Chicago Pile bezeichnet, beginnend mit dem weltweit ersten funktionstüchtigen Kernreaktor, eine Reihe von Versuchsreaktoren. Die ersten drei dieser Reaktoren waren Teil des Manhattan-Projekts, dessen Ziel der Bau von Atombomben war.
Chicago Pile 1 (englisch pile ‚Stapel‘), kurz CP-1, war der weltweit erste von Menschen gebaute Kernreaktor, der 1942 die Kritikalität der Kernspaltungs-Kettenreaktion erreichte.
Die Versuchsanlage wurde vom Metallurgical Laboratory an der privaten University of Chicago gebaut. Sie sollte die theoretische Erwartung bestätigen, dass eine selbsterhaltende Spaltungs-Kettenreaktion tatsächlich auftritt. Das metallurgische Labor wurde 1942 von Arthur Holly Compton, einem Physik-Nobelpreisträger von 1927, aufgebaut. Ziel der Reaktorentwicklung für das Manhattan-Projekt war die Erbrütung von waffenfähigem Plutonium aus Uran-238 durch Neutroneneinfang im Reaktor.
Pile 1 war unter der Leitung des italienischen Physikers und Nobelpreisträgers von 1938, Enrico Fermi, unter einer stillgelegten Sporttribüne des Football-Stadions „Stagg Field“ auf dem Campus der University of Chicago aufgebaut worden. In dem Raum unter der Tribüne war vorher Rackets (ein Vorläufer von Squash) gespielt worden. An der ursprünglich vorgesehenen Einrichtung in der Kleinstadt Palos Park konnten die Arbeiten wegen eines Streiks nicht aufgenommen werden. Der Reaktor selbst war eine 7,6 Meter hohe, ungefähr kugelförmige Aufschichtung von Blöcken aus 5,4 Tonnen Uranmetall, 45 Tonnen Uranoxid und 360 Tonnen Graphit. Das Uran hatte die natürliche Isotopenzusammensetzung. Zur Kontrolle der Reaktion wurden als Steuerstäbe Neutronen absorbierende Cadmium-Bleche verwendet. Durch Messung des Neutronenflusses konnte die Reaktion beobachtet werden.
Die Anlage enthielt rudimentäre Einrichtungen zu einer Schnellabschaltung. Im Notfall hätte ein dafür abgestellter Helfer das Befestigungsseil eines über dem Pile hängenden Regelelements mit einer Axt durchtrennt, das dann in den Reaktor gefallen wäre und ihn unterkritisch gemacht hätte. Zudem stand zur Redundanz eine dreiköpfige Mannschaft oberhalb des Pile bereit, um diesen mit einer Cadmiumsalzlösung zu fluten. Seither wird die Schnellabschaltung eines Reaktors als „Scram“ bezeichnet (v. engl. {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value) ‚fliehen‘, ‚abhauen‘‘); von Fermi selbst ist das – offensichtlich scherzhafte – Backronym Safety Cut Rope Axe Man überliefert.[2]
Am 2. Dezember 1942 erfolgte die erste Demonstration vor geladenen Gästen ohne Schutz vor Strahlung. Physiker George Weil zog die Steuerstäbe teilweise aus dem Reaktorkern, während Fermi die Neutronenzählrate überwachte. Die Kernreaktion setzte um 15:22 Uhr ein und wurde nach 28 Minuten beendet.
Chicago Pile 1 wurde bereits im Februar 1943 abgebaut und, mit Blei-Platten zur Strahlenabschirmung ergänzt, als Chicago Pile 2 in der ursprünglich vorgesehenen Anlage Site A in Palos Park wiederaufgebaut.
Am 15. Mai 1944 wurde Chicago Pile 3 (CP-3) im Argonne National Laboratory nahe Palos Hills (US-Bundesstaat Illinois) kritisch und war damit der erste funktionierende Schwerwasserreaktor der Welt. Nachdem im Januar 1950 der Verdacht auf Schäden infolge Korrosion an der Aluminiumhülle des Reaktors erhoben worden war, musste er neu aufgebaut werden und wurde anschließend als CP-3′ von Mai 1950 bis zum Jahr 1954 weiterbetrieben. Beide Versionen des Reaktors wurden für verschiedene Forschungszwecke eingesetzt.
Zu Kriegsbeginn produzierte nur die Norwegische Hydroelektrische Gesellschaft (Norsk Hydro) in einem Kunstdünger-Werk schweres Wasser als Nebenprodukt.
Der radioaktive Abfall aus dem Rückbau von Pile 1 bis 3 wurde in der Site A/Plot M Disposal Site (Red Gate Woods) vergraben.
Von 1954 bis 1979 wurde Chicago Pile 5 als thermischer Reaktor betrieben. Der Schwerwasserreaktor produzierte mit (in K-25) angereichertem Uran hauptsächlich Neutronen für die Forschung. Der Reaktor wurde von 1991 bis 2000 rückgebaut.[3] Das Gebäude stand noch im Jahre 2009.
Der Ort des ehemaligen Reaktors CP-1 ist seit dem 18. Februar 1965 National Historic (Register) Landmark[4] und zudem ein Chicagoer Wahrzeichen. Dort steht heute die 1970 eröffnete Regenstein-Bibliothek. Eine 4,3 m hohe Skulptur Nuclear Energy von Henry Moore erinnert seit 1967 an die Versuchsanlage. Graphitblöcke des CP-1 sind im (mitmach) Museum für Naturwissenschaften und Technikgeschichte und im Bradbury Science Museum in Los Alamos (New Mexico) ausgestellt.
Das erste Kernkraftwerk der Welt in Obninsk in der UdSSR lieferte 1954 eine Nettoleistung von 5 MW.