Paradoxe Wellen: Gefangene Lichtteilchen auf dem Sprung
Physik-News vom 18.06.2021
Physikern ist es gelungen, ein neuartiges Verhalten von Lichtwellen zu beobachten, bei welchem Licht durch eine neue Art von Unordnung auf kleinste Raumbereiche begrenzt wird. Paradoxerweise kann das Licht trotzdem sprungartig seinen Ort ändern, was das aktuelle Verständnis über Lichtwellen auf die Probe stellt.
Was Phil Anderson im Jahre 1958 voraussagte, brachte die weltweite Forschungsgemeinschaft ins Staunen: Ein elektrischer Leiter – wie z.B. Kupfer – kann schlagartig seine Leitfähigkeit verlieren und zu einem Isolator werden (ähnlich wie Glas), wenn sein atomares Gitter stark genug verunreinigt ist. Eine solche „Unordnung“, wie es im Physikjargon heißt, führt dann dazu, dass die Elektronen sich nicht mehr frei bewegen können – der Strom hört auf zu fließen.
Dieses Phänomen ist im Rahmen der klassischen Physik nicht zu erklären. Nur die moderne Quantenphysik, in der Elektronen gleichzeitig Teilchen und auch Welle sind, liefert eine Möglichkeit, diese sogenannte „Anderson-Lokalisierung“ zu verstehen. Heute weiß man, dass dieser Effekt, für dessen Voraussage Phil Anderson 1977 den Nobelpreis erhielt, allgemein gültig ist: Unordnung ist auch in der Lage, die Ausbreitung von Schallwellen oder sogar Licht zu stoppen.
Publikation:
S. Weidemann, M. Kremer, S. Longhi, A. Szameit
Coexistence of dynamical delocalization and spectral localization through stochastic dissipation
Nature Phot. 16 (2021)
DOI: 10.1038/s41566-021-00823-w
Der Rostocker Physikprofessor Alexander Szameit befasst sich seit seinem Studium mit den Eigenschaften von Licht und seiner Wechselwirkung mit Materie. Erst jüngst machte er mit seinen Doktoranden Mark Kremer und Sebastian Weidemann eine verblüffende Entdeckung: Jedes System auf dieser Welt tauscht unweigerlich Energie mit seiner Umgebung aus, und sobald dieser Austausch ungeordnet stattfindet, kann Licht in diesem System ebenfalls gefangen werden. Diese Art von Unordnung geht über das hinaus, was Phil Anderson 1958 betrachtete, da er in seinen Betrachtungen sämtlichen Energieaustausch mit der Umgebung vernachlässigte.
Zusammen mit ihrem Kollegen Professor Stefano Longhi erklären die Rostocker Forscher, dass das Licht hier durch einen völlig neuartigen Mechanismus „lokalisiert“ wird: „In unseren Experimenten konnten wir deutlich sehen, dass Licht auf kleine Raumbereiche begrenzt wird, sobald der Energieaustausch mit der Umgebung zufällig wurde.“ Während dieses Ergebnis im Einklang mit der Vorstellung war, dass Unordnung Wellen an Ort und Stelle festhalten kann, brachte eine weitere Entdeckung dieses bisherige Verständnis der Wissenschaft ins Schwanken: „Wir waren absolut verblüfft, als wir sahen, dass, obwohl das Licht gefangen sein sollte, der hellste Lichtpunkt plötzlich an einen anderen Ort gesprungen ist, und das wieder und wieder,“ erklären die Rostocker Physiker. Verantwortlich für dieses bis dato völlig unbekannte Phänomen sei eben der Energieaustausch mit der Umgebung.
„Und uns ist es gelungen, dieses universelle Phänomen nicht nur vorherzusagen, sondern auch mit Lichtwellen nachzuweisen“, erklärt Professor Szameit. Er führt weiter aus: „Lichtsignale in einem fünf Kilometer langen optischen Kabel werden durch diesen neuartigen Effekt zunächst an einem spezifischen Punkt gesammelt und fokussiert, bis sie schlagartig zu einem anderen, weit entfernten Punkt springen.“ Die bahnbrechenden Entdeckungen seien seiner Ansicht nach ein wichtiger Schritt in der Grundlagenforschung und heben das Verständnis über die Ausbreitung von Wellen – egal ob Licht, Schall oder Elektronen– auf eine neue Ebene.
Förderung
Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Europäischen Union und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Rostock via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.