Wieso Radium-Monofluorid den Blick ins Universum fundamental verändern kann
Physik-News vom 28.05.2020
Ein internationales Forscherteam hat durch eine neue Methodik am CERN ein kurzlebiges, radioaktives Molekül erzeugt, dessen Eigenschaften eine fundamentale Rolle in der Physik spielen. Zwei Laborastrophysiker der Uni Kassel lieferten entscheidende Informationen.
„Physiker stehen vor einer zentralen Beobachtung: Wenn im Universum alles symmetrisch gebildet wird, so dürfte es keine bevorzugte Drehrichtung des Molekülaufbaus geben, doch das ist nicht der Fall. In lebenden Organismen weist der Aufbau verschiedener Zuckermoleküle bevorzugt eine rechtsgerichtete Drehung auf, wobei hingegen bei der Struktur der Aminosäureverbindungen eine Drehung nach links bevorzugt wird“, erklärt Dr. Alexander Breier, Laborastrophysiker an der Universität Kassel.
Publikation:
Garcia Ruiz, R., Berger, R., Billowes, J. et al.
Spectroscopy of short-lived radioactive molecules
Nature 581, 396–400 (2020)
DOI: 10.1038/s41586-020-2299-4
Gibt es einen messbaren Unterschied zwischen links- und rechtshändigen Molekülen?
„Dieser Frage gehen wir unter anderem im Sonderforschungsbereich (SFB) 1319 ELCH nach, wo wir die Eigenschaften von chiralen Molekülen untersuchen.“ Chirale Moleküle haben ein Spiegelbild, das aus den gleichen Elementen besteht, aber eine unterschiedliche räumliche Anordnung aufweist, vergleichbar zur linken und rechten Hand.
Nach gängigem Verständnis sind links- und rechtshändige Moleküle energetisch gleich und es gäbe für die Natur keine bevorzugte Form zwischen Links und Rechts. Die Quantenelektrodynamik (QED), eine Weiterentwicklung der Quantenmechanik, sagt allerdings einen verschwindend kleinen Energieunterschied zwischen Links und Rechts vorher, der durch die sogenannte „Paritätsverletzung“ verursacht wird. Insbesondere chirale Moleküle gelten als geeignete Sensoren zum Nachweis der Paritätsverletzung. Den Berechnungen der Wissenschaftler rund um den Theoretischen Physiker Prof. Robert Berger von der Universität Marburg zufolge vergrößert sich dieser minimale Energieeffekt bei Elementen mit schweren Kernen, wie beispielsweise bei Radium, deutlich.
Allerdings machen die radioaktive Strahlung sowie die kurze Lebensdauer der Radium-Isotope eine Untersuchung in den meisten Laboren unmöglich. Deshalb schlug Berger vor, die Kernerzeugungsanlage ISOLDE am CERN zu nutzen, um damit erstmals schwere, radioaktive Moleküle zu erzeugen und diese spektroskopisch zu untersuchen. Seine Idee erwies sich als erfolgreich.
Durch eine neue Methodik ist es dem internationalen Forscherteam um Atomphysiker Dr. Ronald Ruiz (CERN) und Berger gelungen das Molekül Radium-Monofluorid (RaF) zu erzeugen. Diesem Molekül wurde bereits vorhergesagt, besonders geeignet für die Laser-Kühlung zu sein. Diese ist notwendig, um das Molekül in Präzisionsexperimenten nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkt untersuchen zu können. Nur so sind die minimalen Energieunterschiede zwischen Links und Rechts messbar. Radium-Monofluorid ist zwar noch kein chirales Molekül, aber es birgt bereits alle wichtigen Eigenschaften der Paritätsverletzung und könnte Ausgangspunkt für die Untersuchung an sehr kalten chiralen Molekülen sein.
Um in dem komplexen Experiment am CERN sicherzustellen, dass tatsächlich das radioaktive Molekül Radium-Monofluorid in der Apparatur erzeugt wurde, nutzten das Forschungsteam um Ruiz die Molekülspektroskopie, durch die der individuelle Fingerabdruck eines jeden Moleküls sichtbar wird. „Da unsere Laborastrophysikgruppe hier in Kassel eine Expertise für zwei-atomige Moleküle hat, kamen Ruiz und Berger auf Breier und mich zu“, sagt Prof. Dr. Thomas Giesen, Arbeitsgruppenleiter der Laborastrophysik der Universität Kassel. Das Team aus Kassel, das mit den Marburger Wissenschaftlern gemeinsam im SFB 1319 ELCH forscht, konnte anhand der spektroskopischen Daten die erfolgreiche Erzeugung des neuen Moleküls Radium-Monofluorid bestätigen.
Was die Methode so besonders macht
Breier ist von der Entdeckung des Moleküls durch die angewandte Methodik begeistert. „Die Nachweismethodik ist sehr sensitiv: Gewöhnlich werden 1012 bis 1015 Moleküle benötigt, damit man deren Spektren interpretieren kann. Für die neue Methodik braucht es nur 106, also ein millionstel bis milliardstel der sonst üblichen Anzahl! “ Gleichzeitig sei es Berger und Ruiz dadurch gelungen, eine Methode zur Untersuchung auch extrem kurzlebiger, radioaktiver Moleküle zu entwickeln, die nur wenige Millisekunden lang leben bevor sie durch den radioaktiven Zerfall zerstört werden. „Das ist ein fundamentaler Meilenstein für die Physik!“, betont Breier. „Die Möglichkeiten, die sich aus dieser neuen Methode ergeben werden von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung der Paritätsverletzung an chiralen Molekülen im Rahmen des SFB 1319 ELCH sein."
Die Frage, woher die Bevorzugung bei linkshändigen oder rechtshändigen Molekülen kommt, können die Forscher noch nicht beantworten. Doch mit der Möglichkeit, das kurzlebige Radium-Monofluorid zu untersuchen, haben sie ein weiteres Puzzlestück gefunden.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Kassel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.