Widerspenstiger Exoplanet lüftet seinen Schleier (ein bisschen)
Physik-News vom 10.05.2023
Einem internationalen Forschungsteam, an dem das Max-Planck-Institut für Astronomie beteiligt ist, ist es nach fast 15 Jahren vergeblicher Anstrengungen gelungen, einige Eigenschaften der Atmosphäre des Exoplaneten GJ 1214 b zu ermitteln.
Dazu haben die Astronominnen und Astronomen mit dem MIRI-Spektrografen des Weltraumteleskops James Webb (JWST) jetzt die Infrarotstrahlung des als Mini-Neptun klassifizierten Planeten ausgemessen und mithilfe von Modellrechnungen ausgewertet. Die Ergebnisse deuten auf einen ungewöhnlich stark reflektierenden, dichten Dunstschleier in der Hochatmosphäre hin und zeigen Hinweise auf Wasserdampf und Methan.
Publikation:
Kempton, E.MR., Zhang, M., Bean, J.L. et al.
A reflective, metal-rich atmosphere for GJ 1214b from its JWST phase curve
Nature (2023)
DOI: 10.1038/s41586-023-06159-5
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Dunstschicht von GJ 1214 b anders zusammengesetzt sein muss, als wir es von den uns bekannten Himmelskörpern kennen“, sagt Maria Steinrück vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, Deutschland. Sie ist eine Koautorin des Artikels, der in der Zeitschrift Nature erscheint und hat die Modellrechnungen durchgeführt, die für die Bewertung der Beobachtungen essentiell sind.
Ein dichter, stark reflektierender Schleier
Die Daten sind nur dadurch zu erklären, indem die Forschenden eine Schicht in der oberen Atmosphäre des Planeten annehmen, die die Strahlung des zentralen Sterns, den GJ 1214 b in 38 Stunden einmal umkreist, ungewöhnlich stark reflektiert. Woraus diese Schicht jedoch besteht, bleibt nach wie vor ein Geheimnis, da keine der bisher vermuteten Zusammensetzungen eine zufriedenstellende Erklärung liefert. Die gängigen Kandidaten scheiden jedenfalls aus.
„Weder Rußteilchen noch sogenannte Tholine reflektieren die Strahlung des Sterns ausreichend stark“, stellt Steinrück fest. Der Begriff „Tholine“ wurde von Carl Sagan geprägt, und beschreibt eine variable Mischung aus Kohlenwasserstoffen, die auf dem Saturnmond Titan und anderen Körpern des Sonnensystems zu finden ist. Vermutlich bestand die Atmosphäre der Ur-Erde ebenfalls zum Teil aus Tholinen.
Ähnlich wie auf der Erde die Ozonschicht mit der UV-Strahlung der Sonne reagiert, könnten vergleichbare Prozesse auch für die Produktion der chemischen Verbindungen des Dunstes verantwortlich sein, die in der Hochatmosphäre von GJ 1214 b und vielleicht vieler Mini-Neptune zu finden sind. Derzeit wird in verschiedenen Laboren intensiv danach geforscht, welche Stoffe das sein könnten. Organische Verbindungen sind derzeit die heißesten Kandidaten.
GJ 1214 b könnte [...] eine Wasserwelt sein.
Eliza Kempton, Professorin an der University of Maryland, USA
Hinweise auf Wasser
Erstmals belegen nun die neuen Beobachtungen mit MIRI (Mid-Infrared Instrument) am JWST auch, dass die Atmosphäre jenseits von Wasserstoff und Helium einen hohen Anteil an schweren Elementen haben muss. Das folgt aus den Modellrechnungen, die die gemessene Helligkeitsvariation des vom Planeten veränderten Sternlichts nachempfinden.
Die Astronominnen und Astronomen haben mit ihrer Beobachtung einen vollständigen Umlauf von GJ 1214 b erfasst und somit seine Oberfläche von allen Seiten vermessen – das erste Mal bei einem Mini-Neptun. Das Licht, das GJ 1214 b von seinem Zentralstern empfängt dient dabei als eine Art Sonde. Etwaige Einflüsse des Planeten auf das Sternlicht zeigen sich dann in schwankenden Anteilen der Strahlung des Planeten.
Einen Hinweis auf die konkrete Zusammensetzung der Atmosphäre bieten die Messdaten auch. Wie bereits vermutet, besitzt dieser Planet wahrscheinlich Wasser, das als gasförmiger Dampf auftritt. „GJ 1214 b könnte daher eine Wasserwelt sein“, sagt Eliza Kempton, Professorin an der University of Maryland, USA und Erstautorin des Forschungsartikels. Allerdings könnten die Merkmale auch auf Methangas hindeuten. Eine Mischung aus beiden ist ebenfalls denkbar. Zur Klärung sind daher weitere Beobachtungen nötig.
Durchbruch in der Planetenforschung
Mehrfach haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher versucht, die Zusammensetzung der Atmosphäre von GJ 1214 b zu bestimmen, indem sie das Sternlicht analysierten, das bei jeder Bedeckung dessen Luftschichten durchdringt. Dabei prägen sich gewöhnlich eindeutige Merkmale der Gase auf das Licht auf. Die bisherigen Beobachtungen zeigten jedoch nichts. Das JWST hat nun ein neues Kapitel aufgeschlagen.
„GJ 1214b war der weiße Wal der Bestimmung von Exoplanetenatmosphären. Die gesamte Forschungsgemeinschaft war lange Zeit hinter ihm her. Es ist wunderbar, dass endlich einige seiner Geheimnisse gelüftet werden“, freut sich Laura Kreidberg. Sie ist Direktorin am MPIA und leitet die Abteilung „Atmosphärenphysik der Exoplaneten (APEx)“, in der Maria Steinrück forscht. Kreidberg war eine der ersten, die GJ 1214 b ins Visier nahm um seine Zusammensetzung zu bestimmen.
Ein Planet mit ewigem Tag und ewiger Nacht
Im Jahre 2009 haben Astronomen den knapp 50 Lichtjahre entfernten GJ 1214 b durch die Transitmethode entdeckt. Dabei ist die Bahn des Planeten so orientiert, dass er regelmäßig seinen Zentralstern kreuzt und durch die Bedeckung die Sternhelligkeit geringfügig verringert. Aus diesen Messungen ließ sich seine Größe von etwa drei Erddurchmessern errechnen. Seine Masse beträgt etwa sieben Erdmassen. Das klassifiziert GJ 1214 b eindeutig als einen Mini-Neptun.
Mini-Neptun
Diese Art von Exoplaneten ist die häufigste, die Astronomen finden. Im Sonnensystem gibt es solche Planeten jedoch nicht. Das ist ein Grund dafür, dass ihre Beschaffenheit kaum bekannt ist.
GJ 1214 b umkreist seinen Zentralstern GJ 1214 in einer Entfernung, die etwa einem Siebzigstel der Distanz zwischen der Erde und der Sonne entspricht. Damit befindet sich der Planet in einer sogenannten gebundenen Rotation. Das bedeutet, dass eine Umkreisung genauso lange dauert wie eine Rotation um die eigene Achse. Deswegen beleuchtet und heizt der Zentralstern immer dieselbe Seite des Planeten. Winde tragen die Luftschichten auf die gegenüberliegende Hemisphäre, wo sie in ewiger Nacht abkühlen.
Wie beim globalen Erdklima hängt auch hier die Temperatur auf GJ 1214 b von verschiedenen Einflüssen ab: die Leuchtkraft und die Temperatur des Sterns, der Abstand des Planeten vom Stern und die Eigenschaften der Atmosphäre. Daraus ergibt sich eine charakteristische Wärmestrahlung des Planeten, welche die Forschenden mit den MIRI-Beobachtungen aufnahmen. Diese bestehen aus Spektren, welche die verschiedenen Anteile der Infrarotstrahlung entsprechend ihrer Wellenlänge aufspalten.
Daraus schließen die Astronominnen und Astronomen, dass die Hälfte der Einstrahlung durch den Zentralstern von der Dunstschicht reflektiert wird und zur Erwärmung der Atmosphäre nicht beiträgt. Die Berechnungen ergeben somit, dass GJ 1214 b eine mittlere, globale Temperatur von etwa 230 Grad Celsius (500 Kelvin) besitzt, die zwischen Tag und Nacht um etwa 115 Grad variiert.
Diese Ergebnisse stellen einen Durchbruch in der Planetenforschung dar. Sie steigern die Hoffnung, dass nun ein Werkzeug gefunden wurde, mit dem die häufigste Klasse von Exoplaneten systematisch untersucht werden kann.
Hintergrund
Die Astronominnen und Astronomen beobachteten GJ 1214 b im Rahmen des JWST General Observer (GO) Program 1803, „Unlocking the Mysteries of the Archetype Sub-Neptune GJ 1214b with a Full-Orbit Phase Curve“ (PI: Jacob Bean).
Das James Webb Space Telescope (JWST) ist das weltweit führende Observatorium für Weltraumforschung. JWST ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA mit ihren Partnern, der ESA (Europäische Weltraumorganisation) und der CSA (Kanadische Weltraumorganisation).
Das Mid-InfraRed Instrument (MIRI) des JWST, das von einem europäischen Konsortium von Forschungseinrichtungen gebaut wurde, ist ein wissenschaftliches Mehrzweckinstrument für Infrarot-Wellenlängen zwischen 5 und 28 Mikrometern. Es kombiniert eine bildgebende Kamera mit einem Spektrografen. Mit der Unterstützung von industriellen Partnern lieferte das MPIA die Mechanismen aller Elemente zur Steuerung der Wellenlängenbereiche, wie z.B. Filter- und Gitterräder, und leitete das elektrische Design von MIRI.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Astronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.