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Ein '''Tetraneutron''' ist ein hypothetisches Teilchen, das aus vier [[Neutron]]en besteht. Obwohl die Existenz dieses Kerns den anerkannten Modellen der [[Kernphysik]] widerspricht, gibt es einige umstrittene Versuchsergebnisse, die sein Vorhandensein belegen sollen | Ein '''Tetraneutron''' ist ein hypothetisches Teilchen, das aus vier [[Neutron]]en besteht. Obwohl die Existenz dieses Kerns den anerkannten Modellen der [[Kernphysik]] widerspricht, gibt es einige umstrittene Versuchsergebnisse, die sein Vorhandensein belegen sollen. | ||
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In einem Experiment, dessen Ergebnisse 2002 veröffentlicht wurden, stießen [[Francisco-Miguel Marqués]] und seine Mitarbeiter am [[GANIL]] in [[Caen]] bei Kernreaktionen mit [[Beryllium]]-14 auf mögliche Hinweise auf ein derartiges Teilchen. Im Jahre 2016 meldeten japanische Kernphysiker ebenfalls die Entdeckung eines Tetraneutrons. | |||
Die Gruppe um Marqués<ref>F. Marques und andere: ''The detection of neutron clusters''. In: ''Phys. Rev. C'', Band 65, 2002, S. 044006, {{arXiv|nucl-ex/0111001}}</ref> schoss neutronenreiche Berylliumisotope und andere neutronenreiche Kerne auf ein Kohlenstoff-[[Target (Physik)|Target]] und analysierte die Trümmer mit Protonenstreuung. Die Gruppe identifizierte sechs Signale, die ihrer Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Cluster aus vier Neutronen zurückgehen. Nach Marqués und Mitarbeitern können andere denkbare Erklärungen der beobachteten Ereignisse maximal für zehn Prozent des beobachteten Signals verantwortlich sein. Eine spätere Analyse der benutzten Erkennungsmethode legte den Verdacht nahe, dass zumindest ein Teil der Originalanalyse fehlerhaft war.<ref name="sherrill04">B. M. Sherrill, C. A. Bertulani: ''Proton-tetraneutron elastic scattering''. In: ''Phys. Rev. C'', 69, 2004, S. 027601</ref> Versuche, die Beobachtungen mit anderen Methoden zu wiederholen, waren nicht erfolgreich und führten zu keiner erneuten Beobachtung solcher Teilchen.<ref name="aleksandrov05">D. V. Aleksandrov et al.: ''Search for Resonances in the Three- and Four-Neutron Systems in the 7Li(7Li, 11C)3n and 7Li(7Li, 10C)4n Reactions''. In: ''JETP Letters'', 81, 2005, S. 43</ref> | |||
Eine spätere Analyse der benutzten Erkennungsmethode legte den Verdacht nahe, dass zumindest ein Teil der Originalanalyse fehlerhaft war.<ref name="sherrill04">B. M. Sherrill | |||
:'' | 2016 berichtete eine Gruppe um Susumu Shimoura von der [[Universität Tokio]] und von Forschern des [[RIKEN]] über die Erzeugung eines Tetraneutrons bei Experimenten mit Strahlen instabiler Helium-8-Kerne an der Radioactive Isotope Beam Factory (RIBF) in [[Saitama]].<ref>K. Kisamori u. a.: ''Candidate Resonant Tetraneutron State Populated by the He4(He8,Be8) Reaction''. In: ''Phys. Rev. Lett.'', Band 116, 2016, S. 052501, [http://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.116.052501 Abstract]</ref><ref>[http://www.u-tokyo.ac.jp/en/utokyo-research/research-news/tetraneutron-nucleus-found.html Tetraneutron Nucleus found, Universität Tokio 2016]</ref> Das Signifikanzniveau lag nach Angaben der Wissenschaftler bei 4,9 Sigma (σ). | ||
Weitere Hinweise auf die Existenz eines Tetraneutrons kamen im Dezember 2021 von Wissenschaftlern der TU München.<ref>Nadja Podbregar: [https://www.scinexx.de/news/technik/neue-hinweise-auf-das-tetraneutron/ ''Neue Hinweise auf das Tetraneutron''] In: scinexx, 13. Dezember 2021, abgerufen am 13. Dezember 2021.</ref><ref>Thomas Faestermann u. a. Indications for a bound tetraneutron, Physics Letters B, Band 824, 2022, S. 136799, [https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0370269321007395 Abstract]</ref> Sie schossen zwei Lithium 7 Kerne (bestehend aus drei Protonen und vier Neutronen) aufeinander, wobei sie einen Peak in der Energieverteilung der Reaktionsprodukte bei 20,8 MeV als Kohlenstoff 10 plus Tetraneutron interpretierten. Die Bindungsenergie des Tetraneutrons würde nach den Messergebnissen 0,42 MeV betragen. Die Signifikanz betrug allerdings nach Angaben der beteiligten Wissenschaftler bisher nur 3 Sigma. | |||
<ref> | == Theoretische Konsequenzen == | ||
Falls die Existenz von stabilen Tetraneutronen jemals unabhängig bewiesen werden sollte, müssten die gegenwärtigen Modelle der Kernkräfte erheblich geändert werden. Bertulani und Zelevinsky<ref name="bz03">C.A. Bertulani, V.G. Zelevinsky: ''Tetraneutron as a dineutron-dineutron molecule''. In: ''J. Phys. G'', 29, 2003, S. 2431</ref> schlugen vor, dass das Tetraneutron aus einem gebundenen Zustand von zwei [[Dineutron]]en bestehen könnte. Allerdings scheiterten Versuche, ein Modell zu schaffen, welches die Bildung von [[Polyneutron]]en erklärt,<ref name="lazauskas05">Rimantas Lazauskas, Jaume Carbonell: ''Three-neutron resonance trajectories for realistic interaction models''. In: ''Phys. Rev. C'', 71, 2005, S. 044004</ref><ref name="arai03">Koji Arai: ''Resonance states of 5H and 5Be in a microscopic three-cluster model''. In: ''Phys. Rev. C'', 68, 2003, S. 034303</ref><ref name="hemmdan02">A. Hemmdan, W. Glöckle, H. Kamada: ''Indications for the nonexistence of three-neutron resonances near the physical region''. In: ''Phys. Rev. C'', 66, 2002, S. 054001</ref> und, so [[Steven C. Pieper]], es | |||
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|Text=does not seem possible to change modern nuclear Hamiltonians to bind a tetraneutron without destroying many other successful predictions of those Hamiltonians. This means that, should a recent experimental claim of a bound tetraneutron be confirmed, our understanding of nuclear forces will have to be significantly changed. | |||
|Übersetzung=scheint nicht möglich zu sein, moderne kernphysikalische [[Hamiltonfunktion]]en so zu verändern, dass eine Bindung von Tetraneutronen möglich ist, ohne viele andere erfolgreiche Voraussagen dieser Theorien zu zerstören. Das bedeutet, wenn ein neuer Versuch Tetraneutronen bestätigen sollte, müsste unser Verständnis der Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung bedeutend verändert werden. | |||
|ref=<ref name="pieper03">Steven C. Pieper: ''Can Modern Nuclear Hamiltonians Tolerate a Bound Tetraneutron?'' In: ''Phys. Rev. Lett.'', 90, 2003, S. 252501</ref>}} | |||
== Siehe auch == | == Siehe auch == | ||
* [[Neutronium]] | * [[Neutronium]] | ||
==Weblinks== | == Weblinks == | ||
*[http://physicsworld.com/cws/article/news/7064 | * Katie Pennicott: [http://physicsworld.com/cws/article/news/7064 zu den Experimenten am GANIL.] Physics World, 2002 | ||
== Einzelnachweise == | |||
<references /> | <references /> | ||
[[Kategorie:Kernphysik]] | [[Kategorie:Kernphysik]] |
Ein Tetraneutron ist ein hypothetisches Teilchen, das aus vier Neutronen besteht. Obwohl die Existenz dieses Kerns den anerkannten Modellen der Kernphysik widerspricht, gibt es einige umstrittene Versuchsergebnisse, die sein Vorhandensein belegen sollen.
In einem Experiment, dessen Ergebnisse 2002 veröffentlicht wurden, stießen Francisco-Miguel Marqués und seine Mitarbeiter am GANIL in Caen bei Kernreaktionen mit Beryllium-14 auf mögliche Hinweise auf ein derartiges Teilchen. Im Jahre 2016 meldeten japanische Kernphysiker ebenfalls die Entdeckung eines Tetraneutrons.
Die Gruppe um Marqués[1] schoss neutronenreiche Berylliumisotope und andere neutronenreiche Kerne auf ein Kohlenstoff-Target und analysierte die Trümmer mit Protonenstreuung. Die Gruppe identifizierte sechs Signale, die ihrer Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Cluster aus vier Neutronen zurückgehen. Nach Marqués und Mitarbeitern können andere denkbare Erklärungen der beobachteten Ereignisse maximal für zehn Prozent des beobachteten Signals verantwortlich sein. Eine spätere Analyse der benutzten Erkennungsmethode legte den Verdacht nahe, dass zumindest ein Teil der Originalanalyse fehlerhaft war.[2] Versuche, die Beobachtungen mit anderen Methoden zu wiederholen, waren nicht erfolgreich und führten zu keiner erneuten Beobachtung solcher Teilchen.[3]
2016 berichtete eine Gruppe um Susumu Shimoura von der Universität Tokio und von Forschern des RIKEN über die Erzeugung eines Tetraneutrons bei Experimenten mit Strahlen instabiler Helium-8-Kerne an der Radioactive Isotope Beam Factory (RIBF) in Saitama.[4][5] Das Signifikanzniveau lag nach Angaben der Wissenschaftler bei 4,9 Sigma (σ).
Weitere Hinweise auf die Existenz eines Tetraneutrons kamen im Dezember 2021 von Wissenschaftlern der TU München.[6][7] Sie schossen zwei Lithium 7 Kerne (bestehend aus drei Protonen und vier Neutronen) aufeinander, wobei sie einen Peak in der Energieverteilung der Reaktionsprodukte bei 20,8 MeV als Kohlenstoff 10 plus Tetraneutron interpretierten. Die Bindungsenergie des Tetraneutrons würde nach den Messergebnissen 0,42 MeV betragen. Die Signifikanz betrug allerdings nach Angaben der beteiligten Wissenschaftler bisher nur 3 Sigma.
Falls die Existenz von stabilen Tetraneutronen jemals unabhängig bewiesen werden sollte, müssten die gegenwärtigen Modelle der Kernkräfte erheblich geändert werden. Bertulani und Zelevinsky[8] schlugen vor, dass das Tetraneutron aus einem gebundenen Zustand von zwei Dineutronen bestehen könnte. Allerdings scheiterten Versuche, ein Modell zu schaffen, welches die Bildung von Polyneutronen erklärt,[9][10][11] und, so Steven C. Pieper, es
“does not seem possible to change modern nuclear Hamiltonians to bind a tetraneutron without destroying many other successful predictions of those Hamiltonians. This means that, should a recent experimental claim of a bound tetraneutron be confirmed, our understanding of nuclear forces will have to be significantly changed.”
„scheint nicht möglich zu sein, moderne kernphysikalische Hamiltonfunktionen so zu verändern, dass eine Bindung von Tetraneutronen möglich ist, ohne viele andere erfolgreiche Voraussagen dieser Theorien zu zerstören. Das bedeutet, wenn ein neuer Versuch Tetraneutronen bestätigen sollte, müsste unser Verständnis der Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung bedeutend verändert werden.“[12]