Rätselhaftes Doppel im Weltraum
Physik-News vom 16.09.2020
Doppelsterne sind Astrophysikerinnen und -physikern gut bekannt. Einer gab ihnen jedoch Rätsel auf: Warum fehlte ein Teil der Röntgenstrahlung, die die Doppelsternsysteme aussenden? Und warum hatte der andere Teil überraschende Eigenschaften? Ein Forschungsteam hat sich mit diesen Fragen beschäftigt und ein Doppelsternsystem mithilfe von Röntgensatelliten beobachtet.
Doppelsterne sind im Weltraum nichts Ungewöhnliches. Selbst wenn der eine Partner wie bei IGR J16318-4848 in einem der Spiralarme unsere Galaxie aus einem Neutronenstern und damit aus dem superkompakten Rest einer Sternen-Leiche besteht. Dessen Gegenüber wirkt ebenfalls exotisch, weil es sich um einen Überriesen-Stern handelt, der ein Vielfaches der Masse unserer Sonne hat. Obendrein entpuppt sich dieses Monster als eine Art „kosmische Dreckschleuder“, die jede Menge Eisen in den Weltraum bläst. „Meist erreicht uns von solchen Systemen ein breites Spektrum aus weicher und harter Röntgenstrahlung“, erklärt Prof. Dr. Jörn Wilms vom Astronomischen Institut der FAU in der Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg. Dieses System aber gab Astrophysikerinnen und Astrophysikern eine harte Nuss zu knacken, weil nicht nur der gesamte weiche Teil der Strahlung fehlt, sondern obendrein das harte Röntgenlicht auch noch sehr überraschende Eigenschaften hat. Lösen konnten Jörn Wilms, sein Doktorand Ralf Ballhausen und ein Forschungsteam in Deutschland, den Niederlanden, Spanien und den USA dieses Problem erst mit Hilfe gleich zweier Röntgen-Satelliten und Computer-Modellen, mit denen sie die Vorgänge um dieses bizarr anmutende System aus zwei Sternen simulierten.
Publikation:
Ralf Ballhausen et al.
Dust and gas absorption in the high mass X-ray binary IGR J16318−4848
A&A Volume 641, September 2020
DOI: 10.1051/0004-6361/202038317
Der Überriese, der Winzling und das Rätsel
In diesem Sternen-Paar bläst der Überriese, dessen wahre Größe noch gar nicht genau bestimmt werden konnte, kontinuierlich einen Teil seiner eigenen Masse als Sternenwind in den Weltraum. Dort aber kreist wahrscheinlich bereits ein Neutronenstern, der einst entstand, als ein Stern, der mindestens die achtfache Masse unserer Sonne hatte, am Ende seines Lebens zu einem extrem kompakten Gebilde zusammenstürzte. Dort sind die Atomkerne extrem dicht nebeneinander gepackt. Ein Teelöffel davon wäre ähnlich schwer wie ein Eisenwürfel mit 700 Meter langen Kanten. „Obwohl er die 1,4-fache Masse unserer Sonne hat, ist ein solcher Neutronenstern mit einem Durchmesser von zehn Kilometern im Vergleich mit den 700.000 Kilometern unserer Sonne nur ein Winzling“, erklärt Jörn Wilms. Fällt die vom Überriesen-Partner ausgestoßene Materie auf diesen super-massiven Winzling, entsteht Röntgenstrahlung. „Nur fehlt bei diesem Doppelstern-System nicht nur die gesamte weiche Röntgenstrahlung, sondern besteht auch der harte Teil fast ausschließlich aus einer extrem hellen Emissionslinie, die aus Eisen stammt“, staunt FAU-Forscher Jörn Wilms.
Diese Röntgen-Fluoreszenz entsteht, wenn das Röntgenlicht vom Neutronenstern aus Eisen-Atomen Elektronen herausschlägt, die aus der nächsten Nähe des Atomkerns stammen. Die so entstandene Lücke wird rasch von einem Elektron aus etwas größerer Entfernung zum Kern geschlossen. Dabei wird genau die Strahlung frei, von der Röntgensatelliten riesige Mengen messen. „Daraus schließen wir, dass dort große Mengen Eisen vorhanden sind“, folgert FAU-Forscher Ralf Ballhausen.
Nur ist der Neutronenstern sehr heiß und sollte dieses Eisen kräftig aufheizen. Dadurch verlieren die Atome leicht Elektronen, die relativ weit vom Atomkern entfernt sind und die daher ohnehin nicht allzu fest gebunden sind. Dabei werden die Atome zu Ionen. Dieser Verlust verändert auch die Elektronen-Struktur in nächster Nähe zum Atomkern und gleichzeitig auch die Röntgen-Fluoreszenz ein klein wenig. „Als 2016 der japanische Satellit Hitomi das System vermaß, fanden sich solche Veränderungen aber kaum“, berichtet Jörn Wilms. Anscheinend gibt es dort also kaum die erwarteten Eisen-Ionen, sondern wohl vor allem Eisen-Atome. Wieso aber werden diese von der starken Röntgenstrahlung nicht aufgeheizt und in Ionen verwandelt? Die Forscherinnen und Forscher standen vor einem großen Rätsel.
Die Lösung? Fester Staub!
Die Lösung fand das Team um die FAU-Forscher Jörn Wilms und Ralf Ballhausen, als es das System gleichzeitig mit zwei Röntgen-Satelliten beobachtete: Das NuSTAR Röntgenteleskop der US-Weltraumorganisation NASA und der 3,8-Tonnen-Gigant XMM-Newton, den die europäischen Weltraumorganisation ESA bereits 1999 in den Weltraum gehievt hat, zeigen gemeinsam das gesamte Spektrum der Röntgenstrahlung in sehr hoher Qualität. Aber noch immer lieferten die Modellrechnungen mit diesen Ergebnissen eine andere Röntgen-Strahlung als die aus dem System gemessene. Erst als die Forscherinnen und Forscher in ihren Modellen das bisher als Gas angenommene Eisen durch einen festen Staub ersetzten, stimmten die vom Computer ausgespuckten Werte endlich mit der Realität im Weltraum überein.
Damit aber hatte das Team auch das Geheimnis um die seltsame Röntgenstrahlung gelöst: „Der Überriese ist zwar tatsächlich eine Dreckschleuder, die sehr viel Eisen in den Weltraum bläst“, erklärt Ralf Ballhausen. „Nur verklumpt dieses Gas rasch und bildet so festen Staub.“ Dieser könnte vielleicht aus Olivin und damit einem Mineral aus Eisen und Nickel bestehen, das nicht nur im Erdmantel, sondern auch in Meteoriten und sehr wahrscheinlich auch überall sonst im Weltraum reichlich verkommt. Dieser Olivin-Staub sammelt sich in großen Mengen an und hüllt das Paar aus Neutronenstern und Überriesen in eine dichte Staubschicht. In den inneren Bereichen kann die Röntgenstrahlung vom Neutronenstern dieses Eisen zwar kräftig aufheizen. Von der Erde aus aber beobachten die Röntgensatelliten nur die äußersten Schichten der Staubhülle. Und dort bleibt das Olivin kalt.
Inzwischen nehmen Jörn Wilms, Ralf Ballhaus und ihr Team bereits andere Doppelstern-Systeme unter die Lupe, die ebenfalls die Röntgenstrahlen aus ihrem Inneren großenteils zu verschlucken scheinen. Vielleicht ähneln die Verhältnisse dort ja auch dem Neutronenstern und seinem Überriesen und dicke, kalte Staubhüllen sind nichts Ungewöhnliches im Weltraum?
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.