Transmutation (lateinisch transmutatio: Verwandlung) ist die Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes. Die Alchemisten bezeichneten damit die angestrebte Verwandlung unedler Metalle in Gold.
Elementumwandlung ist mit chemischen Mitteln nicht möglich. Sie erfolgt jedoch in verschiedenen Arten von radioaktiven Zerfällen und Kernreaktionen; auch dies wird manchmal ganz allgemein Transmutation genannt.[1][2][3] Elementumwandlung durch Kernreaktionen findet im großtechnischen Maßstab vor allem bei der Energiegewinnung in Kernreaktoren statt.
Seit den 1990er Jahren werden als Transmutation spezielle Techniken bezeichnet, mit denen radioaktiver Abfall in seiner Gefährlichkeit verringert werden soll, indem durch Kernreaktionen mit freien Neutronen die besonders langlebigen Bestandteile in kürzerlebige verwandelt werden. Hauptsächlich geht es dabei um die minoren Actinoide Neptunium, Americium und Curium – genauer: die Nuklide Np-237, Am-241, Am-243 und Cm-245 – mit ihren besonders langen Halbwertszeiten. In manchen der Konzepte soll auch Plutonium mit umgewandelt werden, obwohl Plutonium auch in Form von Uran-Plutonium-MOX-Brennstoff in heutigen (2015) Kernkraftwerken genutzt werden kann. Bestimmte Konzepte[4][5] sehen zusätzlich die Transmutation langlebiger Spaltprodukte vor.
Vor der Transmutation müssen bei den meisten Verfahren zunächst die zu bearbeitenden Anteile – also die minoren Actinoide, je nach gewählter Strategie zusammen mit dem Plutonium und evtl. den Spaltprodukten – aus dem gebrauchten (abgebrannten) Reaktorbrennstoff abgetrennt werden. Für diese Partitionierung (Partitioning) müssen chemische Verfahren entwickelt werden, die über die existierenden Wiederaufarbeitungsverfahren, z. B. den PUREX-Prozess, hinausgehen. Erforscht werden neben hydrometallurgischen[6] auch pyrometallurgische Verfahren, nämlich elektrochemische Prozesse in einer Salzschmelze.[7]
Die vorherrschenden Reaktionen der Actinoide mit Neutronen sind Kernspaltung und Neutroneneinfang. Die Spaltung ist der zur Halbwertszeitverkürzung erwünschte Prozess; er liefert zugleich auch noch nutzbare Energie. Der Neutroneneinfang erzeugt dagegen nur das nächst schwerere, manchmal ebenfalls langlebige Nuklid.
Der Spaltungs-Wirkungsquerschnitt von Nukliden mit gerader Neutronenzahl für einfallende thermische Neutronen ist klein und wächst erst für Neutronenenergien oberhalb ca. 1 MeV stark an. Der Einfangquerschnitt ist dagegen bei allen Nukliden für thermische Neutronen am größten. Deshalb werden zur Transmutation überwiegend Anlagen mit einem „schnellen“, also nicht moderierten Neutronenspektrum in Betracht gezogen.[8]
Schnelle Brutreaktoren heutiger Art können nach gewissen Modifikationen, unter Verzicht auf Erbrüten eines Plutonium-Überschusses, zur Transmutation der minoren Actinoide genutzt werden. Ein Beispiel eines solchen Projekts ist ASTRID (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration), ein in Frankreich geplanter natriumgekühlter 600-Megawatt-Reaktor der IV. Generation.[9] Über den Bau dieses Prototyp-Kernkraftwerks in Marcoule soll 2019 entschieden werden. Auch andere existierende oder im Bau befindliche schnelle Reaktoren, z. B. die russischen Brutreaktortypen BN-800 und BN-1200, können so betrieben werden.
Auch für das Konzept des Dual Fluid Reaktors wird die Einsatzmöglichkeit zur Transmutation erwähnt.
Ein allgemeiner Nachteil der Transmutation mit kritischen Reaktoren ist, dass aus neutronenphysikalischen Gründen der Brennstoff meist auch Brutstoff, also Uran-238 oder Thorium, enthalten muss, so dass eine gewisse Menge leicht spaltbares Material, Pu-239 bzw. U-233, neu entsteht.[10]
Im Brennstoff kritischer Reaktoren dürfen die minoren Actinoide nur eine geringe Beimischung bilden, denn wegen ihres zu kleinen Generationenfaktors wird sonst die Kritikalität nicht erreicht. Diese Beschränkung entfällt aber, wenn der Reaktor unterkritisch mit einer äußeren, von einem Teilchenbeschleuniger getrieben Neutronenquelle betrieben wird. Mit der Entwicklung der Spallations-Neutronenquellen sind Leistungsreaktoren dieser Art in den Bereich des Möglichen gerückt. Solche Accelerator Driven Systems (ADS) könnten alle überhaupt spaltbaren Nuklide energieliefernd verwerten.[4][11]
Zwei Konzepte sind besonders bekannt geworden: das Konzept von Bowman u. M.[4][5] und der Energy amplifier (Energieverstärker) nach Carlo Rubbia u. M. (manchmal auch als „Rubbiatron“ bezeichnet).[12][13] Bowmans Vorschlag ist der technologisch anspruchsvollere und „radikalere“ (mit Transmutation auch der Spaltprodukte). Er hat aber – zumindest bis 2013 – nicht zu detaillierten Entwicklungsarbeiten geführt.[14] Rubbias Vorschlag hält sich näher an schon erprobte Technologien.
Die europäische ADS-Demonstrationsanlage MYRRHA (Multi-purpose hYbrid Research Reactor for High-tech Applications) soll im Forschungszentrum Mol in Belgien errichtet werden und etwa 2023 in Betrieb gehen.[15][16][17] Eine ADS-Versuchsanlage am Beschleunigerzentrum J-PARC in Japan ist im Bau und soll den Betrieb mit Transmutationsbrennstoff etwa 2020 aufnehmen.[18]
Eine mit der Abfallverarbeitung verwandte Aufgabe ist die friedliche Nutzung (und damit Beseitigung) vorhandener Waffenplutonium-Vorräte. Sie kann zwar schon in heutigen (2015) Leichtwasserreaktoren mit MOX-Brennelementen erfolgen. Dabei entsteht allerdings aus dem Uran-Anteil des Brennstoffs wieder neues, wenngleich nicht waffengeeignetes Plutonium. Schneller wirksam und vielleicht wirtschaftlicher wäre die Verwendung modifizierter Reaktoren, wie z. B. von Galperin u. M.[19] unter der Bezeichnung Plutonium incinerator (Plutoniumverbrenner) vorgeschlagen. In einem üblichen Westinghouse-Druckwasserreaktor würde dazu statt des normalen Brennelement-Typs ein Typ mit zwei konzentrischen, verschieden beladenen Zonen (seed and blanket) verwendet. Die Innenzone jedes Brennelements enthält das Plutonium, aber kein Uran, und hat ein hohes Moderator-zu-Brennstoff-Verhältnis; die Außenzone enthält den Brutstoff Thorium, aus dem Uran-233 entsteht, das direkt im Reaktorbetrieb wieder verbraucht wird. Der Reaktor würde als Kraftwerk die elektrische Leistung von 1100 Megawatt liefern. Von der jährlichen Beladung mit 1210 kg Waffenplutonium würden 702 kg durch Spaltung beseitigt. Die restlichen 508 kg hätten beim Entladen einen hohen Anteil geradzahliger Transurane (Pu-240, Pu-242, Am-242, Cm-242, Cm-244) und eine hohe Spontanspaltungsaktivität, wären also für militärische Waffen ungeeignet.