Momentaufnahmen von explodierendem Sauerstoff

Momentaufnahmen von explodierendem Sauerstoff



Physik-News vom 09.06.2020

Neue Experimentiertechnik mit Reaktionsmikroskop der Goethe-Universität ermöglicht das „Röntgen“ einzelner Moleküle.

Seit mehr als 200 Jahren nutzen Menschen Röntgenstrahlen, um ins Innere der Materie zu schauen. Dabei dringen sie zu immer kleineren Strukturen vor – vom Kristall bis zum Nanopartikel. Jetzt ist Physikern der Goethe-Universität im Rahmen einer großen internationalen Kollaboration am Röntgenlaser European XFEL in Schenefeld bei Hamburg ein qualitativer Sprung gelungen: Mit einer neuen Experimentiertechnik können sie erstmals auch einzelne Moleküle wie Sauerstoff „röntgen“ und sich ihre Bewegung im Mikrokosmos anschauen.


Während der Sauerstoff-Explosion: Durch den Röntgenlaser XFEL wurden Elektronen aus den beiden Atomen des Sauerstoffmoleküls herausgeschlagen und der Aufbruch des Moleküls initiiert. Der Röntgenlaser löst während der Fragmentierung ein weiteres Elektron aus dem einen der beiden nun geladenen Sauerstoffatome (Ionen) aus einer inneren Schale. Das Elektron hat Teilchen- und Welleneigenschaften, und die Wellen werden am anderen Sauerstoff-Ion gebrochen. Das Brechungsmuster erlaubt es, das Auseinanderbrechen des Sauerstoffmoleküls in mehreren Schritten zu beobachten (Electron-Diffraction-Imaging).

Publikation:


Gregor Kastirke et al.
Photoelectron diffraction imaging of a molecular breakup using an X-ray free-electron laser
Phys. Rev. X 10, 021052

DOI: 10.1103/PhysRevX.10.021052



Der Deformation von Kernen widmete sich das Forschungsteam unter Beteiligung des Instituts für Kernphysik am Fachbereich Physik der TU Darmstadt. Ein Maß für diese Deformation ist das sogenannte Quadrupolmoment Q. Eine Verformung des Kerns in Richtung eines Rugbyballs bewirkt ein positives Q. Entwickelt sich die Form des Kerns mehr zu einer Art Frisbee, wird Q negativ. Je stärker die Abweichung von der Kugelgestalt ist, desto größer wird der Betrag des Quadrupolmomentes. Mit Q wächst auch der mittlere Kernradius an. Beide Größen können mit Lasern präzise vermessen werden.

Dabei werden die Elektronen in der Atomhülle angeregt. Die genaue Wellenlänge (Farbe) des Laserlichtes, bei der dies geschieht, variiert minimal von Isotop zu Isotop. Wiederum ein winziger Teil dieser Variation ist auf die Änderung des Kernladungsradius bzw. auf das Quadrupolmoment des Kerns zurückzuführen. Die hohe Präzision von Lasermessungen erlaubt es, für jedes der Isotope diesen winzigen Beitrag zu ermitteln. Die Experimente an den teils sehr kurzlebigen Zinn-Isotopen wurden mit Hilfe des COLLAPS-Experiments an der Isotopenfabrik ISOLDE des CERN in Genf durchgeführt. COLLAPS ist seit nun genau 40 Jahren in Betrieb und – wie sich zeigte – immer noch für Überraschungen gut.

Die Forscherinnen und Forscher, die nun die Ergebnisse ihrer Arbeit an Zinn-Isotopen veröffentlicht haben, untersuchten bereits vor einigen Jahren mit der gleichen Methode entlang der Kette der Cadmiumisotope die Reaktion des Rumpfkerns auf das ungepaarte Neutron. Cadmium besitzt ein Protonenpaar weniger als Zinn und hat damit keine abgeschlossene Protonenschale, ist also nicht magisch. Folglich war die Reaktion des Rumpfkerns auf das ungepaarte Neutron stark und das Team beobachtete einen linearen Anstieg des Quadrupolmomentes von negativen zu positiven Werten, wie er bereits 1955 von Maria Goeppert-Meyer und ihrem Kollegen Hans Jensen theoretisch vorhergesagt wurde.

Bei den neuen Untersuchungen an Zinnisotopen stellten sich die Quadrupolmomente erwartungsgemäß als deutlich kleiner heraus als die in der Cadmiumkette, da die magische Protonenzahl die Kugelform noch stärker begünstigt. Überraschend war hingegen, dass der Verlauf von Q entlang der Isotopenkette nun mitnichten linear ist, sondern durch eine etwas komplexere Funktion beschrieben werden muss, die aber selbst Schülern in der Mittelstufe schon bekannt ist: Die Ergebnisse liegen fast perfekt auf einer quadratischen Funktion, einer Parabel.

Dieses Resultat vergleichen die Forscherinnen und Forscher in ihrer jüngsten Publikation in dem Journal „Communications Physics“ mit den Vorhersagen eines theoretischen Modells auf der Basis von effektiven Kernkräften, welches sich jüngst bei der Beschreibung von Ladungsradien ausgezeichnet hatte. Während das Modell den generellen Trend grob beschreiben kann, zeigen sich bei Details deutliche Abweichungen. Die Daten werden somit zu einem neuen Baustein zum tieferen Verständnis der Kernkräfte.

An dem unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt waren von deutscher Seite die TU Darmstadt sowie unter anderem das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beteiligt.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Goethe-Universität Frankfurt am Main via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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