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'''Harry Jeannot Lipkin''' (* [[16. Juni]] [[1921]]<ref>Geburtsdatum nach ''American Men and Women of Science'', Gale Thompson, 2005</ref> in [[New York City]]; † [[15. September]] [[2015]] in [[Rechovot]], [[Israel]]<ref>[http://www.haaretz.com/news/israel/.premium-1.676219 | '''Harry Jeannot Lipkin''' (* [[16. Juni]] [[1921]]<ref>Geburtsdatum nach ''American Men and Women of Science'', Gale Thompson, 2005.</ref> in [[New York City]]; † [[15. September]] [[2015]] in [[Rechovot]], [[Israel]]<ref>[http://www.haaretz.com/news/israel/.premium-1.676219 ''Renowned Israeli Physicist, Who Founded Dimona Nuclear Research Facility, Dies at 94''.] Haaretz.</ref>) war ein israelischer theoretischer Physiker, der sich vor allem mit [[Kernphysik]] und [[Teilchenphysik|Elementarteilchenphysik]] beschäftigte. | ||
== | == Leben == | ||
Lipkin besuchte die [[High School]] in [[Rochester (New York)|Rochester]], [[New York (Bundesstaat)|New York]], und studierte Elektrotechnik an der [[Cornell University]], wo er auch einige Physik-Kurse von [[Hans Bethe]] und [[Bruno Rossi]] besuchte. 1942 graduierte er ( | Lipkin besuchte die [[High School]] in [[Rochester (New York)|Rochester]], [[New York (Bundesstaat)|New York]], und studierte Elektrotechnik an der [[Cornell University]], wo er auch einige Physik-Kurse von [[Hans Bethe]] und [[Bruno Rossi]] besuchte. 1942 graduierte er (Bachelorabschluss). Während des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]] entwickelte er als Ingenieur einen Radarempfänger zur U-Boot-Abwehr am [[Massachusetts Institute of Technology|MIT Radiation Laboratory]]. 1948 machte er seinen Master-Abschluss und 1950 [[Promotion (Doktor)|promovierte]] er in [[Princeton University|Princeton]], wo er u. a. bei [[David Bohm]] Physik studierte, mit einer experimentellen Arbeit über die relativistische Korrektur der Streuformeln für Elektronen und [[Positron]]en (die Korrektur hat für beide ein unterschiedliches [[Vorzeichen (Zahl)|Vorzeichen]]). Nach Lipkins eigenen Worten war es das erste Mal, dass ein Experiment zeigte, dass Positronen durch die [[Diracgleichung]] beschrieben werden. | ||
1950 zog er mit seiner Frau Malka nach Israel, um Teil der [[Kibbuz]]-Bewegung zu werden. Statt in der Landwirtschaft zu arbeiten, wurde er jedoch von der israelischen Regierung 1953/54 ins französische [[Saclay]] ans [[Commissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives|Commissariat à l’énergie atomique]] geschickt, um sich in Kerntechnik fortzubilden<ref>Dabei testete er seine Erweiterung der Reaktortheorie von [[Alvin M. Weinberg]] (von homogene auf heterogene Reaktoren), die einen stabilen Betrieb vorhersagte, am Forschungsreaktor [[ZOÉ]] in Chantillon.</ref> und bei frühen Plänen für den ersten israelischen Kernreaktor in [[Dimona]] mitzuhelfen (1956 bis 1958 war er Berater der [[Israelische Atomenergiekommission|IAEC]]). Ab 1954 war er am [[Weizmann-Institut für Wissenschaften]] in Rechowot, wo er den ersten Studiengang für Kernphysik in Israel aufbaute. Lipkin blieb bis zu seiner [[Emeritierung]] Physik-Professor am Weizmann-Institut. Er war zuletzt auch regelmäßig im [[Argonne National Laboratory]] in den USA. 1991/92 war er ''Sackler Scholar''. Auch mit mehr als 85 Jahren war er noch am Weizmann-Institut und am Sackler-Institut der Universität Tel Aviv tätig. | |||
1959 entwickelte er mit S. Goshen Spectrum Generating Algebras (Algebren harmonischer Oszillatoren)<ref>''Annals of Physics.'' Band 6, 1959, S. 301, sowie ''Les Houches Lectures'' von Lipkin 1958</ref> | Lipkin wurde vor allem für Anwendungen der [[Gruppentheorie]] in der Physik, speziell auf [[Quark (Physik)|Quarkmodellen]] in den 1960er Jahren, bekannt. Sein Buch „[[Lie-Gruppe|Lie groups]] for pedestrians“ fand damals weite Verbreitung.<ref>Der Zusatz „for pedestrians“ (Schüler) blieb haften auch für eine Reihe weiterer Aufsätze/Bücher in der Physik, ein Namensvorläufer einer später bekannten Buchserie „for dummies“.</ref> Nach seinen eigenen Worten<ref>Rede anlässlich der Verleihung des Wigner Preises 2002</ref> war den Teilchenphysikern die Verwendung unitärer Symmetrien damals nicht vertraut, wohl aber an [[Giulio Racah|Racah]] und [[Eugene Wigner|Wigners]] Methoden geschulten Kernphysikern, was ihnen den Einstieg in dieses Gebiet ermöglichte. 1961 bestätigten sie [[Murray Gell-Mann|Gell-Manns]] [[Eightfold Way]] SU (3) Modell gegen [[Shoichi Sakata|Sakatas]] Modell (ebenfalls SU(3), aber mit Proton, Neutron und Lambda in einem Triplett) bei der Berechnung der Mesonenerzeugung aus Proton-Antiproton Vernichtung.<ref>Levinson, Lipkin, Meshkov, Abdus Salam, Munir: ''Physics Letters.'' Band 1, 1962, S. 44.</ref> Lipkin beschäftigte sich auch später mit Vorhersagen aus dem Quarkmodell ([[Pentaquark]]s u. a.) sowie z. B. mit Neutrinophysik und den Grundlagen der Quantenmechanik. | ||
1959 entwickelte er mit S. Goshen Spectrum Generating Algebras (Algebren harmonischer Oszillatoren),<ref>''Annals of Physics.'' Band 6, 1959, S. 301, sowie ''Les Houches Lectures'' von Lipkin 1958.</ref> die sie in der Festkörper- und Kernphysik anwandten. Vereinfachte Modelle zur Untersuchung dynamischer Symmetrien und kollektiver Anregungen, teilweise motiviert durch das [[Schalenmodell (Kernphysik)|Schalenmodell der Atomkerne]], tragen Lipkins Namen (Lipkin-Modell oder Lipkin-Meshkov-Glick-Modell).<ref>Lipkin, Meshkov, Glick: ''Nuclear Physics.'' Band 62, 1965, S. 188, 199, 211.</ref> | |||
1958/59 benutzte er an der [[University of Illinois]] in [[Urbana (Illinois)|Urbana]] (in der Gruppe von [[Hans Frauenfelder]]) eine Erweiterung des Streuexperimentes aus seiner [[Dissertation]] („Double Scattering“-Methode), um die gerade entdeckte [[Paritätsverletzung]] beim [[Betastrahlung|Betazerfall]] zu untersuchen. Dort begann ebenfalls seine Arbeit<ref>Lipkin: ''Annals of Physics.'' Band 9, 1960, S. 332</ref> am ebenfalls gerade entdeckten [[Mössbauereffekt]], der seinen Namen von Lipkin erhielt. | 1958/59 benutzte er an der [[University of Illinois]] in [[Urbana (Illinois)|Urbana]] (in der Gruppe von [[Hans Frauenfelder]]) eine Erweiterung des Streuexperimentes aus seiner [[Dissertation]] („Double Scattering“-Methode), um die gerade entdeckte [[Paritätsverletzung]] beim [[Betastrahlung|Betazerfall]] zu untersuchen. Dort begann ebenfalls seine Arbeit<ref>Lipkin: ''Annals of Physics.'' Band 9, 1960, S. 332</ref> am ebenfalls gerade entdeckten [[Mössbauereffekt]], der seinen Namen von Lipkin erhielt. | ||
Lipkin war auch aktiv in der Verbreitung einer Methode Kindern das Lesen beizubringen (LITAF, das die Pädagogin Nira Altalef in Israel in den 1980er Jahren entwickelte).<ref>[http://www.israel21c.org/people/israeli-nuclear-physicist-set-his-sights-on-literacy Artikel | Lipkin war auch aktiv in der Verbreitung einer Methode Kindern das Lesen beizubringen (LITAF, das die Pädagogin Nira Altalef in Israel in den 1980er Jahren entwickelte).<ref>[http://www.israel21c.org/people/israeli-nuclear-physicist-set-his-sights-on-literacy Artikel.] In: Israel21c.</ref> Das Problem ist in Israel als prototypischem Einwanderungsland mit vielen Sprachen der Einwanderer besonders akut. | ||
1957 gründete er mit dem Virusforscher [[Alexander Kohn]] (Cohen) das ''[[Journal of Irreproducible Results]]'', das auch eine Rolle bei der Gründung des [[Ig-Nobelpreis]]es hatte.<ref>[http://www.msnbc.msn.com/id/3088163/ Marc Abrahams zur Geschichte des Ig Nobelpreises]</ref> Die Idee des Journals entstand, als Lipkin 1957 die erste internationale Konferenz für Kernphysik in Israel organisierte. | 1957 gründete er mit dem Virusforscher [[Alexander Kohn]] (Cohen) das ''[[Journal of Irreproducible Results]]'', das auch eine Rolle bei der Gründung des [[Ig-Nobelpreis]]es hatte.<ref>[http://www.msnbc.msn.com/id/3088163/ Marc Abrahams zur Geschichte des Ig Nobelpreises].</ref> Die Idee des Journals entstand, als Lipkin 1957 die erste internationale Konferenz für Kernphysik in Israel organisierte. | ||
1973 erhielt er den Kaplun-Preis und 1980 den [[Rothschild-Preis]]. 2002 erhielt er die [[Wigner-Medaille]]. | 1970 wurde Lipkin zum Mitglied der [[Israelische Akademie der Wissenschaften|Israelischen Akademie der Wissenschaften]] gewählt. 1973 erhielt er den Kaplun-Preis und 1980 den [[Rothschild-Preis]]. 2002 erhielt er die [[Wigner-Medaille]]. | ||
Er war seit 1949 verheiratet und wurde Vater zweier Kinder. | Er war seit 1949 verheiratet und wurde Vater zweier Kinder. | ||
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* Lipkin: ''Quantum Mechanics – New Approaches to selected topics.'' North Holland 1973 | * Lipkin: ''Quantum Mechanics – New Approaches to selected topics.'' North Holland 1973 | ||
* Lipkin: ''The Middle East for pedestrians: A collection of letters written before, during and after the Yom Kippur War.'' 1974 | * Lipkin: ''The Middle East for pedestrians: A collection of letters written before, during and after the Yom Kippur War.'' 1974 | ||
* Lipkin: ''Andrej Sakharov. Quarks and the Structure of Matter.'' World Scientific 2013 | * Lipkin: ''Andrej Sakharov. Quarks and the Structure of Matter.'' In: ''[[World Scientific]]'', 2013 | ||
== Weblinks == | == Weblinks == | ||
* [http://www.ph.utexas.edu/~bohmwww/wigner/ Wigner-Medaille an Lipkin, Laudatio von Neeman und Lipkins Antwort] | * [http://www.ph.utexas.edu/~bohmwww/wigner/ Wigner-Medaille an Lipkin, Laudatio von Neeman und Lipkins Antwort] | ||
* | * Lipkin: ''Quantum theory of neutrino oscillations for pedestrians.'' 2005, {{arXiv|hep-ph/0505141}} | ||
* Lipkin: ''Quark models and quark phenomenology.'' 1993, {{arXiv|hep-ph/9301246}} | |||
* Lipkin: ''Puzzles in hyperon, charm and beauty physics.'' 2002, {{arXiv|hep-ph/0210166}} | |||
* [http://improbable.com/pages/airchives/press/1999/jerusalem-011599.html Jerusalem Post 1999 | * [http://improbable.com/pages/airchives/press/1999/jerusalem-011599.html zu Lipkin.] Jerusalem Post, 1999, auf improbable.com | ||
== | == Einzelnachweise == | ||
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Harry Jeannot Lipkin (* 16. Juni 1921[1] in New York City; † 15. September 2015 in Rechovot, Israel[2]) war ein israelischer theoretischer Physiker, der sich vor allem mit Kernphysik und Elementarteilchenphysik beschäftigte.
Lipkin besuchte die High School in Rochester, New York, und studierte Elektrotechnik an der Cornell University, wo er auch einige Physik-Kurse von Hans Bethe und Bruno Rossi besuchte. 1942 graduierte er (Bachelorabschluss). Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte er als Ingenieur einen Radarempfänger zur U-Boot-Abwehr am MIT Radiation Laboratory. 1948 machte er seinen Master-Abschluss und 1950 promovierte er in Princeton, wo er u. a. bei David Bohm Physik studierte, mit einer experimentellen Arbeit über die relativistische Korrektur der Streuformeln für Elektronen und Positronen (die Korrektur hat für beide ein unterschiedliches Vorzeichen). Nach Lipkins eigenen Worten war es das erste Mal, dass ein Experiment zeigte, dass Positronen durch die Diracgleichung beschrieben werden.
1950 zog er mit seiner Frau Malka nach Israel, um Teil der Kibbuz-Bewegung zu werden. Statt in der Landwirtschaft zu arbeiten, wurde er jedoch von der israelischen Regierung 1953/54 ins französische Saclay ans Commissariat à l’énergie atomique geschickt, um sich in Kerntechnik fortzubilden[3] und bei frühen Plänen für den ersten israelischen Kernreaktor in Dimona mitzuhelfen (1956 bis 1958 war er Berater der IAEC). Ab 1954 war er am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rechowot, wo er den ersten Studiengang für Kernphysik in Israel aufbaute. Lipkin blieb bis zu seiner Emeritierung Physik-Professor am Weizmann-Institut. Er war zuletzt auch regelmäßig im Argonne National Laboratory in den USA. 1991/92 war er Sackler Scholar. Auch mit mehr als 85 Jahren war er noch am Weizmann-Institut und am Sackler-Institut der Universität Tel Aviv tätig.
Lipkin wurde vor allem für Anwendungen der Gruppentheorie in der Physik, speziell auf Quarkmodellen in den 1960er Jahren, bekannt. Sein Buch „Lie groups for pedestrians“ fand damals weite Verbreitung.[4] Nach seinen eigenen Worten[5] war den Teilchenphysikern die Verwendung unitärer Symmetrien damals nicht vertraut, wohl aber an Racah und Wigners Methoden geschulten Kernphysikern, was ihnen den Einstieg in dieses Gebiet ermöglichte. 1961 bestätigten sie Gell-Manns Eightfold Way SU (3) Modell gegen Sakatas Modell (ebenfalls SU(3), aber mit Proton, Neutron und Lambda in einem Triplett) bei der Berechnung der Mesonenerzeugung aus Proton-Antiproton Vernichtung.[6] Lipkin beschäftigte sich auch später mit Vorhersagen aus dem Quarkmodell (Pentaquarks u. a.) sowie z. B. mit Neutrinophysik und den Grundlagen der Quantenmechanik.
1959 entwickelte er mit S. Goshen Spectrum Generating Algebras (Algebren harmonischer Oszillatoren),[7] die sie in der Festkörper- und Kernphysik anwandten. Vereinfachte Modelle zur Untersuchung dynamischer Symmetrien und kollektiver Anregungen, teilweise motiviert durch das Schalenmodell der Atomkerne, tragen Lipkins Namen (Lipkin-Modell oder Lipkin-Meshkov-Glick-Modell).[8]
1958/59 benutzte er an der University of Illinois in Urbana (in der Gruppe von Hans Frauenfelder) eine Erweiterung des Streuexperimentes aus seiner Dissertation („Double Scattering“-Methode), um die gerade entdeckte Paritätsverletzung beim Betazerfall zu untersuchen. Dort begann ebenfalls seine Arbeit[9] am ebenfalls gerade entdeckten Mössbauereffekt, der seinen Namen von Lipkin erhielt.
Lipkin war auch aktiv in der Verbreitung einer Methode Kindern das Lesen beizubringen (LITAF, das die Pädagogin Nira Altalef in Israel in den 1980er Jahren entwickelte).[10] Das Problem ist in Israel als prototypischem Einwanderungsland mit vielen Sprachen der Einwanderer besonders akut.
1957 gründete er mit dem Virusforscher Alexander Kohn (Cohen) das Journal of Irreproducible Results, das auch eine Rolle bei der Gründung des Ig-Nobelpreises hatte.[11] Die Idee des Journals entstand, als Lipkin 1957 die erste internationale Konferenz für Kernphysik in Israel organisierte.
1970 wurde Lipkin zum Mitglied der Israelischen Akademie der Wissenschaften gewählt. 1973 erhielt er den Kaplun-Preis und 1980 den Rothschild-Preis. 2002 erhielt er die Wigner-Medaille.
Er war seit 1949 verheiratet und wurde Vater zweier Kinder.
Personendaten | |
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NAME | Lipkin, Harry |
ALTERNATIVNAMEN | Lipkin, Harry Jeannot (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | israelischer Physiker und emeritierter Professor am Weizmann-Institut |
GEBURTSDATUM | 16. Juni 1921 |
GEBURTSORT | New York City |
STERBEDATUM | 15. September 2015 |
STERBEORT | Rechovot, Israel |