Hydrostatisches Paradoxon: Unterschied zwischen den Versionen

Hydrostatisches Paradoxon: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:Hydrostatisches Paradoxon4.svg|mini|hochkant=1.5|Der Flüssigkeitsdruck am Boden (''rot''; alle Böden gleich groß) ist in allen drei Gefäßen identisch, obwohl man annehmen könnte, dass er – aufgrund der geringeren Füllmenge – im linken Gefäß geringer ist als im mittleren und im rechten.]]
{{Anker|Hydrostatisches Paradoxon4.svg}}[[Datei:Hydrostatisches Paradoxon4.svg|mini|hochkant=1.5|Abb. 1: Der Flüssigkeitsdruck am Boden (''rot''; alle Böden gleich groß) ist in allen drei Gefäßen identisch, obwohl man annehmen könnte, dass er – aufgrund der geringeren Füllmenge – im linken Gefäß geringer ist als im mittleren und im rechten.]]


Das '''Hydrostatische Paradoxon''', auch '''Pascal’sches''' (oder '''pascalsches''') '''Paradoxon''' (nach [[Blaise Pascal]]), ist das [[Paradoxon]], dass der [[Hydrostatischer Druck|Schweredruck]] (Hydrostatischer Druck), den eine [[Flüssigkeit]] in einem Gefäß auf den Boden des Gefäßes bewirkt, zwar abhängig von der Füllhöhe ([[Massenkonzentration|Spiegel]]<nowiki />höhe) der Flüssigkeit ist, aber nicht von der Form des Gefäßes und damit der enthaltenen Flüssigkeitsmenge. Das ist gleichbedeutend damit, dass Flüssigkeiten den ihnen zur Verfügung stehenden Raum überall bis zur gleichen Höhe, dem Spiegel, füllen. Liegen Fremdkörper in der Flüssigkeit, umfließt sie diese zum Ausgleich des Spiegels, solange irgendeine, auch unter dem Spiegel befindliche, flüssigkeitsgefüllte Verbindung besteht. Die physikalische Grundlage ist der hydrostatische [[Druck (Physik)|Druck]]. Er errechnet sich zu
Das '''Hydrostatische Paradoxon''', auch '''Pascal’sches''' (oder '''pascalsches''') '''Paradoxon''' (nach [[Blaise Pascal]]), ist die leicht als [[Paradoxon|paradox]] empfundene Tatsache, dass der [[Hydrostatischer Druck|Druck]], den eine [[Flüssigkeit]] in einem Gefäß auf den Gefäßboden ausübt, nur von der Füllhöhe der Flüssigkeit abhängt, während bei gleicher Füllhöhe die Form des Gefäßes keinen Einfluss auf den Druck hat, also auch nicht die Gesamtmenge der Flüssigkeit, jedenfalls solange [[Kapillarität]] keine Rolle spielt. Das ist gleichbedeutend mit dem Prinzip der [[Kommunizierende Röhren|kommunizierenden Röhren]], wonach jede Flüssigkeit den ihr zur Verfügung stehenden Raum überall, wo er nach oben offen ist, bis zur gleichen Höhe, dem [[Flüssigkeitsspiegel]], füllt.
: <math>p(h) = \rho \, g \, h</math>


mit ([[Formelzeichen]])
== Geschichte ==
: <math>\rho</math> = ''[[Dichte]]'' <small>[für [[Wasser]]: [[Rho|ρ]]&nbsp;≈ 1.000 kg/m³]</small>
[[Datei:Hydrostatische paradox stevin.gif|mini|Hydrostatisches Paradoxon nach Stevin]]
: <math>g</math> = ''[[Erdbeschleunigung]]'' <small>[für Deutschland: g&nbsp;≈ 9,81&nbsp;m/s²]</small>
Der erste, der das hydrostatische Paradoxon formulierte, war der holländische Kaufmann [[Simon Stevin]] (1548–1620), siehe Bild:
: <math>h</math> = ''Höhe'' (hier: ''des Flüssigkeits[[Massenkonzentration|spiegels]]'')
<math>p(h)</math> = ''Hydrostatischer Druck'' (p) ''in Abhängigkeit von der Höhe'' (h) ''des Flüssigkeitsspiegels''.<ref>[[Lew Dawidowitsch Landau]], [[Jewgeni Michailowitsch Lifschitz]]: ''Statistische Physik.'' Teil&nbsp;I. Akademie Verlag, Berlin 1979/1987, ISBN 3-05-500069-2, S.&nbsp;70.</ref>


== Erläuterung ==
{{Zitat
|Text=t'cleinste water ABCD druckt euen soo stijf teghen den boden CD, als t'grooste water CDEF
|Sprache=nl
|Autor=Simon Stevin van Brugghe (1586)
|Übersetzung=Das wenige Wasser ABCD drückt genau so stark gegen die Wand CD wie das viele Wasser CDEF
|Quelle=<ref>{{Literatur
|Autor=[[Simon Stevin]] van Brugghe
|Titel=Prinzipien der Hydrostatik
|Originaltitel=De Beghinselen des Waterwichts
|Ort=Leyden
|Verlag=Christoffel Plantijn
|Jahr=1586
|Online=https://archive.org/details/ned-kbn-all-00011058-003
|Zugriff=2022-02-19
|Seiten=58 f.
|Sprache=nl}}</ref>
}}


In allen Gefäßen mit demselben Füllstand wirkt in derselben Höhe derselbe Flüssigkeitsdruck auf den Gefäßboden, unabhängig von der Grundfläche und der Gefäßgeometrie. Als Konsequenz stellt sich bei [[Kommunizierende Röhren|kommunizierenden Röhren]] derselbe Pegel ein, unabhängig von der Röhrengeometrie.
Man kann sich CD als undurchlässige, dünne, nachgiebige [[Membran]] vorstellen, die vom ruhenden Wasser im Gefäß ABCFED nicht verformt wird, weil die auf beiden Seiten drückenden Wassermassen sich gegenseitig ausgleichen. Das erklärt sich aus dem [[Pascalsches Gesetz|Pascal’schen Gesetz]] von 1663
 
{{Zitat
|Text=Que les Liqueurs pèsent suivant leur hauteur
|Sprache=fr
|Autor=[[Blaise Pascal]]
|Übersetzung=dass Flüssigkeiten entsprechend ihrer Höhe wiegen
|Quelle=<ref>{{Literatur
| Autor=[[Blaise Pascal]]
| Originaltitel=Traitez de l'équilibre des liqueurs et de la pesanteur de la masse de l'air
| Titel=Abhandlung über das Gleichgewicht von Flüssigkeiten und vom Gewicht der Masse der Luft
| Seiten=1
| Kapitel=Chapitre I. Que les Liqueurs pèsent suivant leur hauteur
| Jahr=1663
| Ort=Paris
| Sprache=fr
| Online=https://archive.org/details/bub_gb_F8UPAAAAQAAJ
| Zugriff=2022-02-19
| Kommentar=Posthume zweite Veröffentlichung.}}</ref>
}}
 
== Erklärung ==
 
Durch ihr Gewicht erzeugt die Flüssigkeit an einem Punkt einen [[Hydrostatischer Druck|hydrostatischen Druck]] <math>p(h)</math> gemäß
: <math>p(h) = \rho \cdot g \cdot h</math>,
wobei
: <math>h</math> = Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem betrachteten Punkt
: <math>\rho</math> = [[Dichte|Flüssigkeitsdichte]] <small>(z.&nbsp;B. Wasser: <math>\rho \approx 1000 \, kg/m^3</math>)</small>
: <math>g</math> = [[Schwerebeschleunigung]] <small>(z.&nbsp;B. auf der Erde: <math>g \approx 9,8\, m/s^2</math>)</small>.
Von anderen Größen wie Gesamtmenge, Behälterform u.&nbsp;s.&nbsp;w. hängt der Druck nicht ab, jedenfalls solange [[Kapillarität]] keine Rolle spielt.
 
== Erläuterungen ==
 
=== Verständlichmachung ===
Das Paradoxon kann ohne physikalische Vorkenntnisse mit der folgenden Konstruktion verständlich gemacht werden.
{|
|-style="vertical-align:top"
|1.&nbsp;
| Gegeben ist eine Wanne voll Wasser wie im Bild rechts. Wenn das Wasser ruht, und davon wird hier und im Folgenden ausgegangen, dann ist der Druck am Boden (rot) überall gleich.
| [[Datei: Hydrostatic Paradox 1.svg|rahmenlos]]
|-style="vertical-align:top"|
|2.
| In die Wanne werden undichte flexible Gefäße gestellt, deren Löcher mit Schiebern geschlossen werden können. Das Material der Gefäße hat dieselbe Dichte wie das Wasser, sodass ihre Gegenwart die Druckverhältnisse am Boden der Wanne nicht ändern.
| [[Datei: Hydrostatic Paradox 2.svg|rahmenlos]]
|-style="vertical-align:top"|
|3.
| Mit den Schiebern werden die Löcher in den Gefäßen langsam aber stetig geschlossen. Wegen der stetigen Zustandsänderung ist ein plötzlicher Druckanstieg oder -abfall ausgeschlossen. Der Druck am Boden bleibt überall unverändert.
| [[Datei: Hydrostatic Paradox 3.svg|rahmenlos]]
|-style="vertical-align:top"|
|4.
| Das Material der Gefäße wird ausgehärtet, was auf den Druck am Boden keinen Einfluss hat.
| [[Datei: Hydrostatic Paradox 3.svg|rahmenlos]]
|-style="vertical-align:top"|
|5.
| Das Wasser wird aus der Wanne heraus gelassen. Wegen der unnachgiebigen Gefäßwände hat das keinen Einfluss auf die Verhältnisse in den Gefäßen. Der Druck auf den Böden (rot) ist überall gleich.
| [[Datei: Hydrostatic Paradox 4.svg|rahmenlos]]
|}
 
Entscheidende Annahmen, ohne die die Erklärung nicht auskommt, sind demnach
# Das Wasser ist jederzeit in Ruhe.
# Die Gefäßwände sind unnachgiebig, sodass das Wasser im Gefäß in Ruhe ist und bleibt und von den Zuständen außerhalb des Gefäßes abgetrennt ist.
 
=== Kommunizierende Röhren ===
In allen Gefäßen mit demselben Füllstand über dem Gefäßboden wirkt auf den Boden derselbe Flüssigkeitsdruck unabhängig von dessen Grundfläche und der weiteren geometrischen Form des Gefäßes. Als Konsequenz stellt sich bei [[Kommunizierende Röhren|kommunizierenden Röhren]] derselbe Flüssigkeitsspiegel oder [[Pegel]] ein, unabhängig von der Röhrengeometrie.


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Hydrostatisches Paradoxon1.svg|In allen Gefäßen herrscht in derselben Höhe derselbe Druck.
  Hydrostatisches Paradoxon1.svg|In allen Gefäßen herrscht in derselben Höhe derselbe Druck.
Hydrostatisches Paradoxon2.svg|Kommunizierende Röhren: In allen Röhren steht die Flüssigkeit gleich hoch, obwohl sich die Flüssigkeitsmengen stark unterscheiden.
  Hydrostatisches Paradoxon2.svg|Kommunizierende Röhren: In allen Röhren steht die Flüssigkeit gleich hoch, obwohl sich die Flüssigkeitsmengen stark unterscheiden.
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[[Datei:Hydrostatisches Paradoxon6.svg|mini|Historischer Versuch von 1648:<br />Mit einem langen, dünnen Rohr erzeugte [[Blaise Pascal]] eine hohe Wassersäule (bis zur zweiten Etage). Ein normales, intaktes Fass wurde undicht, was den enormen Wasserdruck demonstrierte.]]
Für eine ruhende [[Flüssigkeit]] in einem [[Homogenes Feld|homogenen]] [[Schwerefeld]] unter Vernachlässigung des [[Kapillarität|Kapillareffekts]] ist der [[Hydrostatischer Druck|hydrostatische Druck]] nur von der Tiefe unter der Flüssigkeitsoberfläche abhängig. Wäre der Wasserstand in verschiedenen aufsteigenden Ästen der kommunizierenden Röhren verschieden, wäre die Flüssigkeit in ihnen nicht im Gleichgewicht. In diesem Fall würde die Flüssigkeit durch die Querverbindungen fließen, bis ein Gleichgewicht hergestellt ist. Danach steht die Flüssigkeit in allen Ästen gleich hoch. Der Luftdruck muss keine Berücksichtigung finden, da er in sehr guter Näherung im gesamten Bereich der kommunizierenden Röhren gleich hoch ist.


Für eine ruhende [[Flüssigkeit]] in einem homogenen [[Schwerefeld]] unter Vernachlässigung des [[Kapillarität|Kapillareffekts]] ist der [[Hydrostatischer Druck|hydrostatische Druck]] nur von der Tiefe unter der Flüssigkeitsoberfläche abhängig. Wäre der Wasserstand in verschiedenen aufsteigenden Ästen der kommunizierenden Röhren verschieden, wäre die Flüssigkeit in ihnen nicht im Gleichgewicht. In diesem Fall fließt die Flüssigkeit in den Querverbindungen, bis (bei Vorhandensein von Reibung) ein Gleichgewicht hergestellt ist. Danach steht die Flüssigkeit in allen Ästen gleich hoch. Der Luftdruck muss keine Berücksichtigung finden, da er in sehr guter Näherung im gesamten Bereich der kommunizierenden Röhren gleich hoch ist.
Die Masse des Wassers und damit dessen Gewicht ist in verschiedenen Ästen der kommunizierenden Röhren sehr wohl verschieden. Aus den oben beschriebenen Gründen können diese unterschiedlichen Gewichte allerdings keine Unterschiede im Bodendruck bzw. im Wasserstand hervorrufen. Getrennte Gefäße wie im Beispiel in der Abb. 1 ganz oben würden aufgrund untschiedlicher Wassermengen unterschiedlich stark auf eine Waage drücken, obwohl in ihrem Innern aufgrund gleicher Füllhöhe derselbe Druck auf den Boden herrscht. Das erklärt sich daraus, dass die Kräfte, die die Gefäßwände auf die Flüssigkeit ausüben, immer rechtwinklig zur Wand stehen. Diese Kraft entsteht nach [[actio und reactio]] als Gegenkraft auf den Flüssigkeitsdruck, der von innen in Richtung der Flächennormale gegen die Wand drückt.  Wenn eine Wand nicht vertikal ist, übt sie eine Kraft mit einer vertikal gerichteten Komponente auf die Flüssigkeit aus. Ist die Wand nach innen geneigt (wie in der obigen Abb. 1 im unteren Bereich des linken Gefäßes), ist die Wandkraft schräg nach unten gerichtet und drückt mit auf die Flüssigkeit in Bodennähe. Ist die Wand nach außen geneigt (Gefäß rechts in der Abb. 1), wirkt die Wandkraft mit einer nach oben gerichteten vertikalen Komponente und trägt einen Teil des Flüssigkeitsgewichts. Als Folge ist der Druck der Flüssigkeit auf die Böden überall gleich, während die Waage bei den drei Gefäßen verschiedene Gewichtskräfte anzeigt.


Die Masse des Wassers und damit dessen Gewicht in verschiedenen Ästen der kommunizierenden Röhren ist sehr wohl verschieden. Dieses Gewicht verursacht auch Kräfte, die vom Gefäß oder zusätzlichen Stützen getragen werden. Aus den oben beschriebenen Gründen kann dieses Gewicht allerdings keinen Unterschied in den Wasserständen der verschiedenen Äste hervorrufen.
=== Kräftegleichgewicht ===
[[Datei: ParadoxExplained.svg|mini|300px| Zur Erklärung des Paradoxons]]
Im linken Gefäß des [[#Hydrostatisches Paradoxon4.svg|eingangs gezeigten Bildes]] erklärt sich der konstante Druck auch im unteren ausladenden Bereich des Gefäßes wie folgt.


In einem Gefäß mit Flüssigkeit heben sich die durch die Flüssigkeit verursachten Kräfte und die Gegenkräfte der Gefäßwand auf. Dieses [[Kräftegleichgewicht]] kann verwendet werden, um zu veranschaulichen, wie die verschiedenen Kräfte wirken, obwohl in derselben Tiefe überall derselbe hydrostatische Druck herrscht. An einer Grenzfläche zwischen der Flüssigkeit und dem Gefäß steht die Flüssigkeit an jedem Punkt, genauso wie im Inneren der Flüssigkeit, unter einem bestimmten hydrostatischen Druck <math>p(h)</math> abhängig von der Tiefe <math>h</math> unter dem Flüssigkeitsspiegel. Das verursacht eine [[Kraft]] auf jedes Flächenstück, die senkrecht auf das Flächenstück und nach außen wirkt. Solange die Gefäßwand intakt ist, bewirkt sie einen Gegendruck, der die Kraftwirkung des hydrostatischen Drucks aufhebt. Bricht an einer Stelle, an der im Gefäß ein hydrostatischer Druck über null herrscht, eine Öffnung auf, tritt an dieser Stelle Flüssigkeit aus und wird durch die Kräfte aufgrund der Druckdifferenz beschleunigt. Infolgedessen spritzt die Flüssigkeit von der Öffnung weg, je nach Lage der Öffnung auch nach oben. Nach dem Austritt aus der Öffnung wirkt kein hydrostatischer Druck mehr auf die Flüssigkeit, und infolgedessen auch keinerlei Kraft aufgrund des hydrostatischen Drucks.
;Bildteil a
:Im ausladenden Bereich des Kolbens wird bei A eine Röhre C angebracht, in der nach dem Prinzip der [[Kommunizierende Röhren|kommunizierenden Röhren]] die Flüssigkeit wie im Kolben D bis zur Höhe B aufsteigt (Kapillarität sei vernachlässigbar.) Man kann die Röhre gedanklich kontinuierlich bis zum Boden verlängern, um sich klarzumachen, dass der Druck auf dem Boden unter C nach dem Pascal’schen Gesetz derselbe ist, wie unter D.
;Bildteil b
:Bei A wird das Volumen v vom Volumen V durch eine hinzugefügte, nachgiebige Membran getrennt, die sich nach [[Simon Stevin]] dabei nicht verformt, denn ''das wenige Wasser im Volumen v drückt genauso stark gegen die Membran wie das viele Wasser im Volumen V'', vgl. [[#Geschichte]]. Diese Tatsache ist zwar nur eine andere Formulierung des Paradoxons, aber doch einleuchtend und der Erfahrung zugänglich.<br/>Man denke an eine [[Schleuse]], deren [[Schleusenkammer]] sich ohne weiteres öffnen lässt, wenn der Wasser''stand'' auf beiden Seiten des [[Schleusentor]]s derselbe ist, und das, obwohl die Wasser''mengen'' beiderseits des Tors sehr verschieden sein können.<br/>Die Membran beeinflusst nicht den Druck am Boden.
;Bildteil b cont'd
:Das ändert sich auch nicht, wenn die Membran „aushärtet“, sodass sie genauso unnachgiebig ist, wie die Behälterwand. Nun drückt jedoch nicht mehr die Flüssigkeitssäule im Rohr C auf den Boden, sondern die starre Membran, die sich selbst im [[Kräftegleichgewicht]] befindet, da nach wie vor der Druck des wenigen Wassers im Volumen v genauso groß ist, wie der des vielen Wassers im Volumen V. Die der Flüssigkeitssäule A–B entsprechende Kraft wird jetzt vom starren Kolben auf die Flüssigkeit ausgeübt.
;Bildteil c
:Weil eine Interaktion der Röhre C mit dem Kolben D durch die starre Membran in A unterbunden ist, kann C auch entfernt werden, ohne die Verhältnisse am Boden des Gefäßes D zu ändern.
 
Diese Argumentation kann auf jedem Abschnitt im unteren ausladenden Bereich (rot gepunktet) wiederholt werden, was das Paradoxon erklärt.


== Anwendung ==
== Anwendung ==
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* Beim [[Artesischer Brunnen|Artesischen Brunnen]] tritt an einem Brunnenloch das Wasser von selbst nach oben.
* Beim [[Artesischer Brunnen|Artesischen Brunnen]] tritt an einem Brunnenloch das Wasser von selbst nach oben.
* alle [[Hydraulik|hydraulischen]] Geräte
* alle [[Hydraulik|hydraulischen]] Geräte
== Literatur ==
* [[Wolfgang Demtröder]]: ''Experimentalphysik 1 – Mechanik und Wärme''. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 2001, ISBN 3-540-64292-7
* Willi Bohl, Wolfgang Elmendorf: ''Technische Strömungslehre''. 13. Auflage. Vogel-Buchverlag, Würzburg, ISBN 3-8343-3029-9
* Robert Freimann: ''Hydraulik für Bauingenieure: Grundlagen und Anwendungen''. 3. Auflage. Carl Hanser Verlag, München, ISBN 978-3-446-43799-9


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Hydrostatic paradox|Hydrostatisches Paradoxon}}
{{Commonscat|Hydrostatic paradox|Hydrostatisches Paradoxon}}
* [http://www.physik.uni-wuerzburg.de/physikonline/video1/m8_fluide/kommuniroehren1.html Video von kommunizierenden Röhren]
* [https://pawn.physik.uni-wuerzburg.de/physikonline/video1/m8_fluide/kommuniroehren1.html Video von kommunizierenden Röhren]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />
== Literatur ==
* [[Wolfgang Demtröder]]: ''Experimentalphysik 1 – Mechanik und Wärme''. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 2001, ISBN 3-540-64292-7
* Willi Bohl, Wolfgang Elmendorf: ''Technische Strömungslehre''. 13. Auflage. Vogel-Buchverlag, Würzburg, ISBN 3-8343-3029-9
* Robert Freimann: ''Hydraulik für Bauingenieure: Grundlagen und Anwendungen''. 3. Auflage. Carl Hanser Verlag, München, ISBN 978-3-446-43799-9


[[Kategorie:Paradoxon]]
[[Kategorie:Paradoxon]]
[[Kategorie:Strömungsmechanik]]
[[Kategorie:Strömungsmechanik]]
[[en:Fluid statics#Hydrostatic pressure]]

Aktuelle Version vom 23. Februar 2022, 07:44 Uhr

Abb. 1: Der Flüssigkeitsdruck am Boden (rot; alle Böden gleich groß) ist in allen drei Gefäßen identisch, obwohl man annehmen könnte, dass er – aufgrund der geringeren Füllmenge – im linken Gefäß geringer ist als im mittleren und im rechten.

Das Hydrostatische Paradoxon, auch Pascal’sches (oder pascalsches) Paradoxon (nach Blaise Pascal), ist die leicht als paradox empfundene Tatsache, dass der Druck, den eine Flüssigkeit in einem Gefäß auf den Gefäßboden ausübt, nur von der Füllhöhe der Flüssigkeit abhängt, während bei gleicher Füllhöhe die Form des Gefäßes keinen Einfluss auf den Druck hat, also auch nicht die Gesamtmenge der Flüssigkeit, jedenfalls solange Kapillarität keine Rolle spielt. Das ist gleichbedeutend mit dem Prinzip der kommunizierenden Röhren, wonach jede Flüssigkeit den ihr zur Verfügung stehenden Raum überall, wo er nach oben offen ist, bis zur gleichen Höhe, dem Flüssigkeitsspiegel, füllt.

Geschichte

Hydrostatisches Paradoxon nach Stevin

Der erste, der das hydrostatische Paradoxon formulierte, war der holländische Kaufmann Simon Stevin (1548–1620), siehe Bild:

„t'cleinste water ABCD druckt euen soo stijf teghen den boden CD, als t'grooste water CDEF“

„Das wenige Wasser ABCD drückt genau so stark gegen die Wand CD wie das viele Wasser CDEF“

Simon Stevin van Brugghe (1586): [1]

Man kann sich CD als undurchlässige, dünne, nachgiebige Membran vorstellen, die vom ruhenden Wasser im Gefäß ABCFED nicht verformt wird, weil die auf beiden Seiten drückenden Wassermassen sich gegenseitig ausgleichen. Das erklärt sich aus dem Pascal’schen Gesetz von 1663

„Que les Liqueurs pèsent suivant leur hauteur“

„dass Flüssigkeiten entsprechend ihrer Höhe wiegen“

Erklärung

Durch ihr Gewicht erzeugt die Flüssigkeit an einem Punkt einen hydrostatischen Druck $ p(h) $ gemäß

$ p(h)=\rho \cdot g\cdot h $,

wobei

$ h $ = Höhe des Flüssigkeitsspiegels über dem betrachteten Punkt
$ \rho $ = Flüssigkeitsdichte (z. B. Wasser: $ \rho \approx 1000\,kg/m^{3} $)
$ g $ = Schwerebeschleunigung (z. B. auf der Erde: $ g\approx 9,8\,m/s^{2} $).

Von anderen Größen wie Gesamtmenge, Behälterform u. s. w. hängt der Druck nicht ab, jedenfalls solange Kapillarität keine Rolle spielt.

Erläuterungen

Verständlichmachung

Das Paradoxon kann ohne physikalische Vorkenntnisse mit der folgenden Konstruktion verständlich gemacht werden.

1.  Gegeben ist eine Wanne voll Wasser wie im Bild rechts. Wenn das Wasser ruht, und davon wird hier und im Folgenden ausgegangen, dann ist der Druck am Boden (rot) überall gleich. Hydrostatic Paradox 1.svg
2. In die Wanne werden undichte flexible Gefäße gestellt, deren Löcher mit Schiebern geschlossen werden können. Das Material der Gefäße hat dieselbe Dichte wie das Wasser, sodass ihre Gegenwart die Druckverhältnisse am Boden der Wanne nicht ändern. Hydrostatic Paradox 2.svg
3. Mit den Schiebern werden die Löcher in den Gefäßen langsam aber stetig geschlossen. Wegen der stetigen Zustandsänderung ist ein plötzlicher Druckanstieg oder -abfall ausgeschlossen. Der Druck am Boden bleibt überall unverändert. Hydrostatic Paradox 3.svg
4. Das Material der Gefäße wird ausgehärtet, was auf den Druck am Boden keinen Einfluss hat. Hydrostatic Paradox 3.svg
5. Das Wasser wird aus der Wanne heraus gelassen. Wegen der unnachgiebigen Gefäßwände hat das keinen Einfluss auf die Verhältnisse in den Gefäßen. Der Druck auf den Böden (rot) ist überall gleich. Hydrostatic Paradox 4.svg

Entscheidende Annahmen, ohne die die Erklärung nicht auskommt, sind demnach

  1. Das Wasser ist jederzeit in Ruhe.
  2. Die Gefäßwände sind unnachgiebig, sodass das Wasser im Gefäß in Ruhe ist und bleibt und von den Zuständen außerhalb des Gefäßes abgetrennt ist.

Kommunizierende Röhren

In allen Gefäßen mit demselben Füllstand über dem Gefäßboden wirkt auf den Boden derselbe Flüssigkeitsdruck unabhängig von dessen Grundfläche und der weiteren geometrischen Form des Gefäßes. Als Konsequenz stellt sich bei kommunizierenden Röhren derselbe Flüssigkeitsspiegel oder Pegel ein, unabhängig von der Röhrengeometrie.

Für eine ruhende Flüssigkeit in einem homogenen Schwerefeld unter Vernachlässigung des Kapillareffekts ist der hydrostatische Druck nur von der Tiefe unter der Flüssigkeitsoberfläche abhängig. Wäre der Wasserstand in verschiedenen aufsteigenden Ästen der kommunizierenden Röhren verschieden, wäre die Flüssigkeit in ihnen nicht im Gleichgewicht. In diesem Fall würde die Flüssigkeit durch die Querverbindungen fließen, bis ein Gleichgewicht hergestellt ist. Danach steht die Flüssigkeit in allen Ästen gleich hoch. Der Luftdruck muss keine Berücksichtigung finden, da er in sehr guter Näherung im gesamten Bereich der kommunizierenden Röhren gleich hoch ist.

Die Masse des Wassers und damit dessen Gewicht ist in verschiedenen Ästen der kommunizierenden Röhren sehr wohl verschieden. Aus den oben beschriebenen Gründen können diese unterschiedlichen Gewichte allerdings keine Unterschiede im Bodendruck bzw. im Wasserstand hervorrufen. Getrennte Gefäße wie im Beispiel in der Abb. 1 ganz oben würden aufgrund untschiedlicher Wassermengen unterschiedlich stark auf eine Waage drücken, obwohl in ihrem Innern aufgrund gleicher Füllhöhe derselbe Druck auf den Boden herrscht. Das erklärt sich daraus, dass die Kräfte, die die Gefäßwände auf die Flüssigkeit ausüben, immer rechtwinklig zur Wand stehen. Diese Kraft entsteht nach actio und reactio als Gegenkraft auf den Flüssigkeitsdruck, der von innen in Richtung der Flächennormale gegen die Wand drückt. Wenn eine Wand nicht vertikal ist, übt sie eine Kraft mit einer vertikal gerichteten Komponente auf die Flüssigkeit aus. Ist die Wand nach innen geneigt (wie in der obigen Abb. 1 im unteren Bereich des linken Gefäßes), ist die Wandkraft schräg nach unten gerichtet und drückt mit auf die Flüssigkeit in Bodennähe. Ist die Wand nach außen geneigt (Gefäß rechts in der Abb. 1), wirkt die Wandkraft mit einer nach oben gerichteten vertikalen Komponente und trägt einen Teil des Flüssigkeitsgewichts. Als Folge ist der Druck der Flüssigkeit auf die Böden überall gleich, während die Waage bei den drei Gefäßen verschiedene Gewichtskräfte anzeigt.

Kräftegleichgewicht

Zur Erklärung des Paradoxons

Im linken Gefäß des eingangs gezeigten Bildes erklärt sich der konstante Druck auch im unteren ausladenden Bereich des Gefäßes wie folgt.

Bildteil a
Im ausladenden Bereich des Kolbens wird bei A eine Röhre C angebracht, in der nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren die Flüssigkeit wie im Kolben D bis zur Höhe B aufsteigt (Kapillarität sei vernachlässigbar.) Man kann die Röhre gedanklich kontinuierlich bis zum Boden verlängern, um sich klarzumachen, dass der Druck auf dem Boden unter C nach dem Pascal’schen Gesetz derselbe ist, wie unter D.
Bildteil b
Bei A wird das Volumen v vom Volumen V durch eine hinzugefügte, nachgiebige Membran getrennt, die sich nach Simon Stevin dabei nicht verformt, denn das wenige Wasser im Volumen v drückt genauso stark gegen die Membran wie das viele Wasser im Volumen V, vgl. #Geschichte. Diese Tatsache ist zwar nur eine andere Formulierung des Paradoxons, aber doch einleuchtend und der Erfahrung zugänglich.
Man denke an eine Schleuse, deren Schleusenkammer sich ohne weiteres öffnen lässt, wenn der Wasserstand auf beiden Seiten des Schleusentors derselbe ist, und das, obwohl die Wassermengen beiderseits des Tors sehr verschieden sein können.
Die Membran beeinflusst nicht den Druck am Boden.
Bildteil b cont'd
Das ändert sich auch nicht, wenn die Membran „aushärtet“, sodass sie genauso unnachgiebig ist, wie die Behälterwand. Nun drückt jedoch nicht mehr die Flüssigkeitssäule im Rohr C auf den Boden, sondern die starre Membran, die sich selbst im Kräftegleichgewicht befindet, da nach wie vor der Druck des wenigen Wassers im Volumen v genauso groß ist, wie der des vielen Wassers im Volumen V. Die der Flüssigkeitssäule A–B entsprechende Kraft wird jetzt vom starren Kolben auf die Flüssigkeit ausgeübt.
Bildteil c
Weil eine Interaktion der Röhre C mit dem Kolben D durch die starre Membran in A unterbunden ist, kann C auch entfernt werden, ohne die Verhältnisse am Boden des Gefäßes D zu ändern.

Diese Argumentation kann auf jedem Abschnitt im unteren ausladenden Bereich (rot gepunktet) wiederholt werden, was das Paradoxon erklärt.

Anwendung

  • Ein Wasserturm ist ein Reservoir, das höher platziert ist als die Wasserverbraucher. Der Höhenunterschied bewirkt den Wasserdruck bei den Abnahmestellen.
  • Die Schlauchwaage ist ein ideales Instrument zum Abmessen von Höhenunterschieden an weit entfernten Orten. Das Funktionsprinzip beruht auf den kommunizierenden Röhren: Der Wasserstand ist in beiden senkrecht aufgestellten Enden eines Schlauches gleich hoch.
  • Beim Artesischen Brunnen tritt an einem Brunnenloch das Wasser von selbst nach oben.
  • alle hydraulischen Geräte

Weblinks

Commons: Hydrostatisches Paradoxon – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Literatur

  • Wolfgang Demtröder: Experimentalphysik 1 – Mechanik und Wärme. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 2001, ISBN 3-540-64292-7
  • Willi Bohl, Wolfgang Elmendorf: Technische Strömungslehre. 13. Auflage. Vogel-Buchverlag, Würzburg, ISBN 3-8343-3029-9
  • Robert Freimann: Hydraulik für Bauingenieure: Grundlagen und Anwendungen. 3. Auflage. Carl Hanser Verlag, München, ISBN 978-3-446-43799-9