Entfernungsmaß

Entfernungsmaß

In einem Universum, dessen globale Entwicklung durch die Friedmann-Gleichungen beschrieben wird, existiert kein eindeutiges Entfernungsmaß mehr. Dies widerspricht der menschlichen Alltagserfahrung im statischen Euklidischen Raum, ist in dynamischen und gekrümmten Raumzeiten wie dem Universum aber unvermeidbar. Dort wird die Lichtausbreitung wesentlich beeinflusst durch die zu Grunde liegende raumzeitliche Geometrie und Dynamik.

Entfernungsmaße

In flachen und statischen Raumzeiten existieren verschiedene Methoden der Entfernungsmessung, die alle auf exakt das gleiche Ergebnis führen, obwohl die zugrunde liegenden Messmethoden sehr unterschiedlich sind. Beispielsweise kann man bei bekannter Signalgeschwindigkeit aus der Laufzeit eines reflektierten Signals die Entfernung des angepeilten Objekts bestimmen. Dieses Prinzip wird bei Radarvermessungen oder dem sogenannten „Laser ranging“ verwendet. Andere Möglichkeiten bestehen darin, aus der scheinbaren Winkelgröße oder der scheinbaren Helligkeit eines Objekts dessen Entfernung abzuleiten. Hierfür müssen die wahre Größe beziehungsweise die wahre Helligkeit bekannt sein.

Diese drei Prinzipien sind auch in der Astrophysik anzutreffen, meistens allerdings in anderem Zusammenhang. Man benutzt sie, um tatsächliche Helligkeiten oder Größen astronomischer Objekte zu bestimmen, oder aber die Zeit, zu der das beobachtete Objekt das Licht ausgesendet hat. Hierfür bedient man sich in der Astrophysik der Helligkeitsentfernung, der Winkeldurchmesserentfernung und der Laufzeitentfernung. Ferner gibt es auch noch die mitbewegte Entfernung. Als gemeinsamer Nenner fungiert die kosmologische Rotverschiebung, die die Berechnung dieser Entfernungen wie folgt erlaubt.

Laufzeitentfernung

Die Definition der Laufzeitentfernung (engl.: light travel time distance) basiert auf der Lichtlaufzeit zwischen zwei Ereignissen mit den Rotverschiebungen $ z_{2}>z_{1} $, gegeben durch

$ {\mathrm {d} }D_{\mathrm {prop} }(z_{1},z_{2})=-c\,{\mathrm {d} }t $

Substituiert man die kosmologische Zeit als Integrationsvariable durch die beobachtbare Rotverschiebung, so ergibt sich

$ {\mathrm {d} }D_{\mathrm {prop} }(z_{1},z_{2})=-c\,a/(a\,{\dot {a}})\,{\mathrm {d} }a=-c/(aH)\,{\mathrm {d} }a\,. $

Hierbei ist $ a(t) $ der kosmologische Expansionsfaktor, normiert auf den Wert 1 zur heutigen Zeit. Es gilt (siehe die relativistische Herleitung der kosmologischen Rotverschiebung)

$ a={\frac {1}{1+z}}\;. $

Schreibt man dann die Hubble-Funktion $ H $ explizit aus, erhält man den geläufigen Ausdruck für die Laufzeitentfernung

$ D_{\mathrm {prop} }(z_{1},z_{2})={\frac {c}{H_{0}}}\int _{a(z_{2})}^{a(z_{1})}\left[{\frac {\Omega _{0}}{a}}+(1-\Omega _{0}-\Omega _{\Lambda })+a^{2}\,\Omega _{\Lambda }\right]^{-1/2}\,{\mathrm {d} }a\;. $

Für ein flaches Universum ($ 1-\Omega _{0}-\Omega _{\Lambda }=0 $) kann dieses Integral analytisch gelöst werden:

$ {\begin{aligned}D_{\mathrm {prop} }(z_{1},z_{2})&={\frac {2\,c}{3H_{0}{\sqrt {\Omega _{\Lambda }}}}}\;&&\left[\ln \left(a^{3/2}\Omega _{\Lambda }+{\sqrt {\Omega _{0}\Omega _{\Lambda }+a^{3}\Omega _{\Lambda }^{2}}}\right)\right]_{a(z_{2})}^{a(z_{1})}\\&={\frac {2}{\sqrt {3\Lambda }}}\;&&\left[\ln \left(a^{3/2}\Omega _{\Lambda }+{\sqrt {\Omega _{0}\Omega _{\Lambda }+a^{3}\Omega _{\Lambda }^{2}}}\right)\right]_{a(z_{2})}^{a(z_{1})}\,.\end{aligned}} $

$ \Omega _{0} $ und $ \Omega _{\Lambda } $ stellen hierbei den Materiedichte- und den Vakuumenergiedichteparameter (kosmologische Konstante) dar. Nach Messungen mit Planck betragen diese $ \Omega _{0}=0{,}315 $ und $ \Omega _{\Lambda }=0{,}685 $. Die Hubble-Konstante beträgt $ H_{0}=67{,}4 $ km s−1Mpc−1.

Mitbewegte Entfernung

Die Evolution des Universums und seiner Horizonte in mitbewegten Koordinaten

In Analogie zur Laufzeitentfernung erhält man die mitbewegte Entfernung (engl.: comoving distance). Dies ist die Distanz zwischen der Quelle und dem Beobachter auf einer raumartigen Hyperfläche, definiert durch Ereignisse mit konstanter kosmologischer Zeit $ t=t_{0} $ (heute). Ausgehend vom Linienelement (siehe auch Friedmann-Gleichungen) ergibt sich

$ {\mathrm {d} }D_{\mathrm {com} }(z_{1},z_{2})={\mathrm {d} }w=-c/a\,{\mathrm {d} }t=-c/(a^{2}H)\,{\mathrm {d} }a\,, $

woraus man ableitet

$ D_{\mathrm {com} }(z_{1},z_{2})={\frac {c}{H_{0}}}\int _{a(z_{2})}^{a(z_{1})}\left[a\,\Omega _{0}+a^{2}\,(1-\Omega _{0}-\Omega _{\Lambda })+a^{4}\,\Omega _{\Lambda }\right]^{-1/2}\,{\mathrm {d} }a=w(z_{1},z_{2})\,. $

Der große Unterschied zwischen Laufzeitentfernung und mitbewegter Entfernung besteht darin, dass erstere eine Entfernung über Raum und Zeit hinweg ist. Laufzeitentfernung ist die Distanz zu dem Objekt so wie der Beobachter es sieht, und dieser sieht es in einem Zustand der Vergangenheit. Die mitbewegte Entfernung ist hingegen die Distanz, die der Beobachter und das Objekt zum gleichen Zeitpunkt zueinander aufweisen, das heißt eine Entfernung auf einer raumartigen Hyperfläche. In diesem Zustand kann der Beobachter das Objekt allerdings nicht sehen, da das Licht gerade eben vom Objekt zu ihm ausgesandt wurde.

Winkeldurchmesserentfernung

Die Evolution des Universums und seiner Horizonte in physikalischen Koordinaten

Die Winkeldurchmesserdistanz (engl.: angular diameter distance) wird in Analogie zur Euklidischen Raumzeit definiert, als das Verhältnis zwischen der Quellenfläche $ \delta A $ und dem Raumwinkel $ \delta \Omega $, unter dem das Objekt dem Beobachter erscheint:

$ D_{\mathrm {ang} }(z_{1},z_{2})=(\delta A/\delta \Omega )^{1/2}=a(z_{2})f_{K}\left(w(z_{1},z_{2})\right)\,. $

Unter Verwendung der mitbewegten Entfernung ergibt sich daraus

$ D_{\mathrm {ang} }(z_{1},z_{2})=a(z_{2})f_{K}\left(D_{\mathrm {com} }(z_{1},z_{2})\right)\;, $

mit

$ f_{K}(w)={\begin{cases}{\frac {1}{\sqrt {K}}}\;\sin({\sqrt {K}}w)&K>0\\w&K=0\;.\\{\frac {1}{\sqrt {-K}}}\;\sinh({\sqrt {-K}}w)&K<0\end{cases}} $

Die Funktion $ f_{K}(w) $ unterscheidet zwischen dreidimensionalen raumartigen Hyperflächen konstanter Zeit $ t $ mit positiver, verschwindender oder negativer Krümmung $ K $.

Leuchtkraftentfernung

Ebenso ergibt sich die Leuchtkraftentfernung (engl.: luminosity distance) aus der Analogie zur Euklidischen Geometrie. Berücksichtigt man die verspätete Ankunft der Photonen beim Beobachter durch die dazwischen liegende Ausdehnung des Universums, ihre Rotverschiebung sowie die Photonenzahlerhaltung, so erhält man

$ D_{\mathrm {lum} }(z_{1},z_{2})={\frac {a(z_{1})^{2}}{a(z_{2})}}\,f_{K}\left(D_{\mathrm {com} }(z_{1},z_{2})\right)\;. $

Allgemeine Eigenschaften der verschiedenen Entfernungsdefinitionen

Durch die Vorfaktoren von $ a $ und die Nichtlinearität von $ f_{\mathrm {K} } $, besitzen weder die Winkeldurchmesserentfernung noch die Leuchtkraftentfernung eine additive Eigenschaft. Betrachtet man zwei Objekte 1 und 3, mit einem dazwischen liegenden Objekt 2, dann ist die Entfernung zwischen 1 und 3 nicht gleich der Summe der Entfernungen zwischen Objekt 1 und 2, und Objekt 2 und 3:

$ D(z_{1},z_{3})\neq D(z_{1},z_{2})+D(z_{2},z_{3}) $

Die Laufzeitentfernung und die mitbewegte Entfernung hingegen sind additiv.

Zahlenbeispiele

Für die folgenden Rotverschiebungen ergeben sich die verschiedenen Distanzen (in Milliarden Lichtjahren) zum Beobachter ($ z=0 $):

$ z $ 0,1 0,5 01,0 03,0 006,0
Laufzeitentfernung $ D_{\mathrm {prop} } $ 1,280 4,970 07,600 11,190 012,370
Mitbewegte Entfernung $ D_{\mathrm {com} } $ 1,340 6,070 10,620 20,430 026,510
Winkeldurchmesserentfernung $ D_{\mathrm {ang} } $ 1,220 4,050 05,310 05,110 003,790
Leuchtkraftentfernung $ D_{\mathrm {lum} } $ 1,480 9,110 21,240 81,710 185,540

Hierbei fällt auf, dass die Winkeldurchmesserdistanz keine monotone Funktion der Rotverschiebung ist, sondern für $ z=1{,}6 $ ein Maximum aufweist, um danach wieder kleiner zu werden. Dies bedeutet, dass dasselbe Objekt für wachsende Rotverschiebungen immer kleiner erscheint, bei $ z=1{,}6 $ ein Minimum erreicht, und für größere Entfernungen dem Beobachter wieder größer erscheint.

Die Laufzeitentfernung strebt für unendlich große Rotverschiebungen einen konstanten Wert an (der Zahlenwert des Alters des Universums, in Lichtjahren). Die Leuchtkraftentfernung strebt hingegen gegen unendlich, das heißt, die scheinbare Helligkeit eines Objektes nimmt mit zunehmender Rotverschiebung sehr stark ab. In der Tat sinkt die Flächenhelligkeit mit $ \propto (1+z)^{-4} $.

Anwendungsbeispiele

Eine Galaxie habe die Rotverschiebung 0,5. Damit ergibt sich, dass das Licht von ihr zum Beobachter 5,0 Milliarden Jahre unterwegs war, und damit ihre Laufzeitdistanz zu 5,0 Milliarden Lichtjahren. Möchte man aus der scheinbaren Helligkeit der Galaxie (z. B. Magnitude = 22) auf ihre tatsächliche Helligkeit schließen, so darf man nicht die Laufzeitentfernung verwenden, sondern man muss sich der Leuchtkraftentfernung bedienen. Diese beträgt 9,1 Mrd. Lichtjahre. Analog hierzu ist die Größenbestimmung: Erscheint die Galaxie dem Beobachter unter einem Winkel von 5 Bogensekunden, so muss man die Winkeldurchmesserdistanz von 4,1 Mrd. Lichtjahren verwenden, um ihre tatsächliche Größe (99600 Lichtjahre) über die Tangens-Funktion bestimmen zu können.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • C. Misner, K. S. Thorne, J. A. Wheeler: Gravitation. W. H. Freeman, San Francisco 1973, ISBN 0-7167-0344-0.
  • J. A. Peacock: Cosmological Physics. Cambridge University Press, 2001, ISBN 0-521-42270-1.