Rekonstruktion eines ungewöhnlichen Gravitationswellensignals

Rekonstruktion eines ungewöhnlichen Gravitationswellensignals

Physik-News vom 18.11.2022
 

Ein Forschungsteam aus Jena und Turin (Italien) hat die Entstehung eines ungewöhnlichen Gravitationswellensignals rekonstruiert. Das Signal GW190521 könnte aus der Verschmelzung zweier schwerer Schwarzer Löcher resultieren, die sich gegenseitig mit ihrem Gravitationsfeld eingefangen haben und anschließend in schneller, exzentrischer Bewegung umeinander kollidierten.

Wenn Schwarze Löcher im Universum aufeinanderprallen, dann beben Raum und Zeit: Die bei der Verschmelzung freiwerdende Energiemenge ist so groß, dass sie die Raumzeit in Schwingung versetzt – ähnlich wie Wellen auf einer Wasseroberfläche. Diese Gravitationswellen breiten sich durch das gesamte Universum aus und lassen sich auch in Tausenden von Lichtjahren Entfernung noch messen – so wie am 21. Mai 2019, als die beiden Gravitationswellenobservatorien LIGO (USA) und Virgo (Italien) ein solches Signal einfingen. Das nach dem Datum seiner Entdeckung GW190521 benannte Gravitationswellenereignis hat seither in der Fachwelt für Gesprächsstoff gesorgt, da es sich von den zuvor gemessenen Signalen deutlich unterscheidet.


Künstlerische Sicht auf Gravitationswellen.

Publikation:


Gamba, R., Breschi, M., Carullo, G. et al.
GW190521 as a dynamical capture of two nonspinning black holes
Nat Astron (2022)

DOI: 10.1038/s41550-022-01813-w



Das Signal war zunächst so interpretiert worden, dass es sich bei der Kollision um zwei Schwarze Löcher handelte, die sich auf nahezu kreisförmigen Bahnen umeinander bewegen. „Solche binären Systeme können durch eine Reihe astrophysikalischer Prozesse entstehen“, erklärt Prof. Dr. Sebastiano Bernuzzi, theoretischer Physiker von der Universität Jena. So seien die meisten von LIGO und Virgo entdeckten Schwarzen Löcher stellaren Ursprungs. „Das heißt, sie sind die Überreste von massereichen Sternen in Doppelsternsystemen“, so Bernuzzi weiter, der die aktuelle Studie leitete. Solche Schwarzen Löcher umrunden einander auf quasi kreisförmigen Bahnen, so wie es die ursprünglichen Sterne zuvor auch schon taten.

Ein Schwarzes Loch fängt ein zweites ein

„GW190521 verhält sich aber deutlich anders“, macht Rossella Gamba deutlich. Die Erstautorin der Publikation promoviert im Jenaer Graduiertenkolleg 2522 und gehört zu Bernuzzis Team. „Seine Morphologie und seine explosionsartige Struktur unterscheiden sich extrem von früheren Beobachtungen.“ Also machten sich Rossella Gamba und ihre Kollegen auf die Suche nach einer alternativen Erklärung für das außergewöhnliche Gravitationswellensignal. Mit einer Kombination aus modernsten analytischen Methoden und numerischen Simulationen auf Supercomputern berechneten sie unterschiedliche Modelle für die kosmische Kollision.


Künstlerische Vorstellung von Schwarzen Löchern auf Kollisionskurs.

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass diese statt auf einer quasi kreisförmigen auf einer stark exzentrischen Bahn erfolgt sein musste: Ein Schwarzes Loch bewegt sich dabei zunächst ungebunden in einer relativ dicht mit Materie gefüllten Umgebung und kann, sobald es in die Nähe eines anderen Schwarzen Loches gelangt, von dessen Gravitationsfeld „eingefangen“ werden. Auch dies führt zur Entstehung eines binären Systems, allerdings bewegen sich die beiden Schwarzen Löcher hier nicht kreisförmig, sondern exzentrisch, in taumelnden Bewegungen umeinander.

Rossella Gamba, Doktorandin an der Universität Jena, ist Erstautorin der neuen Publikation zur Entstehung eines ungewöhnlichen Gravitationswellensignals.

„Ein solches Szenario erklärt die Beobachtungen deutlich besser als jede andere bisher vorgestellte Hypothese. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 1:4300“, sagt Matteo Breschi, Doktorand und Koautor der Studie, der die Infrastruktur für die Analyse entwickelt hat. Und Postdoktorand Dr. Gregorio Carullo ergänzt: „Auch wenn wir derzeit noch nicht genau wissen, wie oft solche dynamischen Begegnungen von Schwarzen Löchern überhaupt vorkommen, rechnen wir nicht damit, dass sie häufig passieren.“ Das mache die aktuellen Ergebnisse umso spannender. Dennoch bedarf es noch weiterer Forschungsarbeit, um die Entstehungsprozesse von GW190521 zweifelsfrei aufzuklären.

Teamwork im Graduiertenkolleg

Für das aktuelle Projekt haben die Teams in Jena und Turin (im Rahmen des von der DFG geförderten Jenaer Graduiertenkollegs 2522 „Dynamics and Criticality in Quantum and Gravitational Systems”) einen allgemein-relativistischen Rahmen für die exzentrische Verschmelzung von Schwarzen Löchern entwickelt und die analytischen Vorhersagen mit Simulationen der Einsteinschen Gleichungen überprüft. Erstmals kamen bei der Analyse von Gravitationswellen-Beobachtungsdaten Modelle von dynamischen Begegnungen zum Einsatz.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Friedrich-Schiller-Universität Jena via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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