Marsstaub als Lebensgrundlage?
Physik-News vom 11.08.2022
Ein internationales Forschungsteam hat eine Cyanobakterien-Unterart identifiziert, die für den Einsatz in einem biologischen Lebenserhaltungssystem am besten geeignet zu sein scheint. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Applied and Environmental Microbiology“ veröffentlicht.
Die karge Umgebung des roten Planeten scheint auf den ersten Blick wenig nutzbare Ressourcen für ein Lebenserhaltungssystem oder die Produktion von Nahrungsmitteln bereitzuhalten. Doch die kohlenstoffreiche (95 %), stickstoffhaltige Atmosphäre und der rote Regolithboden – reich an Eisen, anderen Metallen und Mineralien – sind für genau solche Bioprozesse geeignet; und der Schlüssel dazu sind Cyanobakterien: Während sie auf der Erde häufig als lästige Blaualgen in Erscheinung treten und uns das Badevergnügen im Sommer verderben, sind sie mit Blick auf den Mars als wahre Lebenskünstler zu bewerten. Gefüttert mit Marsstaub und Marsatmosphäre und durch ihre Fähigkeit zur Photosynthese, sind Cyanobakterien in der Lage, Sauerstoff zu produzieren und Biomasse zu bilden, was in der astronautischen Exploration verschiedensten Zwecken dienen könnte – wie zum Beispiel der Herstellung von Nahrungsmitteln.
Publikation:
Tiago P. Ramalho, Guillaume Chopin, Olga M. Pérez-Carrascal, Nicolas Tromas, Cyprien Verseux
Selection of Anabaena sp. PCC 7938 as a Cyanobacterium Model for Biological ISRU on Mars
Applied and Environmental Microbiology Vol. 88, No. 15 (2022)
DOI: 10.1128/aem.00594-22
„Damit Menschen auf dem Mars überleben können, muss ihnen eine große Menge an Versorgungsgütern zur Verfügung stehen: Nahrungsmittel, Wasser, Sauerstoff, aber auch andere Dinge wie Medikamente. Für einen dauerhaften und nachhaltigen Aufenthalt dort kann der lebenswichtige Nachschub jedoch nicht fortlaufend von der Erde kommen, die Transportkosten und -risiken zum Mars sind einfach zu groß“, so Dr. Cyprien Verseux, Leiter des „Laboratory of Applied Space Microbiology“ am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen.
Was macht das Modellbakterium so besonders?
Der Ansatz, auf Basis von Cyanobakterien ein Lebenserhaltungssystem zu konzipieren, ist in der Explorationsforschung nicht neu. Dennoch stockte der Fortschritt auf dem Gebiet bislang durch das Fehlen eines gemeinsamen Modellbakteriums – der Stamm der Cyanobakterien zählt nämlich viele Tausend Arten. Cyprien Verseux und seinen Forschenden ist es jetzt gelungen, die Cyanobakterien-Art der Anabaena sp. PCC 7938 als vielversprechendste für ein Lebenserhaltungssystem auf dem Mars zu identifizieren. So schlagen sie diese Unterart auch als allgemeines Modellbakterium für das Forschungsfeld vor.
Wie sie zu dem Ergebnis gekommen sind, erklärt Cyprien Verseux: „Auf Grundlage bereits vorhandener Studien haben wir zunächst eine kleine Vorauswahl von Cyanobakterien-Stämmen getroffen. Anschließend nahmen wir ihre DNA in den Blick und haben sie anhand von Laborexperimenten verglichen. Kurz gefasst waren dabei zwei Kriterien entscheidend: Erstens, wie gut gedeihen die Bakterien auf Basis der Ressourcen, die auf dem Mars zu finden sind. Zweitens, können sie als Nährstoffgrundlage für andere Organismen fungieren und beispielsweise die Anzucht von essbaren Pflanzen oder anderen Bakterien unterstützen, die nicht die Fähigkeit besitzen, Marsstaub und Marsatmosphäre direkt zu verwerten.“
Bezogen auf letzteres ist dem Forschungsteam die erfolgreiche Anzucht von Entengrütze als höheres, nährstoffreiches Pflanzengewächs gelungen; Bestandteile der Biomasse der Anabaena sp. PCC 7938 wurde dabei als einziges Ausgangsmaterial verwendet. „Diese Pflanze wächst extrem schnell und ist vollständig essbar", erläutert Tiago Ramalho, ebenfalls ZARM-Wissenschaftler und Erstautor der Studie, "was sie zu einem erstklassigen Kandidaten für einen „landwirtschaftlichen“ Anbau auf dem Mars macht". Was ihn besonders freut: „Die Entengrütze, die wir in unserem Anzuchtversuch verwendet haben, stammt ursprünglich aus einem Bach im Bremer Stadtpark.“
Die Forschungsperspektive
Das Wissenschaftsteam möchte mit den gewonnenen Erkenntnissen, der Erforschung der sogenannten In-Situ Verfahren für den Mars – also der Nutzbarmachung von vor Ort auf dem roten Planeten vorhanden Ressourcen – neue Schubkraft verleihen. Die Perspektive für Cyprien Verseux ist klar: „Unsere Arbeit und auch die unserer Forschenden deuten stark darauf hin, dass das Konzept an sich machbar ist. Es erscheint möglich, dass sich Cyanobakterien von Mars-Ressourcen ernähren können und die Fähigkeit besitzen, andere, wichtige Bioprozesse in Gang zu setzen. Aber zu wissen, dass dieses System grundsätzlich funktionieren könnte, reicht nicht aus. Wir müssen es verbessern und herausfinden, ob es tatsächlich effizient genug für einen Einsatz bei Marsmissionen ist – und wenn ja, wie würden praktikable Lösungen, einschließlich der Technologie und notwendigen Verfahren, aussehen?“
Auch wollen Verseux und sein Team die biologischen Mechanismen besser verstehen, die den ausgewählten Bakterienstamm der Anabaena sp. PCC 7938 als so gut geeignet erscheinen lassen. „Wir stehen folglich noch ganz am Anfang und der Berg an noch verbleibendender Forschungsarbeit könnte entmutigend sein. Glücklicherweise entwickelt sich das Wissenschaftsfeld insgesamt in Richtung einer intensiven Zusammenarbeit: Die Zahl der Teams, die sich mit Lebenserhaltungssystemen auf der Basis von Cyanobakterien beschäftigen, wächst.“, führt Verseux aus. Das ZARM-Team hofft, dass sein entdeckter Modell-Bakterienstamm zu einer besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse beiträgt und sich die Forschungsarbeiten so einfacher und stärker ergänzen können.
Das Forschungsteam
Beteiligt an der Studie und der Veröffentlichung sind:
- Tiago P. Ramalho, Guillaume Chopin und Cyprien Verseux vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen,
- Olga M. Pérez-Carrascal vom Department of Integrative Biology der University of California in Berkeley, USA,
- sowie Nicolas Tromas vom Département des Sciences Biologiques der Université de Montréal, Kanada, und zugleich der Faculté des Sciences et Techniques (FST) der Université de Nantes, Frankreich.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.