Was passiert, wenn wir das Atomgitter eines Magneten plötzlich aufheizen

Was passiert, wenn wir das Atomgitter eines Magneten plötzlich aufheizen



Physik-News vom 16.07.2018

„Wir haben jetzt ein klares Bild davon, wie das heiße Atomgitter und die kalten magnetischen Spins eines ferrimagnetischen Nichtleiters miteinander ins Gleichgewicht gelangen“, sagt Ilie Radu, Wissenschaftler am Max-Born-Institut in Berlin. Das internationale Forscherteam fand heraus, dass eine Energieübertragung sehr schnell stattfindet und zu einem neuartigen Zustand der Materie führt, in dem die Spins zwar heiß sind, aber noch nicht ihr gesamtes magnetisches Moment verringert haben. Dieser „Spinüberdruck“ wird durch wesentlich langsamere Prozesse abgebaut, die eine Abgabe von Drehimpuls an das Gitter ermöglichen. Die Forschungsergebnisse sind jetzt in "Science Advances" erschienen.

Magnete faszinieren die Menschheit bereits seit mehreren tausend Jahren und sind im Zeitalter der digitalen Datenspeicherung von großer praktischer Bedeutung. Sie kommen in verschiedenen Varianten vor. Ferrimagnete bilden die größte Klasse von Magneten und bestehen aus zwei Arten von Atomen. Ähnlich einer Kompassnadel besitzt jedes Atom ein kleines magnetisches Moment, auch Spin genannt, welches von den Elektronen des Atoms erzeugt wird. Bei einem Ferrimagneten zeigen die magnetischen Momente der beiden Atome in entgegengesetzte Richtungen (siehe Abbildung A). Die Gesamtmagnetisierung ist somit die Summe aller magnetischen Momente von Typ 1 (M1, blaue Pfeile) und Typ 2 (M2, grüne Pfeile). Aufgrund der entgegengesetzten Richtung ist die Größe der Gesamtmagnetisierung durch die Differenz M1-M2 gegeben.


Abb. A-C: Bildliche Darstellung des Demagnetisierungsprozesses, angeregt durch das plötzliche Aufheizen des Kristallgitters durch intensive THz-Strahlung

Publikation:


S. F. Maehrlein, I. Radu, P. Maldonado, A. Paarmann, M. Gensch, A. M. Kalashnikova, R. V. Pisarev, M. Wolf, P. M. Oppeneer, J. Barker, T. Kampfrath
Dissecting spin-phonon equilibration in ferrimagnetic insulators by ultrafast lattice excitation
Science Advances 4, eaar5164 (2018)

DOI: 10.1126/sciadv.aar5164



Wird ein nicht leitender Ferrimagnet erwärmt, erreicht die Wärme zunächst das Atomgitter, wodurch sich die Atome zufällig um ihre Ruhelage bewegen. Schließlich verursacht ein Teil der Wärme auch eine zufällige Rotation (Präzession) der Spins um ihre ursprüngliche, kalte Richtung. Dadurch geht die magnetische Ordnung verloren. Die Gesamtmagnetisierung M1-M2 nimmt ab und verschwindet schließlich, wenn die Temperatur des Ferrimagneten eine kritische Temperatur, die sogenannte Curie-Temperatur, überschreitet. Obwohl dieser Prozess von grundlegender Bedeutung ist, ist seine Dynamik noch nicht gut verstanden. Selbst für den Ferrimagneten Yttrium-Eisen-Granat (YIG), einen der am intensivsten erforschten Ferrimagnete, ist nicht bekannt, wie lange es dauert, bis das erwärmte Atomgitter und die kalten magnetischen Spins miteinander ins Gleichgewicht kommen. Bisherige Schätzungen dieser Zeitskala unterscheiden sich um einen Faktor von bis zu einer Million.

Ein Team von Wissenschaftlern aus Berlin (Collaborative Research Center / Transregio 227 Ultrafast Spin Dynamics, Fritz-Haber-Institut und Max-Born-Institut), Dresden (Helmholtz-Zentrum), Uppsala (Schweden), St. Petersburg (Russland) und Sendai (Japan) hat nun die elementaren Schritte dieses Prozesses aufgedeckt. „Um das Atomgitter eines YIG-Films augenblicklich und ausschließlich zu erwärmen, verwenden wir eine sehr spezifische und neuartige Art von Anregung: ultrakurze Laserlichtblitze bei Terahertz-Frequenzen. Mit einem nachträglich eintreffenden sichtbaren Laserimpuls können wir dann Schritt für Schritt die Entwicklung der zunächst kalten magnetischen Spins nachvollziehen. Im Wesentlichen nehmen wir einen Stop-Motion-Film über die Entwicklung der Magnetisierung auf“, sagt Sebastian Maehrlein, der die Experimente durchführte. Sein Kollege Ilie Radu fasst zusammen: „Unsere Beobachtungen sprechen eine klare Sprache. Wir fanden heraus, dass eine plötzliche Erwärmung des Atomgitters die magnetische Ordnung des Ferrimagneten auf zwei verschiedenen Zeitskalen reduziert: eine unglaublich schnelle Skala von nur 1 ps und eine 100.000-mal langsamere Skala von 100 ns.“

Diese beiden Zeitskalen können analog zu Wasser in einem geschlossenen Topf, der in einen heißen Ofen gestellt wird, verstanden werden. Die heiße Luft des Ofens entspricht dem heißen Atomgitter, während die magnetischen Spins dem Wasser im Topf entsprechen (siehe Abbildung A). Wird das Atomgitter durch den Terahertz-Laserblitz erwärmt, führen die verstärkten zufälligen Schwingungen der Atome zu einer Übertragung der magnetischen Ordnung von Spintyp 1 auf Spintyp 2. Daher werden die beiden magnetischen Momente M1 (blaue Pfeile in Abbildung B) und M2 (grüne Pfeile) um genau den gleichen Betrag reduziert (rote Pfeile). Dieser Prozess entwickelt sich auf der schnellen Zeitskala, und die atomaren Spins sind gezwungen, sich bei konstanter Gesamtmagnetisierung M1-M2 aufzuheizen, genau wie Wasser in einem geschlossenen Topf, das sein Volumen halten muss.

Der aufgeheizte Ferrimagnet möchte aber nicht nur M1 und M2, sondern auch seine Gesamtmagnetisierung M1-M2 verkleinern. Dazu muss ein Teil des Spins an das Atomgitter abgegeben werden. Diese Situation ist wiederum völlig analog zum heißen Wasser in einem geschlossenen Topf: Der Druck im Topf steigt an, wird aber durch kleine Lecks im Deckel langsam nach außen abgegeben (siehe Abbildung C). Diese Übertragung von Drehimpuls an das Atomgitter ist genau das, was im Ferrimagneten durch schwache Kopplungen zwischen den Spins und dem Gitter passiert.

„Wir haben jetzt ein klares Bild davon, wie das heiße Atomgitter und die kalten magnetischen Spins eines ferrimagnetischen Nichtleiters miteinander ins Gleichgewicht gelangen“, sagt Ilie Radu. Das internationale Forscherteam fand heraus, dass eine Energieübertragung sehr schnell stattfindet und zu einem neuartigen Zustand der Materie führt, in dem die Spins zwar heiß sind, aber noch nicht ihr gesamtes magnetisches Moment verringert haben. Dieser „Spinüberdruck“ wird durch wesentlich langsamere Prozesse abgebaut, die eine Abgabe von Drehimpuls an das Gitter ermöglichen. „Unsere Ergebnisse sind auch für Anwendungen in der Datenspeicherung relevant“, ergänzt Sebastian Maehrlein. „Der Grund ist einfach. Wann immer wir den Wert eines Bits in einem magnetischen Speichermedium zwischen 0 und 1 umschalten wollen, müssen letztlich Drehimpuls und Energie zwischen Atomgitter und Spins übertragen werden."


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt.


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