Virtuelle Linse verbessert Röntgenmikroskopie
Physik-News vom 01.02.2019
Ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam hat Meteoriteneinschläge im Labor simuliert und die resultierenden Strukturänderungen in zwei weit verbreiteten Feldspat-Mineralien live mit Hilfe von Röntgenlicht verfolgt. Die Ergebnisse der Experimente bei DESY und am Argonne National Laboratory in den USA zeigen, dass diese Änderungen der atomaren Struktur je nach Kompressionsrate bei sehr unterschiedlichem Druck auftreten können. Die im Fachblatt „Earth and Planetary Science Letters“ (Ausgabe 1. Februar, online vorab) veröffentlichte Studie hat Bedeutung für die Rekonstruktion von Meteoriteneinschlägen anhand von Einschlagkratern auf der Erde und auf anderen erdähnlichen Planeten.
Mit Röntgenmikroskopen blicken Forschende am PSI in Computerchips, Katalysatoren, Knochenstückchen oder Hirngewebe. Die kurze Wellenlänge des Röntgenlichts macht Details sichtbar, die eine Million Mal kleiner als ein Sandkorn sind – also Strukturen im Nanometerbereich (millionstel Millimeter). Wie bei einem normalen Mikroskop trifft das Licht auf die Probe und wird von ihr abgelenkt. Eine Linse sammelt dieses gestreute Licht und erzeugt ein vergrössertes Bild auf der Kamera. Allerdings streuen winzige Strukturen das Licht in sehr grossen Winkeln. Will man sie im Bild auflösen, braucht es entsprechend eine grosse Linse. "Doch es ist äusserst schwierig, solch grosse Linsen herzustellen", sagt Klaus Wakonig, Physiker am PSI: "Im sichtbaren Bereich gibt es Linsen, die sehr grosse Streuwinkel einfangen können. Im Röntgenbereich hingegen ist dies aufgrund der schwachen Wechselwirkung mit dem Material der Linse komplizierter. Infolgedessen können meist nur sehr kleine Winkel eingefangen werden oder die Linsen sind sehr ineffizient."
Die neue, von Wakonig und seinen Kollegen entwickelte Methode umgeht dieses Problem. "Das Ergebnis ist so, als ob wir mit einer grossen Linse gemessen hätten", erklärt der Forscher. Das PSI-Team verwendet eine kleine, aber effiziente Linse, wie sie üblicherweise in der Röntgenmikroskopie eingesetzt wird, und verschiebt diese über einen Bereich, den eine ideale Linse abdecken würde. Somit entsteht virtuell eine grosse Linse. "In der Praxis gehen wir mit der Linse zu verschiedenen Punkten und nehmen dort jeweils ein Bild auf", erklärt Wakonig. "Dann verwenden wir Computeralgorithmen, um alle Bilder zu verbinden und so eine hochaufgelöste Aufnahme zu erzeugen."
Vom sichtbaren Licht zur Röntgenstrahlung
Normalerweise vermeidet man, Linsen in Instrumenten von der optischen Achse weg zu bewegen, da dies die Abbildung verfälschen kann. Doch da die Forschenden die genaue Position der Linse kennen und viele nah beieinander liegende Punkte beleuchten, können sie rekonstruieren, wie das Licht gestreut wurde und wie die Probe ausgesehen hat. Das Verfahren heisst Fourier-Ptychografie und wird seit 2013 für die Mikroskopie im sichtbaren Bereich verwendet. In ihren Experimenten am PSI konnten die Forschenden nun erstmals dieses Prinzip auf die Röntgenmikroskopie übertragen. "Soweit wir wissen, wurde bisher keine erfolgreiche Umsetzung der Fourier-Ptychografie mit Röntgenlicht gemeldet", schreiben die Forschenden in Science Advances.
Die neue Methode liefert nicht nur eine bessere Auflösung, sondern auch zwei sich ergänzende Bildinformationen. Einerseits wird wie bei einer Handy-Kamera gemessen, wie viel Licht vom abzubildenden Objekt absorbiert wird. Andererseits wird auch erfasst, wie das Licht abgelenkt wird. Die Fachleute sprechen von Absorptions- und Phasenkontrast. "Unsere Methode liefert den Phasenkontrast, der sonst nur schwer zu erhalten ist, praktisch gratis mit", sagt Ana Diaz, Strahllinienwissenschaftlerin am PSI: "Dadurch ist die Qualität der Bilder viel besser." Der Phasenkontrast ermöglicht es sogar, Rückschlüsse auf die Materialeigenschaften der untersuchten Probe zu ziehen, was mit normaler Bildgebung in der Regel nicht gelingt.
Besonders interessant für biologische Proben
In ihren Experimenten war die untersuchte Probe der Forschenden ein Detektorchip. In Zukunft könnte die neue Methode zum Beispiel aufzeigen, wie ein Katalysator bei hohen Temperaturen arbeitet, wenn man ein Gas hinzufügt, oder wann und wie ein Metall unter Druck bricht.
Aber auch Gewebe und Zellverbände könnten damit besser untersucht werden. Davon erhoffen sich die Forschenden neue Erkenntnisse über die Entstehung von Krankheiten wie Alzheimer oder Hepatitis. "Biologische Proben haben normalerweise keinen guten Absorptionskontrast. Hier sorgt der Phasenkontrast für eine wesentliche Steigerung der Bildqualität", erklärt Diaz die Vorzüge der neuen Methode. Zudem vermuten die Forschenden, dass die Fourier-Ptychografie schonender ist als bisherige Verfahren. "Ein Vergleich mit der normalen Röntgenmikroskopie deutet darauf hin, dass die neue Methode eine geringere Strahlendosis erfordert, weil sie effizienter ist", sagt Wakonig. "Dies könnte für Untersuchungen von biologischen Proben besonders interessant sein."
Aufgebaut hat das Forscherteam seine Demonstrationsanlage an der Strahllinie cSAXS der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. "Die Experimente sind zurzeit noch recht aufwendig und brauchen viel Zeit", sagt Diaz. Damit das neue Verfahren funktioniert, müssen die verwendeten Röntgenstrahlen sich in einer Art Gleichklang befinden, die Forschenden sagen: Sie müssen kohärent sein. Solche Experimente erfordern derzeit Grossforschungsanlagen wie die SLS. Wakonig untersucht aber auch, ob sich das Verfahren mit weniger Kohärenz realisieren lässt. Könnte man Proben auf diese Weise mit einer üblichen Laborquelle für Röntgenstrahlung untersuchen, würden sich viele weitere Anwendungsbereiche erschliessen.
Text: Barbara Vonarburg
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.