Quantendarwinismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''Quantendarwinismus''' ist eine Theorie, die eine auf Darwinscher Selektion basierende Entstehung der klassischen Welt aus der Quantenwelt beschreibt. Sie wurde von [[Wojciech Zurek]] und einer Forschergruppe, zu deren Mitgliedern Ollivier, Poulin, Paz und Blume-Kohout gehören, vorgeschlagen. Die Entwicklung der Theorie geht auf eine Vernetzung einiger Forschungsgebiete Zureks zurück: sogenannte ''Pointerzustände'' (''pointer states''), die in ihrer Umgebung robust sind und nicht ''verschmieren'', die Theorie der [[Dekohärenz]] und der ''einselection'' ("''e''nvironment-''in''duced super''selection''", der durch die Umwelt verursachten Selektion von Zuständen). Zurek betreibt diese Forschungen seit 25 Jahren.
Der '''Quantendarwinismus''' ist eine [[Hypothese]], die eine auf [[Selektion (Evolution)#Natürliche Selektion|darwinscher Selektion]] basierende Entstehung der klassischen Welt aus der Quantenwelt beschreibt. Sie wurde von [[Wojciech Zurek]] und einer Forschergruppe, zu deren Mitgliedern Ollivier, Poulin, Paz und Blume-Kohout gehören, gemeinsam vorgeschlagen, geht in ihrer Entwicklung aber auf die Vernetzung einiger Forschungsgebiete zurück, die von Zurek vorgenommen wurde. Folgende Aspekte sind die tragenden:
 
* die von Darwin als allgemeingültiger [[Algorithmus]] formulierte Evolutionstheorie
* die sogenannten ''Pointerzustände'' (''pointer states'')<ref>{{Internetquelle |url=https://www.scinexx.de/news/technik/auch-quantenpunkte-haben-ein-beziehungsleben/ |titel=Forscher finden wichtige Indizien für Quanten-Darwinismus Auch Quantenpunkte haben ein Beziehungsleben - scinexx {{!}} Das Wissensmagazin |abruf=2019-06-22}}</ref>, die in ihrer Umgebung robust sind (nicht ''verschmieren'') und sich in Form u.&nbsp;a. ihres Gehalts an Information aus der Quanten- in die Welt der klassischen Physik ''vererben''<ref>{{Internetquelle |url=https://www.fwf.ac.at/de/wissenschaft-konkret/projektvorstellungen-archiv/2008/pv200810/ |titel=Das Beziehungsleben der Quantenpunkte - Stabilität & Vermehrung |abruf=2019-06-22}}</ref>
* die Theorie der [[Dekohärenz]]
* und der ''einselection'' (''e''nvironment-''in''duced super''selection''“), in der die Umwelt als Faktor gilt, der einen selektiven Druck auf die integralen Zustände ausübt.
 
Zurek betreibt seine diesbezüglichen Forschungen seit ca. 25 Jahren.


== Auswirkungen ==
== Auswirkungen ==
Ähnlich wie Zureks Theorie der ''envariance'' (von "''en''tanglement-assisted in''variance''", also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz), erklärt der Quantendarwinismus, wie die klassische Welt aus der Quantenwelt entsteht und bietet mögliche Lösungen für das Messproblem der Quantenphysik, welches die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Quantentheorie darstellt. Dieses Problem kommt dadurch zustande, dass der Vektor des Quantenzustands, die Quelle jedes Wissens um Quantensysteme, sich gemäß der Schrödingergleichung zu einer linearen Superposition unterschiedlicher Zustände entwickelt, womit widersprüchliche Situationen wie z.&nbsp;B. „Schrödingers Katze“ vorausgesagt werden können - Situationen, die in unserer klassischen Welt nie stattfinden. Die Quantentheorie hat dieses Problem üblicherweise behandelt, als sei es durch eine nicht-unitäre Transformation des Zustandsvektors in einen definitiven Zustand zum Zeitpunkt der Messung gelöst.
Ähnlich wie Zureks Theorie der ''envariance'' (von ''en''tanglement-assisted in''variance'', also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz), erklärt der Quantendarwinismus, wie die klassische Welt aus der Quantenwelt entsteht und bietet mögliche Lösungen für das sog. [[Meßproblem|Messproblem]], dessen Interpretation philosophisch die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Quantentheorie darstellt. Dieses Problem kommt dadurch zustande, dass der Vektor des Quantenzustands (die Quelle aller Informationen über ein Quantensystem) sich gemäß der Schrödingergleichung zu einer linearen [[Superposition (Physik)|Superposition]] entwickelt. Damit sind einander überlagernde Zustände wie z.&nbsp;B. „Schrödingers zugleich ''lebend-tote'' [[Schrödingers Katze|Katze]]“ gemeint – Situationen, die es in unserer klassischen Welt nicht gibt. Verschiedene hochrangige Quantenphysiker erklären dieses Problem häufig dadurch für gelöst (oder nicht existent), dass sie annehmen, der Zustandsvektor werde auf nicht-unitäre Weise, infolge des Messaktes, in den definitiv ''gemessenen'' Zustand transformiert.


Der physikalische Charakter des Übergangs von der Superposition der Zustände zum eindeutigen, gemessenen klassischen Zustand wird durch die traditionelle Theorie nicht erklärt, sondern normalerweise wie ein Axiom behandelt und war die Grundlage für die - möglicherweise berühmteste in der Physikgeschichte -  auf Vollständigkeit der Quantentheorie bezogene Auseinandersetzung zwischen [[Niels Bohr]] und [[Albert Einstein]].
Der physikalische Charakter des Übergangs von der Superposition der Zustände zum eindeutigen klassischen Zustand wird in der heutigen Quantentheorie normalerweise also nicht erklärt, sondern wie ein [[Axiom]] behandelt; zuvor war er Grundlage für die um Vollständigkeit der Quantentheorie ringende Auseinandersetzung zwischen [[Niels Bohr]] und [[Albert Einstein]] – wahrscheinlich die berühmteste in der Physikgeschichte.


Der Quantendarwinismus beschreibt den Übergang der Quantensysteme vom riesigen Potenzial an Quantensystemen zur sehr eingeschränkten Menge an ''Pointerzuständen'' als einen Selektionsprozess  der sogenannten ''einselection'', dem das Quantensystem durch seine ständigen Wechselwirkungen mit der Umwelt ausgesetzt ist. Alle Quantenwechselwirkungen, Messprozesse eingeschlossen, typischerweise aber eher Wechselwirkungen mit der Umwelt wie z.&nbsp;B. mit einem Photonenmeer, in das alle Quantensysteme eintauchen, führen zu einer Quantendekohärenz oder der Manifestierung des Quantensystems in einer bestimmten Basis von Eigenzuständen, die vom Charakter der Wechselwirkung, an der das Quantensystem beteiligt ist, vorgeschrieben wird. Für den Fall einer Wechselwirkung mit der Umwelt haben Zurek und seine Mitarbeiter gezeigt, dass eine bevorzugte Basis, in die ein Quantensystem dekohäriert, die ''Pointer''-Basis ist, die  vorhersagbaren klassischen Zuständen zugrunde liegt. Auf diese Weise werden die Pointerzustände der klassischen Realität aus der Quantenrealität selektiert zu einem Zustand im makroskopischen Bereich, welcher eine weitere Evolution erfährt.
Der Quantendarwinismus beschreibt den Übergang jedes denkbaren Quantensystems mit seinem riesigen Potenzial an Variationen zu der sehr eingeschränkten Menge an ''Pointerzuständen'' als einen sogenannt ''einselectiven'' Prozess. Dabei reagiert das betreffende Quantensystem auf eine sich an seine Umwelt anpassende Weise. Alle Quantenwechselwirkungen, typischerweise mit dem im Kosmos allgegenwärtigen Photonenmeer, jedoch auch z.&nbsp;B. einer Messapparatur, münden in eine Quantendekohärenz oder Manifestierung des Quantensystems in einer bestimmten Basis von Eigenzuständen, die vom Charakter der Wechselwirkung, an der das Quantensystem beteiligt ist, bedingt sind. Zurek und seine Mitarbeiter haben nun gezeigt, dass diese ''Pointerzustände'' das bevorzugte Ergebnis der Dekohärenzvorgänge sind und den klassischen Zuständen zugrunde liegen. Auf diese Weise werden die Pointerzustände zu Bereichen der klassischen Realität, welche eine weitere Evolution erfährt.


Da die Wechselwirkungen eines Quantensystems mit seiner Umwelt in einer Erfassung vieler redundanten Kopien der Information über seine Pointerzustände resultiert, steht diese Information vielen Beobachtern zur Verfügung, welche sich über ihre Information bezüglich des Quantenzustands einigen können. Dieser Aspekt der ''einselection'', welcher von Zurek „Environment as Witness - Die Umgebung als Zeuge“ bezeichnet wird, führt potenziell zu ''objektivem Wissen''.
Insofern jedes Quantensystem aus mehr oder minder redundanten Variationen der letztlich herausselektierten Pointerzustände besteht und diese wiederum ''[[Information]]en'' darstellen, kann die Umwelt als eine Ansammlung von Beobachtern aufgefasst werden, die sich im Augenblick der Dekohärierung auf einen Pointerzustand einigen (ihn gegenüber den restlichen Varianten bevorzugen). Dieser Aspekt der ''einselection'', den Zurek das „Environment as Witness - Die Umgebung als Zeuge“ nennt, führt potenziell zu ''objektivem Wissen''. Dies ist z.&nbsp;B. der Fall, sobald die kosmische Urumwelt (über eine Reihe kausal zusammenhängender Schritte) zu einem Wissenschaftler evolutionierte, der seine [[Hypothese]] zu verifizieren und dadurch in eine [[Theorie]] umzuwandeln versteht.


== Die Bedeutung des Darwinismus ==
== Die Bedeutung des Darwinismus ==
Möglicherweise ist es genauso wichtig, diese Theorie als einen darwinistischen Prozess zu identifizieren, welcher als Selektionsmechanismus arbeitet und unsere klassische Realität entstehen lässt. Wie zahlreiche Wissenschaftler verdeutlicht haben, wird jedes System, das einen darwinistischen Prozess beinhaltet, sich entwickeln (evolvieren). Darwinistische Prozesse sind nicht auf die Biologie beschränkt, sondern sind stets solche, die den einfachen darwinistischen Algorithmen Folge leisten:
Die Hypothese des Quantendarwinismus impliziert die Annahme eines selektiv wirkenden Mechanismus, der unsere klassische Realität erzeugt. Wie zahlreiche Wissenschaftler verdeutlicht haben, führt jede Art von natürlicher Selektion zu Entwicklung (Evolution), in dem Sinne, dass sich aus einer Menge früherer Zustände ein bestimmter neuer zu konsolidieren beginnt, der sich neben seinen 'Vorfahren' behaupten oder sie auch ablösen (verdrängen) kann. Das Besondere an Darwins Theorie ist nun, dass er sie – wegen der logischen Herkunft ihres hypothetischen Ur-Einzellers aus dem Reich der unbelebten Materie – nicht auf die Biologie beschränkte. Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Entstehung der 'lebendigen' Materie aus der 'toten' erklären zu können, formulierte Darwin die Grundregeln seiner Evolutionstheorie in Gestalt eines allgemeingültigen, dreistufigen [[Algorithmus]]:


# Reproduktion - die Fähigkeit, Kopien von sich herzustellen und so Nachfahren zu produzieren.
#Reproduktion die Fähigkeit, Kopien von sich herzustellen und so Nachfahren zu produzieren.
# Vererbung - die Fähigkeit, Eigenschaften an Kopien weiterzugeben.
#Vererbung – der Umstand, dass die erzeugten Kopien "Eigenschaften" (Information) tragen.
# Variabilität - Unterschiede zwischen vererbbaren Eigenschaften, die "Fitness" oder auch Fähigkeit zu überleben und sich zu fortzupflanzen, was zu unterschiedlichen Überlebenschancen führt.
#Variabilität Unterschiede zwischen den ererbten Eigenschaften führen zu unterschiedlichen Graden der Anpassung an die Umwelt ("Fitness"), was die Fähigkeit, zu überleben und sich seinerseits zu kopieren, mindert oder steigert.


Der Quantendarwinismus scheint diesem Algorithmus zu folgen und die Bezeichnung daher treffend gewählt zu sein.
Der Quantendarwinismus scheint diese 'Anweisungen' korrekt zu integrieren, seine Bezeichnung insofern treffend gewählt:


# Vielfältige Kopien von Pointerzuständen
#Jedes Quantensystem beinhaltet potenziell unendlich viele, stärker oder schwächer voneinander abweichende Kopien (mögliche Wirklichkeiten).
# Die Pointerzustände entwickeln sich auf eine kontinuierliche, vorhersagbare Art und Weise, das heißt, dass Nachfahren viele ihrer Eigenschaften von vorhergehenden Zuständen erben.
#Die infolge der Dekohärenz Wirklichkeit gewordenen Pointerzustände sind Träger von Eigenschaften (Information), darunter die Fähigkeit, sie an nachfolgende Zustände zu vererben.
# Sukzessive Wechselwirkungen zwischen Pointerzuständen und ihrer Umwelt zeigen, dass diese sich weiterentwickeln und die Zustände "überleben", was mit den Vorhersagen der klassischen Physik innerhalb der makroskopischen Welt übereinstimmt.
#Sukzessive Wechselwirkungen zwischen Pointerzuständen und ihrer Umwelt zeigen, dass sie ihr gegenüber besonders stabil sind, daher eher "überleben" und sich weiterentwickeln als zahllose andere Optionen eines Quantensystems.


Aus dieser Perspektive bietet der Darwinismus eine darwinistische Erklärung der Grundlage unserer Realität und erklärt den Verlauf oder die Evolution unserer klassischen makroskopischen Welt. Es ist vielleicht überraschend, dass derselbe Mechanismus, der die Entstehung der klassischen Realität aus der Quantenrealität ermöglicht, laut wissenschaftlichen Theorien auch als ein Mechanismus angesehen wird, der die Entstehung der Biologie aus der Chemie und der Kultur aus der Biologie ermöglicht.
Aus dieser Perspektive bieten Zurek und Mitarbeiter eine ''darwinistische'' Erklärung zur Herkunft unserer makroskopischen Realität aus der Quantenwelt. Es ist vielleicht überraschend, dass gemäß einer wissenschaftlichen Hypothese ein und derselbe Mechanismus die Entstehung des menschlichen Geistes und seiner Kulturleistungen aus der Biologie und dieser aus der rätselhaften Quantenrealität ermöglichen soll.


== Literatur ==
== Literatur ==
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* W. Zurek, ''Quantum Darwinism'', [[Nature Physics]] 5 (2009) S. 181–188 ({{DOI|10.1038/nphys1202}}).
* W. Zurek, ''Quantum Darwinism'', [[Nature Physics]] 5 (2009) S. 181–188 ({{DOI|10.1038/nphys1202}}).
* R. Blume-Kohout, W. H. Zurek, ''Quantum Darwinism: Entanglement, branches, and the emergent classicality of redundantly stored quantum information'', Phys. Rev. A 73, 062310 (2006). {{arXiv|quant-ph/0505031}}.
* R. Blume-Kohout, W. H. Zurek, ''Quantum Darwinism: Entanglement, branches, and the emergent classicality of redundantly stored quantum information'', Phys. Rev. A 73, 062310 (2006). {{arXiv|quant-ph/0505031}}.
* Zurek ''Quantum Darwinism and Envariance'', 2003,{{arXiv|quant-ph/0308163}}.
* Zurek ''Quantum Darwinism and Envariance'', 2003, {{arXiv|quant-ph/0308163}}.
* Ollivier, Poulin, Zurek ''Environment as a Witness: Selective Proliferation of Information and Emergence of Objectivity in a Quantum Universe'', 2004, {{arXiv|quant-ph/0408125}}
* Ollivier, Poulin, Zurek ''Environment as a Witness: Selective Proliferation of Information and Emergence of Objectivity in a Quantum Universe'', 2004, {{arXiv|quant-ph/0408125}}
* Zurek ''Probabilities from entanglement, Born’s rule vom envariance'', 2004, {{arXiv|quant-ph/0405161}}  
* Zurek ''Probabilities from entanglement, Born’s rule vom envariance'', 2004, {{arXiv|quant-ph/0405161}}
* Zurek ''Decoherence and the Transition from Quantum to Classical—Revisited'', Los Alamos Science 2002, Update seines Aufsatzes zur Dekohärenz in Physics Today 1991, {{arXiv|quant-ph/0306072}}
* Zurek ''Decoherence and the Transition from Quantum to Classical—Revisited'', Los Alamos Science 2002, Update seines Aufsatzes zur Dekohärenz in Physics Today 1991, {{arXiv|quant-ph/0306072}}
* Zurek ''Relative States and the Environment: Einselection, Envariance, Quantum Darwinism, and the Existential Interpretation'', 2007, {{arXiv|0707.2832}}
* Zurek ''Relative States and the Environment: Einselection, Envariance, Quantum Darwinism, and the Existential Interpretation'', 2007, {{arXiv|0707.2832}}
* [http://xstructure.inr.ac.ru/x-bin/theme3.py?level=1&index1=368126 Quantum Darwinism on arxiv.org]
* [http://xstructure.inr.ac.ru/x-bin/theme3.py?level=1&index1=368126 Quantum Darwinism on arxiv.org]
== Einzelnachweise ==
<references />


[[Kategorie:Quantenmechanik]]
[[Kategorie:Quantenmechanik]]

Aktuelle Version vom 6. September 2021, 13:41 Uhr

Der Quantendarwinismus ist eine Hypothese, die eine auf darwinscher Selektion basierende Entstehung der klassischen Welt aus der Quantenwelt beschreibt. Sie wurde von Wojciech Zurek und einer Forschergruppe, zu deren Mitgliedern Ollivier, Poulin, Paz und Blume-Kohout gehören, gemeinsam vorgeschlagen, geht in ihrer Entwicklung aber auf die Vernetzung einiger Forschungsgebiete zurück, die von Zurek vorgenommen wurde. Folgende Aspekte sind die tragenden:

  • die von Darwin als allgemeingültiger Algorithmus formulierte Evolutionstheorie
  • die sogenannten Pointerzustände (pointer states)[1], die in ihrer Umgebung robust sind (nicht verschmieren) und sich in Form u. a. ihres Gehalts an Information aus der Quanten- in die Welt der klassischen Physik vererben[2]
  • die Theorie der Dekohärenz
  • und der einselection („environment-induced superselection“), in der die Umwelt als Faktor gilt, der einen selektiven Druck auf die integralen Zustände ausübt.

Zurek betreibt seine diesbezüglichen Forschungen seit ca. 25 Jahren.

Auswirkungen

Ähnlich wie Zureks Theorie der envariance (von „entanglement-assisted invariance“, also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz), erklärt der Quantendarwinismus, wie die klassische Welt aus der Quantenwelt entsteht und bietet mögliche Lösungen für das sog. Messproblem, dessen Interpretation philosophisch die größte Herausforderung auf dem Gebiet der Quantentheorie darstellt. Dieses Problem kommt dadurch zustande, dass der Vektor des Quantenzustands (die Quelle aller Informationen über ein Quantensystem) sich gemäß der Schrödingergleichung zu einer linearen Superposition entwickelt. Damit sind einander überlagernde Zustände wie z. B. „Schrödingers zugleich lebend-tote Katze“ gemeint – Situationen, die es in unserer klassischen Welt nicht gibt. Verschiedene hochrangige Quantenphysiker erklären dieses Problem häufig dadurch für gelöst (oder nicht existent), dass sie annehmen, der Zustandsvektor werde auf nicht-unitäre Weise, infolge des Messaktes, in den definitiv gemessenen Zustand transformiert.

Der physikalische Charakter des Übergangs von der Superposition der Zustände zum eindeutigen klassischen Zustand wird in der heutigen Quantentheorie normalerweise also nicht erklärt, sondern wie ein Axiom behandelt; zuvor war er Grundlage für die um Vollständigkeit der Quantentheorie ringende Auseinandersetzung zwischen Niels Bohr und Albert Einstein – wahrscheinlich die berühmteste in der Physikgeschichte.

Der Quantendarwinismus beschreibt den Übergang jedes denkbaren Quantensystems mit seinem riesigen Potenzial an Variationen zu der sehr eingeschränkten Menge an Pointerzuständen als einen sogenannt einselectiven Prozess. Dabei reagiert das betreffende Quantensystem auf eine sich an seine Umwelt anpassende Weise. Alle Quantenwechselwirkungen, typischerweise mit dem im Kosmos allgegenwärtigen Photonenmeer, jedoch auch z. B. einer Messapparatur, münden in eine Quantendekohärenz oder Manifestierung des Quantensystems in einer bestimmten Basis von Eigenzuständen, die vom Charakter der Wechselwirkung, an der das Quantensystem beteiligt ist, bedingt sind. Zurek und seine Mitarbeiter haben nun gezeigt, dass diese Pointerzustände das bevorzugte Ergebnis der Dekohärenzvorgänge sind und den klassischen Zuständen zugrunde liegen. Auf diese Weise werden die Pointerzustände zu Bereichen der klassischen Realität, welche eine weitere Evolution erfährt.

Insofern jedes Quantensystem aus mehr oder minder redundanten Variationen der letztlich herausselektierten Pointerzustände besteht und diese wiederum Informationen darstellen, kann die Umwelt als eine Ansammlung von Beobachtern aufgefasst werden, die sich im Augenblick der Dekohärierung auf einen Pointerzustand einigen (ihn gegenüber den restlichen Varianten bevorzugen). Dieser Aspekt der einselection, den Zurek das „Environment as Witness - Die Umgebung als Zeuge“ nennt, führt potenziell zu objektivem Wissen. Dies ist z. B. der Fall, sobald die kosmische Urumwelt (über eine Reihe kausal zusammenhängender Schritte) zu einem Wissenschaftler evolutionierte, der seine Hypothese zu verifizieren und dadurch in eine Theorie umzuwandeln versteht.

Die Bedeutung des Darwinismus

Die Hypothese des Quantendarwinismus impliziert die Annahme eines selektiv wirkenden Mechanismus, der unsere klassische Realität erzeugt. Wie zahlreiche Wissenschaftler verdeutlicht haben, führt jede Art von natürlicher Selektion zu Entwicklung (Evolution), in dem Sinne, dass sich aus einer Menge früherer Zustände ein bestimmter neuer zu konsolidieren beginnt, der sich neben seinen 'Vorfahren' behaupten oder sie auch ablösen (verdrängen) kann. Das Besondere an Darwins Theorie ist nun, dass er sie – wegen der logischen Herkunft ihres hypothetischen Ur-Einzellers aus dem Reich der unbelebten Materie – nicht auf die Biologie beschränkte. Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Entstehung der 'lebendigen' Materie aus der 'toten' erklären zu können, formulierte Darwin die Grundregeln seiner Evolutionstheorie in Gestalt eines allgemeingültigen, dreistufigen Algorithmus:

  1. Reproduktion – die Fähigkeit, Kopien von sich herzustellen und so Nachfahren zu produzieren.
  2. Vererbung – der Umstand, dass die erzeugten Kopien "Eigenschaften" (Information) tragen.
  3. Variabilität – Unterschiede zwischen den ererbten Eigenschaften führen zu unterschiedlichen Graden der Anpassung an die Umwelt ("Fitness"), was die Fähigkeit, zu überleben und sich seinerseits zu kopieren, mindert oder steigert.

Der Quantendarwinismus scheint diese 'Anweisungen' korrekt zu integrieren, seine Bezeichnung insofern treffend gewählt:

  1. Jedes Quantensystem beinhaltet potenziell unendlich viele, stärker oder schwächer voneinander abweichende Kopien (mögliche Wirklichkeiten).
  2. Die infolge der Dekohärenz Wirklichkeit gewordenen Pointerzustände sind Träger von Eigenschaften (Information), darunter die Fähigkeit, sie an nachfolgende Zustände zu vererben.
  3. Sukzessive Wechselwirkungen zwischen Pointerzuständen und ihrer Umwelt zeigen, dass sie ihr gegenüber besonders stabil sind, daher eher "überleben" und sich weiterentwickeln als zahllose andere Optionen eines Quantensystems.

Aus dieser Perspektive bieten Zurek und Mitarbeiter eine darwinistische Erklärung zur Herkunft unserer makroskopischen Realität aus der Quantenwelt. Es ist vielleicht überraschend, dass gemäß einer wissenschaftlichen Hypothese ein und derselbe Mechanismus die Entstehung des menschlichen Geistes und seiner Kulturleistungen aus der Biologie und dieser aus der rätselhaften Quantenrealität ermöglichen soll.

Literatur

  • S. Haroche, J.-M. Raimond, Exploring the Quantum: Atoms, Cavities, and Photons, Oxford University Press (2006), ISBN 0-198-50914-6, S. 77 ff.
  • M. Schlosshauer, Decoherence and the Quantum-to-Classical Transition, Springer 2007, ISBN 3-540-35773-4, Kap. 2.9, S. 85 ff.

Weblinks

Originalarbeiten und Belege

  • W. Zurek, Quantum Darwinism, Nature Physics 5 (2009) S. 181–188 (doi:10.1038/nphys1202).
  • R. Blume-Kohout, W. H. Zurek, Quantum Darwinism: Entanglement, branches, and the emergent classicality of redundantly stored quantum information, Phys. Rev. A 73, 062310 (2006). arxiv:quant-ph/0505031.
  • Zurek Quantum Darwinism and Envariance, 2003, arxiv:quant-ph/0308163.
  • Ollivier, Poulin, Zurek Environment as a Witness: Selective Proliferation of Information and Emergence of Objectivity in a Quantum Universe, 2004, arxiv:quant-ph/0408125
  • Zurek Probabilities from entanglement, Born’s rule vom envariance, 2004, arxiv:quant-ph/0405161
  • Zurek Decoherence and the Transition from Quantum to Classical—Revisited, Los Alamos Science 2002, Update seines Aufsatzes zur Dekohärenz in Physics Today 1991, arxiv:quant-ph/0306072
  • Zurek Relative States and the Environment: Einselection, Envariance, Quantum Darwinism, and the Existential Interpretation, 2007, arxiv:0707.2832
  • Quantum Darwinism on arxiv.org

Einzelnachweise