Sternbewegungen enthüllen das Rückgrat der Großen Magellanschen Wolke
Physik-News vom 29.03.2022
Anhand von Daten der VISTA-Durchmusterung des Magellanschen Wolkensystems (VMC) haben Forschende die Existenz von langgestreckten Bahnen bestätigt, die das Rückgrat des Balkenbildungsprozesses bilden. Die Methode verwendete wiederholte bildgebende Beobachtungen, um eine Geschwindigkeitskarte der Sterne in der zentralen Region der Großen Magellanschen Wolke zu erstellen.
Die Große Magellansche Wolke (siehe Magellansche Wolken) ist von der südlichen Hemisphäre aus mit bloßem Auge sichtbar, da sie die hellste und massereichste Satellitengalaxie der Milchstraße ist. Die Große Magellansche Wolke ist reich an Sternen, die eine große Altersspanne abdecken, von neu entstehenden Sternen bis zu Sternen, die so alt sind wie das Universum. Sie wird als irreguläre Galaxie eingestuft, weil sie durch einen einzelnen Spiralarm und einen vom Zentrum der Scheibe abgesetzten Balken gekennzeichnet ist.
Publikation:
F. Niederhofer, M.-R. L. Cioni, T. Schmidt, K. Bekki, R. de Grijs, V. D. Ivanov, J. M. Oliveira, V. Ripepi, S. Subramanian, J. Th. Van Loon
The VMC survey – XLVI. Stellar proper motions in the centre of the Large Magellanic Cloud
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
DOI: 10.48550/arXiv.2203.14369
„Stellare Balkenstrukturen sind ein häufiges Merkmal von Spiralgalaxien. Man nimmt an, dass sie durch kleine Störungen innerhalb der stellaren Scheibe entstehen, die die Sterne aus ihrer Kreisbewegung herauslenken und sie auf langgestreckte Bahnen zwingen“, erklärt Dr. Florian Niederhofer, Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie. „Eine besondere Art dieser Bahnen sind jene, die mit der Hauptachse des Balkens ausgerichtet sind. Diese gelten als das ‚Rückgrat‘ der Sternbalken und bilden die Hauptstütze der Balkenstruktur.“ Das VISTA-Teleskop wurde entwickelt, um den südlichen Himmel im nahen Infrarot zu durchmustern und Quellen zu untersuchen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder der Anwesenheit von Staub bevorzugt in diesem Spektralbereich emittieren.
Anhand von VMC-Daten hat das Team nun erstmals diese Bahnen innerhalb des Balkens der Großen Magellansche Wolke nachgewiesen. VMC ist eine Multi-Epochen-Durchmusterung des Systems der Magellanschen Wolken und ein öffentliches Durchmusterungsprojekt der Europäischen Südsternwarte (ESO), das zwischen 2010 und 2018 durchgeführt wurde und darauf abzielt, den stellaren Inhalt und die Dynamik unserer nächsten extragalaktischen Nachbarn zu untersuchen.
Das Team entwickelte eine ausgeklügelte Methode zur genauen Bestimmung der Eigenbewegungen von Sternpopulationen innerhalb der Magellanschen Wolken. In einer jetzt in Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlichten Studie wendete es diese Methode auf zentrale Teile der Großen Magellansche Wolke an. Aus den gemessenen Werten berechneten die Autorinnen und Autoren die tatsächlichen Sternbewegungen innerhalb der Großen Magellansche Wolke und erstellten detaillierte Geschwindigkeitskarten der internen Geschwindigkeitsstruktur der Galaxie. „Die erstaunliche Detailgenauigkeit der Geschwindigkeitskarten zeigt, wie sehr sich unsere Methode im Vergleich zu früheren Messungen vor einigen Jahren verbessert hat“, sagt Thomas Schmidt, Mitautor und Doktorand am AIP. Zum Erstaunen der Forschenden enthüllten ihre Karten langgestreckte Sternbewegungen, die der Struktur und Ausrichtung des Balkens folgen.
„Dank ihrer geringen Entfernung von etwa 163.000 Lichtjahren können wir mit bodengebundenen Teleskopen wie VISTA einzelne Sterne innerhalb der Magellanschen Wolken beobachten“, sagt Prof. Dr. Maria-Rosa Cioni, die Leiterin des VMC-Projekts und der Abteilung Zwerggalaxien und der galaktische Halo am AIP. „Damit bieten uns diese Galaxien ein einzigartiges Labor, in dem wir die Prozesse, die Galaxien formen und bilden, im Detail untersuchen können.“ Von großem Interesse ist die Dynamik der Sterne, da sie wertvolle Informationen über die Entstehung und Entwicklung der Galaxien liefern. Lange Zeit waren jedoch die eindimensionalen Geschwindigkeiten der Sterne entlang der Sichtlinie die einzige Quelle für dynamische Informationen.
Diese Geschwindigkeiten können leicht durch spektroskopische Dopplerverschiebungen gemessen werden, die auf dem Effekt beruhen, dass das beobachtete Licht eines Sterns blauer oder röter erscheint, je nachdem, ob er sich uns nähert oder von uns wegbewegt. Um die vollständigen dreidimensionalen Geschwindigkeiten der Sterne zu erhalten, muss man die Eigenbewegungen der Sterne kennen, d. h. die scheinbaren zweidimensionalen Bewegungen der Sterne in der Himmelsebene. Diese Bewegungen können durch mehrfache Beobachtung derselben Sterne über einen bestimmten Zeitraum, in der Regel mehrere Jahre, ermittelt werden. Die Verschiebungen der Sterne werden dann in Bezug auf nahe gelegene Referenzobjekte bestimmt. Bei diesen Objekten kann es sich z. B. um sehr weit entfernte Hintergrundgalaxien handeln, von denen man aufgrund ihrer großen Entfernung annehmen kann, dass sie sich in Ruhe befinden, oder um Sterne mit bereits bekannten Eigenbewegungen.
Da die beobachteten Bewegungen der Sterne von der Erde aus gesehen winzig sind, sind präzise Messungen immer noch eine Herausforderung. In der Entfernung der Magellanschen Wolken liegen die beobachteten Bewegungen der Sterne in der Größenordnung von Millibogensekunden pro Jahr – eine Millibogensekunde entspricht etwa der Größe einer Astronautin auf dem Mond, von der Erde aus gesehen.
„Unsere Entdeckung ist ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung der dynamischen Eigenschaften von Balkengalaxien, da die Magellanschen Wolken derzeit die einzigen Galaxien sind, in denen wir solche Bewegungen mit Hilfe der stellaren Eigenbewegungen untersuchen können. Für weiter entfernte Galaxien liegt dies noch jenseits unserer technischen Möglichkeiten“, sagt Florian Niederhofer. Insgesamt wurden 9 Jahre lang Beobachtungen durchgeführt, um genügend Bilder zu sammeln, um diese winzigen Bewegungen messen zu können. „Diese unerwartete Messung ergänzt eine ganze Reihe von bedeutenden Ergebnissen, die das VMC-Team erzielt hat“, fügt Maria-Rosa Cioni stolz hinzu.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.