Die Niggli-Formel oder Niggli-Schreibweise wurde von dem Schweizer Kristallographen Paul Niggli (1888–1953) entwickelt und ermöglicht die Darstellung von quasi unendlichen Verknüpfungsmustern in der Struktur von Kristallen. Die Koordinationszahlen der Atome werden in Form von Bruchzahlen dargestellt und lassen sich so aus der Formel direkt ablesen. Durch Addition der einzelnen Brüche ergibt sich bei Niggli-Formeln, sofern alle Atome berücksichtigt sind, die Summenformel der Verbindung.
Eine vollständige Niggli-Formel mit zwei unterschiedlichen Atomen A und B hat folgende Form:
Der Niggli-Formel kann jedoch im Allgemeinen nicht entnommen werden, in welchem Strukturtyp die Verbindung vorliegt bzw. in welche Gestalt die Koordinationspolyeder der Teilchen haben. Ein 6-fach koordiniertes Teilchen kann sowohl in Form eines Oktaeders wie auch als trigonales Prisma umgeben sein.
Koordinationszahl 6 als Oktaeder
Die Formel aus obigem Beispiel hat diese gekürzte Form:
Bei gekürzten Niggli-Formeln werden in der Regel die geschweiften Klammern, Informationen über die Art der Verknüpfung (v) sowie meist die Ladung (m) weggelassen. Für den Fall, dass y = 1 ist, kann y entfallen:
Das Mineral Zirkon Zr[SiO4] gehört zur Mineralgruppe der Inselsilikate. Die [SiO4]-Tetraeder in seiner Kristallstruktur sind untereinander nicht verbunden und liegen isoliert vor.
Die isolierte Teilstruktur hat vier negative Ladungen, die Zirkonium-Kationen sind im Zirkon daher vierfach positiv geladen, um die Ladung auszugleichen. In der Summenformel kommt daher in Zr4+-Kation auf ein [SiO4]4−-Tetraeder: Zr[SiO4].
Die Ketten aus [SiO4]-Tetraedern in den Kettensilikaten Enstatit MgSiO3 und Wollastonit CaSiO3 können mit der gleichen Niggli-Formel beschrieben werden, obwohl sich die Kettenmotive unterscheiden.
Durch Addition der Brüche ergibt sich „SiO3“. Während sich das Motiv im Enstatit nach zwei Tetraedern wiederholt (Zweiereinfachkette) wird dies im Wollastonit erst nach drei Tetraedern erreicht (Dreiereinfachkette). Anhand der Niggli-Formel lassen sich solche strukturellen Unterschiede nicht ablesen, in beiden Fällen entsteht die Kette durch zwei eckenverknüpfende Sauerstoffatome. In beiden Fällen trägt die Kette in der Summe eine zweifach negative Ladung, die im Enstatit durch die Mg2+- und im Wollastonit durch die Ca2+-Kationen ausgeglichen wird.
In der Modifikation Graphit des Kohlenstoffs bilden die Kohlenstoffatome Schichten, wobei ein Kohlenstoffatom kovalent mit drei weiteren innerhalb der Schicht verbunden ist. Die wabenartige Struktur der Schichten besteht aus Sechsecken, die ihre Kanten mit benachbarten Sechsecken teilen.
Da es sich um elementaren Kohlenstoff handelt, taucht auch in der vollständigen Niggli-Formel keine Ladung auf. Als Summenformel ergibt sich hierbei C2, diese kann zu C gekürzt werden.
Die Kristallstruktur von Cadmiumiodid CdI2 enthält [CdI6]-Oktaeder, die über je drei gemeinsame Kanten miteinander zu Flächen verknüpft sind. Jedes Cadmium-Atom ist also mit sechs Iodid-Ionen verbunden, die Iodid-Ionen ihrerseits haben jeweils Kontakt zu drei Cadmium-Atomen.
In diesem Fall ergibt sich durch Kürzung des Bruches 6/3 direkt die Summenformel CdI2.
Die Kristallstruktur von Natriumchlorid NaCl kann als kubisch dichteste Kugelpackung von Natrium-Ionen beschrieben werden, in der alle Oktaederlücken mit Chlorid-Ionen besetzt sind oder umgekehrt. Die Struktur enthält also [NaCl6]-Oktaeder, die über alle Ecken dreidimensional miteinander verknüpft sind beziehungsweise allseitig eckenverknüpfte [ClNa6]-Oktaeder. Da beide Ionensorten für sich eine kubisch dichteste Kugelpackung bilden mit jeweils der anderen Ionensorte in den Oktaederlücken, bezeichnet man die Kristallstruktur von NaCl auch als kommutative Teilgitter. Die Niggli-Formel lässt sich in diesem Beispiel auch umkehren und führt zum selben Ergebnis.
Aus der Niggli-Formel ergibt sich die Summenformel NaCl (in Summenformeln werden die Kationen den Anionen vorangestellt).