Wie Quantenfeldtheorien zerfallen und sich spalten können
Physik-News vom 04.06.2024
Einfaches Konzept von Zerfall und Spaltung der "magnetischen Quiver" hilft, komplexe Quantenphysik und mathematische Strukturen zu klären. In einer aktuellen Studie interpretieren nun Forschende unter Verwendung des Konzepts der "magnetischen Quiver" den Higgs-Mechanismus neu, der Elementarteilchen Masse verleiht und Phasenübergänge auslöst.
Grundlage der Forschungsarbeiten von Marcus Sperling, die sich an der Schnittstelle zwischen Physik und Mathematik bewegen, ist die Quantenfeldtheorie (QFT) – ein physikalisch-mathematisches Konzept innerhalb der Quantenphysik, das sich auf die Beschreibung von Teilchen und ihrer Wechselwirkungen auf subatomarer Ebene konzentriert. Sperling ist START-Projektleiter von der Fakultät für Physik an der Universität Wien.
Publikation:
Antoine Bourget, Marcus Sperling, Zhenghao Zhong
Decay and Fission of Magnetic Quivers
Physical Review Letters (2024)
DOI: 10.1103/PhysRevLett.132.221603
Dafür entwickelte er seit 2018 gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die sogenannten "magnetischen Quiver" – ein graphisches Werkzeug, das alle Informationen zur Definition einer QFT zusammenfasst und so komplexe Wechselwirkungen zwischen Teilchenfeldern oder anderen physikalischen Größen übersichtlich und intuitiv darstellt.
„Metaphorische“ magnetische Quiver
Ein Quiver besteht aus gerichteten Pfeilen und Knoten. Die Pfeile repräsentieren die Quantenfelder (Materiefelder), während die Knoten die Wechselwirkungen – z.B. starke, schwache oder elektromagnetische – zwischen den Feldern darstellen. Die Richtung der Pfeile gibt an, wie die Felder unter den Wechselwirkungen geladen sind, z.B. welche elektrische Ladung die Teilchen tragen. Marcus Sperling erklärt: „Der Begriff ‚magnetisch‘ wird hier zum Teil auch metaphorisch verwendet, um auf die unerwarteten Quanteneigenschaften hinzuweisen, die durch diese Darstellungen sichtbar gemacht werden. Ähnlich dem Spin eines Elektrons, der durch ein Magnetfeld nachgewiesen werden kann, zeigen magnetische Quiver bestimmte Eigenschaften oder Strukturen in den QFTs auf, die auf den ersten Blick möglicherweise nicht offensichtlich sind.“ So bieten sie eine praktische Möglichkeit, komplexe Quantenphänomene zu visualisieren und zu analysieren, was es den Forschenden erleichtert, neue Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Mechanismen der Quantenwelt zu gewinnen
Supersymmetrische QFTs
Für die aktuelle Studie wurden die stabilen Grundzustände (Vakua) – die niedrigste Energiekonfiguration, in der keine Teilchen oder Anregungen vorhanden sind – in einer Vielzahl von „supersymmetrischen QFTs“ erforscht. Diese QFTs dienen mit ihrer vereinfachten Raum-Zeit-Symmetrie als Laborumgebung, da sie zwar realen physikalischen Systemen aus subatomaren Teilchen ähneln, jedoch bestimmte mathematische Eigenschaften aufweisen, die Berechnungen erleichtern. FWF START-Preisträger Sperling dazu: „Unsere Forschung beschäftigt sich mit den Grundlagen unseres Verständnisses der Physik. Erst nachdem wir die QFTs in unserem Laborumfeld verstanden haben, können wir diese Einsichten auf realistischere QFT-Modelle anwenden.“ Das Konzept der magnetischen Quiver – eines der Hauptforschungsthemen von Sperlings START-Projekt an der Universität Wien – wurden dabei als Werkzeug eingesetzt, um eine präzise geometrische Beschreibung der neuen Quantenvakua zu liefern.
Zerfall & Spaltung: Higgs-Mechanismus neu interpretiert
Mit Berechnungen, die auf linearer Algebra basieren, konnten die Forscher Antoine Bourget (Universität Paris Saclay), Marcus Sperling und Zhenghao Zhong (Universität Oxford) zeigen, dass – analog zur Radioaktivität in Atomkernen – ein magnetischer Quiver in einen stabileren Zustand zerfallen oder in zwei separate Quiver gespalten werden kann. Diese Transformationen bieten ein neues Verständnis des Higgs-Mechanismus in QFTs, die entweder in einfachere QFTs zerfallen oder sich in getrennte, unabhängige QFTs aufspalten.
Dazu Physiker Sperling: „Der Higgs-Mechanismus erklärt, wie Elementarteilchen ihre Masse erhalten, indem sie mit dem Higgs-Feld wechselwirken. Teilchen interagieren mit diesem Feld, das das ganze Universum durchdringt, wenn sie sich durch den Raum bewegen – ähnlich wie sich ein Schwimmer durch Wasser bewegt.“ Ein Teilchen, das keine Masse hat, bewegt sich normalerweise mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn es jedoch mit dem Higgs-Feld interagiert, „klebt“ es an diesem Feld fest und wird träge, was zur Manifestation seiner Masse führt. Der Higgs-Mechanismus ist also ein entscheidendes Konzept für das Verständnis der fundamentalen Bausteine und Kräfte des Universums.
Mathematisch basiert der „Zerfall und Spaltung“-Algorithmus auf den Prinzipien der linearen Algebra und einer klaren Definition von Stabilität. Er operiert autonom und benötigt keine externen Eingaben. Die mittels Physik-inspirierter Methoden erzielten Ergebnisse dieser Forschungsarbeit sind nicht nur in der Physik von Relevanz, sondern auch in der mathematischen Forschung von Bedeutung: Sie bieten eine grundlegende und allgemeingültige Beschreibung der komplexen, verschachtelten Strukturen der Quantenvakua, was einen bedeutenden Fortschritt in der Mathematik darstellt.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.