Versuche zur Feinmotorik in Schwerelosigkeit

Versuche zur Feinmotorik in Schwerelosigkeit



Physik-News vom 12.06.2024

Feinmotorische Aufgaben unter Weltraumbedingungen stellen eine besondere Herausforderung dar und müssen zuvor auf der Erde trainiert werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun untersucht, ob sich ein robotisches Exoskelett, das Schwerelosigkeit simulieren kann, für astronautisches Training eignet. Das Team hatte nun die Möglichkeit, an der 42. Parabelflugkampagne des DLR in Bordeaux, Frankreich, teilzunehmen, um die Auswirkungen der simulierten Schwerelosigkeit mit denen der realen Schwerelosigkeit zu vergleichen.

Bei Weltraummissionen werden Astronautinnen und Astronauten häufig mit feinmotorischen Aufgaben wie der Durchführung von Reparaturen oder Experimenten konfrontiert, die durch die Schwerelosigkeit im All erschwert werden. Das gezielte Training dieser Fähigkeiten ist besonders wichtig, um nicht nur die Effizienz der Missionen zu erhöhen, sondern auch die Sicherheit der Astronautinnen und Astronauten zu gewährleisten. Bislang können solche Einsätze auf der Erde nur bei Parabelflügen oder in Raumanzügen unter Wasser trainiert werden.

Innovatives Raumfahrttraining mit Exoskelett

An einer alternativen und kostengünstigeren Trainingsmethode arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DFKI Robotics Innovation Center in Bremen und des Fachgebiets Systeme der Medizintechnik der Universität Duisburg-Essen (UDE). Im Projekt NoGravEx, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen des INNOSpace-Netzwerks Space2Health – einer Initiative der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR – gefördert wurde, haben sie einen innovativen Ansatz weiterentwickelt, um mit Hilfe eines robotischen Exoskeletts Mikrogravitation zu simulieren. Die Technologie ist in der Lage, das Gewicht der Arme einer Person zu erkennen und zu kompensieren, so dass sich die Arme schwerelos oder beispielsweise so schwer wie auf dem Mond anfühlen.


Forscher und Probanden sind bereit für ihren ersten Parabelflug.

Teilnahme an DLR-Parabelflugkampagne

Die Effekte der simulierten Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper im Vergleich zur echten Schwerelosigkeit untersuchen die Forschenden derzeit im Projekt GraviMoKo, das ebenfalls vom BMWK im Rahmen der Initiative Space2Health gefördert wird. Mit der Teilnahme an der 42. DLR-Parabelflugkampagne vom 27. Mai bis 6. Juni 2024 im französischen Bordeaux haben sie einen wichtigen Meilenstein in dem Vorhaben erreicht.

Bei Parabelflügen wird durch spezielle Auf- und Abstiegsmanöver 31 Mal für jeweils rund 22 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt. Diese Zeit steht den wissenschaftlichen Teams für ihre Experimente zur Verfügung. Statt der geplanten drei Flüge an drei Tagen startete der Airbus A310 Zero G der Firma Novespace insgesamt viermal, da der erste Flug nach nur 16 Parabeln wegen technischer Probleme abgebrochen werden musste. Die restlichen Parabeln wurden am zweiten Tag nachgeholt.


Blick in das Innere des Flugzeugs während der Phase der Schwerelosigkeit

Versuchsaufbau und -durchführung

Das Exoskelett-Experiment war eines von elf ausgewählten Experimenten an Bord des Flugzeugs und sah die Teilnahme von sechs Testpersonen vor. Um den Ausfall einzelner Probandinnen und Probanden kompensieren zu können, hatten sich im Vorfeld jedoch mehr Personen auf den Einsatz vorbereitet. Die Aufgabe der Testpersonen bestand darin, in der Schwerelosigkeit mit dem Zeigefinger des rechten Arms die Mitte einer Zielschiebe auf einem Touchscreen zu treffen. Dabei war der Arm durch einen Umhang verdeckt, um visuelle Bewegungskorrekturen zu vermeiden. Während des Versuchs wurden die Muskelaktivität des Armes, die Gehirnaktivität und die Herzratenvariabilität der Testpersonen sowie deren Bewegungstrajektorien aufgezeichnet.


Proband während des Versuchs.
Probandin während des Versuchs.

Die Hälfte der Probandinnen und Probanden hatte diese Aufgabe bereits im Labor mit einem aktiven Exoskelett in simulierter Schwerelosigkeit trainiert, die anderen waren untrainiert bzw. nur mit dem Versuchsaufbau vertraut. Im Gegensatz zu den Tests auf der Erde wurden bei den Parabelflügen passive Systeme eingesetzt. Dabei ermöglichten zwei identische Versuchsaufbauten den gleichzeitigen Einsatz von zwei Testpersonen pro Flug. Eine mit allen Sensoren ausgestattete Ersatzperson stand bereit, um bei Unwohlsein einzuspringen und fungierte ansonsten als Operator und Unterstützung der eingesetzten Probandinnen oder Probanden.

Die Experimente verliefen weitgehend planmäßig, nur einmal musste wegen Übelkeit eine Testperson ausgetauscht werden. Am Ende der zehntägigen Kampagne zeigten sich die Forschenden sehr zufrieden mit dem Verlauf. Projektleiterin Prof. Dr. Elsa Kirchner, Universität Duisburg-Essen/DFKI: „Wir haben unsere erste Parabelflugkampagne exzellent gemeistert und alle geplanten Daten erhoben. Das Team hat trotz aller Anstrengung und wenig Schlaf hervorragend zusammengearbeitet. Jetzt geht es an die Auswertung der sehr umfangreichen Daten.“

Datenauswertung und Anwendungspotenziale

Durch die Analyse der Daten erhoffen sich die Forschenden Erkenntnisse darüber, ob das Training mit dem Exoskelett in simulierter Schwerelosigkeit eine Übertragung des Gelernten in die reale Schwerelosigkeit und somit eine Leistungssteigerung ermöglicht. Dies könnte dazu beitragen, Astronautinnen und Astronauten künftig besser auf die Herausforderungen von Raumfahrtmissionen vorzubereiten und ihre Leistungsfähigkeit unter den extremen Bedingungen des Weltalls zu optimieren.

Nicht nur die Raumfahrt, sondern auch irdische Anwendungsbereiche wie die Rehabilitation können von der neuen Technologie profitieren. Das in den Projekten NoGravEx und GraviMoKo eingesetzte und weiterentwickelte Exoskelett wurde am DFKI ursprünglich für die Rehabilitationstherapie entwickelt. Durch die Möglichkeit der personenspezifischen Gewichtskompensation kann das System körperlich eingeschränkte Menschen, beispielsweise nach einem Schlaganfall, noch individueller unterstützen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz GmbH, DFKI via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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