Untersuchung der Entstehung von „metallischem Glas“ widerlegt jahrzehntealtes Paradigma der Glasforschung

Untersuchung der Entstehung von „metallischem Glas“ widerlegt jahrzehntealtes Paradigma der Glasforschung



Physik-News vom 27.04.2020

Metallische Gläser sind Legierungen, die bei schnellem Abkühlen nicht kristallisieren. So erstarren ihre Atome in relativer Unordnung und verleihen dem Material Eigenschaften, die ganz anders sind als die eines Materials aus denselben Grundstoffen, das langsamer abgekühlt wurde. Was genau auf atomarer Ebene bei diesem „Glasübergang“ passiert, ist bisher nicht vollständig geklärt. Hierbei hat ein internationales Team um die Materialwissenschaftlerin Isabella Gallino von der Uni des Saarlandes nun entscheidende Fortschritte gemacht – und zugleich ein jahrzehntealtes Paradigma widerlegt.

Bei Gläsern denken die meisten Menschen, die nicht zufälligerweise Materialwissenschaftler geworden sind – und das dürfte die Mehrzahl der Menschen sein – an ihre Fensterscheiben, ihre Trinkgläser oder ihre Brillen. An Metalle hingegen denkt daran kaum jemand. Dabei spielen die so genannten metallischen Gläser oder amorphen Metalle eine zunehmend große Rolle in der Wissenschaft wie auch in der Technologie. Metallschmelzen, die binnen Sekundenbruchteilen so weit heruntergekühlt werden, dass sie schnell erstarren, wirken auf atomarer Ebene chaotisch und ungeordnet.

Anders als Metallschmelzen, die langsam erstarren, bilden ihre Atome keine regelmäßige Kristallstruktur, sondern bleiben in etwa dort, wo sie während der Abkühlphase in der Schmelze bereits waren. Diese Unordnung im Aufbau verleiht dem Metallischen Glas Eigenschaften, die ganz anders sind als in einer herkömmlichen kristallinen Legierung derselben Ausgangsstoffe, die langsamer heruntergekühlt wurden. Diese Metallischen Gläser sind zum Beispiel fest wie Stahl, aber gleichzeitig elastisch wie Kunststoff.


Dr. Isabella Gallino und Prof. Dr. Ralf Busch

Publikation:


X. Monnier, D. Cangialosi, B. Ruta, R. Busch, I. Gallino
Vitrification decoupling from α-relaxation in a metallic glass
Sci. Adv.6, eaay1454 (2020)

DOI: 10.1126/sciadv.aay1454



Die meisten Stoffe im Universum sind amorphe Strukturen, bilden im physikalischen Sinne also eher ein „Durcheinander“ statt einer geordneten Kristallstruktur. Selbst Wasser, das auf der Erde in gefrorenem Zustand in der Natur eigentlich immer kristallin ist, ist im gesamten Universum, zum Beispiel in Kometen, bei unter -150 Grad Celsius fast ausschließlich „glasartig“ bzw. amorph vorhanden. Wissenschaftlich betrachtet ist dieser so genannte „Glasübergang“ von einer Flüssigkeit zum Feststoff also ein fundamentaler Prozess.

„Wie dieser Glasübergang allerdings genau funktioniert, ist nach wie vor nicht wirklich verstanden worden“, erklärt Isabella Gallino. Die Materialforscherin hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Spanien (Dr. Daniele Cangialosi, Dr. Xavier Monnier), Frankreich (Dr. Beatrice Ruta) und Deutschland (Professor Ralf Busch, ebenfalls Universität des Saarlandes) nun in bisher ungekannter Detailgenauigkeit erforscht, was in der Zeitspanne vom flüssigen in den festen Zustand auf atomarer Ebene am Glasübergang passiert.

Dazu haben Gallino und ihre Kollegen die unterkühlte Schmelze einer speziellen Goldlegierung mit sehr brillianter (und kohärenter) Röntgenstrahlung am European Synchrotron Research Facility in Grenoble durchleuchtet, während sie von rund 150 Grad Celsius (flüssig) auf etwa 115 Grad Celsius (glasartig) „eingefroren“ wird. Die Atome der Legierung verraten dabei, wie ihre Beweglichkeit abnimmt. Parallel dazu wurde mit einem neuartigen „Flash-Kalorimeter“, mit dem extrem hohe Heiz-, und Kühlraten realisiert werden können, der Einfrierprozess selbst untersucht. Was in - diesem „Glasübergangsbereich“ passiert, konnte bisher niemand mit dieser Genauigkeit sagen.

„In diesem großen Bereich von Heiz- und Kühlraten ist das bisher noch niemandem gelungen“, erklärt Isabella Gallino, die aktuell an ihrer Habilitation arbeitet. Vor zehn Jahren wären diese Art Untersuchungen alleine aus technischen Gründen gescheitert. Weder hatten die Wissenschaftler damals die Möglichkeit, das Material mit hoch brillanter Röntgenstrahlung zu durchleuchten, noch gab es das kalorimetrische Verfahren, bei dem Umwandlungen eines Stoffes mit Raten von bis zu 100.000 Grad pro Sekunde registriert werden können. Beides ist heute möglich, und beides haben Isabella Gallino und ihre Kollegen genutzt.

In ihrem nun erscheinenden Artikel in der renommierten Fachzeitschrift „Science Advances“ konnten das Team sogar mit einem bisher gültigen Paradigma der Materialforschung aufräumen: „Bisher ist man immer davon ausgegangen, dass mit der Abnahme der atomaren Beweglichkeit in gleichem Maße die Eigenschaften der Flüssigkeit ab- und die des Feststoffes zunehmen“, erklärt Isabella Gallino. „Diese Eins-zu-eins-Korrelation ist allerdings nicht ganz korrekt“, so die Materialforscherin.

„Das liegt daran, dass die Schmelze aus ganz verschieden großen Atomen besteht“, führt sie weiter aus. „Während die großen Atome wie die Goldatome schon eingefroren sind, können sich die kleinen Atome wie Silizium noch bewegen und sich ‚zurechtruckeln‘.“ Dieses kollektive Fließen führt dazu, dass die globale Beweglichkeit zu diesem Zeitpunkt immer noch vorhanden ist, sodass sich das Material noch wie eine Flüssigkeit verhält. Erst wenn auch die kleineren Atome einfrieren, erstarrt die Flüssigkeit schießlich vollends zu einem Glas.

Damit ist den Forscherinnen und Forschern um Isabella Gallino ein fundamentaler Erkenntnissprung gelungen, der die weiteren Arbeiten nicht nur an amorphen Metallen, sondern auch weiteren glasbildenden Materialien wie Polymeren und Ionenflüssigkeiten weltweit beeinflussen wird. Denn versteht man diese entscheidende Phase des „Glasübergangs“ besser, gelingt es künftig auch besser, neue Materialien zu erschaffen bzw. das Verhalten bereits bestehender Materialien besser zu verstehen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität des Saarlandes via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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