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Ein '''Kapillarelektrometer''' ist ein historisches Gerät zur Messung von [[Elektrische Ladung|elektrischer Ladung]] beziehungsweise von [[Elektrische Spannung|elektrischer Spannung]]. Es ist eine besondere Bauform des [[Elektroskop|Elektrometers]], die | |||
Ein '''Kapillarelektrometer''' ist ein historisches Gerät zur Messung von [[Elektrische Ladung|elektrischer Ladung]] beziehungsweise von [[Elektrische Spannung|elektrischer Spannung]]. Es ist eine besondere Bauform des [[Elektroskop|Elektrometers]], die die Ladungsabhängigkeit der [[Oberflächenspannung]] als Messprinzip ausnutzt. Der [[Messbereich]] des Geräts ist klein: Es ist nur für Spannungen mit einem Betrag zwischen 0 und 0,9 [[Volt|V]] geeignet.<ref name="Museo">{{Internetquelle |autor=Pierandrea Malfi |url=http://museo.liceofoscarini.it/virtuale/elelippmann.phtml |titel=Elettrometro di Lippmann |werk=Museo di Fisica "Antonio Maria Traversi" > Museo virtuale di Fisica > Elettroscopi ed elettrometri > Elettrometri |zugriff=2019-04-25}}</ref> Es galt aber im 19. Jahrhundert als sehr empfindliches [[Messgerät]], da Spannungen im Millivoltbereich oder kleiner gemessen werden konnten, und es wurde z. B. 1882 für das erste [[Elektrokardiogramm]] genutzt. | |||
== Aufbau und Funktionsweise == | == Aufbau und Funktionsweise == | ||
Das Kapillarelektrometer besteht aus einer | Das Kapillarelektrometer besteht aus einer [[Quecksilber]]­säule in einem [[Kapillar]]röhrchen, die mit verdünnter [[Schwefelsäure]] bedeckt ist. Um eine Spannung (oder genauer gesagt die elektrische Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten) zu messen, werden die beiden Punkte mit den beiden Elektroden des Kapillarelektrometers verbunden: Eine Elektrode hat Kontakt mit der Säure, die andere mit dem Quecksilber. Die Berührungsfläche zwischen Quecksilber und Schwefelsäure ist eine Grenzfläche, deren Oberflächenladung durch einen elektrischen Strom geändert wird. Das Gerät nutzt nun die Eigenschaft aus, dass sich bei einer Änderung der Oberflächenladung auch die Oberflächenspannung der Quecksilberkuppe ändert, und dass sich diese dann in einer engen Kapillare verschiebt.<ref name="Museo" /> Man beobachtet also eine Verschiebung des [[Meniskus (Hydrostatik)|Meniskus]], d. h. der Wölbung der Oberfläche der Quecksilbersäule. Es können damit kleine Spannungsänderungen schon ab 25 µV gemessen werden. | ||
[[Gabriel Lippmann]] hatte verschiedene Kapillarelektrometer gebaut. Eines davon bestand aus einem 1 m hohen, 7 mm weiten, vertikalen Glasrohr, welches unten in ein 10 mm langes, nach oben umgebogenes Kapillarrohr ausgezogen war; letzteres tauchte in ein oben offenes Glasgefäß, welches verdünnte Schwefelsäure und darunter Quecksilber enthält.<ref>Eintrag in Meyers Konversations-Lexikon, 1888, siehe Weblinks</ref> | |||
Um das Ablesen des Messergebnisses zu verbessern wurde der Meniskus mit geeigneten optischen Methoden verfolgt. Lippmann benutzte ein [[Kathetometer]] oder ein [[Mikroskop]] mit 220facher Vergrößerung<ref name="Lippmann" />. Auch für ein 1896 gebautes Elektrometer wurde ein Mikroskop benutzt.<ref name="Museo" /> Alternativ dazu wurde der vergrößerte Schatten des Meniskus auf Film projiziert und das Profil anschließend analysiert. | |||
=== Quantitative Beschreibung === | |||
Nach der Lippmann-Gleichung, auch Helmholtz-Lippmann-Gleichung genannt<ref>{{Internetquelle |url=https://www.spektrum.de/lexikon/physik/elektrokapillaritaet/4026 |titel=Elektrokapillarität |werk=Lexikon der Physik |hrsg=Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH |zugriff=2019-04-25}}</ref>, gilt folgender Zusammenhang zwischen der Oberflächenspannung γ, dem Potential ''φ'' und der Oberflächenladungsdichte σ (σ = ''Q''/''A'' = Ladung/Fläche):<ref name="Wedler2004">{{Literatur |Autor=Gerd Wedler |Titel=Lehrbuch der Physikalischen Chemie |Auflage=5 |Verlag=Wiley-VCH |Ort=Weinheim |Datum=2004 |ISBN=3527310665 |Kapitel=2.7.8 Die Elektrokapillarität |Seiten=442}}</ref> | |||
:<math>{-\sigma = \frac{d\gamma}{d\varphi} }</math> | |||
Eine kleine Änderung <math>{d\varphi}</math> des Potentials führt demnach zu einer kleinen Änderung der Oberflächenspannung <math>{d\gamma}</math>, deren Betrag gemäß <math>{ d\gamma = -\sigma d\varphi }</math> umso größer ist, je größer die Oberflächenladungsdichte σ der Oberfläche ist. | |||
== Geschichte == | == Geschichte == | ||
Das Kapillarelektrometer wurde 1872 von [[Gabriel Lippmann]] in Heidelberg entwickelt. | === Entwicklung des Kapillarelektrometers === | ||
Das Kapillarelektrometer wurde 1872 von [[Gabriel Lippmann]] in Heidelberg entwickelt.<ref name="Lippmann">{{Literatur |Autor=Gabriel Lippmann |Titel=Beziehungen zwischen den capillaren und elektrischen Erscheinungen |Hrsg=Johann Christian Poggendorff |Sammelwerk=[[Annalen der Physik und Chemie]] |Band=225 (Pogg. Ann. 149) |Nummer=8 |Verlag=Johann Ambrosius Barth |Ort=Leipzig |Datum=1873 |ISSN=1521-3889 |DOI=10.1002/andp.18732250807 |Seiten=546–561 |Online=[https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k15233w/f580.image.langDE online bei Gallica], Bibliothèque nationale de France}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gabriel Lippmann |Titel=Relation entre les phénomènes électriques et capillaires |TitelErg=Physique |Hrsg=Académie des sciences/ Bachelier |Sammelwerk=Comptes rendus hebdomadaires des séances de l'Académie des sciences |Band=76 |Verlag=Gauthier-Villars |Ort=Paris |Datum=1873-01 |Sprache=fr |Seiten=1407-1408| Kommentar=knappe Zusammenfassung seiner Ergebnisse |Online=[https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k3033b/f1407.image online bei Gallica], Bibliothèque nationale de France |Abruf=2019-04-25 |Zitat=La surface d'une goutte de mercure [...] baignée par de L'acide sulfurique […]}}</ref> Lippmanns Interesse an der Oberflächenspannung von Quecksilber war durch den [[Physiologe]]n [[Wilhelm Kühne]] geweckt worden, der ihm 1871 in Heidelberg das „[[Schlagendes Quecksilberherz|schlagende Quecksilberherz]]“ vorgeführt hatte.<ref name="Lippmann" /><ref name="Sella2015">{{Internetquelle |autor=Andrea Sella |url=https://www.chemistryworld.com/opinion/lippmanns-electrometer/8877.article |titel=Lippmann’s electrometer |werk=Opinion > Andrea Sella |hrsg=Chemistry World, The Royal Society of Chemistry |datum=2015-08-28 |zugriff=2019-04-25}}</ref> 1875 promovierte Lippmann mit seiner im Labor von [[Gustav Robert Kirchhoff]] durchgeführten<ref name="Lippmann" /> Arbeit über den Zusammenhänge zwischen Elektrizität und Kapillarkräften.<ref>{{Literatur |Autor=Gabriel Lippmann |Titel=Relations entre les phénomènes électriques et capillaires |TitelErg=Thèse présentée à la faculté des sciences de Paris |Verlag= Gauthier-Villars |Ort=Paris |Datum=1875 |Sprache=fr |OCLC=490702474 |Online=[http://jubilotheque.upmc.fr/ead.html?id=TH_000129_001&c=TH_000129_001_e0000028 Online] |Abruf=2019-04-25 |Kommentar=bei der Universität Pierre und Marie Curie UPMC (seit 2018: Sorbonne Université) |Zitat=mesure des forces électromotoriques}}</ref> | |||
== Anwendung in der Kardiographie == | === Anwendung in der Kardiographie === | ||
1876 benutzte der französische Physiologe [[Étienne-Jules Marey]] den Apparat, um die elektrische Aktivität des Herzens aufzuzeichnen. Dies war ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der [[Elektrokardiogramm|Elektrokardiographie]].<ref>{{Webarchiv | url=http://www.lrz-muenchen.de/~jmd/geschichte.htm | wayback=20090611192426 | text=Geschichte der Elektrokardiographie}} Ergänzungsmaterial zur Vorlesung von Privat-Dozent J. M. Davis, Universität München</ref> 1887 konnte der | 1876 benutzte der französische Physiologe [[Étienne-Jules Marey]] den Apparat, um die elektrische Aktivität des Herzens aufzuzeichnen. Dies war ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der [[Elektrokardiogramm|Elektrokardiographie]].<ref>{{Webarchiv | url=http://www.lrz-muenchen.de/~jmd/geschichte.htm | wayback=20090611192426 | text=Geschichte der Elektrokardiographie}} Ergänzungsmaterial zur Vorlesung von Privat-Dozent J. M. Davis, Universität München</ref> 1887 konnte der Physiologe [[Augustus Desiré Waller]] erstmals Herzströme mit Hilfe eines Kapillarelektrometers aufzeichnen. | ||
== Einzelnachweise == | == Einzelnachweise == |
Ein Kapillarelektrometer ist ein historisches Gerät zur Messung von elektrischer Ladung beziehungsweise von elektrischer Spannung. Es ist eine besondere Bauform des Elektrometers, die die Ladungsabhängigkeit der Oberflächenspannung als Messprinzip ausnutzt. Der Messbereich des Geräts ist klein: Es ist nur für Spannungen mit einem Betrag zwischen 0 und 0,9 V geeignet.[1] Es galt aber im 19. Jahrhundert als sehr empfindliches Messgerät, da Spannungen im Millivoltbereich oder kleiner gemessen werden konnten, und es wurde z. B. 1882 für das erste Elektrokardiogramm genutzt.
Das Kapillarelektrometer besteht aus einer Quecksilbersäule in einem Kapillarröhrchen, die mit verdünnter Schwefelsäure bedeckt ist. Um eine Spannung (oder genauer gesagt die elektrische Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten) zu messen, werden die beiden Punkte mit den beiden Elektroden des Kapillarelektrometers verbunden: Eine Elektrode hat Kontakt mit der Säure, die andere mit dem Quecksilber. Die Berührungsfläche zwischen Quecksilber und Schwefelsäure ist eine Grenzfläche, deren Oberflächenladung durch einen elektrischen Strom geändert wird. Das Gerät nutzt nun die Eigenschaft aus, dass sich bei einer Änderung der Oberflächenladung auch die Oberflächenspannung der Quecksilberkuppe ändert, und dass sich diese dann in einer engen Kapillare verschiebt.[1] Man beobachtet also eine Verschiebung des Meniskus, d. h. der Wölbung der Oberfläche der Quecksilbersäule. Es können damit kleine Spannungsänderungen schon ab 25 µV gemessen werden.
Gabriel Lippmann hatte verschiedene Kapillarelektrometer gebaut. Eines davon bestand aus einem 1 m hohen, 7 mm weiten, vertikalen Glasrohr, welches unten in ein 10 mm langes, nach oben umgebogenes Kapillarrohr ausgezogen war; letzteres tauchte in ein oben offenes Glasgefäß, welches verdünnte Schwefelsäure und darunter Quecksilber enthält.[2]
Um das Ablesen des Messergebnisses zu verbessern wurde der Meniskus mit geeigneten optischen Methoden verfolgt. Lippmann benutzte ein Kathetometer oder ein Mikroskop mit 220facher Vergrößerung[3]. Auch für ein 1896 gebautes Elektrometer wurde ein Mikroskop benutzt.[1] Alternativ dazu wurde der vergrößerte Schatten des Meniskus auf Film projiziert und das Profil anschließend analysiert.
Nach der Lippmann-Gleichung, auch Helmholtz-Lippmann-Gleichung genannt[4], gilt folgender Zusammenhang zwischen der Oberflächenspannung γ, dem Potential φ und der Oberflächenladungsdichte σ (σ = Q/A = Ladung/Fläche):[5]
Eine kleine Änderung $ {d\varphi } $ des Potentials führt demnach zu einer kleinen Änderung der Oberflächenspannung $ {d\gamma } $, deren Betrag gemäß $ {d\gamma =-\sigma d\varphi } $ umso größer ist, je größer die Oberflächenladungsdichte σ der Oberfläche ist.
Das Kapillarelektrometer wurde 1872 von Gabriel Lippmann in Heidelberg entwickelt.[3][6] Lippmanns Interesse an der Oberflächenspannung von Quecksilber war durch den Physiologen Wilhelm Kühne geweckt worden, der ihm 1871 in Heidelberg das „schlagende Quecksilberherz“ vorgeführt hatte.[3][7] 1875 promovierte Lippmann mit seiner im Labor von Gustav Robert Kirchhoff durchgeführten[3] Arbeit über den Zusammenhänge zwischen Elektrizität und Kapillarkräften.[8]
1876 benutzte der französische Physiologe Étienne-Jules Marey den Apparat, um die elektrische Aktivität des Herzens aufzuzeichnen. Dies war ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Elektrokardiographie.[9] 1887 konnte der Physiologe Augustus Desiré Waller erstmals Herzströme mit Hilfe eines Kapillarelektrometers aufzeichnen.