Eine gnomonische Projektion ist eine Zentralprojektion, bei der das Projektionszentrum im Mittelpunkt des abzubildenden Körpers liegt. Der Begriff gnomonische Projektion ist vom Gnomon (Schattenstab) der Sonnenuhr übernommen, bei der die Himmelssphäre mit der Sonne zentral aus der Gnomonspitze (Nodus) auf das Zifferblatt abgebildet wird. Die Art der Projektionsfläche ist beliebig. Antikes Beispiel ist die Innenfläche einer Kugel bei einer der ältesten Sonnenuhren, der Skaphe. Oft wird auf eine Ebene projiziert, wie zum Beispiel meistens in der Kartografie.
Die Projektion wird in der Kartografie mit Projektionszentrum im Erdmittelpunkt für Kartennetzentwürfe und in der Kristallografie mit Projektionszentrum im Mittelpunkt des Kristalls verwendet. Je nach Geometrie der Abbildungsfläche wird die Abbildung zu allen oder zu einzelnen Rändern hin stark verzerrt. Für topografische Karten ist die gnomonische Projektion deshalb nicht geeignet. Dennoch von praktischem Nutzen sind die gnomonischen Azimutalprojektionen, bei denen die Projektionsfläche eine Ebene ist.
Gnomonische Azimutalprojektionen sind „geradentreu“, d. h. alle Großkreise auf der Erdoberfläche und damit alle Orthodromen werden als Geraden abgebildet. Will man von einem Punkt zu einem anderen navigieren, so kann man daher in einer Karte mit gnomonischer Azimutalprojektion die Wegstrecke durch Verbinden der Punkte mit einer geraden Linie ermitteln. Deshalb finden diese Karten zusammen mit winkeltreuen Karten in der Navigation zur See und in der Luft sowie in der Funknavigation Anwendung. Die Kristallografie nutzt die Tatsache, dass Pole tautozonaler Flächen in gnomonischer Azimutalprojektion auf Geraden liegen.
Die gnomonische Azimutalprojektion erlaubt die Abbildung des am Projektionszentrum beginnenden offenen Halbraumes, in dem die Abbildungsebene liegt. Ein in der Begrenzung des Halbraumes liegender Großkreis wird ins Unendliche projiziert. Aufgrund der mit steigender Entfernung vom Mittelpunkt der Projektion stark zunehmenden Verzerrungen beschränkt man die Projektion meist auf einen Winkelbereich von höchstens 60° um die Mittelachse.
Ist die Projektionsebene einer gnomonischen Azimutalprojektion in normaler Lage, d. h., sie berührt die Erde im Pol, so werden die Breitenkreise als konzentrische Kreise um den Pol und die Meridiane als radiale Geraden abgebildet. Der Kartennetzentwurf lässt sich mit Hilfe von Zirkel und Lineal ausführen. Die Abbildungsgleichungen in dieser Lage lauten für die Polarkoordinaten der Karte, Azimut $ \alpha $ und Radius $ m $, mit geographischer Länge $ \lambda $ und Breitenkomplement $ \delta $ (90° − geographische Breite)
wobei $ r $ ein Maßstabsfaktor ist.
Der Berührungspunkt liegt auf dem Äquator. Die Meridiane werden als parallele Geraden abgebildet, die Breitenkreise als Hyperbeln. Der Äquator wird zu einer Geraden, welche die Meridiane senkrecht schneidet.
Die Karte berührt einen beliebigen Punkt der Erdoberfläche (hier Japan). Sie bildet die Meridiane ebenfalls als Geradenbündel ab, die Breitenkreise werden zu Kegelschnitten.
Wenn man einen Globus von innen beleuchtet (mit nahezu punktförmiger Lichtquelle im Zentrum des Globus), so dass die Globusoberfläche an eine ebene Wand oder die Zimmerdecke projiziert wird, so entspricht dieses Abbild an der Wand der gnomonischen Azimutalprojektion.
Wenn die Globusachse senkrecht zur Decke steht, bilden sich alle Parallelkreise als konzentrische Kreise ab, bei schräger Lage als Ellipsen und Hyperbeln. Die Meridiane bleiben hingegen gerade.
Der Name leitet sich von Gnomon (γνόμον), dem griechischen Wort für einen als astronomisches Instrument verwendeten Schattenstab, ab.
Mit der Spitze des Gnomons als schattenwerfendes Projektionszentrum wurde zum Beispiel bereits in der Antike der Stand der Sonne in einer Sonnenuhr abgebildet und zur Anzeige der Tageszeit benutzt. Eine Konstruktionsvorschrift für eine einen Gnomon enthaltende Sonnenuhr ist als Das Analemma des Vitruv überliefert.