Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Bild:Turm der St. Michaeliskirche Hamburg.jpg|hochkant|mini|Der Turm der [[Hauptkirche St. Michaelis (Hamburg)|Hauptkirche St. Michaelis]] in Hamburg. Im Turm des Vorgängerbaues führte Benzenberg seine Messungen durch.]]
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'''Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation''' sind physikalische Experimente, mit denen ab etwa 1800 erstmals die Drehung der Erde um ihre eigene Achse [[empirisch]] nachgewiesen werden konnte. Die [[Erdrotation]] verursacht bei frei fallenden Körpern eine Ostablenkung gegenüber dem [[Lotrichtung|Lot]], die von [[Galileo Galilei|Galilei]] und [[Isaac Newton|Newton]] vorhergesagt<ref>Galilei allerdings nur in einem Argument, das auf die Nicht-Beobachtbarkeit des Effekts abzielte (''Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme''). Newton schlug eine zum Corioliseffekt alternative Betrachtungsweise ein, in dem er fand, dass die Bewegung eines fallenden Körpers in einem festen, nicht mitrotierendes Bezugssystem, gedanklich ins Erdinnere fortgesetzt, eine Ellipsenbahn sein würde mit dem Erdmittelpunkt in einem der Brennpunkte der Ellipse. Er fand also nicht direkt die Corioliskraft, sondern in gewisser Weise die Anfänge seiner Gravitationstheorie. Siehe Persson: [http://www.meteohistory.org/2005historyofmeteorology2/01persson.pdf „The Coriolis Effect – a conflict between common sense and mathematics“] (englisch, PDF). Gauss ging von einer ähnlichen Betrachtungsweise wie Newton aus.</ref> wurde, von [[Carl Friedrich Gauß]] berechnet und von [[Giovanni Battista Guglielmini|Guglielmini]], [[Johann Friedrich Benzenberg|Benzenberg]] und [[Ferdinand Reich|Reich]] gemessen wurde. In der Systematik der heutigen Physik wird sie als Teilaspekt des [[Corioliskraft|Corioliseffektes]] behandelt.
'''Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation''' sind physikalische Experimente, mit denen ab etwa 1800 erstmals die Drehung der Erde um ihre eigene Achse [[empirisch]] nachgewiesen werden konnte. Die [[Erdrotation]] verursacht bei frei fallenden Körpern eine Ostablenkung gegenüber dem [[Lotrichtung|Lot]], die von [[Galileo Galilei|Galilei]] und [[Isaac Newton|Newton]] vorhergesagt<ref>Galilei allerdings nur in einem Argument, das auf die Nicht-Beobachtbarkeit des Effekts abzielte (''Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme''). Newton schlug eine zum Corioliseffekt alternative Betrachtungsweise ein, in dem er fand, dass die Bewegung eines fallenden Körpers in einem festen, nicht mitrotierendes Bezugssystem, gedanklich ins Erdinnere fortgesetzt, eine Ellipsenbahn sein würde mit dem Erdmittelpunkt in einem der Brennpunkte der Ellipse. Er fand also nicht direkt die Corioliskraft, sondern in gewisser Weise die Anfänge seiner Gravitationstheorie. Siehe Persson: {{Webarchiv|url=http://www.meteohistory.org/2005historyofmeteorology2/01persson.pdf |wayback=20140411174448 |text=„The Coriolis Effect – a conflict between common sense and mathematics“ |archiv-bot=2019-09-04 12:03:52 InternetArchiveBot }} (englisch, PDF). Gauss ging von einer ähnlichen Betrachtungsweise wie Newton aus.</ref> wurde, von [[Carl Friedrich Gauß]] berechnet und von [[Giovanni Battista Guglielmini|Guglielmini]], [[Johann Friedrich Benzenberg|Benzenberg]] und [[Ferdinand Reich|Reich]] gemessen wurde. In der Systematik der heutigen Physik wird sie als Teilaspekt des [[Corioliskraft|Corioliseffektes]] behandelt.


== Abschätzung ==
== Abschätzung ==
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Die Ostablenkung ist eine Folge der höheren Rotationsgeschwindigkeit der Erde in der Abwurfhöhe gegenüber der Rotationsgeschwindigkeit an der Erdoberfläche. Es ergibt sich eine Ablenkung nach Osten in Drehrichtung der Erde, die sich wie folgt abschätzen lässt.
Die Ostablenkung ist eine Folge der höheren Rotationsgeschwindigkeit der Erde in der Abwurfhöhe gegenüber der Rotationsgeschwindigkeit an der Erdoberfläche. Es ergibt sich eine Ablenkung nach Osten in Drehrichtung der Erde, die sich wie folgt abschätzen lässt.


Die Fallzeit ohne Berücksichtigung des Luftwiderstands beträgt <math>t = \sqrt{2s/g}</math>
Die Fallzeit ohne Berücksichtigung des Luftwiderstands beträgt <math>t = \sqrt{2h/g}</math>
und die Differenz der Rotationsgeschwindigkeiten zwischen Fallbeginn und -ende
und die Differenz der Rotationsgeschwindigkeiten zwischen Fallbeginn und -ende
:<math>\Delta v = \frac {s}{r}\, v \cos (\varphi)</math>
:<math>\Delta v = \frac {v}{r}\,\cos (\varphi)\, h</math>.
wobei
Wegen des quadratischen Verlaufs der Geschwindigkeit ist die tatsächliche Differenz doppelt so groß.
* <math>s</math>: Fallhöhe
 
* <math>g</math>: [[Erdbeschleunigung]]
Dabei sind
* <math>h</math>: Fallhöhe in Meter
* <math>g</math>: [[Erdbeschleunigung]] in m/s² (zwischen 9,780 m/s² am Äquator und 9,832 m/s² an den Polen)
* <math>\varphi</math>: [[geografische Breite]]
* <math>\varphi</math>: [[geografische Breite]]
* <math>v = 463\;\text{m/s}</math>: Rotationsgeschwindigkeit am Äquator
* <math>v = 463\;\text{m/s}</math>: Rotationsgeschwindigkeit am Äquator
* <math>r = 6378 \; \text{km}</math>: Erdradius
* <math>r = 6.378.136,6\;\text{m}</math>: äquatorialer Erdradius


Es ergibt sich z.&nbsp;B. bei <math>s = 120\; \text{m}</math> und <math>\varphi = 53^\circ</math> geografischer Breite (Hamburg) bei einer Fallzeit von <math>4{,}9\;\text{s}</math> eine Ablenkung von <math>2,6\; \text{cm}</math> nach Osten.
Es ergibt sich z.&nbsp;B. bei <math>s = 120\; \text{m}</math> und <math>\varphi = 53^\circ</math> geografischer Breite (Hamburg) bei einer Fallzeit von <math>4{,}9\;\text{s}</math> eine Ablenkung von <math>2{,}6\; \text{cm}</math> nach Osten.<ref>C. F. Gauß: ''Werke.'' Band 5, S. 496.</ref>


Bei genauerer Rechnung<ref>C. F. Gauß, Werke Band 5, S. 496</ref> ist noch ein Faktor von <math>2/3</math> hinzuzufügen:
: <math>d_\text{ost} = \frac {2}{3}   \frac {v}{r} \, \cos (\varphi) \, h \,\sqrt{\frac{2 h}{g}}</math>
: <math>d_\text{ost} = \frac {2}{3} v \, \cos (\varphi) \frac {s}{r}  \sqrt{\frac{2 s}{g}}</math>


Die genauen Bewegungsgleichungen werden im Artikel [[Corioliskraft#Berechnung und Spezialfälle|Corioliskraft]] angegeben.<ref>Aus ihnen geht auch hervor, dass es (auf der Nordhalbkugel) dabei einen kleinen Südablenkungseffekt gibt (''Corioliseffekt 2. Ordnung''), der allerdings zu klein ist um in den angeführten Experimenten eine Rolle zu spielen</ref>
Die Ablenkung ist Folge des vertikalen [[Corioliskraft|Coriolis-Effekts]].<ref>Die genauen Bewegungsgleichungen werden im Artikel [[Corioliskraft#Vertikale Bewegung – Das Gedankenexperiment von Mersenne|Corioliskraft]] angegeben. Aus ihnen geht auch hervor, dass es (auf der Nordhalbkugel) dabei einen kleinen Südablenkungseffekt gibt (''Corioliseffekt 2. Ordnung''), der allerdings zu klein ist, um in den angeführten Experimenten eine Rolle zu spielen.</ref>


== Experimente ==
== Experimente ==
 
[[Bild:Bologna-La Torre degli Asinelli-DSCF7196.JPG|hochkant|mini|Der schiefe ''Torre degli Asinelli'' in Bologna, an dem Guglielmini experimentierte]]
Schon [[Galileo Galilei|Galilei]] und [[Isaac Newton|Newton]] (1679, Brief an Hooke) schlugen solche Experimente vor. Das Experiment verlangt eine äußerst sorgfältige Durchführung zur Abschirmung von Störungen und eine gewisse Mindesthöhe.
Schon [[Galileo Galilei|Galilei]] und [[Isaac Newton|Newton]] (1679, Brief an Hooke) schlugen solche Experimente vor. Das Experiment verlangt eine äußerst sorgfältige Durchführung zur Abschirmung von Störungen und eine gewisse Mindesthöhe.
* [[Robert Hooke]] führte Versuche aus 8,2 m Höhe aus, kam aber nicht zu eindeutigen Resultaten (theoretischer Wert: 0,5 mm).
* [[Robert Hooke]] (1635–1703) führte Versuche aus 8,2 m Höhe aus, kam aber nicht zu eindeutigen Resultaten (theoretischer Wert: 0,5 mm).<ref>Benzenberg, Johann Friedrich. Versuche über das Gesetz des Falls, über den Widerstand der Luft und über die Umdrehung der Erde. 1804. S. 264</ref>
* Ein erstes Experiment mit genügender Fallhöhe wurde 1791 von dem Italiener [[Giovanni Battista Guglielmini]] an einem der Stadttürme (dem der Asinelli) von [[Bologna]] ausgeführt. Er erhielt bei rund 78 m Fallhöhe und 15 Versuchen im Mittel eine Abweichung von 16 mm nach Osten (theoretischer Wert: 10,7 mm).
* Ein erstes Experiment mit genügender Fallhöhe wurde 1791 von dem Italiener [[Giovanni Battista Guglielmini]] an einem der Stadttürme (dem der Asinelli) von [[Bologna]] ausgeführt. Er erhielt bei rund 78 m Fallhöhe und 15 Versuchen im Mittel eine Abweichung von 16 mm nach Osten (theoretischer Wert: 10,7 mm).
* In Hamburg wurde das Experiment 1802 im Hamburger [[Hauptkirche St. Michaelis (Hamburg)|Michel]] von dem Landvermesser und Astronomen [[Johann Friedrich Benzenberg]] wiederholt (der Michel hatte Zwischenböden mit Falltüren, was das Experiment möglich machte). Die Fallhöhe der Bleikugeln betrug 76,3 m, und bei 31 Versuchen über vier Monate wurde eine mittlere Abweichung von 8,7 mm in östliche Richtung gemessen, was ziemlich genau den Berechnungen von [[Carl Friedrich Gauß]] entsprach<ref>Gauß erhielt 3,951 [[Pariser Linie]]n, mit Luftwiderstand 3,86, Benzenberg maß im Mittel 4 Linien</ref> (Benzenberg hatte an [[Heinrich Wilhelm Olbers|Wilhelm Olbers]] geschrieben, der Gauß kontaktierte). Allerdings gab es auch eine mittlere Ablenkung nach Süden,<ref>Die fast in allen Experimenten beobachtet wurde, beginnend mit Hooke.</ref> die nicht erklärt werden konnte.
* In Hamburg wurde das Experiment 1802 im Hamburger [[Hauptkirche St. Michaelis (Hamburg)|Michel]] von dem Landvermesser und Astronomen [[Johann Friedrich Benzenberg]] wiederholt (der Michel hatte Zwischenböden mit Falltüren, was das Experiment möglich machte). Die Fallhöhe der Bleikugeln betrug 76,3 m, und bei 31 Versuchen über vier Monate wurde eine mittlere Abweichung von 8,7 mm in östliche Richtung gemessen, was ziemlich genau den Berechnungen von [[Carl Friedrich Gauß]] entsprach<ref>Gauß erhielt 3,951 [[Pariser Linie]]n, mit Luftwiderstand 3,86, Benzenberg maß im Mittel 4 Linien</ref> (Benzenberg hatte an [[Heinrich Wilhelm Olbers|Wilhelm Olbers]] geschrieben, der Gauß kontaktierte). Allerdings gab es auch eine mittlere Ablenkung nach Süden,<ref>Eine Südabweichung wurde in fast allen Experimenten beobachtet, beginnend mit Hooke.</ref> die damals nicht erklärt werden konnte.
* Deshalb wiederholte Benzenberg die Versuche 1804 in einem Kohleschacht der [[Zeche Trappe]]. Er ließ 29 Kugeln über 80,4 m fallen, mit einem Ergebnis, das nur wenig von Gauß’ entsprechender Vorhersage von 9,9 mm abwich. Genau maß er<ref>Benzenberg ''Versuch..'', S. 425.</ref> eine mittlere Abweichung von 5,1 Pariser Linien (11,4 mm) nach Osten und 0,7 Linien (1,5 mm) nach Süden.<ref>er interpretierte das so, dass keine Abweichung nach Süden gemessen wurde, in Übereinstimmung mit der Rechnung von Gauß. Bei den Fallversuchen kam es immer wieder zu großen „Ausbrechern“, was Benzenberg auf Kollision mit Tropfen aus der Zerstäubung von an den Schachtwänden herabfließendem Wasser zurückführte.</ref>
* Benzenberg wiederholte die Versuche 1804 in einem Kohleschacht der [[Zeche Trappe]]. Er ließ 29 Kugeln über 80,4 m fallen, mit einem Ergebnis, das nur wenig von Gauß’ entsprechender Vorhersage von 9,9 mm abwich. Genau maß er<ref>Benzenberg ''Versuch..'', S. 425.</ref> eine mittlere Abweichung von 5,1 Pariser Linien (11,4 mm) nach Osten und 0,7 Linien (1,5 mm) nach Süden.<ref>er interpretierte das so, dass keine Abweichung nach Süden gemessen wurde, in Übereinstimmung mit der Rechnung von Gauß. Bei den Fallversuchen kam es immer wieder zu großen „Ausbrechern“, was Benzenberg auf Kollision mit Tropfen aus der Zerstäubung von an den Schachtwänden herabfließendem Wasser zurückführte.</ref>
* [[Ferdinand Reich]] erhielt bei einer Fallstrecke von 158,5 m im [[Drei-Brüder-Schacht]] bei [[Freiberg]] 1831 eine Abweichung von 27,4 mm (theoretischer Wert: 28,1 mm). Ein wichtiger Punkt war das möglichst ungestörte „Loslassen“ der Kugeln vor dem Fall, was durch Zangenvorrichtungen bzw. von Reich durch Abkühlen erwärmter Bleikugeln über einem passgenauen Loch erreicht wurde.
* [[Ferdinand Reich]] erhielt bei einer Fallstrecke von 158,5 m im [[Drei-Brüder-Schacht]] bei [[Freiberg]] 1831 eine Abweichung von 27,4 mm (theoretischer Wert: 28,1 mm). Ein wichtiger Punkt war das möglichst ungestörte „Loslassen“ der Kugeln vor dem Fall, was durch Zangenvorrichtungen bzw. von Reich durch Abkühlen erwärmter Bleikugeln über einem passgenauen Loch erreicht wurde.
* Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die beobachtete Südablenkung, die damals nicht erklärt werden konnte, Gegenstand heftiger Debatten. W. W. Rundell vom Royal Cornell Polytechnic führte 1848 deshalb das Experiment nochmals in den tieferen Bergwerksminen von [[Cornwall]] aus, die zwei- bis dreimal tiefer waren als Reichs Minenschacht in Freiberg. Das Ergebnis war eine eindeutige Südablenkung.<ref>[http://www.sacred-texts.com/earth/za/za54.htm#page_315 Darstellung von Rundells Experiment, Mechanics Magazine, Mai 1849], sowie ein Brief von Oersted an Herschel in den Reports der British Association for the Advancement of Science, 1846.</ref>
* Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die beobachtete Südablenkung, die damals nicht erklärt werden konnte, Gegenstand heftiger Debatten. W. W. Rundell vom Royal Cornell Polytechnic führte 1848 deshalb das Experiment nochmals in den tieferen Bergwerksminen von [[Cornwall]] aus, die zwei- bis dreimal tiefer waren als Reichs Minenschacht in Freiberg. Das Ergebnis war eine eindeutige Südablenkung.<ref>[http://www.sacred-texts.com/earth/za/za54.htm#page_315 Darstellung von Rundells Experiment, Mechanics Magazine, Mai 1849], sowie ein Brief von Oersted an Herschel in den Reports der British Association for the Advancement of Science, 1846.</ref> Auch [[Florian Cajori]] stellte in einer Übersicht 1901 eine unzweifelhafte Südablenkung fest, konnte aber auch keine Erklärung finden.<ref>Cajori, The unexplained southerly deviation of falling bodies, Science, Band 14, 29. November 1901, S. 853–855</ref>
* [[Camille Flammarion]] benutzte bei seiner Wiederholung des Experiments 1903 im [[Panthéon (Paris)|Pariser Pantheon]] eine Haltevorrichtung mit einem Elektromagneten.
* [[Camille Flammarion]] benutzte bei seiner Wiederholung des Experiments 1903 im [[Panthéon (Paris)|Pariser Pantheon]] eine Haltevorrichtung mit einem Elektromagneten.
* Eine ähnliche Einrichtung wurde bei einer Wiederholung der Experimente im Jahre 2003 am [[Fallturm Bremen]] im Rahmen eines Experiments von Studenten der [[Freie Universität Berlin|FU Berlin]] verwendet. Dort wurde bei 119 m Fallhöhe in einer Vakuumröhre im Mittel 26 mm Ostabweichung gemessen (theoretischer Wert: 16,9 mm). Auch hier konnten nicht alle Störfaktoren ausgeschaltet werden (es ergab sich z.&nbsp;B. auch eine mittlere Abweichung von 14 mm nach Süden).
* Eine ähnliche Einrichtung wurde bei einer Wiederholung der Experimente im Jahre 2003 am [[Fallturm Bremen]] im Rahmen eines Experiments von Studenten der [[Freie Universität Berlin|FU Berlin]] verwendet. Dort wurde bei 119 m Fallhöhe in einer Vakuumröhre im Mittel 26 mm Ostabweichung gemessen (theoretischer Wert: 16,9 mm). Auch hier konnten nicht alle Störfaktoren ausgeschaltet werden (es ergab sich z.&nbsp;B. auch eine mittlere Abweichung von 14 mm nach Süden).
* Ein weiteres Experiment wurde 1902 von [[Edwin Hall]] an der [[Harvard University]] ausgeführt. Er ließ aus 23 m Höhe 948 Kugeln fallen, mit einer mittleren Abweichung von 1,8 mm nach Osten (nach Gauß wurden 1,79 mm erwartet), und 0,05 mm nach Süden.<ref>Hall: ''Do falling bodies move south?'', Physical Review, Series 1, Bd. 17, 1903, S. 179.</ref> Angeregt durch Halls Experiment wurden auch wieder Bergwerksexperimente versucht, diesmal in den sehr tiefen (4250 [[Fuß (Einheit)|Fuß]], also 1.295,4 m) Kupferminenschächten am [[Lake Superior]], die sich aber als zu schmal erwiesen.<ref>[http://www.phy.mtu.edu/alumni/history/McNairFallingBodies.pdf Bericht von McNair 1906]. Abstract in Science, Bd. 23, 1906, S. 415 (PDF-Datei)</ref>
* Ein weiteres Experiment wurde 1902 von [[Edwin Hall]] an der [[Harvard University]] ausgeführt. Er ließ aus 23 m Höhe 948 Kugeln fallen, mit einer mittleren Abweichung von 1,8 mm nach Osten (nach Gauß wurden 1,79 mm erwartet), und 0,05 mm nach Süden.<ref>Hall: ''Do falling bodies move south?'', Physical Review, Series 1, Bd. 17, 1903, S. 179.</ref> Angeregt durch Halls Experiment wurden auch wieder Bergwerksexperimente versucht, diesmal in den sehr tiefen (4250 [[Fuß (Einheit)|Fuß]], also 1.295,4 m) Kupferminenschächten am [[Lake Superior]], die sich aber als zu schmal erwiesen.<ref>[http://www.phy.mtu.edu/alumni/history/McNairFallingBodies.pdf Bericht von McNair 1906]. Abstract in Science, Bd. 23, 1906, S. 415 (PDF-Datei)</ref>


Der klassische Nachweis der Erdrotation wurde 1851 von [[Léon Foucault]] mit einem [[Foucaultsches Pendel|Pendelexperiment]] im Pariser Panthéon ausgeführt.
Ein genaueres und besser auswertbares Experiment zur Erdrotation führte 1851 [[Léon Foucault]] mit einem [[Foucaultsches Pendel|Pendelexperiment]] im Pariser Panthéon aus, das aber auf dem horizontalen Coriolis-Effekt beruht.


== Literatur ==
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.friedensblitz.de/sterne/repsold/Benzenberg.html Ein Blick vom Turm – Friedrich Benzenbergs Fallversuche im Turm des Michels]
* [http://www.friedensblitz.de/sterne/repsold/Benzenberg.html ''Ein Blick vom Turm – Friedrich Benzenbergs Fallversuche im Turm des Michels.'']
* [http://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/abp/forschung/projekte_publikationen/fallturmexperiment_neu/forschungsbericht_fallturmexperiment.pdf Wiederholung des Experiments am Fallturm Bremen durch Studenten der FU Berlin, 2003] (PDF; 3,97&nbsp;MB)
* [http://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/abp/forschung/projekte_publikationen/fallturmexperiment_neu/forschungsbericht_fallturmexperiment.pdf Wiederholung des Experiments am Fallturm Bremen durch Studenten der FU Berlin, 2003] (PDF; 3,97&nbsp;MB)
* [http://www.abendblatt.de/daten/2002/10/26/85653.html Romanovskis im Hamburger Abendblatt zu Benzenbergs Versuch]
* [http://www.abendblatt.de/daten/2002/10/26/85653.html Romanovskis im Hamburger Abendblatt zu Benzenbergs Versuch]

Aktuelle Version vom 3. Juni 2021, 14:49 Uhr

Der Turm der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg. Im Turm des Vorgängerbaues führte Benzenberg seine Messungen durch.

Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation sind physikalische Experimente, mit denen ab etwa 1800 erstmals die Drehung der Erde um ihre eigene Achse empirisch nachgewiesen werden konnte. Die Erdrotation verursacht bei frei fallenden Körpern eine Ostablenkung gegenüber dem Lot, die von Galilei und Newton vorhergesagt[1] wurde, von Carl Friedrich Gauß berechnet und von Guglielmini, Benzenberg und Reich gemessen wurde. In der Systematik der heutigen Physik wird sie als Teilaspekt des Corioliseffektes behandelt.

Abschätzung

Die Ostablenkung ist eine Folge der höheren Rotationsgeschwindigkeit der Erde in der Abwurfhöhe gegenüber der Rotationsgeschwindigkeit an der Erdoberfläche. Es ergibt sich eine Ablenkung nach Osten in Drehrichtung der Erde, die sich wie folgt abschätzen lässt.

Die Fallzeit ohne Berücksichtigung des Luftwiderstands beträgt $ t={\sqrt {2h/g}} $ und die Differenz der Rotationsgeschwindigkeiten zwischen Fallbeginn und -ende

$ \Delta v={\frac {v}{r}}\,\cos(\varphi )\,h $.

Wegen des quadratischen Verlaufs der Geschwindigkeit ist die tatsächliche Differenz doppelt so groß.

Dabei sind

  • $ h $: Fallhöhe in Meter
  • $ g $: Erdbeschleunigung in m/s² (zwischen 9,780 m/s² am Äquator und 9,832 m/s² an den Polen)
  • $ \varphi $: geografische Breite
  • $ v=463\;{\text{m/s}} $: Rotationsgeschwindigkeit am Äquator
  • $ r=6.378.136,6\;{\text{m}} $: äquatorialer Erdradius

Es ergibt sich z. B. bei $ s=120\;{\text{m}} $ und $ \varphi =53^{\circ } $ geografischer Breite (Hamburg) bei einer Fallzeit von $ 4{,}9\;{\text{s}} $ eine Ablenkung von $ 2{,}6\;{\text{cm}} $ nach Osten.[2]

$ d_{\text{ost}}={\frac {2}{3}}{\frac {v}{r}}\,\cos(\varphi )\,h\,{\sqrt {\frac {2h}{g}}} $

Die Ablenkung ist Folge des vertikalen Coriolis-Effekts.[3]

Experimente

Der schiefe Torre degli Asinelli in Bologna, an dem Guglielmini experimentierte

Schon Galilei und Newton (1679, Brief an Hooke) schlugen solche Experimente vor. Das Experiment verlangt eine äußerst sorgfältige Durchführung zur Abschirmung von Störungen und eine gewisse Mindesthöhe.

  • Robert Hooke (1635–1703) führte Versuche aus 8,2 m Höhe aus, kam aber nicht zu eindeutigen Resultaten (theoretischer Wert: 0,5 mm).[4]
  • Ein erstes Experiment mit genügender Fallhöhe wurde 1791 von dem Italiener Giovanni Battista Guglielmini an einem der Stadttürme (dem der Asinelli) von Bologna ausgeführt. Er erhielt bei rund 78 m Fallhöhe und 15 Versuchen im Mittel eine Abweichung von 16 mm nach Osten (theoretischer Wert: 10,7 mm).
  • In Hamburg wurde das Experiment 1802 im Hamburger Michel von dem Landvermesser und Astronomen Johann Friedrich Benzenberg wiederholt (der Michel hatte Zwischenböden mit Falltüren, was das Experiment möglich machte). Die Fallhöhe der Bleikugeln betrug 76,3 m, und bei 31 Versuchen über vier Monate wurde eine mittlere Abweichung von 8,7 mm in östliche Richtung gemessen, was ziemlich genau den Berechnungen von Carl Friedrich Gauß entsprach[5] (Benzenberg hatte an Wilhelm Olbers geschrieben, der Gauß kontaktierte). Allerdings gab es auch eine mittlere Ablenkung nach Süden,[6] die damals nicht erklärt werden konnte.
  • Benzenberg wiederholte die Versuche 1804 in einem Kohleschacht der Zeche Trappe. Er ließ 29 Kugeln über 80,4 m fallen, mit einem Ergebnis, das nur wenig von Gauß’ entsprechender Vorhersage von 9,9 mm abwich. Genau maß er[7] eine mittlere Abweichung von 5,1 Pariser Linien (11,4 mm) nach Osten und 0,7 Linien (1,5 mm) nach Süden.[8]
  • Ferdinand Reich erhielt bei einer Fallstrecke von 158,5 m im Drei-Brüder-Schacht bei Freiberg 1831 eine Abweichung von 27,4 mm (theoretischer Wert: 28,1 mm). Ein wichtiger Punkt war das möglichst ungestörte „Loslassen“ der Kugeln vor dem Fall, was durch Zangenvorrichtungen bzw. von Reich durch Abkühlen erwärmter Bleikugeln über einem passgenauen Loch erreicht wurde.
  • Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die beobachtete Südablenkung, die damals nicht erklärt werden konnte, Gegenstand heftiger Debatten. W. W. Rundell vom Royal Cornell Polytechnic führte 1848 deshalb das Experiment nochmals in den tieferen Bergwerksminen von Cornwall aus, die zwei- bis dreimal tiefer waren als Reichs Minenschacht in Freiberg. Das Ergebnis war eine eindeutige Südablenkung.[9] Auch Florian Cajori stellte in einer Übersicht 1901 eine unzweifelhafte Südablenkung fest, konnte aber auch keine Erklärung finden.[10]
  • Camille Flammarion benutzte bei seiner Wiederholung des Experiments 1903 im Pariser Pantheon eine Haltevorrichtung mit einem Elektromagneten.
  • Eine ähnliche Einrichtung wurde bei einer Wiederholung der Experimente im Jahre 2003 am Fallturm Bremen im Rahmen eines Experiments von Studenten der FU Berlin verwendet. Dort wurde bei 119 m Fallhöhe in einer Vakuumröhre im Mittel 26 mm Ostabweichung gemessen (theoretischer Wert: 16,9 mm). Auch hier konnten nicht alle Störfaktoren ausgeschaltet werden (es ergab sich z. B. auch eine mittlere Abweichung von 14 mm nach Süden).
  • Ein weiteres Experiment wurde 1902 von Edwin Hall an der Harvard University ausgeführt. Er ließ aus 23 m Höhe 948 Kugeln fallen, mit einer mittleren Abweichung von 1,8 mm nach Osten (nach Gauß wurden 1,79 mm erwartet), und 0,05 mm nach Süden.[11] Angeregt durch Halls Experiment wurden auch wieder Bergwerksexperimente versucht, diesmal in den sehr tiefen (4250 Fuß, also 1.295,4 m) Kupferminenschächten am Lake Superior, die sich aber als zu schmal erwiesen.[12]

Ein genaueres und besser auswertbares Experiment zur Erdrotation führte 1851 Léon Foucault mit einem Pendelexperiment im Pariser Panthéon aus, das aber auf dem horizontalen Coriolis-Effekt beruht.

Literatur

  • J. F. Benzenberg: Versuche über das Gesetz des Falles, den Widerstand der Luft und die Umdrehung der Erde. Dortmund 1804, 2. Auflage Hamburg 1824
  • W. Brunner: Dreht sich die Erde? Mathem.-Physikal. Bibliothek, Band 17, Leipzig, Berlin 1915
  • Richard Grammel: Die mechanischen Beweise für die Drehung der Erde, Julius Springer Verlag 1922
  • Philipp Furtwängler: Die Mechanik der einfachsten physikalischen Apparate und Versuchsanordnungen, Kapitel III: Versuche zum mechanischen Nachweis der Erdrotation, Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften, IV, Teilband 2, 1904

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Galilei allerdings nur in einem Argument, das auf die Nicht-Beobachtbarkeit des Effekts abzielte (Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme). Newton schlug eine zum Corioliseffekt alternative Betrachtungsweise ein, in dem er fand, dass die Bewegung eines fallenden Körpers in einem festen, nicht mitrotierendes Bezugssystem, gedanklich ins Erdinnere fortgesetzt, eine Ellipsenbahn sein würde mit dem Erdmittelpunkt in einem der Brennpunkte der Ellipse. Er fand also nicht direkt die Corioliskraft, sondern in gewisser Weise die Anfänge seiner Gravitationstheorie. Siehe Persson: „The Coriolis Effect – a conflict between common sense and mathematics“ (Memento des Originals vom 11. April 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.meteohistory.org (englisch, PDF). Gauss ging von einer ähnlichen Betrachtungsweise wie Newton aus.
  2. C. F. Gauß: Werke. Band 5, S. 496.
  3. Die genauen Bewegungsgleichungen werden im Artikel Corioliskraft angegeben. Aus ihnen geht auch hervor, dass es (auf der Nordhalbkugel) dabei einen kleinen Südablenkungseffekt gibt (Corioliseffekt 2. Ordnung), der allerdings zu klein ist, um in den angeführten Experimenten eine Rolle zu spielen.
  4. Benzenberg, Johann Friedrich. Versuche über das Gesetz des Falls, über den Widerstand der Luft und über die Umdrehung der Erde. 1804. S. 264
  5. Gauß erhielt 3,951 Pariser Linien, mit Luftwiderstand 3,86, Benzenberg maß im Mittel 4 Linien
  6. Eine Südabweichung wurde in fast allen Experimenten beobachtet, beginnend mit Hooke.
  7. Benzenberg Versuch.., S. 425.
  8. er interpretierte das so, dass keine Abweichung nach Süden gemessen wurde, in Übereinstimmung mit der Rechnung von Gauß. Bei den Fallversuchen kam es immer wieder zu großen „Ausbrechern“, was Benzenberg auf Kollision mit Tropfen aus der Zerstäubung von an den Schachtwänden herabfließendem Wasser zurückführte.
  9. Darstellung von Rundells Experiment, Mechanics Magazine, Mai 1849, sowie ein Brief von Oersted an Herschel in den Reports der British Association for the Advancement of Science, 1846.
  10. Cajori, The unexplained southerly deviation of falling bodies, Science, Band 14, 29. November 1901, S. 853–855
  11. Hall: Do falling bodies move south?, Physical Review, Series 1, Bd. 17, 1903, S. 179.
  12. Bericht von McNair 1906. Abstract in Science, Bd. 23, 1906, S. 415 (PDF-Datei)