelfristig sollte sich mit Hilfe von Satellitendaten eine der beiden Alternativen endgültig ausschließen lassen. Die Studie erscheint nun in den Physical Review Letters.
Die Wissenschaftler haben am Computer die Materieverteilung so genannter Satelliten-Galaxien simuliert – das sind kleine Galaxien-Zwerge, die etwa die Milchstraße oder den Andromeda-Nebel umgeben. Dazu nutzten sie einen extrem schnellen Rechner in den Niederlanden.
Publikation:
Enrico Garaldi, Emilio Romano-Díaz, Cristiano Porciani und Marcel S. Pawlowski
Radial acceleration relation of ΛCDM satellite galaxies
Phys. Rev. Lett. 120, 261301 – Published 25 June 2018
DOI: 10.1103/PhysRevLett.120.261301
Die Forscher fokussierten dabei auf einen Zusammenhang namens „radial acceleration relation“ (RAR). In Galaxien bewegen sich die Sterne auf kreisförmigen Bahnen um ein Zentrum. Sie unterliegen also einer Beschleunigung, die sie zu einem ständigen Wechsel ihrer Richtung zwingt. Diese wird durch die Anziehungskraft der Materie in der Galaxie verursacht. Wenn man nur die sichtbare Materie zugrunde legt, müsste die Beschleunigung sehr viel geringer ausfallen. Die RAR beschreibt das Verhältnis zwischen diesem Wert und der tatsächlich beobachteten Beschleunigung. Sie erlaubt so einen Einblick in die Struktur von Galaxien.
„Wir haben nun, zum ersten Mal, die RAR von Zwerg-Galaxien unter der Voraussetzung simuliert, dass es Dunkle Materie gibt“, erklärt Prof. Dr. Cristiano Porciani vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. „Dabei zeigte sich, dass diese sich im Prinzip genauso verhalten wie große Galaxien, nur dass sie eben kleiner sind.“ Was aber, wenn es keine Dunkle Materie gibt und stattdessen die Gravitation anders „funktioniert“, als Newton es sich dachte? „Arbeitsgruppen vor uns konnten zeigen, dass dann die RAR von Zwerg-Galaxien stark von der Entfernung zu ihrer Muttergalaxie abhängt, während das nicht passiert, wenn Dunkle Materie existiert“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Emilio Romano-Díaz.
Damit eignen sich die Ergebnisse als Test, ob es Dunkle Materie wirklich gibt. Eine Antwort soll die Raumsonde Gaia liefern, die 2013 von der europäischen Raumfahrtagentur ESA ins All geschickt wurde. Sie wurde konzipiert, um Satelliten-Galaxien und Sterne der Milchstraße im Detail zu studieren.
Allerdings wird des Rätsels Lösung wohl noch Jahre auf sich warten lassen. „Mit einzelnen Messungen lassen sich die kleinen Unterschiede, die wir festgestellt haben, nicht entdecken“, erklärt der Doktorand Enrico Garaldi. „Dazu sind die Instrumente des Satelliten nicht genau genug.“ Wiederholte Aufnahmen der gleichen Sterne erlauben mit der Zeit immer genauere Aussagen. Über kurz oder lang sollte sich dadurch feststellen lassen, ob sich die Zwerg-Galaxien wie in einem Universum mit Dunkler Materie verhalten – oder eben nicht.
Der Kitt, der Galaxien zusammenhält
Diese Frage ist eines der drängendsten Themen, mit denen sich die Kosmologie heute beschäftigt. Dass es Dunkle Materie gibt, wurde schon vor mehr als 80 Jahren von dem Schweizer Astronomen Fritz Zwicky vorgeschlagen. Er hatte erkannt, dass sich Galaxien in Galaxienhaufen so schnell bewegen, dass sie eigentlich auseinandertreiben müssten. Er postulierte daher die Anwesenheit einer unsichtbaren Materie, die aufgrund ihrer Masse genügend Gravitation ausübt, um das zu verhindern. Seine US-Kollegin Vera Rubin entdeckte in den 1970er Jahren ein ähnliches Phänomen bei Spiralgalaxien wie der Milchstraße: Sie rotieren so schnell, dass sie eigentlich durch die Fliehkraft auseinandergerissen werden sollten.
Heute sind die meisten Physiker davon überzeugt, dass Dunkle Materie rund 80 Prozent der Masse im Universum ausmacht. Da sie nicht mit Licht interagiert, ist sie für Teleskope unsichtbar. Allerdings würde ihre Existenz hervorragend zu einer Reihe weiterer Beobachtungen passen – etwa zur Verteilung der Hintergrundstrahlung, die sich als ein „Nachglühen“ des Urknalls bemerkbar macht. Auch die Anordnung und Entstehungsgeschwindigkeit der Galaxien im Universum lässt sich mit ihr gut erklären.
Ein direkter Nachweis, dass es sie gibt, steht aber trotz zahlreicher experimenteller Bemühungen bislang aus. Das brachte Astronomen zu der Hypothese, dass sich die Gravitationskräfte selbst möglicherweise anders verhalten als bislang gedacht. Diese Theorie trägt das Kürzel MOND (MOdifizierte Newton'sche Dynamik). Nach ihr gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newton'schen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird die Gravitation dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander. Auf den mysteriösen Sternenkitt kann die MOND-Theorie deshalb verzichten. Diese neue Studie gibt Astronomen die Möglichkeit die zwei Hypothesen zu überprüfen.
Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im TR333 und SFB956 gefördert. Die Berechnungen wurden durch das europaweite PRACE-Netzwerk ermöglicht und erfolgten auf dem niederländischen Supercomputer Cartesius, in SURFsara.
Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt.