Rotation eines Moleküls als „innere Uhr“
Physik-News vom 27.10.2020
Mit einer neuen Methode haben Physiker des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik die ultraschnelle Fragmentation von Wasserstoffmolekülen in intensiven Laserfeldern detailliert untersucht. Dabei nutzten sie die durch einen Laserpuls angestoßene Rotation des Moleküls als „innere Uhr“, um den zeitlichen Ablauf der in einem weiteren Laserpuls in zwei Schritten erfolgenden Reaktion zu vermessen. Eine solche „Rotationsuhr“ ist ein allgemeines Konzept, anwendbar auf mehrschrittige Fragmentationsprozesse in anderen Molekülen.
Wie zerbricht ein Molekül in einem intensiven Laserfeld und welche Prozesse laufen dabei nacheinander wie schnell ab? Dieser Frage sind Physiker am Heidelberger MPI für Kernphysik (MPIK) in Zusammenarbeit mit einer Forschergruppe aus Ottawa in Kanada am Beispiel des Wasserstoffmoleküls H₂ mit einer neuen Methode nachgegangen. Hierzu verwenden sie extrem kurze Laserblitze in der Größenordnung von Femtosekunden (fs, der Millionste Teil einer Milliardstel Sekunde). Derartige Laserpulse spielen auch eine Schlüsselrolle für die Kontrolle molekularer Reaktionen, da sie direkt auf die Dynamik der für die chemische Bindung verantwortlichen Elektronen Einfluss nehmen.
Publikation:
Y. Mi, P. Peng, N. Camus, X. Sun, P. Fross, D. Martinez, Z. Dube, P. B. Corkum, D. M. Villeneuve, A. Staudte, R. Moshammer and T. Pfeifer
Clocking enhanced ionization of hydrogen molecules with rotational wavepackets
Phys. Rev. Lett. 125, 173201
DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.173201
Setzt man ein Wasserstoffmolekül (H₂) einem starken Infrarot-Laserblitz (800 nm Wellenlänge) mit einer Intensität von einigen 10¹⁴ W/cm² aus, reißt das elektrische Feld des Lasers zunächst eines der beiden Elektronen heraus. Bei diesem Ionisationsprozess werden mehr als 10 Photonen gleichzeitig absorbiert. Das verbleibende Molekülion H₂⁺ ist mit nur noch einem Elektron nicht mehr im Gleichgewicht und beginnt sich durch die Abstoßung der beiden Protonen zu strecken. Dabei kann es durch Absorption weiterer Photonen in ein Proton (H⁺) und ein neutrales Wasserstoffatom (H) aufbrechen. Diese Reaktion wird als „Dissoziation über der Ionisationsschwelle“ (above threshold dissociation, ATD) bezeichnet. Streckt sich aber das Molekülion weiter bis auf einen Kernabstand von einigen Atomradien, so kann das verbliebene Elektron wie in einer kleinen Antenne resonant vom Laserfeld aufgeschaukelt und schließlich ebenfalls freigesetzt werden. Dieser Mechanismus wird „Verstärkte Ionisation“ (enhanced ionization, EI) genannt. Er führt zur „Coulomb-Explosion“ der beiden sich abstoßenden Protonen.
Diese Prozesse untersuchen die Forschenden im Laserlabor des MPIK mit einem Reaktionsmikroskop, das es erlaubt, alle geladenen Fragmente (Protonen, Elektronen) nach der Molekülspaltung nachzuweisen. Die Femtosekunden-Laserpulse werden darin auf einen dünnen Überschallstrahl aus Wasserstoffmolekülen fokussiert, um die gewünschte Intensität zu erreichen. Anhand ihrer kinetischen Energie lassen sich Protonen aus dem ATD- und EI-Prozess unterscheiden.
Offensichtlich braucht EI etwas mehr Zeit als ATD, aber wieviel und lässt sich dies messen? Hier ergibt sich ein Problem mit der Dauer des Laserblitzes: Er muss lang genug sein (ca. 25 fs), um diese Prozesse in Gang zu setzen, aber zugleich kurz genug, um eine präzise Zeitinformation zu erhalten (wenige fs). Da dies nicht erfüllbar ist, nutzten die Forschenden folgenden Trick: Im Prinzip enthält jedes Molekül eine Art „innerer Uhr“, da es zur Rotation angeregt werden kann.
Ein erster (etwas schwächerer) Pump-Puls regt das Molekül zur Rotation an (Abb. 1a), dann löst ein zweiter (etwas stärkerer) Probe-Puls mit zeitlich variabler Verzögerung die Fragmentation (ATD bzw. EI) aus (Abb. 1b). Beide Prozesse hängen empfindlich von der Ausrichtung der Molekülachse relativ zur Schwingungsebene des elektrischen Feldes ab – sie sind am wahrscheinlichsten, wenn beide parallel sind. Die beiden Laserpulse sind senkrecht zueinander linear polarisiert, um Fragmentationsereignisse aus dem ersten Puls aussortieren zu können.
Die Ausbeute an ATD- und EI-Ereignissen zeigt im Experiment ein nahezu regelmäßiges Auf und Ab, entsprechend der Rotation des Moleküls (Abb. 2). Bei näherer Analyse ist aber eine leichte Verzögerung von ca. 5,5 fs für EI gegenüber ATD sichtbar. Dies ist die typische Zeit, welche das Molekülion zusätzlich braucht, um sich so weit zu strecken, bis das Elektron resonant an das Laserfeld koppelt. Mittels theoretischer Modellrechnungen lassen sich weitere Details extrahieren und darüber hinaus die experimentellen Resultate in sehr guter Übereinstimmung rekonstruieren. Das Experiment wurde auch mit dem schwereren Isotop Deuterium (D₂) durchgeführt. Hier beträgt die Verzögerung ca. 6,5 fs. Dies ist etwas weniger als der aufgrund des Massenverhältnisses (Faktor √2) erwartete Wert. Ursache ist hier die langsamere Bewegung von D₂⁺, das erst nach ca. 20 fs den EI-Bereich erreicht, wofür bei 25 fs Dauer des Laserpulses kaum genügend Zeit bleibt.
Die beschriebene Methode einer „Rotationsuhr“ lässt sich prinzipiell auf ähnliche mehrschrittige Reaktionen in anderen Molekülen anwenden und bildet damit womöglich sogar die Basis für einen generellen Zugang zur Kontrolle molekularer Dynamik.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Kernphysik via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.