Transmutation: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Dieser Artikel|behandelt die Umwandlung von chemischen Elementen oder von Radionukliden. Zur biologischen Theorie des Artenwandels siehe [[Transmutation der Arten]].}}
{{Dieser Artikel|behandelt die Umwandlung von chemischen Elementen oder von Radionukliden. Zur biologischen Theorie des Artenwandels siehe [[Transmutation der Arten]].}}
'''Transmutation''' (lateinisch ''transmutatio'': Verwandlung) ist die Umwandlung eines [[Chemisches Element|chemischen Elements]] in ein anderes. Die [[Alchemie|Alchemisten]] bezeichneten damit die angestrebte Verwandlung [[Unedle Metalle|unedler Metalle]] in [[Gold]].
Die '''''Transmutation''''' (aus dem [[lateinische Sprache|lateinischen]] ''{{lang|la|transmutatio}}'': Verwandlung), auch '''Kernumwandlung'''<ref name="Wissen.de-Eintrag zur Kernumwandlung">[//www.wissen.de/lexikon/Kernumwandlung Kernumwandlung] – im ''[[Wissen.de]]-Lexikon'', 2021</ref><ref>[//www.dwds.de/wb/Kernumwandlung Kernumwandlung] – ''[[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]]'', 2021</ref> sowie '''''Element''umwandlung'''<ref>''[//www.dwds.de/wb/Transmutation Transmutation]'' – ''DWDS'', 2021; dort auch genauer mit „''Element''umwandlung“</ref> oder kurz '''Umwandlung'''<ref>''[//www.wissen.de/lexikon/Transmutation Transmutation]'' – im ''Wissen.de-Lexikon'', 2021; „die kernphysikalische '''Umwandlung''' …“</ref><ref>''[//de.pons.com/übersetzung/deutsche-rechtschreibung/Transmutation Transmutation]'' – ''[[PONS-Wörterbücher|Pons]]'', 2021</ref> genannt, ist die Veränderung eines [[Chemisches Element|chemischen Elementes]] in ein anderes. Im Kern des Atoms verändert sich dabei die [[Ordnungszahl|Protonenzahl]].


Elementumwandlung ist mit [[Chemie|chemischen]] Mitteln nicht möglich. Sie erfolgt jedoch in verschiedenen Arten von [[Radioaktivität|radioaktiven Zerfällen]] und [[Kernreaktion]]en; auch dies wird manchmal ganz allgemein Transmutation genannt.<ref>[http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/chemistry/laureates/1921/soddy-lecture.pdf F. Soddy: Nobelpreis-Vortrag 1922], Seite 372</ref><ref>J. Bleck-Neuhaus: ''Elementare Teilchen''. 2. Auflage, Springer 2013, ISBN 978-3-642-32578-6, Seite 692</ref><ref>J.-L. Basdevant, J. Rich, M. Spiro: ''Fundamentals in Nuclear Physics''. Springer 2004, ISBN 0-387-01672-4, Seiten 43, 247</ref> Elementumwandlung durch Kernreaktionen findet im großtechnischen Maßstab vor allem bei der Energiegewinnung in [[Kernreaktor]]en statt.
Eine Elementumwandlung ist mit [[Chemie|chemischen]] Mitteln nicht möglich. Sie erfolgt bei verschiedenen Arten von [[Radioaktivität|radioaktiven Zerfällen]] und [[Kernreaktion]]en; auch dies wird manchmal ganz allgemein Transmutation genannt.<ref>[http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/chemistry/laureates/1921/soddy-lecture.pdf F. Soddy: Nobelpreis-Vortrag 1922], Seite 372</ref><ref>J. Bleck-Neuhaus: ''Elementare Teilchen''. 2. Auflage, Springer 2013, ISBN 978-3-642-32578-6, Seite 692</ref><ref>J.-L. Basdevant, J. Rich, M. Spiro: ''Fundamentals in Nuclear Physics''. Springer 2004, ISBN 0-387-01672-4, Seiten 43, 247</ref> Elementumwandlungen durch Kernreaktionen finden im großtechnischen Maßstab vor allem bei der Energiegewinnung in [[Kernreaktor]]en als [[Nebenprodukt|Neben-]], meistens jedoch als [[radioaktiver Abfall|Abfallprodukt]] statt. Es gibt Konzepte, radioaktive Abfälle in ihrer Gefährlichkeit durch Transmutation zu verringern.
 
Auch medizinische Radionuklide für den Einsatz in der [[Nuklearmedizin]] sowie die Materialien für Thermoisotopengeneratoren („[[Atombatterie]]“) werden üblicherweise durch (gezielte) Transmutation gewonnen, wahlweise in Kernspaltungsreaktoren oder in Teilchenbeschleunigern bzw. mittels [[Spallation#Nukleare Spallation|Spallation]]. Eine in kleinem Maßstab demonstrierte, aber bisher großtechnisch nicht ökonomische Möglichkeit ist auch die Transmutation geringwertiger oder sogar als „Abfall“ angesehener Materialien zu höherwertigen Materialien, hauptsächlich [[Edelmetall]]en. Dieser „reale [[Stein der Weisen]]“ gelang erstmals [[Glenn Seaborg]], als er im Labormaßstab Quecksilber zu Gold transmutierte, jedoch zu Kosten, die den Wert des produzierten Goldes um Größenordnungen überstiegen.
 
== Geschichte ==
Für [[Alchemie|Alchemisten]] war mit Transmutation die angestrebte Verwandlung unedler Metalle wie [[Blei]] oder [[Quecksilber]] in [[Gold]] oder [[Silber]] gemeint. Ein Hilfsmittel war der [[Stein der Weisen]].
 
Die erste Kernumwandlung wurde 1919 von ''[[Ernest Rutherford]]'' durchgeführt,<ref name="Wissen.de-Eintrag zur Kernumwandlung"/> nach dem später das Element ''[[Rutherfordium]]'' benannt wurde.


== Transmutation in der Nuklear-Entsorgung ==
== Transmutation in der Nuklear-Entsorgung ==
Seit den 1990er Jahren werden als Transmutation spezielle Techniken bezeichnet, mit denen [[radioaktiver Abfall]] in seiner Gefährlichkeit verringert werden soll, indem durch Kernreaktionen mit freien [[Neutron]]en die besonders langlebigen Bestandteile in kürzerlebige verwandelt werden. Hauptsächlich geht es dabei um die [[Transuranabfall|minoren Actinoide]] [[Neptunium]], [[Americium]] und [[Curium]] – genauer: die [[Nuklid]]e Np-237, Am-241, Am-243 und Cm-245 – mit ihren besonders langen [[Halbwertszeit]]en. In manchen der Konzepte soll auch [[Plutonium]] mit umgewandelt werden, obwohl Plutonium auch in Form von Uran-Plutonium-[[MOX-Brennelement|MOX-Brennstoff]] in heutigen (2015) Kernkraftwerken genutzt werden kann. Bestimmte Konzepte<ref name="Bowman92">C. D. Bowman et al.: Nuclear energy generation and waste transmutation using an accelerator-driven intense thermal neutron source. ''Nuclear Instruments and Methods A'' Bd. 320 (1992) Seite 336–367</ref><ref name="Bowman98">[http://staff.ustc.edu.cn/~qunwang/temp/bowman-annurev-nucl-48-1-505.pdf C. D. Bowman: Accelerator driven systems for nuclear waste transmutation. ''Annual Review of Nuclear and Particle Science'' Bd. 48 (1998) Seite 505–556]</ref> sehen zusätzlich die Transmutation langlebiger [[Spaltprodukt]]e vor.
[[Datei:Nuclear Waste Decay Data.jpg|mini|[[Radiotoxizität]] der verschiedenen Bestandteile des Atommülls heutiger Leichtwasserreaktoren]]
Seit den 1990er Jahren werden als Transmutation spezielle Techniken bezeichnet, mit denen [[radioaktiver Abfall]] in seiner Gefährlichkeit verringert werden soll, indem durch Kernreaktionen mit freien [[Neutron]]en die besonders langlebigen radioaktiven Bestandteile in kürzerlebige verwandelt werden. Hauptsächlich geht es dabei um die [[Transuranabfall|minoren Actinoide]] [[Neptunium]], [[Americium]] und [[Curium]] – genauer: die [[Nuklid]]e Np-237, Am-241, Am-243 und Cm-245 – mit ihren besonders langen [[Halbwertszeit]]en. In manchen der Konzepte soll auch [[Plutonium]] mit umgewandelt werden, obwohl Plutonium auch in Form von Uran-Plutonium-[[MOX-Brennelement|MOX-Brennstoff]] in heutigen (2015) Kernkraftwerken genutzt werden kann. Allerdings ist das Isotop Plutonium-240 weder fissil noch fertil und reichert sich (durch [[Neutroneneinfang]] von Plutonium-239, welches üblicherweise nach Einfang eines Neutrons eine Kernspaltung durchführt, aber auch zu Pu-240 transmutiert werden kann und dieser Vorgang geschieht häufiger als der Neutroneneinfang von Pu-240 zu Pu-241.) in abgebrannten MOX-Brennstäben an, so dass der Plutonium-Anteil verbrauchter MOX-Brennstäbe üblicherweise als stark radioaktiver Abfall entsorgt und nicht weiter genutzt wird. Bestimmte Konzepte<ref name="Bowman92">C. D. Bowman et al.: Nuclear energy generation and waste transmutation using an accelerator-driven intense thermal neutron source. ''Nuclear Instruments and Methods A'' Bd. 320 (1992) Seite 336–367</ref><ref name="Bowman98">[http://staff.ustc.edu.cn/~qunwang/temp/bowman-annurev-nucl-48-1-505.pdf C. D. Bowman: Accelerator driven systems for nuclear waste transmutation. ''Annual Review of Nuclear and Particle Science'' Bd. 48 (1998) Seite 505–556]</ref> sehen zusätzlich die Transmutation langlebiger [[Spaltprodukt]]e vor.


=== Partitionierung ===
=== Partitionierung ===
Vor der Transmutation müssen bei den meisten Verfahren zunächst die zu bearbeitenden Anteile – also die minoren Actinoide, je nach gewählter Strategie zusammen mit dem Plutonium und evtl. den Spaltprodukten – aus dem gebrauchten ([[Abbrand (Kerntechnik)|''abgebrannten'']]) Reaktorbrennstoff abgetrennt werden. Für diese ''Partitionierung'' ([[Partitioning]]) müssen chemische Verfahren entwickelt werden, die über die existierenden [[Wiederaufarbeitung]]sverfahren, z.&nbsp;B. den [[PUREX-Prozess]], hinausgehen. Erforscht werden neben [[Hydrometallurgie|hydrometallurgischen]]<ref>C. Madic et al.: PARTNEW, new solvent extraction processes for minor actinides. Bericht CEA-R-6066, Commissariat à l'Énergie Atomique, 2004</ref> auch [[Pyrometallurgie|pyrometallurgische]] Verfahren, nämlich elektrochemische Prozesse in einer Salzschmelze.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 120–123</ref>
Vor der Transmutation müssen bei den meisten Verfahren zunächst die zu bearbeitenden Anteile – also die minoren Actinoide, je nach gewählter Strategie zusammen mit dem Plutonium und evtl. den Spaltprodukten – aus dem gebrauchten ([[Abbrand (Kerntechnik)|''abgebrannten'']]) Reaktorbrennstoff abgetrennt werden. Für diese ''Partitionierung'' ([[Partitioning]]) müssen chemische Verfahren entwickelt werden, die über die existierenden [[Wiederaufarbeitung]]sverfahren, z.&nbsp;B. den [[PUREX-Prozess]], hinausgehen. Erforscht werden neben [[Hydrometallurgie|hydrometallurgischen]]<ref>C. Madic et al.: PARTNEW, new solvent extraction processes for minor actinides. Bericht CEA-R-6066, Commissariat à l'Énergie Atomique, 2004</ref> auch [[Pyrometallurgie|pyrometallurgische]] Verfahren, nämlich elektrochemische Prozesse in einer Salzschmelze.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 120–123</ref>


=== Geeignete Transmutationsreaktion: Kernspaltung ===
=== Geeignete Transmutationsreaktion: Kernspaltung oder Neutroneneinfang ===
Die vorherrschenden Reaktionen der Actinoide mit Neutronen sind [[Kernspaltung]] und [[Neutroneneinfang]]. Die Spaltung ist der zur Halbwertszeitverkürzung erwünschte Prozess; er liefert zugleich auch noch nutzbare Energie. Der Neutroneneinfang erzeugt dagegen nur das nächst schwerere, manchmal ebenfalls langlebige Nuklid.
Die vorherrschenden Reaktionen der Actinoide mit Neutronen sind [[Kernspaltung]] und [[Neutroneneinfang]]. Die Spaltung ist der zur Halbwertszeitverkürzung erwünschte Prozess; er liefert zugleich auch noch nutzbare Energie. Der Neutroneneinfang erzeugt dagegen nur das nächstschwerere, manchmal ebenfalls langlebige Nuklid.


Der Spaltungs-[[Wirkungsquerschnitt]] von Nukliden mit gerader Neutronenzahl für einfallende [[thermisches Neutron|thermische Neutronen]] ist klein und wächst erst für Neutronenenergien oberhalb ca. 1 [[Elektronenvolt|MeV]] stark an. Der Einfangquerschnitt ist dagegen bei allen Nukliden für thermische Neutronen am größten. Deshalb werden zur Transmutation überwiegend Anlagen mit einem „schnellen“, also nicht [[Moderator (Physik)|moderierten]] Neutronenspektrum in Betracht gezogen.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 117</ref>
Der Spaltungs-[[Wirkungsquerschnitt]] von Nukliden mit gerader Neutronenzahl für einfallende [[thermisches Neutron|thermische Neutronen]] ist klein und wächst erst für Neutronenenergien oberhalb ca. 1 [[Elektronenvolt|MeV]] stark an. Der Einfangquerschnitt ist dagegen bei allen Nukliden für thermische Neutronen am größten. Deshalb werden zur Transmutation überwiegend Anlagen mit einem „schnellen“, also nicht [[Moderator (Physik)|moderierten]] [[Neutronenspektrum]] in Betracht gezogen.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 117</ref> Je nach Material ([[Transuranabfall]] eignet sich vorwiegend zur Spaltung, [[Spaltprodukt]]e sind oft hauptsächlich durch [[Neutroneneinfang]] (und darauf folgenden Zerfall, zumeist [[Beta-Zerfall]]) sinnvoll transmutierbar) sind daher teilweise auch thermische Neutronenspektren erforderlich, so dass ein einzelner Reaktor oder ein einzelnes Konzept schwerlich ''alle'' Abfälle sinnvoll transmutieren kann.


=== Transmutation mit kritischen Reaktoren ===
=== Transmutation mit kritischen Reaktoren ===
Schnelle [[Brutreaktor]]en heutiger Art können nach gewissen Modifikationen, unter Verzicht auf Erbrüten eines Plutonium-Überschusses, zur Transmutation der minoren Actinoide genutzt werden. Ein Beispiel eines solchen Projekts ist [[ASTRID (Reaktor)|ASTRID]] (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration), ein in Frankreich geplanter natriumgekühlter 600-Megawatt-Reaktor der [[Generation IV International Forum|IV. Generation]].<ref>C. Latgé: ''The ASTRID project: status and prospects towards the conceptual phase'', Mai 2014 [http://neutron.kth.se/esnii-lectures/ASTRID%20-%20Latge.pdf]</ref> Über den Bau dieses Prototyp-Kernkraftwerks in [[Nuklearanlage Marcoule|Marcoule]] soll 2019 entschieden werden. Auch andere existierende oder im Bau befindliche schnelle Reaktoren, z.&nbsp;B. die russischen Brutreaktortypen [[BN-Reaktor|BN-800 und BN-1200]], können so betrieben werden.
==== Minore Actinoide ====
Reaktoren mit schnellen Neutronen können zur Transmutation der minoren Aktinoide genutzt werden. Dazu gab es bereits Experimente, beispielsweise im [[Kernkraftwerk Phénix]] in [[Frankreich]] und in der Anlage EBR-II<ref>Experimental Breeder Reactor II im [[Argonne National Laboratory]] [[:en:Experimental Breeder Reactor II|Experimental Breeder Reactor II]]</ref> in USA.<ref>M. K. Meyer et al., „The EBR-II X501 minor actinide burning experiment“, nachträgliche Auswertung, erschienen in ''Journal of Nuclear Materials'' 392, S. 176–183 (2009)</ref>
 
Auch für das Konzept des [[Dual-Fluid-Reaktor]]s wird die Einsatzmöglichkeit zur Transmutation erwähnt.<ref>Internetseite über den Dual Fluid Reaktor, [https://dual-fluid-reaktor.de/technical/comparison/]</ref>
 
Ein von Anfang an auf Transmutation und gleichzeitige Energiegewinnung ausgelegtes Projekt war [[ASTRID (Reaktor)|ASTRID]] (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration), ein in Frankreich geplantes 600-Megawatt-Kernkraftwerk mit natriumgekühltem Reaktor der [[Generation IV International Forum|IV. Generation]].<ref>C. Latgé: ''The ASTRID project: status and prospects towards the conceptual phase'', Mai 2014 {{Webarchiv|url=http://neutron.kth.se/esnii-lectures/ASTRID%20-%20Latge.pdf |wayback=20160305201432 |text=Archivierte Kopie}}</ref>
 
Das Astrid-Projekt wurde 2019 vorläufig eingestellt, eine Weiterführung des Projekts in der zweiten Hälfte des jetzigen Jahrhunderts ist angedacht.<ref>https://www.lemonde.fr/economie/article/2019/08/29/nucleaire-la-france-abandonne-la-quatrieme-generation-de-reacteurs_5504233_3234.html</ref> Auch andere existierende oder im Bau befindliche schnelle Reaktoren, z.&nbsp;B. die russischen Brutreaktortypen [[BN-Reaktor|BN-800 und BN-1200]], können so betrieben werden.


Auch für das Konzept des [[Dual Fluid Reaktor]]s wird die Einsatzmöglichkeit zur Transmutation erwähnt.
Die Transmutation von minoren Aktinoiden in schnellen Reaktoren kann allerdings zu Sicherheitsproblemen führen, wie [[BN-Reaktor#Transmutation von Atommüll|hier]] am Beispiel des BN-800 erläutert wird. Im BN-800-Reaktor ist zurzeit die Transmutation der in einem Jahr anfallenden minoren Aktinoide eines 1-GW-Kernkraftwerks möglich. An der Steigerung der Menge wird gearbeitet. Dazu ist es notwendig, das Uran-238 vollständig aus dem Reaktorkern zu entfernen und durch einen – gegenüber [[Neutronenstrahlung]] – inerten Platzhalter zu ersetzen. In diesem Falle wäre es möglich, 90&nbsp;kg minore Aktinoide im Jahr zu transmutieren, den Ausstoß von etwa fünf Leichtwasserreaktoren der 1-GW-Klasse.<ref>The Use of Sodium-Cooled Fast Reactors for Effectively Reprocessing Plutonium and Minor Actinides [https://www.nap.edu/read/11320/chapter/8#65]</ref>


Ein allgemeiner Nachteil der Transmutation mit [[Kritikalität|kritischen]] Reaktoren ist, dass aus neutronenphysikalischen Gründen der Brennstoff meist auch Brutstoff, also Uran-238 oder Thorium, enthalten muss, so dass eine gewisse Menge leicht spaltbares Material, Pu-239 bzw. U-233, neu entsteht.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 118</ref>
==== Spaltprodukte ====
Die Transmutation langlebiger Spaltprodukte (z.&nbsp;B. [[Selen]]-79, [[Zirconium]]-93, [[Technetium]]-99, [[Palladium]]-107, [[Iod]]-129 und [[Cäsium]]-135) ist wegen der sehr geringen Einfangquerschnitte im schnellen Neutronenspektrum anspruchsvoll. Je nach Nuklid kommen allerdings auch andere Reaktionen, vor allem (n,alpha)-Reaktionen, in Betracht. In den 1990er Jahren wurde an dem Versuchsreaktor [[ALMR]] in [[Hanford Site|Hanford]] – mit schnellem Neutronenspektrum – die Transmutation von Technetium-99 in kurzlebige Spaltprodukte demonstriert. Es konnte deutlich mehr Technetium-99 transmutiert werden, als gleichzeitig erzeugt wurde.<ref>S.F.Kessler, „Reduction of the sodium-void coefficient of reactivity by using a technetium layer“, Westinghouse Hanford Company (1993) [https://inis.iaea.org/collection/NCLCollectionStore/_Public/25/010/25010983.pdf]</ref>
 
Auch thermische Neutronen wären zur Transmutation nicht effizient, da in diesem Falle Bestrahlungszeiten von weit mehr als 100 Jahren erforderlich würden. Es gibt Überlegungen, das Spektrum schneller Reaktoren durch geeignete [[Moderator (Physik)|Moderatoren]] für die Spaltprodukttransmutation zu optimieren.<ref>Chiba, S., Wakabayashi, T., Tachi, Y. et al.: Method to Reduce Long-lived Fission Products by Nuclear Transmutations with Fast Spectrum Reactors. ''Scintific Reports'' 7, 13961 (2017). https://doi.org/10.1038/s41598-017-14319-7</ref>
 
Insgesamt ist anzumerken, dass langlebige Spaltprodukte (hauptsächlich Technetium-99 und Cäsium-135) gegenüber Plutonium-239, Uran-235/238 oder minoren Aktinoiden eine um mehrere Größenordnungen geringere [[Radiotoxizität]] haben, wie obiger Abbildung zu entnehmen ist.<ref>Long-lived Fission Products, www.radioactivity.eu, abgerufen am 18. Dezember 2019 [http://www.radioactivity.eu.com/site/pages/Long_Lived_Fission_Products.htm]</ref>
===== Technetium =====
Technetium-99 fällt neben seiner Rolle als Spaltprodukt in Kernreaktoren auch als Endprodukt der medizinischen Nutzung seines [[Kernisomer]]s Technetium-99m an. Nachdem Technetium-99m zu „normalem“ Technetium-99 zerfallen ist hat es keinen bekannten Nutzen mehr und kann auch nicht – bei vertretbarem Aufwand – zu Technetium-99m rückumgewandelt werden. Allerdings führt [[Neutroneneinfang]] von Technetium-99 zur Entstehung von kurzlebigem Technetium-100, das zum stabilen Isotop Ruthenium-100 des wertvollen Platingruppen-Metalls [[Ruthenium]] zerfällt. Hier wäre also mit der Zerstörung des „Abfalls“ gleichzeitig die Erzeugung eines wertvollen Produktes verbunden. Der Neutroneneinfangsquerschnitt ist abhängig von der Energie der einfallenden Neutronen und beträgt zum Beispiel bei geringen Energien im Bereich von 1 [[Elektronenvolt]] etwa 10 [[Barn]].<ref>https://www.oecd-nea.org/janisweb/book/neutrons/Tc99/MT102/renderer/422</ref> Gelänge es, eine hinreichend starke [[Neutronenquelle]] hinreichend preiswert zu produzieren, wäre der Preis des erzeugten Rutheniums alleine genug, um die Abtrennung und Transmutation des Technetiums zu refinanzieren. Mit Stand 2022 ist mit einer solchen Neutronenquelle nicht zu rechnen, jedoch könnten Fortschritte in der [[Kernfusion]] dies in der Zukunft ändern.


=== Transmutation mit beschleunigergetriebenen Reaktoren ===
=== Transmutation mit beschleunigergetriebenen Reaktoren ===
{{Hauptartikel|Accelerator Driven System}}
{{Hauptartikel|Accelerator Driven System}}
Im Brennstoff kritischer Reaktoren dürfen die minoren Actinoide nur eine geringe Beimischung bilden, denn wegen ihres zu kleinen [[Vierfaktorformel|Generationenfaktors]] wird sonst die Kritikalität nicht erreicht. Diese Beschränkung entfällt aber, wenn der Reaktor [[Kernreaktor#Unterkritisch arbeitende Reaktoren|unterkritisch]] mit einer äußeren, von einem [[Teilchenbeschleuniger]] getrieben Neutronenquelle betrieben wird. Mit der Entwicklung der [[Neutronenquelle|Spallations-Neutronenquellen]] sind [[Leistungsreaktor]]en dieser Art in den Bereich des Möglichen gerückt. Solche ''Accelerator Driven Systems'' (ADS) könnten alle überhaupt spaltbaren Nuklide energieliefernd verwerten.<ref name="Bowman92" /><ref>W. T. Hering: ''Angewandte Kernphysik: Einführung und Übersicht''. Teubner 1999, ISBN 978-3-519-03244-1, Seite 303</ref>
Im Brennstoff kritischer Reaktoren dürfen die minoren Actinoide nur eine geringe Beimischung bilden, denn wegen ihres zu kleinen [[Vierfaktorformel|Generationenfaktors]] wird sonst die Kritikalität nicht erreicht. Diese Beschränkung entfällt aber, wenn der Reaktor [[Kernreaktor#Unterkritisch arbeitende Reaktoren|unterkritisch]] mit einer äußeren, von einem [[Teilchenbeschleuniger]] „getriebenen“ Neutronenquelle betrieben wird. Mit der Entwicklung der Spallations-Neutronenquellen sind [[Leistungsreaktor]]en dieser Art in den Bereich des Möglichen gerückt. Solche ''Accelerator Driven Systems'' (ADS) könnten alle überhaupt spaltbaren Nuklide energieliefernd verwerten.<ref name="Bowman92" /><ref>W. T. Hering: ''Angewandte Kernphysik: Einführung und Übersicht''. Teubner 1999, ISBN 978-3-519-03244-1, Seite 303</ref>


Zwei Konzepte sind besonders bekannt geworden: das Konzept von Bowman u. M.<ref name="Bowman92" /><ref name="Bowman98" /> und der ''Energy amplifier'' (Energieverstärker) nach [[Carlo Rubbia]] u. M. (manchmal auch als „Rubbiatron“ bezeichnet).<ref name="Rubbia93">F. Carminati, C. Rubbia et al.: An energy amplifier for cleaner and inexhaustible nuclear energy production driven by a particle beam accelerator. Bericht CERN/AT/93-47 (ET) (1993)</ref><ref name="Rubbia">C. Rubbia et al., ''Conceptual Design of a fast neutron operated High Power Energy Amplifier.'' Bericht CERN/AT/95-44 (ET) (1995)</ref> Bowmans Vorschlag ist der technologisch anspruchsvollere und „radikalere“ (mit Transmutation auch der Spaltprodukte). Er hat aber – zumindest bis 2013 – nicht zu detaillierten Entwicklungsarbeiten geführt.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 199</ref> Rubbias Vorschlag hält sich näher an schon erprobte Technologien.
Zwei Konzepte sind besonders bekannt geworden: das Konzept von Bowman u. M.<ref name="Bowman92" /><ref name="Bowman98" /> und der ''Energy amplifier'' (Energieverstärker) nach [[Carlo Rubbia]] u. M. (manchmal auch als „Rubbiatron“ bezeichnet).<ref name="Rubbia93">F. Carminati, C. Rubbia et al.: An energy amplifier for cleaner and inexhaustible nuclear energy production driven by a particle beam accelerator. Bericht CERN/AT/93-47 (ET) (1993)</ref><ref name="Rubbia">C. Rubbia et al., ''Conceptual Design of a fast neutron operated High Power Energy Amplifier.'' Bericht CERN/AT/95-44 (ET) (1995)</ref> Bowmans Vorschlag ist der technologisch anspruchsvollere und „radikalere“ (mit Transmutation auch der Spaltprodukte). Er hat aber – zumindest bis 2013 – nicht zu detaillierten Entwicklungsarbeiten geführt.<ref>Renn (s. Literaturliste) Seite 199</ref> Rubbias Vorschlag hält sich näher an schon erprobte Technologien.


Die europäische ADS-Demonstrationsanlage MYRRHA (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications) soll im [[Studienzentrum für Kernenergie|Forschungszentrum Mol]] in Belgien errichtet werden und etwa 2023 in Betrieb gehen.<ref>A. Mueller, H. Abderrahim: Transmutation von radioaktivem Abfall. ''Physik Journal'' Heft 11/2010, Seite 33–38</ref><ref>{{Webarchiv | url=http://www.myrrha.sckcen.be/ | wayback=20150219055701 | text= MYRRHA home page}}</ref><ref>[http://www.euronuclear.org/e-news/e-news-21/myrrha.htm Über MYRRHA]</ref>
Die europäische ADS-Demonstrationsanlage [[MYRRHA]] (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications) soll im [[Studienzentrum für Kernenergie|Forschungszentrum Mol]] in Belgien errichtet werden und etwa 2030 in Betrieb gehen.<ref>A. Mueller, H. Abderrahim: Transmutation von radioaktivem Abfall. ''Physik Journal'' Heft 11/2010, Seite 33–38</ref><ref>{{Webarchiv | url=http://www.myrrha.sckcen.be/ | wayback=20150219055701 | text= MYRRHA home page}}</ref><ref>[http://www.euronuclear.org/e-news/e-news-21/myrrha.htm Über MYRRHA]</ref>
Eine ADS-Versuchsanlage am Beschleunigerzentrum [[J-PARC]] in Japan ist im Bau und soll den Betrieb mit Transmutationsbrennstoff etwa 2020 aufnehmen.<ref>T. Sasa: Status of J-PARC transmutation experimental facility (2008) [https://www.oecd-nea.org/pt/iempt10/presentation/SV03Sasa.pdf]</ref>
 
Eine ADS-Versuchsanlage am Beschleunigerzentrum [[J-PARC]] in Japan ist im Bau und sollte den Betrieb mit Transmutationsbrennstoff etwa 2020 aufnehmen.<ref>T. Sasa: Status of J-PARC transmutation experimental facility (2008) [https://www.oecd-nea.org/pt/iempt10/presentation/SV03Sasa.pdf]</ref> Das geschah bisher noch nicht (Stand: 01/2022).


== Verwertung von Waffenplutonium ==
== Verwertung von Waffenplutonium ==
Eine mit der Abfallverarbeitung verwandte Aufgabe ist die friedliche Nutzung (und damit Beseitigung) vorhandener [[Waffenplutonium]]-Vorräte. Sie kann zwar schon in heutigen (2015) [[Leichtwasserreaktor]]en mit MOX-Brennelementen erfolgen. Dabei entsteht allerdings aus dem Uran-Anteil des Brennstoffs wieder neues, wenngleich nicht waffengeeignetes Plutonium. Schneller wirksam und vielleicht wirtschaftlicher wäre die Verwendung modifizierter Reaktoren, wie z.&nbsp;B. von Galperin u. M.<ref>A. Galperin, M. Segev and M. Todosov: A pressurized water reactor plutonium incinerator based on thorium fuel and seed-blanket assembly geometry. ''Nuclear Technology'' Band 132 (2000) Seite 214–225</ref> unter der Bezeichnung ''Plutonium incinerator'' (Plutoniumverbrenner) vorgeschlagen. In einem üblichen Westinghouse-[[Druckwasserreaktor]] würde dazu statt des normalen Brennelement-Typs ein Typ mit zwei konzentrischen, verschieden beladenen Zonen (''seed and blanket'') verwendet. Die Innenzone jedes Brennelements enthält das Plutonium, aber kein Uran, und hat ein hohes Moderator-zu-Brennstoff-Verhältnis; die Außenzone enthält den Brutstoff [[Thorium]], aus dem Uran-233 entsteht, das direkt im Reaktorbetrieb wieder verbraucht wird. Der Reaktor würde als Kraftwerk die elektrische Leistung von 1100 Megawatt liefern. Von der jährlichen Beladung mit 1210&nbsp;kg Waffenplutonium würden 702&nbsp;kg durch Spaltung beseitigt. Die restlichen 508&nbsp;kg hätten beim Entladen einen hohen Anteil geradzahliger [[Transurane]] (Pu-240, Pu-242, Am-242, Cm-242, Cm-244) und eine hohe [[Spontane Spaltung|Spontanspaltungsaktivität]], wären also für militärische Waffen ungeeignet.
Eine mit der Abfallverarbeitung verwandte Aufgabe ist die friedliche Nutzung (und damit Beseitigung) vorhandener [[Waffenplutonium]]-Vorräte. Sie kann zwar schon in heutigen (2015) [[Leichtwasserreaktor]]en mit MOX-Brennelementen erfolgen. Dabei entsteht allerdings aus dem Uran-Anteil des Brennstoffs wieder neues, wenngleich nicht waffengeeignetes Plutonium. Schneller wirksam und vielleicht wirtschaftlicher wäre die Verwendung modifizierter Reaktoren, wie z.&nbsp;B. von Galperin u. M.<ref>A. Galperin, M. Segev and M. Todosov: A pressurized water reactor plutonium incinerator based on thorium fuel and seed-blanket assembly geometry. ''[[Nuclear Technology]]'' Band 132 (2000) Seite 214–225</ref> unter der Bezeichnung ''Plutonium incinerator'' (Plutoniumverbrenner) vorgeschlagen. In einem üblichen Westinghouse-[[Druckwasserreaktor]] würde dazu statt des normalen Brennelement-Typs ein Typ mit zwei konzentrischen, verschieden beladenen Zonen (''seed and blanket'') verwendet. Die Innenzone jedes Brennelements enthält das Plutonium, aber kein Uran, und hat ein hohes Moderator-zu-Brennstoff-Verhältnis; die Außenzone enthält den Brutstoff [[Thorium]], aus dem Uran-233 entsteht, das direkt im Reaktorbetrieb wieder verbraucht wird. Der Reaktor würde als Kraftwerk die elektrische Leistung von 1100 Megawatt liefern. Von der jährlichen Beladung mit 1210&nbsp;kg Waffenplutonium würden 702&nbsp;kg durch Spaltung beseitigt. Die restlichen 508&nbsp;kg hätten beim Entladen einen hohen Anteil geradzahliger [[Transurane]] (Pu-240, Pu-242, Am-242, Cm-242, Cm-244) und eine hohe [[Spontane Spaltung|Spontanspaltungsaktivität]], wären also für militärische Waffen ungeeignet.
 
== Siehe auch ==
{{Wiktionary|transmutieren}}


== Literatur ==
== Literatur ==

Aktuelle Version vom 16. Februar 2022, 18:26 Uhr

Die Transmutation (aus dem lateinischen {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value): Verwandlung), auch Kernumwandlung[1][2] sowie Elementumwandlung[3] oder kurz Umwandlung[4][5] genannt, ist die Veränderung eines chemischen Elementes in ein anderes. Im Kern des Atoms verändert sich dabei die Protonenzahl.

Eine Elementumwandlung ist mit chemischen Mitteln nicht möglich. Sie erfolgt bei verschiedenen Arten von radioaktiven Zerfällen und Kernreaktionen; auch dies wird manchmal ganz allgemein Transmutation genannt.[6][7][8] Elementumwandlungen durch Kernreaktionen finden im großtechnischen Maßstab vor allem bei der Energiegewinnung in Kernreaktoren als Neben-, meistens jedoch als Abfallprodukt statt. Es gibt Konzepte, radioaktive Abfälle in ihrer Gefährlichkeit durch Transmutation zu verringern.

Auch medizinische Radionuklide für den Einsatz in der Nuklearmedizin sowie die Materialien für Thermoisotopengeneratoren („Atombatterie“) werden üblicherweise durch (gezielte) Transmutation gewonnen, wahlweise in Kernspaltungsreaktoren oder in Teilchenbeschleunigern bzw. mittels Spallation. Eine in kleinem Maßstab demonstrierte, aber bisher großtechnisch nicht ökonomische Möglichkeit ist auch die Transmutation geringwertiger oder sogar als „Abfall“ angesehener Materialien zu höherwertigen Materialien, hauptsächlich Edelmetallen. Dieser „reale Stein der Weisen“ gelang erstmals Glenn Seaborg, als er im Labormaßstab Quecksilber zu Gold transmutierte, jedoch zu Kosten, die den Wert des produzierten Goldes um Größenordnungen überstiegen.

Geschichte

Für Alchemisten war mit Transmutation die angestrebte Verwandlung unedler Metalle wie Blei oder Quecksilber in Gold oder Silber gemeint. Ein Hilfsmittel war der Stein der Weisen.

Die erste Kernumwandlung wurde 1919 von Ernest Rutherford durchgeführt,[1] nach dem später das Element Rutherfordium benannt wurde.

Transmutation in der Nuklear-Entsorgung

Radiotoxizität der verschiedenen Bestandteile des Atommülls heutiger Leichtwasserreaktoren

Seit den 1990er Jahren werden als Transmutation spezielle Techniken bezeichnet, mit denen radioaktiver Abfall in seiner Gefährlichkeit verringert werden soll, indem durch Kernreaktionen mit freien Neutronen die besonders langlebigen radioaktiven Bestandteile in kürzerlebige verwandelt werden. Hauptsächlich geht es dabei um die minoren Actinoide Neptunium, Americium und Curium – genauer: die Nuklide Np-237, Am-241, Am-243 und Cm-245 – mit ihren besonders langen Halbwertszeiten. In manchen der Konzepte soll auch Plutonium mit umgewandelt werden, obwohl Plutonium auch in Form von Uran-Plutonium-MOX-Brennstoff in heutigen (2015) Kernkraftwerken genutzt werden kann. Allerdings ist das Isotop Plutonium-240 weder fissil noch fertil und reichert sich (durch Neutroneneinfang von Plutonium-239, welches üblicherweise nach Einfang eines Neutrons eine Kernspaltung durchführt, aber auch zu Pu-240 transmutiert werden kann und dieser Vorgang geschieht häufiger als der Neutroneneinfang von Pu-240 zu Pu-241.) in abgebrannten MOX-Brennstäben an, so dass der Plutonium-Anteil verbrauchter MOX-Brennstäbe üblicherweise als stark radioaktiver Abfall entsorgt und nicht weiter genutzt wird. Bestimmte Konzepte[9][10] sehen zusätzlich die Transmutation langlebiger Spaltprodukte vor.

Partitionierung

Vor der Transmutation müssen bei den meisten Verfahren zunächst die zu bearbeitenden Anteile – also die minoren Actinoide, je nach gewählter Strategie zusammen mit dem Plutonium und evtl. den Spaltprodukten – aus dem gebrauchten (abgebrannten) Reaktorbrennstoff abgetrennt werden. Für diese Partitionierung (Partitioning) müssen chemische Verfahren entwickelt werden, die über die existierenden Wiederaufarbeitungsverfahren, z. B. den PUREX-Prozess, hinausgehen. Erforscht werden neben hydrometallurgischen[11] auch pyrometallurgische Verfahren, nämlich elektrochemische Prozesse in einer Salzschmelze.[12]

Geeignete Transmutationsreaktion: Kernspaltung oder Neutroneneinfang

Die vorherrschenden Reaktionen der Actinoide mit Neutronen sind Kernspaltung und Neutroneneinfang. Die Spaltung ist der zur Halbwertszeitverkürzung erwünschte Prozess; er liefert zugleich auch noch nutzbare Energie. Der Neutroneneinfang erzeugt dagegen nur das nächstschwerere, manchmal ebenfalls langlebige Nuklid.

Der Spaltungs-Wirkungsquerschnitt von Nukliden mit gerader Neutronenzahl für einfallende thermische Neutronen ist klein und wächst erst für Neutronenenergien oberhalb ca. 1 MeV stark an. Der Einfangquerschnitt ist dagegen bei allen Nukliden für thermische Neutronen am größten. Deshalb werden zur Transmutation überwiegend Anlagen mit einem „schnellen“, also nicht moderierten Neutronenspektrum in Betracht gezogen.[13] Je nach Material (Transuranabfall eignet sich vorwiegend zur Spaltung, Spaltprodukte sind oft hauptsächlich durch Neutroneneinfang (und darauf folgenden Zerfall, zumeist Beta-Zerfall) sinnvoll transmutierbar) sind daher teilweise auch thermische Neutronenspektren erforderlich, so dass ein einzelner Reaktor oder ein einzelnes Konzept schwerlich alle Abfälle sinnvoll transmutieren kann.

Transmutation mit kritischen Reaktoren

Minore Actinoide

Reaktoren mit schnellen Neutronen können zur Transmutation der minoren Aktinoide genutzt werden. Dazu gab es bereits Experimente, beispielsweise im Kernkraftwerk Phénix in Frankreich und in der Anlage EBR-II[14] in USA.[15]

Auch für das Konzept des Dual-Fluid-Reaktors wird die Einsatzmöglichkeit zur Transmutation erwähnt.[16]

Ein von Anfang an auf Transmutation und gleichzeitige Energiegewinnung ausgelegtes Projekt war ASTRID (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration), ein in Frankreich geplantes 600-Megawatt-Kernkraftwerk mit natriumgekühltem Reaktor der IV. Generation.[17]

Das Astrid-Projekt wurde 2019 vorläufig eingestellt, eine Weiterführung des Projekts in der zweiten Hälfte des jetzigen Jahrhunderts ist angedacht.[18] Auch andere existierende oder im Bau befindliche schnelle Reaktoren, z. B. die russischen Brutreaktortypen BN-800 und BN-1200, können so betrieben werden.

Die Transmutation von minoren Aktinoiden in schnellen Reaktoren kann allerdings zu Sicherheitsproblemen führen, wie hier am Beispiel des BN-800 erläutert wird. Im BN-800-Reaktor ist zurzeit die Transmutation der in einem Jahr anfallenden minoren Aktinoide eines 1-GW-Kernkraftwerks möglich. An der Steigerung der Menge wird gearbeitet. Dazu ist es notwendig, das Uran-238 vollständig aus dem Reaktorkern zu entfernen und durch einen – gegenüber Neutronenstrahlung – inerten Platzhalter zu ersetzen. In diesem Falle wäre es möglich, 90 kg minore Aktinoide im Jahr zu transmutieren, den Ausstoß von etwa fünf Leichtwasserreaktoren der 1-GW-Klasse.[19]

Spaltprodukte

Die Transmutation langlebiger Spaltprodukte (z. B. Selen-79, Zirconium-93, Technetium-99, Palladium-107, Iod-129 und Cäsium-135) ist wegen der sehr geringen Einfangquerschnitte im schnellen Neutronenspektrum anspruchsvoll. Je nach Nuklid kommen allerdings auch andere Reaktionen, vor allem (n,alpha)-Reaktionen, in Betracht. In den 1990er Jahren wurde an dem Versuchsreaktor ALMR in Hanford – mit schnellem Neutronenspektrum – die Transmutation von Technetium-99 in kurzlebige Spaltprodukte demonstriert. Es konnte deutlich mehr Technetium-99 transmutiert werden, als gleichzeitig erzeugt wurde.[20]

Auch thermische Neutronen wären zur Transmutation nicht effizient, da in diesem Falle Bestrahlungszeiten von weit mehr als 100 Jahren erforderlich würden. Es gibt Überlegungen, das Spektrum schneller Reaktoren durch geeignete Moderatoren für die Spaltprodukttransmutation zu optimieren.[21]

Insgesamt ist anzumerken, dass langlebige Spaltprodukte (hauptsächlich Technetium-99 und Cäsium-135) gegenüber Plutonium-239, Uran-235/238 oder minoren Aktinoiden eine um mehrere Größenordnungen geringere Radiotoxizität haben, wie obiger Abbildung zu entnehmen ist.[22]

Technetium

Technetium-99 fällt neben seiner Rolle als Spaltprodukt in Kernreaktoren auch als Endprodukt der medizinischen Nutzung seines Kernisomers Technetium-99m an. Nachdem Technetium-99m zu „normalem“ Technetium-99 zerfallen ist hat es keinen bekannten Nutzen mehr und kann auch nicht – bei vertretbarem Aufwand – zu Technetium-99m rückumgewandelt werden. Allerdings führt Neutroneneinfang von Technetium-99 zur Entstehung von kurzlebigem Technetium-100, das zum stabilen Isotop Ruthenium-100 des wertvollen Platingruppen-Metalls Ruthenium zerfällt. Hier wäre also mit der Zerstörung des „Abfalls“ gleichzeitig die Erzeugung eines wertvollen Produktes verbunden. Der Neutroneneinfangsquerschnitt ist abhängig von der Energie der einfallenden Neutronen und beträgt zum Beispiel bei geringen Energien im Bereich von 1 Elektronenvolt etwa 10 Barn.[23] Gelänge es, eine hinreichend starke Neutronenquelle hinreichend preiswert zu produzieren, wäre der Preis des erzeugten Rutheniums alleine genug, um die Abtrennung und Transmutation des Technetiums zu refinanzieren. Mit Stand 2022 ist mit einer solchen Neutronenquelle nicht zu rechnen, jedoch könnten Fortschritte in der Kernfusion dies in der Zukunft ändern.

Transmutation mit beschleunigergetriebenen Reaktoren

Im Brennstoff kritischer Reaktoren dürfen die minoren Actinoide nur eine geringe Beimischung bilden, denn wegen ihres zu kleinen Generationenfaktors wird sonst die Kritikalität nicht erreicht. Diese Beschränkung entfällt aber, wenn der Reaktor unterkritisch mit einer äußeren, von einem Teilchenbeschleuniger „getriebenen“ Neutronenquelle betrieben wird. Mit der Entwicklung der Spallations-Neutronenquellen sind Leistungsreaktoren dieser Art in den Bereich des Möglichen gerückt. Solche Accelerator Driven Systems (ADS) könnten alle überhaupt spaltbaren Nuklide energieliefernd verwerten.[9][24]

Zwei Konzepte sind besonders bekannt geworden: das Konzept von Bowman u. M.[9][10] und der Energy amplifier (Energieverstärker) nach Carlo Rubbia u. M. (manchmal auch als „Rubbiatron“ bezeichnet).[25][26] Bowmans Vorschlag ist der technologisch anspruchsvollere und „radikalere“ (mit Transmutation auch der Spaltprodukte). Er hat aber – zumindest bis 2013 – nicht zu detaillierten Entwicklungsarbeiten geführt.[27] Rubbias Vorschlag hält sich näher an schon erprobte Technologien.

Die europäische ADS-Demonstrationsanlage MYRRHA (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications) soll im Forschungszentrum Mol in Belgien errichtet werden und etwa 2030 in Betrieb gehen.[28][29][30]

Eine ADS-Versuchsanlage am Beschleunigerzentrum J-PARC in Japan ist im Bau und sollte den Betrieb mit Transmutationsbrennstoff etwa 2020 aufnehmen.[31] Das geschah bisher noch nicht (Stand: 01/2022).

Verwertung von Waffenplutonium

Eine mit der Abfallverarbeitung verwandte Aufgabe ist die friedliche Nutzung (und damit Beseitigung) vorhandener Waffenplutonium-Vorräte. Sie kann zwar schon in heutigen (2015) Leichtwasserreaktoren mit MOX-Brennelementen erfolgen. Dabei entsteht allerdings aus dem Uran-Anteil des Brennstoffs wieder neues, wenngleich nicht waffengeeignetes Plutonium. Schneller wirksam und vielleicht wirtschaftlicher wäre die Verwendung modifizierter Reaktoren, wie z. B. von Galperin u. M.[32] unter der Bezeichnung Plutonium incinerator (Plutoniumverbrenner) vorgeschlagen. In einem üblichen Westinghouse-Druckwasserreaktor würde dazu statt des normalen Brennelement-Typs ein Typ mit zwei konzentrischen, verschieden beladenen Zonen (seed and blanket) verwendet. Die Innenzone jedes Brennelements enthält das Plutonium, aber kein Uran, und hat ein hohes Moderator-zu-Brennstoff-Verhältnis; die Außenzone enthält den Brutstoff Thorium, aus dem Uran-233 entsteht, das direkt im Reaktorbetrieb wieder verbraucht wird. Der Reaktor würde als Kraftwerk die elektrische Leistung von 1100 Megawatt liefern. Von der jährlichen Beladung mit 1210 kg Waffenplutonium würden 702 kg durch Spaltung beseitigt. Die restlichen 508 kg hätten beim Entladen einen hohen Anteil geradzahliger Transurane (Pu-240, Pu-242, Am-242, Cm-242, Cm-244) und eine hohe Spontanspaltungsaktivität, wären also für militärische Waffen ungeeignet.

Siehe auch

Wiktionary: transmutieren – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Ortwin Renn (Hrsg.): Partitionierung und Transmutation – Forschung, Entwicklung, Gesellschaftliche Implikationen. München: Herbert Utz Verlag (2014), ISBN 978-3-8316-4380-6
  • Ken Nakajima (Hrsg.): Nuclear Back-end and Transmutation Technology for Waste Disposal. Springer, 2014, ISBN 978-4-431-55110-2
  • Mikhail K. Khankhasayev (Hrsg.): Nuclear Methods for Transmutation of Nuclear Waste: Problems, Perspectives, Cooperative Research. Proceedings of the International Workshop, Dubna, Russia, 29-31 May 1996. World Scientific, 1997
Speziell zur Partitionierung
  • K. L. Nash, G. J. Lumetta: Advanced separation techniques for nuclear fuel reprocessing and radioactive waste treatment. Cambridge (UK):Woodhead Publ. Ltd., 2011, ISBN 978-1-84569-501-9

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Kernumwandlung – im Wissen.de-Lexikon, 2021
  2. KernumwandlungDWDS, 2021
  3. TransmutationDWDS, 2021; dort auch genauer mit „Elementumwandlung“
  4. Transmutation – im Wissen.de-Lexikon, 2021; „die kernphysikalische Umwandlung …“
  5. TransmutationPons, 2021
  6. F. Soddy: Nobelpreis-Vortrag 1922, Seite 372
  7. J. Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. 2. Auflage, Springer 2013, ISBN 978-3-642-32578-6, Seite 692
  8. J.-L. Basdevant, J. Rich, M. Spiro: Fundamentals in Nuclear Physics. Springer 2004, ISBN 0-387-01672-4, Seiten 43, 247
  9. 9,0 9,1 9,2 C. D. Bowman et al.: Nuclear energy generation and waste transmutation using an accelerator-driven intense thermal neutron source. Nuclear Instruments and Methods A Bd. 320 (1992) Seite 336–367
  10. 10,0 10,1 C. D. Bowman: Accelerator driven systems for nuclear waste transmutation. Annual Review of Nuclear and Particle Science Bd. 48 (1998) Seite 505–556
  11. C. Madic et al.: PARTNEW, new solvent extraction processes for minor actinides. Bericht CEA-R-6066, Commissariat à l'Énergie Atomique, 2004
  12. Renn (s. Literaturliste) Seite 120–123
  13. Renn (s. Literaturliste) Seite 117
  14. Experimental Breeder Reactor II im Argonne National Laboratory Experimental Breeder Reactor II
  15. M. K. Meyer et al., „The EBR-II X501 minor actinide burning experiment“, nachträgliche Auswertung, erschienen in Journal of Nuclear Materials 392, S. 176–183 (2009)
  16. Internetseite über den Dual Fluid Reaktor, [1]
  17. C. Latgé: The ASTRID project: status and prospects towards the conceptual phase, Mai 2014 Archivierte Kopie (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive)
  18. https://www.lemonde.fr/economie/article/2019/08/29/nucleaire-la-france-abandonne-la-quatrieme-generation-de-reacteurs_5504233_3234.html
  19. The Use of Sodium-Cooled Fast Reactors for Effectively Reprocessing Plutonium and Minor Actinides [2]
  20. S.F.Kessler, „Reduction of the sodium-void coefficient of reactivity by using a technetium layer“, Westinghouse Hanford Company (1993) [3]
  21. Chiba, S., Wakabayashi, T., Tachi, Y. et al.: Method to Reduce Long-lived Fission Products by Nuclear Transmutations with Fast Spectrum Reactors. Scintific Reports 7, 13961 (2017). https://doi.org/10.1038/s41598-017-14319-7
  22. Long-lived Fission Products, www.radioactivity.eu, abgerufen am 18. Dezember 2019 [4]
  23. https://www.oecd-nea.org/janisweb/book/neutrons/Tc99/MT102/renderer/422
  24. W. T. Hering: Angewandte Kernphysik: Einführung und Übersicht. Teubner 1999, ISBN 978-3-519-03244-1, Seite 303
  25. F. Carminati, C. Rubbia et al.: An energy amplifier for cleaner and inexhaustible nuclear energy production driven by a particle beam accelerator. Bericht CERN/AT/93-47 (ET) (1993)
  26. C. Rubbia et al., Conceptual Design of a fast neutron operated High Power Energy Amplifier. Bericht CERN/AT/95-44 (ET) (1995)
  27. Renn (s. Literaturliste) Seite 199
  28. A. Mueller, H. Abderrahim: Transmutation von radioaktivem Abfall. Physik Journal Heft 11/2010, Seite 33–38
  29. MYRRHA home page (Memento vom 19. Februar 2015 im Internet Archive)
  30. Über MYRRHA
  31. T. Sasa: Status of J-PARC transmutation experimental facility (2008) [5]
  32. A. Galperin, M. Segev and M. Todosov: A pressurized water reactor plutonium incinerator based on thorium fuel and seed-blanket assembly geometry. Nuclear Technology Band 132 (2000) Seite 214–225