Was Wellen über die Marskruste verraten
Physik-News vom 01.11.2022
Nach zwei grossen Meteoriteneinschlägen auf dem Mars beobachteten Forschende erstmals ausserhalb der Erde seismische Wellen, die sich entlang der Oberfläche eines Planeten ausbreiteten. Die Daten der Marsbeben wurden von der Nasa-Sonde InSight aufgezeichnet und an der ETH Zürich analysiert. Sie liefern neue Erkenntnisse über die Struktur der Marskruste.
Der Marsbebendienst an der ETH Zürich analysiert die Messungen, die das Seismometer der InSight-Mission auf unserem Nachbarplaneten durchführt. Fast drei Jahre lang wurden nur Bebenwellen entdeckt, die sich vom jeweiligen Bebenherd durch den tiefen Mars hindurch ausbreiteten. Die Forschenden hofften jedoch auf ein Ereignis, das auch Wellen erzeugt, die entlang der Planetenoberfläche reisen. Am 24. Dezember 2021 war es soweit: Ein Meteoriteneinschlag auf dem Mars bescherte ihnen die ersehnten Oberflächenwellen.
Publikation:
Kim D et al.
Surface Waves and Crustal Structure on Mars
Science (2022)
Die Forscher und Forscherinnen hatten aufgrund der untypischen Charakteristiken des aufgezeichneten Bebens eine Quelle nahe der Oberfläche vermutet. Sie kontaktierten daraufhin Kollegen, die mit einer Sonde in der Marsumlaufbahn arbeiteten. Tatsächlich zeigten Aufnahmen des Mars Reconnaissance Orbiter an den Weihnachtstagen 2021 einen grossen Einschlagkrater in rund 3500 Kilometer Entfernung zu InSight.
„Der Ort stimmte gut mit unseren Schätzungen für die Quelle des Bebens überein“, sagt Doyeon Kim, Oberassistent am ETH-Institut für Geophysik und Erstautor der Studie, die jetzt erschienen ist. Auch bei einem zweiten, untypischen Beben konnten die Forschenden als Quelle einen Meteoriteneinschlag in knapp 7500 Kilometer Distanz zu InSight ausmachen.
Weil der Herd der beiden Beben an der Oberfläche lag, wurden nicht nur Raumwellen erzeugt, wie bei den bisher aufgezeichneten Marsbeben, deren Herd in grösserer Tiefe lag, sondern auch Wellen, die sich entlang der Planetenoberfläche ausbreiteten. „Es ist das erste Mal, dass jemand auf einem anderen Planeten als der Erde seismische Oberflächenwellen beobachtet hat. Selbst auf dem Mond während der Apollo-Missionen war dies nicht möglich“, sagt Kim.
Die Oberflächenwellen sind für die Forschenden deshalb so wichtig, weil sie Informationen über die Struktur der Marskruste liefern. Die Raumwellen, die bei den Beben durch das Innere des Planeten reisen, ermöglichten bisher zwar Erkenntnisse über den Marskern und den Mantel, sagten aber wenig aus über die Kruste.
Überraschendes Resultat
„Bislang beruhte unser Wissen über die Marskruste auf nur einer Punktmessung unter dem InSight-Lander“, erklärt Kim. Das Resultat der Analyse der Oberflächenwellen überraschte den Geophysiker: Die Marskruste zwischen den Einschlagsorten und dem Seismometer von InSight hat im Durchschnitt eine sehr einheitliche Struktur und eine hohe Dichte. Direkt unter der Sonde hingegen hatten die Forschenden zuvor drei Schichten der Kruste nachgewiesen und eine geringere Dichte gemessen.
Die neuen Erkenntnisse sind darum so interessant, weil die Kruste eines Planeten wichtige Hinweise auf die Entstehung und Entwicklung des Himmelskörpers gibt. Sie ist das Ergebnis von frühen dynamischen Vorgängen im Mantel und den nachfolgenden magmatischen Prozessen. Deshalb kann sie Aufschluss geben über die Bedingungen vor Milliarden von Jahren und die Geschichte der Einschläge, die in der Frühzeit des Planeten Mars besonders häufig waren.
Wie die neue Messung funktionierte, erklärt der Forscher folgendermassen: „Die Geschwindigkeit, mit der sich die Oberflächenwellen ausbreiten, hängt von deren Frequenz ab und diese wiederum von der Tiefe.“ Misst man über verschiedene Frequenzen hinweg, wie sich die Geschwindigkeit in den seismischen Daten verändert, so kann man daraus schliessen, wie sich die Geschwindigkeit in unterschiedlichen Tiefen verändert, denn die verschiedenen Frequenzen sind für unterschiedliche Tiefen empfindlich. Daraus wiederum lässt sich die durchschnittliche Dichte des Gesteins abschätzen, weil die seismische Geschwindigkeit auch von den elastischen Eigenschaften des Materials abhängt, durch das die Wellen sich fortbewegen. So konnten die Forschenden die Struktur der Kruste in einer Tiefe von rund 5 bis 30 Kilometer unter der Marsoberfläche bestimmen.
Erklärung für grössere Wellengeschwindigkeit
Doch warum ist die durchschnittliche Geschwindigkeit der jetzt beobachteten Oberflächenwellen beträchtlich höher als man aufgrund der früheren Punktmessung unter der Marssonde InSight erwarten würde? Liegt das hauptsächlich am Oberflächengestein oder an anderen Mechanismen? Generell weist vulkanisches Gestein in der Regel höhere seismische Geschwindigkeiten auf. Und die Wege zwischen den beiden Meteoriteneinschlägen und dem Messort führen durch eine der grössten vulkanischen Regionen auf der nördlichen Hemisphäre des Mars.
Verschiedene Mechanismen wie die Bildung von Oberflächenlava oder die Schliessung von Porenräumen durch Erhitzung im Zusammenhang mit vulkanischen Prozessen können die Geschwindigkeit der seismischen Wellen erhöhen. „Andererseits könnte die Krustenstruktur unter dem Landeplatz von InSight auf eine einzigartige Art entstanden sein, beispielsweise als bei einem grossen Asteroideneinschlag vor über drei Milliarden Jahren Material ausgeworfen wurde. Dann ist die Krustenstruktur unter der Sonde wahrscheinlich nicht repräsentativ für die allgemeine Krustenstruktur auf dem Mars“, erklärt Kim.
Das Rätsel der Mars-Dichotomie lösen
Die neuen Untersuchungen könnten zudem helfen, ein Jahrhunderte altes Rätsel zu lösen. Seit die ersten Teleskope auf den Mars gerichtet wurden, weiss man, dass ein scharfer Kontrast zwischen Süd- und Nordhalbkugel existiert. Während die südliche Hemisphäre von einem von Meteoritenkratern bedeckten Hochplateau geprägt ist, besteht der nördliche Teil grösstenteils aus flachen, vulkanischen Tiefebenen, die in der Frühgeschichte des Planeten von Ozeanen bedeckt gewesen sein könnten. Diese Aufteilung in südliches Hochland und nördliches Tiefland wird Mars-Dichotomie genannt.
„Bisher gibt es keine akzeptierte Erklärung für die Dichotomie, weil wir ihre tiefe Struktur nie sehen konnten“, sagt Domenico Giardini, ETH-Professor für Seismologie und Geodynamik: „Nun beginnen wir, diese Struktur aufzudecken.“ Erste Resultate widerlegen offenbar eine der bisher gängigen Theorien für die Mars-Dichotomie: Die Krusten im Norden und Süden bestehen vermutlich nicht aus unterschiedlichen Materialien wie bisher oft angenommen, und ihre Struktur könnte in relevanten Tiefen überraschend ähnlich sein.
Langes Warten auf die Welle
Schon bald erwarten die ETH-Forschenden weitere Ergebnisse. Denn im Mai 2022 beobachtete InSight das bisher grösste Marsbeben mit einer Magnitude 5 – ein Ereignis, bei dem ebenfalls Oberflächenwellen aufgezeichnet wurden. Es geschah gerade noch rechtzeitig, bevor die InSight-Mission zu Ende geht, weil der Sonde allmählich der Strom ausgeht. Eine erste Analyse der Daten bestätigt die Erkenntnisse, welche die Forschenden aus den beiden Meteoriteneinschlägen gewonnen haben. „Es ist verrückt: Wir haben so lange auf diese Wellen gewartet und nun hatten wir nur Monate nach den Meteoriteneinschlägen dieses grosse Beben, das äusserst reichhaltige Oberflächenwellen erzeugt hat. Diese erlauben es uns, noch tiefer in die Kruste vorzudringen: bis in etwa 90 Kilometer Tiefe.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.